Zwei Jahre lang durch Europa reisen mit einem umgebauten VW Bulli, um Straßenmusiker aufzunehmen: Marten Berger erfüllte sich damit einen Traum, weit weg vom Alltagsstress langer Studioschichten. Das Erlebnis hat ihn für sein weiteres Berufsleben geprägt.
Marten Berger hat sich schon immer für Aufnahmen begeistert – dem 27-Jährigen geht es darum, Dinge »einzufangen« und Live-Performances zu konservieren, sodass sie nicht schlicht vorbei wären, wie er in der Einleitung zum kommenden Buch seines »Sounds Like Van Spirit«-Projekts erklärt: Berger war mit einem umgebauten VW Bulli zwei Jahre lang quer durch Europa unterwegs, um Straßenmusiker aufzunehmen. Zuvor hatte der Tontechniker, aufgewachsen nahe der holländischen Grenze, Musikproduktion und Komposition am Art-EZ Institute of Arts in Enschede studiert.
Anzeige
Damals traf er den holländischen Straßenmusiker Christiaan Maurer, der John Denvers Take Me Home, Country Roads coverte – die Performance rührte ihn so sehr, dass er ihn später aufnahm, ohne Overdubs oder Hilfsmittel. Die Idee seines Recording-Mobils war geboren, mit dem er in 25 Ländern Musiker aufnahm und ein komplettes Album zusammenstellte. Zusätzlich arbeitet er am erwähnten Buch und einem Dokumentationsfilm über die Reise. Und: Berger will nach Möglichkeit nicht zurück in den »herkömmlichen« Studioalltag eines Tontechnikers.
Als Vehikel für dein Unterfangen hattest du für 1.400 Euro einen 1991er VW T3-Bulli gekauft, einen alten Eiswagen, der viel Arbeit bedeutete. Du kanntest dich praktisch nicht mit Autos aus?
Absolut nicht! Das Auto fuhr, hatte ein paar Rostlöcher. Ich wusste, dass eine Reparatur machbar wäre. Da ich ländlich wohnte, kannte ich Leute, die ein Schweißgerät bedienen konnten. Die Herausforderungen entstanden später: Zwei Wochen vor meiner Abreise ging das Getriebe kaputt. Auch stellte sich die Frage, wie ich den Innenraum umbauen könnte, um darin aufzunehmen und wohnen zu können. Letztlich hat alles funktioniert. Drei Tage, nachdem ich zurück war, hatte ich einen Motor-Totalschaden – nach zwei Jahren ohne Panne! Den konnte ich immer noch nicht völlig beheben.
Zur Stromversorgung hast du beispielsweise eine Solaranlage und eine Autobatterie verbaut?
Ich hatte eine Solaranlage auf dem Dach eingebaut, dazu eine Gel-Batterie mit 260 Amperestunden. Die wurde auchbe im Fahren aufgeladen. Das hat recht gut funktioniert – im Winter war es allerdings schwierig, da nicht so viel Energie »reinkam« und ich mehr Strom verbrauchte, weil ich mehr Zeit im Wagen verbrachte.
Für die Aufnahmen hast du nur ein paar Mikrofone mit Windschützen benutzt, dazu ein Notebook-Setup?
Richtig. Audiokarten brauchen glücklicherweise nicht so viel Strom. Ich hatte mein Laptop, Audio-Interface und Preamps dabei, dazu Kameras für das Bildmaterial. Voll ausgelastet hätte ich 14 Kanäle aufnehmen können. Soweit kam es nie. Manchmal hat der Strom selbst für dieses Audio-Setup nicht gereicht – dann musste ich auf einen Field-Recorder umsteigen. Ich habe Shure-Mikrofone benutzt, die ich netterweise vom Hersteller für das Projekt zur Verfügung gestellt bekam. Das SM7B war mein Go-To-Gesangsmikrofon.
