Natural Born Engineer

Interview mit Produzent Joel Hamilton

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(Bild: Chris Vongswat)

Hat man es in der Filmbranche zu etwas gebracht, schenkt Hollywood einem gerne zur Anerkennung ein Stück Beton. Am Walk-of-Fame reihen sich Berühmtheiten der Unterhaltungskultur aneinander, ein Who-Is-Who, der Name und Handabdrücke einzementiert für die Ewigkeit. In der Welt der Musikproduktion werden außerordentliche Protagonisten gerne mit einer Bank von Presets geehrt und verewigt. Egal ob Dave Pensado, Jaquire King, Chris Lord-Alge oder Michael Brauer usw., wer seinen Namen in den Preset-Listen großer Hersteller wiederfindet, gehört meist zum illustren Zirkel amerikanischer »Star-Engineers«, die unsere aktuelle Musikkultur aktiv prägen und gestalten. Joel Hamilton ist ein weiterer dieser Namen.

Ein Blick auf seine Credit-Liste verrät direkt, dass der sympathische Mitvierziger ein extrem breites Spektrum an Musik bedient. Egal ob Dance, Rock, Latin, ob Bonobo, Norah Jones, Elvis Costello oder Iggy Pop − was Joel Hamilton in seinem Studio G produziert, ist technisch und musikalisch so weit vorne, dass er mit seinen Produktionen aktuell die siebte Grammy-Nominierung für sich verbuchen kann.

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Studio G

Joel betreibt im New Yorker Stadtteil Brooklyn mit seinem Studio G einen Studiokomplex, der von den Räumlichkeiten und der darin enthaltenen Tontechnik her so manches Gear-Fan-Herz garantiert mit doppelter Frequenz schlagen lassen dürfte. Das Studio bietet seinen Kunden eine exquisite Sammlung an Instrumenten, Effekten und Verstärkern, um hier ihre Ideen zu Musik werden zu lassen. „State Of The Art“-Mikrofone und -Outboard finden sich in der Aufnahmekette, aufgenommen wird auf Band, gemischt auf Custom Neve- oder SSL-Konsolen.

Trotz der unglaublichen Menge an hochwertigem analog Equipment ist Joel genauso in der digitalen Welt der computergestützten Musikproduktion zu Hause, für das UAD Neve1073-Plug-in durfte er sogar seine eigenen Presets designen.

Die Anfänge

Joel ist von Haus aus ein Technik-Nerd, der schon früh im wissenschaftlich orientierten Elternhaus mit Oszillatoren, Röhren und allerhand Technik zum Basteln und Experimentieren in Berührung kam. Die Liste an Künstlern und Bands, die er seit seinen Anfängen produziert hat, sowie das extrem breite Spektrum an Musikstilen verweisen auf seine Wurzeln in der »CBGB/Punk/Do-It-Your-Self«-Ära der 80er- und 90er-Jahre, mit der Attitüde, aus kleinen Budgets das Maximum für die Musikproduktion rauszuholen.

Der Grundriss des Studio G

Joel, wie schafft man es, Mixer in New York zu werden, mit solch einer unglaublichen Liste an Credits und so einem Studio?

Im Grunde fing alles sehr früh an. Ich stamme aus einer sehr Wissenschafts-affinen Familie. Mein Großvater war einer der Leute, die damals an der Klystron-Röhre arbeiteten, und hat sie mit entwickelt. Durch die Klystron-Röhre wurde Broadcasting erst möglich. Er arbeitete damals am MIT, und so kam es, dass der Keller unseres Familienhauses in Boston vollgestopft mit irgendwelchen funky Geräten war. Ich hab dann angefangen, mit einer uralten Röhren-Bandmaschine rumzuspielen und das Band zu manipulieren, auseinanderzuschneiden, neu zusammenzukleben, eben das, was man mit Tape alles so anstellen kann. Durch dieses Rumspielen habe ich verstanden, dass die Musik physikalisch wirklich auf dem Band »lebt« − ich konnte also genau auf dem letzten Down-Beat einer Beatles-Nummer schneiden und es mit dem ersten Down-Beat von einem Van-Halen-Song zusammensplicen.

