Das British-Grove-Studio vom ehemaligen Dire-Straits-Chef Mark Knopfler vermittelt eine gefühlte Materialschlacht — neben Neve 88R- und API Legacy-Konsolen in den beiden Regieräumen finden sich auch ein REDD- und EMI-Pult als »Add-On«. Andere »Kleinigkeiten«? Zwölf Bandmaschinen, zwei Fairchild-Kompressoren, Pultec-Equalizer, EMT-Hallplatten. Bei Knopflers aktuellem Album Tracker sowie dem Soundtrack zum Film »Altamira« diente allerdings ein puristischer Ansatz als Arbeitsgrundlage, wie Tontechniker und Co-Produzent Guy Fletcher erläutert: Man wollte auf »unnötige Schaltkreise« in der Signalkette verzichten — eine Erkenntnis, die auch inmitten der »Klanglegenden« gereift ist.
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Die Equipment-Wunschliste in den Köpfen von Tontechnikern ist oft lang. Selten enden alle Fantasien in der Realität. Einen bedeutend höheren Wirkungsgrad dürfte die Wunschliste von Mark Knopfler in dessen 2005 eröffneten British Grove Studios haben − wo nahezu alle Vintage-Legenden vorhanden sind, die man sich eben erträumen kann. Trotzdem entzieht Produzent Guy Fletcher der oft verbreiteten Verklärung »viel hilft viel« den Nährboden, mit dem weitgehenden Verzicht auf Equalizer und Kompression. Fletcher ist als Keyboarder seit dem Dire-Straits-Album Brothers In Arms an der Seite Knopflers, später auch als Co-Produzent − bei den aktuellen Produktionen übernahm er ebenso die Tontechnik. Der Ansatz, den idealen Klang an der Quelle einzufangen, klingt nach tontechnischer Erleuchtung − Zeit für ein Gespräch.
Wie entstand der Gedanke, beim aktuellen Album die Signalkette möglichst puristisch zu halten und die Bearbeitung mit Kompressoren und Equalizern zu reduzieren?
Fletcher: Seit wir im British-Grove-Studio aufnehmen, wurde uns bewusst, dass es hier nicht so schwierig ist, Instrumente oder Stimme optimal aufzunehmen. Den Gedanken haben wir weitergesponnen − nach dem Motto: »Wenn das aufgenommene Signal bereits direkt gut klingt, warum daran rumdoktern?« Die Detailversessenheit, mit der das Studio geplant und gebaut wurde, führt dazu, dass man ein Mikrofon einstöpseln kann und das Ergebnis meist direkt gut klingt. Deshalb experimentieren wir gerne im Vorfeld mit verschiedenen Mikrofonen.
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Die Bezeichnung »unnötige Schaltkreise« klingt für Außenstehende zunächst dick aufgetragen, wenn man berücksichtigt, dass British Grove mit besonders bewährten ästhetischen Klangwerkzeugen ausgestattet ist, darunter Fairchild-Kompressoren und Pultec-Equalizer. Gerade bei Neueinsteigern kann der Eindruck entstehen, jeder gute Equalizer und Kompressor würde die Signalqualität verbessern. Aber auch bei »gutem« Equipment büßt das Signal Klangeigenschaften wie Transienten-Wiedergabe ein − und es bedarf der Abwägung, ob die Bearbeitung ästhetisch eher hilft oder schadet. Auf dem Album Tracker wurden alle Signale über Analogband aufgenommen. Das Ergebnis klingt einerseits rau, fast minimalistisch »demohaft«, gleichzeitig aber auch offen und räumlich. Würde die Unmittelbarkeit durch die Färbung vieler Effekte verlorengehen?
Das scheint meiner Meinung nach der Fall zu sein! Gerade bei dem Projekt wurde offensichtlich: Je mehr Bearbeitung wir verwendeten, desto deutlicher wurde der Klang »degradiert«. Wenn das Arrangement gut ist, gibt es keinen Grund, warum guter, natürlicher Klang nicht funktionieren sollte.
Wo ziehst du persönlich die Grenze zwischen ästhetischem Gewinn durch Bearbeitung und »Klangverlust«?
Wenn das Ergebnis für den Song gut klingt. Beim Song Broken Bones kommen Gitarrenklänge vor, die bewusst »kompakt« klingen, darunter die akustische Abnahme einer Gibson ES-330-Halbakustikgitarre mit einem Schoeps V4U, während die Gitarre in einen Vox-Übungsverstärker am Boden eingestöpselt war. Aber auch für den kompakten, aber druckvollen Sound haben wir keinen Equalizer verwendet, sondern lediglich eine Mischung aus akustischer Abnahme und Amp-Mikrofonierung.
Läuft man in einem reichhaltig ausgestatteten Studio Gefahr, in einen »Autopilot-Modus« zu verfallen und auf gängige Arbeitsweisen zur Bearbeitung zu vertrauen, statt jedes Mal den Einzelfall zu betrachten?
