Seit den Tagen der Wikinger kam es nur noch selten vor, dass die Dänen das Weltgeschehen beherrschten. Zumindest in Sachen Popmusik war Dänemark lange ein weißer Fleck auf der Landkarte. Doch vor Kurzem hat eine Band aus Kopenhagen den Bann gebrochen: Lukas Graham mit der Hit-Ballade 7 Years.
Der Erfolg der Band − benannt nach den beiden Vornamen des Sängers Lukas Graham Forchhammer − verdankt sich einem Song mit echten Ohrwurmqualitäten: ein PianoRiff in Moll, eine mitreißende Hook und eine emotionsgeladene Stimme, die einen autobiographischen Text vorträgt, der mehr Tiefe vermittelt als der übliche »Boy Meets Girl«- Charts-Pop.
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Verstärkt wird das kommerzielle Potenzial des Songs durch eine clevere Produktion. Das Arrangement ist simpel und geradlinig. Es gibt nur wenige Elemente: Klavier und weitere Keyboards, Bass, Drums und Streicher. Doch sind die Elemente mit Bedacht strukturiert und aufgebaut, um den Spannungsbogen bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Für die richtige Stimmung sorgen geschickt platzierte Sounddesign-Elemente wie ein Filmprojektor, eine Uhr und Kinderstimmen. Und auch der Mix tut das Seinige, mit einem breiten Frequenzspektrum und jeder Menge »Attitude« durch beherzten Kompressor-Einsatz.
Diese Produktionsweise maßgeblich geprägt hat Morten »Pilo« Pilegaard, der CoAutor und Co-Produzent des Songs. Zusammen mit dem Mix-Engineer Delbert Bowers trägt er zudem die Hauptverantwortung für den Sound des Songs. Wir erreichten Pilegaard via Skype in Los Angeles, um ihn zu 7 Years und dem internationalen Durchbruch von Lukas Graham zu befragen.
»Ich wohnte zusammen mit Morten ›Rissi‹ Ristorp«, erinnert sich Pilegaard, »der bei Lukas Graham Klavier spielte und viele Songs auf ihrem ersten Album mit geschrieben und produziert hatte. Damals arbeitete ich als Sounddesigner für Kinofilme bei Nordisk Film, einer skandinavischen Produktionsgesellschaft. Allerdings habe ich schon als Kind angefangen, Klavier und Schlagzeug zu spielen und bin zur Musikschule gegangen.
Ich hatte immer noch musikalische Ambitionen und habe Anfang 2014 mit Rissi an der Produktion zweier Songs der Band gearbeitet, Mama Said und Strip No More. Lukas, Stefan ›Stefano‹ Forrest und Rissi hatten sie geschrieben, und die Band hatte sie sechs Monate zuvor aufgenommen. An den Wochenenden saßen wir in meinem PostproductionStudio bei Nordisk Film und haben daran herumgefeilt, um die Songs weniger nach Live-Band klingen zu lassen.
Das hat mich ermutigt, mich wieder aufs Musikmachen einzulassen, also habe ich in meiner Wohnung ein kleines Studio aufgebaut. Ich habe mir einen Mac Mini gekauft, Pro Tools und noch weitere Software sowie ein Roland RD-700SX Stagepiano. Einige Zeit zuvor hatten Rissi, Stefano und Lukas einen Song mit dem Titel 7 Years geschrieben, dann aber aufgehört, daran zu arbeiten. Ich dachte, ich könnte versuchen, den Song noch ein bisschen weiterzuentwickeln, und habe das Demo mit nach Hause genommen, um weitere Sachen hinzuzufügen. Anfang 2014 habe ich zwei Wochen lang an 7 Years gearbeitet, und ein großer Teil meiner Vorproduktion ist auf der endgültigen Version gelandet.«
Musikalisches Sounddesign
Obwohl Pilegaard sich bei Lukas Graham eigentlich mehr aufs Musikmachen konzentrieren wollte, war es ironischerweise sein Background als Sounddesigner beim Film, der wichtige Impulse lieferte, die dem Song und damit der Band zum Durchbruch verhelfen sollten. »Die Demoaufnahme von 7 Years bestand nur aus Piano und Lukas’ Vocal«, erklärt Pilegaard. »Natürlich war der Text faszinierend, also habe ich Dinge hinzugefügt, die den Zuhörer an die Hand nehmen, ihn durch den Text führen und die Gefühle des Songs verstärken. Es war wie einen Film zu drehen. Meine erste Idee war, das Geräusch eines Filmprojektors hinzuzufügen; den Sound bekam ich bei Nordisk Film. Als Nächstes kamen die Kinderstimmen im Intro. Dann habe ich Uhrenticken, das Geräusch einer Vinylschallplatte und Publikumsgeräusche hinzugefügt − letztere dort, wo davon die Rede ist, dass die Leute in 20 Jahren Lukas’ Songs singen werden.