So habe ich meine eigenen kleinen Mixtape-Radio-Shows erstellt. Zusätzlich habe ich meine damals achtjährige Schwester kurze Texte einsprechen lassen, die ich dann wiederum zerschnitt, um sie verrückte Sachen sagen zu lassen. Für mich war das damals unglaublich lustig, und dabei habe ich extrem viel gelernt.

Zur selben Zeit etwa habe ich angefangen, in Schul-Bands zu spielen, ganz klassisch. Damals spielte ich im Schulorchester Kontrabass und Percussion. Außerdem spielte mein Vater Schlagzeug in einer Band gemeinsam mit seinem Bruder. Unser Haus war also voller Musik und Messinstrumente, und die Verschmelzung von Musik und Technik war absolut normal für mich.

Room A (Bild: Chris Vongswat)

Etwas später bewegte ich mich dann in CBGB/New-Wave/Punk-Kreisen, spielte in diversen Bands. In der Post-Grunge-Ära nach Nirvana arbeitete ich dann mit einer Band namens Sparklehorse zusammen, die einen Major-Vertrag bei Capitol Records hatten − diese Zusammenarbeit hat mir wirklich die Augen geöffnet. Durch die Arbeit mit Sparklehorse habe ich verstanden, wie großartige Platten entstehen und dass man dafür mehr als ein paar gute Mikrofone braucht.

Erzähl mir von deinen Grammy Nominierungen.

Ja, das ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Dieses Jahr mit einbezogen bin ich mittlerweile bei sieben Grammy-Nominierungen. Dieses Jahr bin ich mit der letzten Bonobo Platte für die Kategorien »Best Electronic Dance Music« und »Best Electronic Record« nominiert. Wir haben einiges davon hier im Studio G aufgenommen.

Wow … Dance, Rock, Folk, Latin Musik − ihr bedient im Studio G ein ganz schön breites Spektrum an Musik. Wie ist die Geschichte des Studios, und was ist euer Konzept?

Das Studio habe ich mit meinem Partner Tony gegründet. Er ist Studio-Bassist und hat für Künstler wie Jeff Buckley oder Lucinda Williams gespielt. Wir haben in New York ein Platzproblem: Es gibt kaum Keller, und es ist teilweise sehr schwierig, hier einen Raum zu bekommen, in dem man vernünftig ein Drum-Set stehen lassen kann. Für ein Projekt wie zum Beispiel Blind Boys of Alabama, eine Band mit sieben blinden Sängern, braucht man Platz. Mit solchen Projekten fahre ich raus in andere Studios, nehme dort dann auf und komme für die Overdubs und das Mixing wieder zurück ins Studio G.

(Bild: Chris Vongswat)

Das Studio hat drei Regien, und hier habe ich all meine Tools und Gadgets. Außerdem haben wir eine riesige Sammlung an hochkarätigem Equipment und Instrumenten, mit denen wir die Musiker für die Aufnahmen versorgen. Room A ist mit einer 8048 G+ SSL-Konsole ausgestattet, im B-Room steht eine Custom Made Neve-Konsole. Das Neve-Pult basiert auf den 33114-Modulen und hat allerhand Extras wie Moving-Faders und Kompressoren eingebaut. Es klingt sehr nach den 90ern, wir lieben einfach den Sound des Pults. Zum B-Room gehört ein großer Aufnahmeraum mit drei Iso-Booths, perfekt für Jazz-Aufnahmen oder solche, die etwas mehr Separation benötigen. Im C-Room haben wir eine Neotek-Konsole mit einer Custom Purple-Audio-Mittelsektion − ein richtig schönes Pult.