Ja. Mir scheint, dass manche Tontechniker ihre Routinen anwenden, ohne vorher den Klang an der Quelle zu hören. Ich habe Geschichten gehört, wonach Tontechniker am Pult Equalizer und Kompressor eingestellt haben, bevor der Sänger überhaupt am Mikrofon stand. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ansonsten: Meiner Meinung nach stellt die Wahl des Mikrofons und die Kombination aus Mikrofon und Preamp eine bessere Option dar, den Klang im Mix anzupassen, als durch Bearbeitung mit Equalizer. Das geht allerdings nur, wenn man die Zeit hat, das wirklich auszuprobieren − bei vielen Projekten fehlt die Zeit schlicht.
Wie hat der »Weniger ist mehr«-Ansatz die Produktion gegen- über früheren Knopfler-Alben verändert? Du hattest ja bereits erwähnt, dass ihr versucht habt, die Sounds gleich »an der Quelle« endgültig hinzubekommen, durch die Mikrofonauswahl und Positionierung statt Equalizer …
Das ist zwar ein Klischee, aber meist ist weniger tatsächlich mehr. Der Schlüssel liegt in optimalem Monitoring: Wenn du dem Ergebnis wirklich vertrauen kannst, fallen auch Entscheidungen für unbearbeitete Signale leicht. Im British Grove helfen uns die ATC-Monitore [SCM25A Nahfeldmonitore bzw. 300A Mains; Anm.d.Red.]. In anderen Studios haben wir uns früher im Kreis gedreht − kein Wunder, dass Produktionen ewig gedauert haben! Na ja, vielleicht sollte ich das nicht sagen − die aktuelle Platte hat auch eine Weile gebraucht … Aber der Unterschied: Wir haben jetzt Spaß am Prozess und müssen nicht erst nach der grundsätzlichen Klangqualität »fahnden«. Das ist ein direktes Resultat der Qualität des Studios.
Auf welche ungewöhnlichen Equipment-Kombinationen bist du bei der Suche nach der »fertigen« Aufnahme-Sound gestoßen?
Die Signalkette für Marks Gesang entstand durch Experimentierfreudigkeit: Für die meisten Songs haben wir ein Neumann Long Body U47 verwendet, über einen Telefunken V76-Preamp, gefolgt von unserem alten Decca-Limiter. Ein ziemlich abgefahrenes Teil!
Ansonsten etwa beim E-Bass, den wir direkt über unser altes REDD-Mischpult aus den 60ern eingespielt haben. Ein Sony C37P über einen API-Preamp und ein 1176-Kompressor funktioniert sehr gut für Backing-Vocals. Wir besitzen auch ein altes Neumann KM56, das einen leichten Defekt bei den Richtcharakteristiken hat, aber zusammen mit einem KM64 bei Marks Akustikgitarren so gut klingt, dass wir [BritishGrove-Cheftechniker] Graham Meek immer bitten, das Problem nicht zu beheben.
Auf Tracker hat Mark Knopfler alle Gitarren selbst eingespielt, aus zeitlichen Gründen; früher hat er Gitarrenspuren teilweise gleichzeitig mit dem Gitarristen Richard Bennett eingespielt. Ist es deiner Meinung nach einfacher, Spuren zu mischen, bei denen unterschiedliche Spieler interagieren − sozusagen sich »verweben«− im Gegensatz zu angehäuften Spuren des gleichen Spielers, was gerade beim Homerecording oft der Fall ist?
Das hängt davon ab, ob die Spuren bzw. Spieler gut harmonieren − womit wir beim Arrangement wären. Generell: Unterschiedliche Spieler bringen Kontrast mit ein, was einen Track interessanter machen kann − das ist aber beileibe keine feststehende Regel.
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Aktuell hast du auch einen kurzen Soundtrack von Mark Knopfler und der Percussionistin Evelyn Glennie produziert, zu dem spanischen Film »Altamira« über einen Amateur-Höhlenforscher. Bei den keltisch angehauchten Kompositionen stellt Akustikgitarre das Hauptelement, dazu tragen Percussion-Geräusche und untermalende Streicher zu den ruhigen Klängen bei. Galt auch hier die Prämisse, möglichst »puristisch« − ohne Effekte − zu arbeiten?
Sehr sogar! Kompression oder Limiting kamen fast gar nicht zum Einsatz, besonders beim Mastering.
VORAUSSETZUNGEN FÜR EINEN GUTEN MIX? »EIN GUTER SONG, GUT ARRANGIERT.«
Bei anderer Gelegenheit haben wir Mark Knopfler zum Studio und seinen Recording-Erfahrungen befragt. Der besinnt sich auf die wichtigste Grundlage − einen guten Song − und auf das »Abliefern« gelungener Arbeit. Ausgesuchte Technik schade dabei nicht, wie Knopfler die Hintergründe zum Studio erläutert. Den Gedanken an Perfektion weist er allerdings von sich.
