Kid Koala: DJ, Musikproduzent und Spieleentwickler
von Dirk Heilmann,
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Creatures of the Late Afternoon ist nicht nur die neuste Platte des vielseitigen Musikers Kid Koala, sondern – klappt man die Vinylhülle auf – gleichzeitig ein Brettspiel.
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Bei dem sympathischen Kid Koala hätte ich gerne persönlich im Studio auf der Couch gesessen – aber Zoom macht Flüge nach Kanada für solche Zwecke heutzutage (zum Glück auch) etwas überflüssig.
Das Studio des Mittvierziger-DJs ist mindestens so kunterbunt mit verschiedensten Instrumenten gemischt wie sein musikalischer Background. Zwar hatte er zuerst Klavier und auch Klarinette gelernt, aber dann kam der Hip-Hop. Er hat alles aufgesogen, was ihm zwischen die Finger kam: New Public Enemy, De La Soul … und natürlich die DJs dieser Zeit: Jazzy Jeff, Richie Rich, Mr. Mixx und Prince Paul. Es hat nicht lange gedauert, bis er auch seine ersten eigenen Schritte ging und sich das Joggeling an den Turntables in mühevoller langjähriger Zeit selbst beibrachte. Inzwischen macht er viel mehr als nur das. Er hat mitgewirkt bei den Gorillaz, hat Filmmusik geschrieben und ist mir Radiohead, Björk, den Beastie Boys und vielen weiteren auf Tour gewesen. Dabei ist er längst nicht mehr nur im Hip-Hop unterwegs.
Jüngst hat er seine Platte Creatures of the Late Afternoon herausgebracht, das gleichzeitig ein Brettspiel ist, das er sich ausgedacht und auch grafisch designt hat. Ein wahres Multitalent und dabei so bodenständig.
Kid, gib doch mal einen kurzen Abriss darüber, wie deine musikalische Entwicklung aussah.
Zum Hip-Hop kam ich im Alter von zwölf. In der Zeit hatte ich auch meine erste Band Bullfrog die sogar zehn Jahre bestand hatte. In dieser Zeit kam ich auch mit Dan »the Automator« Nakamura (Produzent von Gorillaz), Prince Paul oder Mark »Money Mark« Ramos (Beastie Boys) in Kontakt. Darüber kam ich auch dazu, für die Beastie Boys den Opener zu machen, und danach folgte sogar die Einladung von Radiohead für die Amnesiac-Tour. Spätestens seit dieser Zeit habe ich mich auch aktiv mit anderer Musik als dem Hip-Hop beschäftigt, Ambient Elektro wäre da zu nennen und übrigens auch Film- und Gamemusik.
Wann genau hast du mit dem DJing angefangen?
Direkt mit zwölf auch. Ich hab damals einfach die HiFi-Anlage meiner Schwester benutzt, also kein wirkliches Setup. Das bestand aus einem schäbigen Plattenspieler, und außerdem habe ich den Radio/Phono-Schalter bedient: Phono war »ein« und Radio »aus«. Den Empfänger musste man dazu vorher zwischen zwei Sendern einstellen, damit dann nicht irgendeine Musik oder Gerede reinkam. Alles ziemlich crappy, aber damit habe ich stundenlang geübt.
Ich habe dann Zeitung um 5 Uhr morgens ausgetragen, noch vor der Schule, habe den Rasen für die Nachbarn gemäht und solche Sachen, um etwas Geld zu verdienen, damit ich mir mir Hip-Hop-Platten von New Public Enemy, De La Soul, Coldcut – also auch einiges aus UK – kaufen konnte. Das waren meine Helden damals, und das war meine Ära, in der ich in die Szene eingetaucht bin.
Wie schwierig war es damals, an DJ-Equipment zu kommen?
Das hat schon alles über ein Jahr gedauert, bis ich durch meine kleine Jobs endlich genug zusammen hatte. Und auch dann hatte ich nur einen Plattenspieler und nur eine Nadel plus Mixer. Das war damals ein 4-Kanal Gemini, und der Plattenspieler hatte immerhin schon Direktantrieb. Insgesamt kein besonders gutes Set, aber eben das, was ich mir leisten konnte, und auf jeden Fall ein großer Sprung von der HiFi-Anlage.
Zu deinem neuen Album Creatures of the Late Afternoon hast du parallel ein Brettspiel herausgebracht. Welche Idee stand dabei zuerst im Raum: Ein Spiel zu entwickeln oder eine neue Platte aufzunehmen?