Ich arbeite meistens im A-Room auf der SSL-Konsole, allerdings gehe ich fürs Tracking meistens in den B-Room, weil der Aufnahmeraum hier etwas lebendiger klingt. Tony und ich haben immer in Bands gespielt, darum haben wir das Studio mehr aus der Musikersicht konzeptioniert. Wir betreiben den Komplex auch eher wie eine Band und nicht wie ein Business. In manchen großen, kommerziellen Studios musst du in den Keller gehen, um dort Equipment zu bestellen, welches dann eine halbe Stunde später geliefert wird und noch etwas später auf deiner Rechnung landet. So etwas wollten wir nicht. Wir wollten etwas, wo man schnell mit hochwertigem Equipment experimentieren kann, eben wie man mit einer Band schnell Ideen ausprobiert. Diesem Ansatz der »kleinen Wege« sind wir trotzt dem großen Studiokomplexes bis heute treu geblieben.

Wie stehst du zur digitalen Technik? Mit den ganzen Pulten und analogen Schätzchen im Studio stellt sich natürlich die Frage, ob Digitales und Plug-ins für dich überhaupt eine Rolle spielen?

Na ja, es war eine ganze Zeit so, dass die Technologie einfach nicht so weit war. In den Nullerjahren hat die Digitaltechnik allerdings einen gewaltigen Sprung gemacht, allen voran Universal Audio. Technologien wie zum Beispiel die Unison-Technologie, bei der die Software tatsächlich die Impedanz der Hardware beeinflusst, sind einfach grandios. Ich finde es unglaublich, wie gut z. B. eine Gitarre klingt, die über den Hi-Z-Eingang eines Apollo- Interfaces mit einer Marshall-Emulation eingespielt wird − alles klingt wie das Original und verhält sich auch genauso.

So etwas würde ich mir für mein Mischpult wünschen, eine Möglichkeit, alle physischen Parameter per Software zu steuern. Bei richtiger Hardware fühlt man einfach Emotionen, und ich habe das Gefühl, dass Universal Audio Plug-ins diese Magie durch das Komponenten-Modeling ziemlich gut eingefangen hat. Früher hatte man auf den Plugins zwar ein schickes Bildchen von einem Pultec-Eq z. B., allerdings war die Mathematik dahinter ein einfaches Input/Output-Modell mit einer statischen Kennlinie. UAD hat es geschafft, alles auf der Komponentenebene zu »modeln«, wodurch sich die Plug-ins tatsächlich fast wie die analogen Vorbilder verhalten.

(Bild: Chris Vongswat)

Es kommt recht oft vor, dass ich mehrere Gitarrenspuren in the box summiere, um sie dann aufs Pult zu legen. Das geschieht über einen Stereo-Aux in Pro Tools, der direkt ins Pult führt. Auf solchen Sub-Mixes nutze ich meistens mehrere UAD Plug-ins, sehr gerne einen UA Neve-33609-Kompressor, um dem Signal schon vor dem Pult etwas mehr Vibe und Farbe zu geben.

Pro Tools ist für Audio ähnlich wie fluoreszierendes Licht in der Optik. Es ist wichtig, dem Signal ein wenig »Farbe« zu geben, da – mit es sich nicht so kalt anfühlt bzw. anhört wie das Licht in einem Waschsalon. Ich will, dass mein Audiosignal noch etwas sexy ist, bevor es im SSL-Pult ankommt. UAD hilft mir definitiv dabei, die Sache sexy zu machen.

Hier findest du 5 Plug-ins, die Joel besonders gerne nutzt. 

Wie sieht dein Signalfluss dann aus? Führ uns einmal durch die einzelnen Stationen einer typischen Studio-G-Produktion.

Wenn ich eine Platte produziere, ist die erste Station immer die Bandmaschine. Ich nehme immer alles auf Band auf und transferiere dann alles mit sehr guten Wandlern in die digitale Domäne. In Pro Tools habe ich dann alle Spuren einzeln vor mir, immer in der gleichen Reihenfolge. Die Kick ist immer auf Spur 1, die Snare immer auf Spur 3 etc. Jedes Element hat seine eigene Spur, welche ich mit allerhand Plug-ins bearbeite.