Für die Gitarren und zur Stereo-Mikrofonierung verwendete ich KSM131- oder Beta 181-Kleinmembran-Kondensator-Mikrofone. Für Drums zusätzlich noch eine Beta 91 Grenzfläche in der Bassdrum. Dazu hatte ich noch dynamische »Evergreens« wie SM57 und SM58 dabei. Sogar ein Bändchen-Mikrofon war im Gepäck, das KSM313, das ich gelegentlich für Gesang einsetzte.
Wenn es vor Ort möglich war, habe ich auch mit einem KSM44A-Großmembran-Mikrofon aufgenommen. Das hing vom Wind und den Umgebungsgeräuschen ab, aufgrund der erhöhten Empfindlichkeit. Mein Haupt-Preamp war ein Focusrite ISA Two, dazu ein Focusrite Saffire-Interface, das nochmal zwei Liquid-Preamps bereitstellte, zudem ein RME Fireface 400 als Backup und als »Notnagel« bei knappen Energiereserven mein Zoom Field-Recorder.
Als studierter »Sound Engineer« hast du dir vermutlich Gedanken gemacht, Erstreflexionen im kleinen Raum des Wagens für die Aufnahme in den Griff zu bekommen …
Klar. Ich habe den kompletten Bus mit Teppich und Kork verkleidet. Der Bus ist mit Armaflex isoliert, darüber liegt Teppich. Die mittleren und hohen Frequenzen werden durch das Material mehr oder weniger absorbiert oder diffundiert. Da der Bus nur von einer dünnen Metallhülle umgeben ist, gehen alle tiefen Frequenzen durch die Karosserie nach draußen und werden dort nicht reflektiert – dementsprechend habe ich im Bus eine praktisch akzeptable Akustik, die wesentlich besser ist als in vielen Projektstudios.
Manchmal hast du im Freien aufgenommen …
Ja, ich hatte Bands mit bis zu zwölf Musikern vor den Mikros – die bekomme ich natürlich nicht im Bus unter. Manchmal habe ich es auch aufgeteilt: Gitarre und Gesang im Bus, Drums draußen – immer so, wie es gerade gepasst hat. Teilweise hat der Bus auch als großer Windschutz funktioniert.
In den zwei Jahren hast du ganz Europa bereist?
Ich war in 28 Ländern, konnte aber nur in 25 aufnehmen. Ich lernte zu akzeptieren, dass ich eine gute Aufnahme nicht erzwingen konnte in der Zeit, die zur Verfügung stand. Je kleiner das Land, desto schwieriger die Suche, weil kleinere Städte weniger attraktiv für Straßenmusiker sind.
Straßenmusik ist stilistisch offen – sind es auch die Musiker auf dem Album?
Auf dem Album ist ziemlich alles, was ich finden konnte: Hip-Hop, Blues, Ska, Singer/Songwriter, eigene Songs und Cover-Versionen. Bei Straßenmusikern habe ich einen gemeinsamen Nenner gefunden: Sie denken recht pragmatisch, wenn es um Musik geht. Brauchen sie Geld, nutzen sie ihr Können und spielen einfach los. Ich habe mit allen Interviews geführt. Dabei zeigte sich: Je mehr sie vom kommerziellen Gedanken losließen »Ich spiele diesen Song, damit mehr Leute zuhören«, desto mehr Geld nahmen sie ein, weil sie das machten, was sie wirklich wollten. Straßenmusiker bekommen direkt Feedback und können sich nicht auf Lorbeeren ausruhen wie eine Band, deren Konzert im Vorhinein ausverkauft ist. Dort bleiben die Leute auch, weil sie dafür bezahlt haben. Das passiert auf der Straße nicht: Wenn die Musiker nicht überzeugen, geht das Publikum weiter. Das erinnert an deine Beschreibung in der Einleitung des Buchs: Du wolltest mehr »Kunst« statt ein »Produkt« machen. Deutlich anders, als du es in deinem früheren Fulltime-Job im Studio erlebt hast …
Einer der Hauptgründe, warum ich in den Bus gezogen bin, war eine Sehnsucht nach »Freiheit«. Ich wusste noch nicht, wie ich das letztendlich umsetzen könnte, aber in einer Studioumgebung existiert diese Freiheit selten. Übrigens auch für Musiker! Selbst in einem Projektstudio kostet ein Studiotag schnell mehrere hundert Euro – eine schlechte Voraussetzung, um entspannt Dinge auszuprobieren und Kunst zu schaffen. Ein Studio ist heutzutage sehr effizient und produktiv. Das muss es sein, um sich finanziell zu tragen. Das Problem besteht aus meiner Sicht darin, dass Produktivität nicht Kreativität bedeutet. Die klassischen Studios sind kein Ort mehr, an dem Musiker wirklich experimentieren – das tun sie zu Hause im Schlafzimmerstudio.
