Interview mit Mark Johnson von »Playing For Change«
von Nicolay Ketterer,
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Die amerikanische Organisation »Playing For Change« nimmt Cover-Versionen bekannter Songs mit vielen Musikern weltweit auf, darunter Straßenmusiker und Prominente wie Ringo Starr, Robbie Robertson oder Keith Richards. Die Aufnahmen finden im Freien statt, teilweise in entlegenen Gebieten. Ein Gespräch mit Toningenieur Mark Johnson über Herausforderungen und besondere Momente.
Er wolle die Menschen über Songs miteinander verbinden, erklärt Mark Johnson seine Motivation, warum er durch die Welt reist, um in allen möglichen Ländern interessante Musiker aufzuspüren. Mit seinem Team nimmt er mit einem mobilen Aufnahme-Setup in Ton und Bild einen Beitrag auf. Am Ende entsteht beispielsweise eine Cover-Version eines bekannten Songs, auf dem sich Künstler unterschiedlicher Kulturen die musikalische Klinke in die Hand geben – und vor allem Begeisterung und Leidenschaft vermitteln.
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Ursprünglich arbeitete Johnson als Toningenieur in der New Yorker Hit Factory, später in Los Angeles. Er nahm etwa Paul Simon, Jackson Browne, Rickie Lee Jones oder Los Lobos auf. »An einem Tag arbeitete ich mit Paul Simon, am nächsten an Filmmusik, anschließend vielleicht mit einem 70-köpfigen Orchester für eine Broadway-Produktion. Mir fiel die Freude auf, die die Leute am Aufnehmen ihrer Musik hatten.
Eines Tages war ich auf dem Weg zur Arbeit in den Gängen der New Yorker U-Bahn unterwegs. Dort standen zwei Mönche in ihren Roben, einer spielte Gitarre, der andere sang. Praktisch jeder stoppte und hörte zu. Im Publikum sah ich einen Obdachlosen neben einem Geschäftsmann, ein kleines Mädchen und eine ältere Frau. Mir schien: Die beste Musik, die ich gehört habe, fand auf dem Weg zum Studio statt, nicht im Studio. Meine zweite Erkenntnis: Was Menschen trennt, verschwindet bei Musik.
Ich entschloss mich, ein Teil des Equipments, das ich im Studio benutzte, auf die Straße mitzunehmen: in die U-Bahn, zu afrikanischen Dörfern, in den Himalaya – wo immer ich hinreisen könnte. Dort würde ich Musik praktisch in ihrer natürlichen Umgebung aufnehmen.«
Johnson gründete 2002 die Organisation »Playing For Change« mit seiner Partnerin, der Filmemacherin Whitney Kroenke. Sie waren zunächst in den USA unterwegs, um Menschen beim Musikmachen einzufangen. Daraus entstand die prämierte Dokumentation »A Cinematic Discovery of Street Musicians«.
2005 nahm er den mittlerweile verstorbenen Straßenmusiker Roger Ridley in Kalifornien auf, dessen Performance des Ben-E.-King-Klassikers Stand By Me beeindruckte. »Ich meinte: ›Du klingst wie Otis Redding – was machst du auf der Straße?‹ « Er sei im »Joy Business«, habe Ridley geantwortet, wolle mit der Musik direkt bei den Leuten sein. Diese Feststellung beeindruckte Mark Johnson. Er nahm weltweit Musiker auf, die zu Ridleys Performance aus Akustikgitarre und Gesang weitere Beiträge einspielten. Das Video der Cover-Version wurde 2008 auf YouTube veröffentlicht, mittlerweile wurde der Clip über 150 Millionen Mal abgerufen.
Location-Recording
Für die mobilen Aufnahmen nutzt er Schoeps-Mikrofone mit Hypernieren-Kapseln, dazu einen Akku-betriebenen Grace Designs Lunatec-Preamp mit Wandler. »Die Mikrofone und der Preamp wurden sozusagen zum ›Sound‹ des Projekts. Auf den Mikrofonen verwendete ich natürlich Windschutze. Im Gepäck habe ich Akkus, um mein Notebook samt Pro Tools zu versorgen.