Du hattest früher ein Heimstudio in Notting Hill, in dem du 1990 die Platte Missing … Presumed Having a Good Time deines Side-Projekts Notting Hillbillies aufgenommen hast, später auch einen Teil deines dritten Solo-Albums The Ragpicker’s Dream. Was unterscheidet das alte von dem neuen Studio?
Knopfler: (lacht) Das ist der Unterschied zwischen einem beschissenen Go-Kart und einem Rennwagen. British Grove ist so flexibel. Du machst all deine Fehler in deinem kleinen Heimstudio, dazu noch verdammt viele in fremden Studios … So erging es mir zumindest. Also haben Chuck [Ainlay, langjähriger Tontechniker und Co-Produzent Knopflers; Anm.d.Aut.] und ich uns ein Konzept für ein Studio überlegt, das die Probleme, denen wir über die Jahre begegnet sind, beheben sollte. Jede Aufnahmesituation, die einem in den Sinn kommt, wollten wir umsetzen können.
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
In einem fremden Studio muss man sich erst an die jeweiligen Gegebenheiten, den Klang im Aufnahmeraum und in der Regie gewöhnen …
Bei vielen Studios musst du darum kämpfen, ihnen Klangqualität zu entlocken. Teilweise hängt das natürlich vom tontechnischen Handwerk ab, aber manchmal ziehst du sozusagen in eine »Schlacht« auf der Suche nach Sound. Hier − so scheint es jedenfalls − können die Leute einfach aufnehmen und sich gleich der kreativen Arbeit widmen.
Wenn der Raum gut klingt, kann man − überspitzt formuliert − ein beliebiges Mikrofon aufhängen und das Ergebnis funktioniert grundsätzlich …
Genau! Und du kannst mit verschiedenen Mikrofonen arbeiten und herausfinden, was sie am Ende für einen Unterschied machen. Du kannst den Raum kreativ nutzen. Etwa, wenn du Neumann M50 als Raum-Mikrofone für Streicher einsetzt − das machen wir hier mit Gitarren, um den Raumklang zu nutzen! Für mich eine wundervolle Erfahrung. Außerdem könntest du in der kleinen Aufnahmekabine Mandoline spielen und parallel einen Heavy-Metal-Drummer im Raum abgehen lassen − und du würdest ihn nicht auf dem Mandolinen-Track hören.
Was ich sagen will: Du kannst verschiedene Recording-Extreme ausloten − etwa eine gemeinsame Rock’n’Roll-Aufnahme im großen Raum, was wir auch gemacht haben: Du kannst die Leute zu einem gewissen Grad isolieren und den Anteil des Übersprechens kontrollieren, um ihn kreativ einzusetzen. Glücklicherweise haben wir eine fantastische Sammlung an Mikrofonen − es ist großartig, eine Art Speerspitze der Aufnahmetechnik in ihren verschiedenen Ausprägungen zu haben, praktisch die englische und amerikanische Tradition. Das entstammt den über 30 Jahren Recording-Erfahrung, die ich in den Staaten gesammelt habe, und das drückt der API-Regieraum aus, den ich liebe. Der Raum ist der gleiche wie die Neve-Regie, nur ohne Fenster zum Aufnahmeraum. Der Regieraum klingt fantastisch!
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Bild: N. Ketterer; W. Manns; H. Hansen
Was mir auffällt − er klingt nicht »tot«, im Gegensatz zu anderen, stark bedämpften Regieräumen. In denen hält man sich allerdings nicht gerne auf, weil es ermüdend wirkt, dass sehr viele Reflexionen geschluckt werden …
Zum Teil liegt das an den ATC-Monitoren und der Art, wie sie integriert sind. Du kannst Musik laut abspielen, dich aber trotzdem dabei noch unterhalten, wenn du willst. Und: Das Ergebnis klingt an jeder Position gut. In vielen Studios kannst du deinen Kopf nur in eine Hörposition stecken, und das war’s.
Lass uns das Thema Sound mal generell betrachten: Wie wichtig ist eigentlich die Suche nach idealem Klang? Anders gefragt: Welchen Anteil hat der Sound daran, eine Song-Idee zu transportieren?
Ich glaube nicht an Perfektion. Daran bin ich nicht interessiert. Ich versuche schlicht, eine gute Platte zu machen, wenn ich kann. Du schreibst einen guten Song und machst eine gute Aufnahme davon, nur darum geht’s. Aber das ist natürlich einfacher in einem Studio wie dem hier. Allein der Sound im Aufnahmeraum! Das macht einen riesigen Unterschied.
Dann lass es mal aus der Song-Perspektive beleuchten: Was sind die idealen Voraussetzungen für einen gelungenen Mix bei einer Produktion?
Wenn der Song gut ist, dann ist das schon mal ein guter Anfang. Ist er auch noch gut arrangiert, klingt das Ergebnis an sich bereits gut. Hast du schließlich noch großartige Musiker, werden die teilweise selbst zu Arrangeuren, sprich: Sie helfen dir dabei. Es ist eigentlich schon alles gemacht.