Wie sah die Finanzierung aus?
Dazu habe ich Crowdfunding eingesetzt. Die Amsterdamer Organisation Musicians Without Borders [die Musiker weltweit fördert; Anm.d.Aut.] hat mich rechtlich unterstützt. Die Hälfte der Albumerlöse wird an den Verein gespendet. Am Anfang war ich noch relativ entspannt: Ich wusste, dass Geld für höchstens ein halbes Jahr bereitstand, ich aber mindestens ein Jahr unterwegs sein würde – also würde irgendwann ein Geldproblem kommen.
So kam der Tag, an dem ich kein Geld mehr hatte. Ich machte weiter, war schon deutlich im Minus. Mit Hippies in Portugal half ich mir mit containern über die Runden, habe bei Restaurants nach Essen gefragt. Dann versuchte ich, zu arbeiten und Sponsoren zu finden. Ich wurde von meinem Professor unterstützt, der mich mit einem Kulturverlag in Verbindung brachte. Mit deren Hilfe konnte ich das Projekt noch einige Monate weiterführen.
Was waren persönliche Highlights?
Die Erkenntnis »Man kommt als Fremder und geht als Freund«. Das ist mir in praktisch jedem Land passiert. Vor der Reise war ich Skandinavien-Fan, konnte mit dem Süden nichts anfangen. Aber es hat mich umgehauen, wie locker, herzlich und offen die Leute dort waren. In den Süden – Italien, Spanien, Portugal – habe ich mich verliebt, unfassbar schöne Länder mit toller Mentalität. Mir fiel auf, dass man sich schnell Klischees zurechtlegt: Zu Hause ist es am sichersten, unterwegs ist alles schwierig. Letztendlich war nichts problematisch! Bei mir wurde nicht eingebrochen, in den zwei Jahren lediglich ein Fahrrad gestohlen. Das Schönste für mich war festzustellen, dass ich mich auf diesem Kontinent absolut frei bewegen konnte und überall mit offenen Armen empfangen wurde.
Und wie war das »Zurückkommen«?
Gute Frage! (lacht) Ankommen scheint wesentlich schwieriger als Losfahren. In meinem alten Umfeld war ich mit Sichtweisen konfrontiert, die ich abgelegt hatte. Ich hatte mich verändert, das war für manche alten Freunde schwer nachzuvollziehen. Dadurch entstanden Spannungsfelder. Spontan zog ich nach Berlin, dort wohne ich seit Anfang Januar.
Mir scheint, dass ich in Berlin eine Homebase aufbauen kann, als »Hafen« für neue Projekte. Langsam trägt sich das Projekt. Dass ich weitermachen kann, ohne weiter ins Minus zu kommen, ist meine persönliche Belohnung. Mittlerweile trägt sich das Projekt durch Albumverkäufe so weit, dass ich weiter am Film und Buch sowie an einem zweiten Teil arbeiten kann. Am liebsten würde ich solche Projekte bis ans Lebensende machen. Ich möchte Leute inspirieren, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das habe ich von den Straßenmusikern gelernt: Diese Freiheit ist unbeschreiblich kostbar.
Großartiges Projekt!!! Weiter…
immer weiter?
Wow!