Tatsächlich hat es mit einer Geschichte angefangen, das heißt, es ging um die verschiedenen Kreaturen des »späten Nachmittags«, die alle Musik machen. Der Hammerhai singt, eine Spinne, die Schlagzeug spielt etc. Diese Charaktere habe ich mir ausgedacht und dabei viel gezeichnet. Und dann habe ich mich gefragt, wie das wohl klingen würde, wenn eine Spinne die Bass-Drum spielt. Also bin ich dann ins Studio nebenan gegangen und habe hier experimentiert. Hier habe ich jedem Charakter einen eigenen musikalischen Charakter zugeordnet – das konnten z. B. verschiedene Genres und damit auch Sounds sein.
Dann habe ich irgendwann gemerkt, dass es trotzdem auch so etwas wie ein loses Narrativ gibt und es irgendwie alles zusammenpasst. Parallel habe ich auch die Charaktere weiterentwickelt und mir vorgestellt, wo sie wohnen, in welchem Teil einer Stadt und in welchen Fabriken sie arbeiten. Alles etwas abgedreht, um ehrlich zu sein. Wie dem auch sei …
Das Album ist auch gleichzeitig eine Art Soundtrack zu dem Spiel. Das heißt, auf jeder Platte sind erstmal vier oder fünf Albumtracks, und dann geht es in die Endlosrille, das ist also das Ende der eigentlichen Seite, aber dann gibt es noch Musik hinter der Endlosrille, eben der Soundtrack für das Bettspiel. Das kann für einigen Stellen im Spiel z. B. ein Timer sein. Die Idee ist auch parallel zur Spielentwicklung gekommen. Da hat die Pandemie natürlich auch zu beigetragen. Die Zeit, die man da hatte, hat man sonst nicht, und das hat viel Platz für Kreativität gelassen, und man hatte ja auch die Zeit, dieses dann umzusetzen.
Creatures of the Late Afternoon ist Kid Koala’s neustes Album! 20 Tracks + Brettspiel + 8 Bonus-Soundtracks zum Spiel + Spielteile, Würfel und 150 Spielkarten!
Wo wir gerade bei der Zeit sind, wie viel Zeit hat das dann alles ein Anspruch genommen?
Das waren ungefähr 3,5 Jahre. Alleine das Spielbrett zu gestalten – das Original ist gut zweieinhalb Meter lang – hat ewig gedauert, aber es hatte auch definitiv Spaß gemacht.
Kommen wir mal zu deiner Musikproduktion von Creatures of the Late Afternoon: Ich bin mir bei deinen Songs nicht sicher, in welcher Reihenfolge du Musik produzierst. Kannst du uns einen Einblick geben?
Klar. Das geschieht bei mir in mehreren Schichten. Üblicherweise beginnt es mit Drums, Bass und Keyboards. Die einzelnen Stems schneide ich dann doppelt auf zwei Vinyl-Platten, ich habe glücklicherweise einen eigenen Vinylschneider. Mit den beiden Platten kann ich dann an den Turntables live juggeln. Dieses Vinyl-Feeling ist mir sehr wichtig bei der Produktion, denn sobald ich mit dem Scratchen anfange, kann ich aus ein paar wenigen Tönen eine ganz neue Melodie machen oder andere Sounds und Beats erzeugen, fast wie eine komplette Band. Ich glaube, so ziemlich jedes Instrument auf dem Album hat diesen Status durchlaufen. Allerdings muss ich auch sagen, dass es sehr aufwendig ist und es sich anfühlt, als würde man das ganze Album drei Mal aufnehmen.
In seinem Studio hat er viel experimentiert. Sounds wurden unter anderem durch Gitarrenpedale geschickt und verfremdet.
Hast du für dieses Album auch Samples genutzt?
Für dieses Album nicht, nein. Das heißt, eine Ausnahme gab es mit der Chamberlin Drum Machine; das ist eine Drummachine aus den 1950er-Jahren, die mit Magnetbändern funktioniert. Diese ist in einem Song zum Einsatz gekommen. Aber abgesehen davon wollte ich für Creatures of the Late Afternoon alle Sounds von der Pike auf neu machen. Snare-Sounds z. B. habe ich dazu durch Gitarrenpedale und -Amps gejagt, um sie ordentlich zu verzerren. Es war ein sehr experimenteller Prozess, bei dem ich auch viel gelernt habe.