Die Künstler in die richtige emotionale Stimmung zu lenken, das, so könnte man sagen, ist die eigentliche Kunst beim Produzieren, und Robinson scheut dafür auch keine noch so unkonventionellen Mittel. Kürzlich hat der Kult-Produzent mit der Post-Hardcore-Band Touché Amoré das Album Lament produziert.
Ross Robinson zählt definitiv zu einem der wichtigsten Produzenten für Musik der härteren Gangart. Besonders in den 90er-Jahren hat er aus kaum beachteten musikalischen Subkulturen populäre Szenen gemacht – ohne das so zu beabsichtigen. Vor allem den Bands Korn und Slipknot hat er mit seiner Arbeit als Produzent zum Erfolg verholfen, aber auch mit Sepultura, Deftones und später Limp Bizkit, At the Drive-In und natürlich zig weiteren hat er extrem erfolgreich zusammengearbeitet. Zuletzt hat er mit Touché Amoré ihre fünfte Studio-Produktion Lament aufgenommen, die bereits seit Oktober 2020 auf dem Markt und online ist – natürlich alles analog nach alter Manier. Auch Gitarrist Clayton von Touché Amoré war beim Interview dabei, aber zunächst wollen wir selbstverständlich von Ross etwas über die alten Zeiten erfahren.
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Ross, erzähl doch mal, was deine musikalischen Wurzeln sind.
Ross: Bei meiner Mutter lief schon immer Musik – wirklich immer. Beatles, Led Zeppelin, Blind Faith und all sowas, rauf und runter. Die ganze Zeit war für mich extrem aufregend. Ich bin an einem Grenzfluss zwischen Kalifornien und Arizona aufgewachsen. Da war viel Natur, und ich bin viel durchs Gelände gebrettert, erst mit ’nem Rad, später motorisiert. Dabei habe ich mir öfters was gebrochen, und schließlich hat sie mir das Bike weggenommen – dadurch habe ich dann zur Gitarre gefunden.
Das ist ja ein skurriler Wechsel. Wahrscheinlich folgten dann auch bald die ersten Bands, in denen du gespielt hast?
Genau, zuerst noch lokal mit Freunden, da haben wir z. B. Ozzy-Songs gespielt. Später, als ich nach Hollywood gegangen bin, haben wir mit meiner Thrash-Metal-Band einen Vertrag unterschrieben, waren dann im Studio, und da habe ich das alles zum ersten Mal kennengelernt. Nach dem Album hat sich die Band aufgelöst, und ich habe es erst noch in anderen Thrash-Bands probiert. Diese Underground-Kultur hat mir schon sehr zugesagt – dieses Punkige, etwas Düstere, Nonkonforme.
Dann bekam ich aber die Chance, als Assistent für die Platte The Crimson Idol von W.A.S.P. mitzumachen. D. h., ich habe das umsonst gemacht, dafür habe ich dabei gelernt. Das war schon ein besonderes Gefühl, vor allem rückblickend betrachtet, mit diesen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, die das schon seit den 70ern gemacht hatten.
Das war dann wahrscheinlich die Zeit, in der du dich dazu entschlossen hattest, Produzent zu werden?
Ja, auch meine nächste Band hatte sich aufgelöst, und dann habe ich mich entschlossen im Studio weiterzumachen – die Gitarre habe ich dann eigentlich nie wieder angefasst. Stattdessen wurden die Leute und die Bands eine Art Instrument für mich, über die man sich ausdrücken kann. D. h., ich hatte – egal ob ich mit Korn, Sepultura oder The Cure gearbeitet hatte – immer wieder dieses »Oh my God, is this realy happening«-Gefühl. Ich habe mit den Leuten Nächte im Studio verbracht, auf dem Boden geschlafen, im Fitness-Center geduscht und mich wie ein Bandmitglied gefühlt. Die eigene Zukunft war natürlich absolut ungewiss, es hat sich weder erwachsen noch vernünftig angefühlt.
Dieses Gefühl nehme ich auch heute noch gerne mit in die nächste Produktion. Dieses Gefühl, dass man einfach alles gibt und das allerbeste Ergebnis aus einer Produktion herauszuholen. Besonders frische Bands bringen dieses Gefühl oft mit.
(Bild: Becky DiGiglio)
Dein Recording-Debüt war das Debüt-Album von Korn. Wie kam es damals dazu?
Richtig. Ich hatte zwar vorher schon was mit Sepultura aufgenommen, aber das wurde erst später veröffentlicht. Kennengelernt hatte ich die Jungs durch einen gemeinsamen Gig von meiner Band und L.A.P.D., in der damals schon Munky (James »Munky« Shaffer, Git. bei Korn) gespielt hatte – Davis und Brian kamen ja erst später dazu. Ich habe mich hervorragend mit ihm verstanden und fand ihn als Mensch und Gitarrist extrem spannend und sympathisch.