Bei der Aufnahme steht allerdings das Feeling im Vordergrund: Früher, bei meinen Aufnahmen mit Keb’ Mo’ galt der Leitsatz: »Fühlt sich die Performance gut an, klingt sie auch gut.« Daher die Grundidee, im Freien aufzunehmen – dort, wo sich die Leute wohlfühlen. Dazu kommt: Für meinen Geschmack erscheinen die Nachhallzeiten in der Natur perfekt. (lacht)
Den Musikern gebe ich hochwertige Audio-Technica-Kopfhörer, mit denen sie sich gut hören. Dann fühlen sie sich gut, spielen gut – und das Ergebnis klingt schlicht gut.« Bei den neuesten Videos – etwa die Cover-Version vom The-Band-Klassiker The Weight – sind direkte, gut klingende Signale in einem unaufdringlichen, gelungenen Mix zu hören. »Über die Zeit wurden wir immer besser darin, draußen aufzunehmen. Oft kannst du keinen Unterschied zu einer Studioaufnahme feststellen.«
Ein weiterer Unterschied, der ihm aufgefallen ist: »Im Studio spielen die Leute oft viel. Im Freien hören die Menschen beim Musikmachen mehr zu, spielen reduzierter. In den Songs, die wir aufnehmen, bleibt Platz, weil jeder nur versucht, etwas beizusteuern, nicht alles! Das führt ebenso zu besserem Sound.« Das Ergebnis klingt teilweise, als ob die Musiker gemeinsam im selben Raum einspielen. »Das liegt vermutlich daran, dass die Leute spüren, dass sie Teil einer größeren Performance sind, größer als sie selbst. Das ist eine andere Art, Musik zu machen, bei der es darum geht, das Ego rauszunehmen.«
Die größte Herausforderung im Rahmen der mobilen Aufnahmen? Er muss lachen. »In den Straßen von Kinshasa, Kongo: Die ganze Energie, alle möglichen Dinge, die sich um uns herum abspielten – das war ziemlich unglaublich. Meist verwandelt sich negative Energie in Offenheit, sobald die Leute erfahren, dass wir gekommen sind, um Musik aufzunehmen. Wäre ich aus militärischen oder politischen Gründen dort, wäre das anders. Auch in Kolumbien, Südafrika und anderswo passierte es uns, dass unangenehme Situationen ins Positive gekehrt wurden, als wir in gefährlichen Gegenden waren. Die Menschen unterstützen uns, sobald es um Musik ging.
Es ist seltsam, aber Musik vermittelt sozusagen Sicherheit: Bislang war ich in über 60 Ländern, und Musik ›klebte‹ die Kulturen zusammen. Das Aufnehmen im Freien bringt manchmal Hürden mit sich: Wenn wir keine Genehmigung haben, uns in bestimmten Gebieten aufzuhalten, oder Regen … Das Wetter ist ein viel größeres Problem als tatsächliche Gefahr, sogar als wir in Israel und Palästina aufgenommen hatten. Die Palästinenser meinten, wenn die Israelis im Video zu sehen sind, möchten sie auch zu sehen sein. Jeder Teilnehmer möchte im Kontext dieser friedlichen Gemeinschaft repräsentiert werden.«
Song-Produktion
Begann Stand By Me noch mit der Performance von Ridley, ohne Click gespielt, verfolgte Johnson bei The Weight einen anderen Ansatz: »Bei dem Song spielte Robbie Robertson [Gitarrist von The Band] zuerst ein – dazu wollte ich eine ›endgültiger‹ produzierte Arrangement-Vorlage. Ich ging mit einer guten Band in ein Studio und nahm den Song auf einen Click auf. Robbie hörte die Performance und spielte darüber. Als ich anschließend um die Welt reiste, nahm ich bei den Performances die ursprünglichen Drums, den Bass oder die Gitarre raus und ersetzte die Parts. Das Arrangement änderte sich über die Zeit: Zunächst war nur ein einzelnes Gitarrensolo geplant, aber als die Oud dazukam, machte ich ein doppeltes Solo daraus. Wir nahmen den Musiker Marcus King in den USA auf, der neben Gesang eine Slide-Gitarre grob im Duane-Allman-Stil spielte. Zwei Frauen in Trenchtown, Jamaika, die am Ende der letzten Strophe auftauchen, singen vor Bob Marleys Haus.