Von Pro Tools aus geht’s dann wieder zurück in die analoge Welt. Ich fasse Instrumentengruppen zusammen und schicke sie über verschiedene Aux-Wege auf das jeweilige Pult. Ab hier arbeite ich dann nur noch mit dem Pult und der Pultautomation.

(Bild: Chris Vongswat)

Ich habe noch ein zweites System, mit dem ich dann die Summe wieder digitalisiere.

Beide Pro-Tools-Rigs sind via Timecode über Ethernet miteinander gesynct, d. h., wenn ich auf meinem Zuspieler Play drücke, läuft mein 2-Track-Master-Recorder sofort los. Auf diese Art kann ich sehr komfortabel alle Ausgangssignale aufzeichnen, und ich bin nicht von der ursprünglichen Samplerate abhängig, die mir der Kunde evtl. übergeben hat. Ich sample immer alles mit 96 kHz.

Auf meinem Master-Bus habe ich meistens einen Chandler Curve-Bender-EQ und einen Maag-EQ. Das Master-Signal kommt wieder über den UAD-Mixer in den Rechner, hier nutze ich ab und an eine der Tape-Emulationen oder einen der EQs, falls nötig.

An dieser Stelle versuche ich, wenig Kompression zu verwenden, hier geht es weniger darum zu mastern, sondern eher darum, den Klang zu formen. Ich benutze die UAD-Plugins, als wären sie ein Teil meiner Hardware-Kette.

Du erwähnst in einigen Interviews den Mischer Michael Brauer. Wie ist deine Verbindung zu ihm, und wie hat er dich beeinflusst?

Er war für mich ein unglaublicher Mentor. Ich habe so viel von ihm gelernt, musikalisch und vor allem menschlich. Michael ist einer der wenigen Menschen, die die Superkraft besitzen, deine Lieblingsplatte machen zu können. Ich meine, man muss sich einfach nur die Coldplay-Sachen mal anhören, die er gemischt hat: unglaublich!

Einer der wichtigsten Tipps von ihm hat überhaupt nichts mit Technik zu tun. Michael sagte mir, ich solle drauf achten, Mittwochs früher Feierabend zu machen, um Zeit mit meiner kleinen Tochter zu verbringen. Dieser kleine Tipp hat enorme Auswirkungen für mich gehabt, denn es geht um mehr, als Zeit mit meiner Kleinen zu verbringen − dadurch komme ich Donnerstags ausgeruht und inspiriert zurück ins Studio.

(Bild: Chris Vongswat)

Inspiriert und motiviert zu bleiben, ist das Geheimnis. Ich bin jetzt das dritte Jahr in Folge bei den Grammys, und es motiviert mich unglaublich zu sehen, dass die kleinen, verrückten Experimente, die wir mit irgendwelchem Kram ausgetüftelt haben, anscheinend mit dem Hörer auf positive Art resonieren. Unsere Begeisterung aus dem Studio überträgt sich bis hin zum Hörer. Wenn jemand auf der anderen Seite der Welt einen Song von mir über Spotify hört und sich nicht mehr alleine fühlt, habe ich meinen Job gut gemacht.

Alles, was ich mache, versuche ich, mit Empathie und Passion zu machen − es ist wichtig, dieser Person auf der anderen Seite der Welt das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine ist. Gerade für Jugendliche ist es teilweise sehr wichtig, in der Musik etwas zu finden, womit sie sich identifizieren können.

Das alles ist nur möglich, weil wir Toningenieure die richtigen Texturen wählen, damit sich der Zuhörer angesprochen fühlt. Es geht nicht nur um die Kick-Drum, es geht darum, einen Weg zu finden, die Herzen der Hörer zu mit unserer Kunst zu erreichen.

Vielen Dank für das Interview, Joel.

 

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