Als ich mit der W.A.S.P.-Produktion durch war, habe ich die Augen offen gehalten für neue Projekte und bin so wieder auf ihn und seine Band gestoßen. Ich bin also zu ihnen hin – sie hatten damals nur vor ihren Freundinnen gespielt. (lacht) Mit David, (Drums) hatte ich Nummern ausgetauscht, und dann haben wir für etwa eineinhalb Jahre zusammengearbeitet.
Ich glaube, ich suche mir immer die Bands aus, in denen ich am liebsten auch spielen würde.
Hast du damals geahnt, dass das etwas ganz Großes werden könnte?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe einfach nach einem Job gesucht, mit dem ich genug verdienen konnte, damit ich mir etwas zu essen und zu trinken kaufen kann und ein Dach über dem Kopf habe. (lacht) Uns ging es damals viel mehr darum, etwas zu geben – was nicht heißt, dass wir uns bei den Leuten beliebt machen wollten. Eher war es ein innerer Drang, der uns antrieb.
Du zählst, rückblickend betrachtet, als eine Koryphäe des Nu-Metal-Sounds. Warum hast du dem später den Rücken gekehrt?
Eigentlich aus den gleichen Gründen, weshalb ich damals als Gitarrist auch die Trash-Metal-Szene verlassen habe. Der Nu-Metal Sound wurde plötzlich extrem populär, er wurde tausendfach kopiert, und es gab viele Trittbrettfahrer. Das mochte ich nicht mehr, und dann hatte ich einen inneren Drang, mich auf neue Wege zu begeben.
Das klingt sehr spannend! Aber kommen wir mal zu deiner letzten Produktion, Clayton: Lament von Touché Amoré. Wann haben die Arbeiten am neuen Album begonnen?
Clayton: Beim Songwriting Ende 2018 und im Sommer 2019 haben wir das erste Mal Ross getroffen und zunächst nur einen Song aufgenommen. Das hat uns direkt umgehauen, und so haben wir uns mit dem Songwriting rangehalten, damit wir bald recorden konnten.
Dann war diese erste Recording-Session quasi ein kleiner Test, ob die Zusammenarbeit zwischen euch gut funktioniert?
Genau. Das war ein relativ einfacher Song, der nicht viel benötigte. Das haben wir schon ein paar Mal so gemacht, um zu checken, wen es da draußen gibt, mit wem wir gut arbeiten können. In diesem Fall hatten wir alle ein gutes Gefühl, weil wir uns alle in dem Projekt extrem gut einbringen konnten.
Gab es eine Idee, die über der Produktion des Albums Lament schwebte?
Ja, da gab es ein paar Themen – im Gegensatz zu unserem vorherigen Album, bei dem ein einziges Thema prominent im Fokus stand. Einen Unterschied macht das dann vor allem bei den Lyrics. Jeremy schreibt die eigentlich ausnahmslos nach der Musik, sodass wir die Musik und den Sound unabhängig von den Lyrics geschrieben hatten. Man kann also sagen, es gibt Tonnen von Themen, die alle auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind.
Ross: Ich denke, ein Ding war auch, der Stimme einen Freiraum in der Musik zu geben. Das setzt viel Respekt für die Vocals voraus, was Touché Amoré definitiv so pflegt. Insgesamt sind sie sehr respektvoll, tolerant und zuvorkommend – das kommt gar nicht so häufig vor. Deswegen war es auch für mich eine Art Traumprojekt.
Clayton, was ist für dich neu bei dem Album?
Clayton: Zunächst einmal, dass wir mit Ross zusammenarbeiten durften und er viel analoges Equipment nutzt, was wir auch lieben. Wir haben zwar schon vorher mal eine Bandmaschine bedient, aber wirklich genutzt hatten wir das nicht. Wir hatten auch ein paar Synthis mit drin und sogar etwas Piano, und dabei ging es eigentlich darum, offen gegenüber Instrumenten zu sein, die eben dem Song dienen.
Wie waren die ganzen äußeren Umstände? Wie machst du, Ross, eine Produktion für Post-Hardcore heutzutage? Benutzt ihr moderne Kemper-Amps und macht ihr viel in-the-box, oder arbeitest du da noch oldschool?
Ross: Neu für Touché Amoré war hier sicher die Art der Produktion, das viele Arbeiten mit Tape, besonders für Gitarren und auch Bass-Sounds, dass die Instrumente mitsamt Effekten direkt auf Tape aufgenommen wurden. Ich habe mein komplettes Equipment dort in das Studio gekarrt, Vintage Neve-Preamps, Tape-Machines etc. Das ist ja so nicht mehr typisch.
Ihr habt auf Tape aufgenommen?
Ja, und zwar alles, wirklich alles! Pro Tools lief nur parallel fürs Editing und solche Sachen, denn es gäbe gar nicht mehr genug Tape, wenn ich das auch alles wie früher hätte schneiden wollen. Ich habe vorher meine Tape-Quellen abgeklappert und so 20 Bänder besorgen können, was nicht so viel ist – einige Leute hätten früher eher 120 Bänder dafür verbraucht.
Kommen wir mal zum Thema Gitarrenrecording. Wie sah euer analoges Setting genau aus?