Die Version von All Along The Watchtower entstand wiederum anders: »Wir haben die Akustikgitarre des Gitarristen Bombino in der Republik Niger mit einem Click-Track aufgenommen. Später wurde alles drumherum gebaut. Derjenige, der gerade spielte, hörte alles, was vor ihm gespielt wurde, und steuerte etwas bei. Ein Gitarrist aus Zimbabwe spielte eine Wah-Gitarre in der Wüste! Die Percussion übernimmt eine prägnante Rolle, sodass das Ergebnis stellenweise wie Stammesmusik klingt – dafür gingen wir zu amerikanischen Ureinwohnern. Das Schlagzeug kam erst zum Schluss dazu. Wir wollten die Percussion hören, am Ende fanden wir noch Platz für Bass und Drums! Uns ging es darum, die Dringlichkeit im Text am Schluss herauszustellen, der Weisheiten über unseren Planeten vermittelt. The Weight war mehr als Tribut an einen tollen Song gedacht, Stand By Me sollte eine positive Stimmung vermitteln.«
Ob Menschen unterschiedlicher Kulturen problemlos zu den westlich geprägten Songs spielen können? »In Westafrika sind die Menschen weniger Akkordwechsel, in anderen Ländern weniger Swing-Feeling gewohnt. Es geht darum, entweder an den Noten oder am Feeling zu arbeiten.« Die Musiker finden sie durch lokale Tipps: »Wir engagieren jeweils einen lokalen Musiker, der uns hilft, passende Musiker und Klangfarben zu finden. Ich habe immer fünf bis zehn Songs im Gepäck, um zu sehen, was für den jeweiligen Musiker am besten funktioniert. Interessant: Wenn du in Pro Tools 50, 60 Spuren aus der ganzen Welt hast und sie als Gruppe pro Kontinent – Indien, Südamerika, Afrika, USA, Europa – solo schaltest, klingen die Songs komplett unterschiedlich! Fünf unterschiedliche Geschmacksrichtungen und Arten, einen Song zu interpretieren. « Bislang sind rund 60 Songs fertig gestellt.
Prominente Gäste treten regelmäßig auf: Ringo Starr spielt bei The Weight Schlagzeug, er ist ein guter Freund von Robertson. »Wir hatten von Anfang an viel Unterstützung von Robbie Robertson, Jackson Browne, Manu Chao und anderen.« Keith Richards kam auf die Organisation zu, nachdem er deren Version von Gimme Shelter mit Straßenmusikern und Taj Mahal gesehen hatte. »Keith liebte die Version, er mochte das Projekt und schlug vor, einen seiner Solo-Songs ›um die Welt‹ mitzunehmen. Wir entschieden uns für Words Of Wonder‹, der in Bob Marleys Get Up, Stand Up übergeht. Das beginnt mit Keith Richards, danach findet Mariachi-Musik in Mexiko statt, anschließend folgen Beiträge aus Indien und Brasilien.«
Mit dem Projekt wolle er praktisch seinen Beitrag zur Weltverbesserung leisten. »Einer meiner Vorbilder und Mentoren, Keb’ Mo’, hat einen Song namens Change. Daher stammt die Idee. Im Song geht es darum, Veränderung zum Positiven für alle herbeizuführen. Wir leben in einer geteilten Welt, im Rahmen von Playing For Change dient Musik dazu, die Herzen der Menschen wieder zu verbinden.«
Die Organisation finanziert ihre Arbeit durch Mitglieder mit einem Mitgliedsbeitrag von 5 Dollar pro Monat. Daneben existiert eine Non-Profit-Organisation, die »Playing For Change Foundation«, die Whtiney Kroenke betreibt. »Die Non-Profit-Organisation unterhält 15 kostenlose Musikschulen weltweit, die von der jeweiligen Gemeinde betrieben werden«, so Johnson.
Konzerte.
2007 entstand zudem eine »Playing For Change«-Live-Band, mit zehn Musikern aus den Videos, aus zehn Ländern. »Die Band haben wir für eine Benefiz-Veranstaltung gegründet, um unsere erste Musikschule zu bauen. Die Idee war, Musiker aus den Videos, die sich nie getroffen haben, für ein Konzert zusammenzubringen. Daraus erwuchs so viel Energie, dass ein neues Projekt entstand – seit über zehn Jahren tourt die Band nun um die Welt, sie haben unter anderem eine Stadion-Tour mit Robert Plant absolviert.«
Das Projekt entwickelte sich für Johnson vor gut zehn Jahren zum Hauptberuf. »Ich liebe die Studioarbeit, aber auch das Reisen, wodurch ich die Welt durch den Blickwinkel der Musik wahrnehme. « Am meisten bewege ihn, dass Musik die Fähigkeit besitzt, alles im Leben zu verändern. »Als ich nach Südafrika flog, um in einem Township aufzunehmen, schienen die Umstände sehr trist: hohe Armut, viele waren mit HIV infiziert. Ich dachte, vielleicht gehen wir hier zu weit und sollten umkehren. Als die Musiker dort mitbekamen, was wir machten, riefen sie ihre Freunde zusammen, um für uns zu spielen. Alle begannen zu tanzen und sich zu bewegen; die Gegend verwandelte sich komplett – vom traurigsten zum glücklichsten Ort der Welt. Du kannst niemandem befehlen, ein Gefühl zu empfinden. Musik kann das auslösen. Die Welt ist viel mehr miteinander verbunden, als wir denken.«