Clayton: Am meisten benutzt haben wir wohl für meine Gitarren den (Fender) ’68 Delux Reverb Reissue. Bei den Gitarren war ich breiter aufgestellt, aber auch diese waren von Fender – ich bin ein ziemlicher Fender-Typ. Zum Einsatz kam außerdem oft ein Vox AC30.
Hattet ihr denn zu irgendeinem Zeitpunkt überlegt, auch Kemper- oder Software-Amps zu nutzen?
Nein. Das ist nicht unser Ding. Wir sind da eher oldschool und arbeiten lieber mit echten Röhren-Amps. Es mag auch Leute geben, die das anders machen. Wir sind insgesamt sehr traditionell unterwegs – auch live, spielen relativ traditionelle Gitarren wie Stratocaster und Jazzmaster und fast immer Single-Coil-Gitarren. Und der Boden des Studios war für einen Monat mit Guitar-Pedals gepflastert. (lacht) Da war alles dabei – allein bestimm 20 Chorus-Pedale, Delays, Reverbs, Distortions, Overdrives … alles.
Ross: Ja, die meisten Pedale waren auch ältere, analoge Pedale, handwired anstatt mit Microchips, abgesehen von ein paar Ausnahmen, die von Clayton und Nick [zweiter Gitarrist bei Touché Amoré] waren. Aber größtenteils wurden diese Vintage-Pedale verwendet.
Das heißt, irgendwelche Plug-ins für FX kamen auch nicht zum Einsatz?
Nein, kamen sie nicht. Der Sound wurde so, wie er ist, auf Band aufgenommen und konserviert.
Ist das auch deine Recording-Philosophie, alle Effekte direkt über den Amp gleich mitaufzunehmen? Oder nutzt du Plug-ins für andere Recorings?
Ross: Ich versuche auf jeden Fall, immer Plug-ins zu vermeiden! Ich bin sehr dafür, Entscheidungen zu treffen und es so aufzunehmen, wie es am Ende klingen soll, anstatt sich zu sagen: »Ah, ich fixe das später.« Wenn man sich Sachen von heute anhört und Sachen von – sagen wir – vor 1980, als noch wirklich alles analog war, dann gibt es da riesen Unterschiede in Sachen Dynamik. Es ist viel räumlicher – einige Instrumente sind weiter hinten, andere weiter vorne. Heute ist oft alles direkt vorne. Auch das Arbeiten mit Plug-in über Plug-in und das Mischen nach Zahlen, das macht eine Produktion schnell eindimensional. Für diese Aufnahmen war uns aber die Dynamik sehr wichtig, und das haben wir auch sehr gut hinbekommen, wie ich finde.
Clayton, wie seid ihr eigentlich zu der Ehre gekommen, mit Ross Robinson zu produzieren? Wie kam der Kontakt zustande?
Clayton: Unser Management hatte da noch einen Kontakt aus »At the Drive in«-Zeiten.
Ross: Tja, da gibt es einige Mythen und Storys um meine Person, weshalb sich die Leute immer wieder an mich erinnern. Ich glaube Jeremy (Sänger von Touché Amoré) war sich auch erst überhaupt nicht sicher, ob er mit mir zusammenarbeiten will, weil er sich fragte: »Ist das wirklich so ein Psychopath, der mit Sachen um sich schmeißt im Studio?« (alle lachen) Ha! Gut, dass wir da mal zum Thema kommen.
Was ist dran an der Geschichte, dass du mit Blumentöpfen im Studio rumschmeißt?
Tja, das war zu Slipknot-Zeiten mit Paul und Joey (Bass bzw. Drums). Neben dem Schlagzeug stand eine vertrocknete Pflanze, auf die mich Paul aufmerksam gemacht hatte. Dann habe ich mich irgendwie verpflichtet gefühlt und die Pflanze über die Becken gepfeffert, das war sehr staubig, und Dreck flog kreuz und quer. Das war aber für alle sehr amüsant und hat einfach die ganze Stimmung verstärkt. Es war so ein positives »Boa, ist das krass«-Gefühl. Auf keinen Fall war es ein Angriff auf Joey, weder physisch noch psychisch. Das ist meine Erfahrung: Wenn man mit Leuten künstlerisch zusammenarbeitet und sich lieben lernt, dann passieren solche Sachen, weil man eben Spaß miteinander hat.
Clayton: Was wir auch an Ross geschätzt hatten, war sein Engagement während der Produktion. Das ist mindestens genauso wichtig wie das finale Ergebnis. Dass er z. B. sagt: »Lass jede Option für den Song probieren«, und man auch wirklich jede macht – im Zweifel wird diese einfach wieder verworfen. Und über diese Geschichten zu sprechen ist zuerst einmal witzig, aber was eigentlich dahintersteckt, ist, dass Ross versucht, an die Musiker auf eine emotionale Weise heranzukommen und sie in ihren Gefühlen zu bestärken. Und wenn es der Weg ist, eine Zimmerpflanze nach jemanden zu werfen, dann macht er das eben.