Was das musikalische Arrangement angeht, so habe ich Keyboards, Bass und Drums overdubbt; später auch virtuelle Streicher. Dafür habe ich das Native Instruments Komplete-Bundle verwendet sowie ein paar Loops, die Rissi einbrachte. Das Schlagzeug kommt vom Abbey Road 70s Drummer und Addictive Drums. Weil ich früher selbst Schlagzeug gespielt habe, macht es mir Spaß, MIDI-Drums zu programmieren, und mit Addictive Drums ist das wirklich leicht. Verschiedene Sachen habe ich durch UAD Reverbs gejagt, beispielsweise die Orgel und ein paar andere Sounds, die ich mit dem UAD Lexicon 224 bearbeitet habe, um endlose Pads zu kreieren. Zwei Wochen später haben Rissi und ich die harmonische Struktur der Bridge verändert statt immer bei G-Moll zu bleiben. Aber die Melancholie der G-Moll-Akkorde hat die meisten Soundscapes geprägt.«
Warner Bros stand vor der Tür
Zu jenem Zeitpunkt hatte Lukas Grahams enormer Erfolg in Dänemark bereits das Interesse ausländischer Plattenfirmen geweckt und ihnen 2013 einen Vertrag mit Warner Bros in den USA eingebracht. Im Frühjahr 2014 flog Lukas Forchhammer nach L.A., gemeinsam mit seinen Co-Produzenten Morten Ristorp und Stefan Forrest (die inzwischen ein Produktions-Duo namens »Future Animals« gebildet haben), um sich mit den A&R-Leuten von Warner Bros zu besprechen. Es ging darum, einen namhaften Produzenten für das zweite Album zu finden.
»Eines Abends im April 2014 riefen sie mich aus L.A. an und erzählten, sie hätten Warner Bros meine Version von 7 Years vorgespielt, und sie wären begeistert. Sie fragten, ob ich ihnen wohl helfen könnte, dieses Album aufzunehmen. Da mein erster Job als Supervising Sound Editor gerade um ein halbes Jahr verschoben worden war, hatte ich Zeit, und als sie im Mai nach Dänemark zurückkamen, haben wir am Song Mama Said gearbeitet. Im August flogen wir alle nach L.A., um dort am Album zu arbeiten. Im Dezember kam ich dann für zwei Monate zurück nach Kopenhagen für den Job als Supervising Sound Editor, und anschließend flog ich wieder zurück nach L.A., um das Album fertigzustellen. Dazu gehörten auch zwei Monate, in denen ich mit Delbert [Bowers] das Album gemischt habe.«
Mama Said, dessen Chorus eine Hommage an den Song It’s A Hard Knock Life aus dem Musical Annie ist, den auch Jay-Z einst coverte, wurde im Juni 2014 in Dänemark veröffentlicht, wo die Single sofort auf Nummer 1 ging. Entsprechend groß war die Aufregung um die Band. Doch trotz ihrer geringen Erfahrung gelang es Pilegaard und Future Animals, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Produktion erfolgreich zu beenden. Gemischt wurde das Album größtenteils in Los Angeles, teilweise aber auch in Dänemark.
»Natürlich gab mir der Erfolg von Mama Said einen enormen Schub, schließlich war es mein erster Versuch in Sachen Popmusik! Aber der Song ist so gut, dass ich auch sonstwas damit hätte machen können, er wäre immer noch klasse gewesen. Im Sommer 2014 haben wir in Dänemark auch weiter an 7 Years gearbeitet. Wir haben verschiedene Klaviere aufgenommen, an den Drums gearbeitet, bis sie so klangen, wie wir wollten, und schließlich haben wir im unglaublichen Vibe Factory Studio in Kopenhagen echte Streicher aufgenommen. Wir haben immer noch Lukas’ Demo-Vocal verwendet, den er damals, als der Song geschrieben wurde, mit einem superbilligen Großmembran-Kondensatormikrofon aufgenommen hatte. Wir haben nie versucht, ihn neu aufzunehmen, denn er war einfach super, so wie er war.
Unsere Wunschvorstellung war, dass das Album einen organischen, lebendigen und echten Sound haben sollte. Gleichzeitig musste er sich aber auch gegen alles andere im Radio durchsetzen, d. h., er brauchte Anleihen aus der heutigen Pop- und HipHop-Musik mit druckvollem Schlagzeug usw. Unsere Referenzen waren Aloe Blacc, Amy Winehouse, aber auch Adele. Das waren unsere Vorstellungen, als wir im August 2014 nach L.A. flogen. 7 Years hatten wir in Dänemark praktisch fertiggestellt, weshalb wir in L.A. nicht mehr viel an diesem Song gearbeitet haben. Von den übrigen Songs hatten wir Demos oder grobe Skizzen.
Wir haben hauptsächlich im Blakeslee Studio B gearbeitet; das ist das Studio von Raphael Saadiq. Es besteht aus einer Regie mit SSL-Pult und einem mittelgroßen Aufnahmeraum, in dem wir ein Production Studio aufgebaut haben, um Songs zu schreiben und an den Sachen zu arbeiten, die wir bereits hatten. Wenn wir nicht damit beschäftigt waren, Songs zu schreiben bzw. fertigzustellen, haben Stefano und Lukas viel Zeit in einem Studio in Beachwood verbracht, um Lukas’ Vocals aufzunehmen, und zwar mit einem alten AKG C12, einem Neve 1073 und einem LA2A. Engineer für alle Sessions in L.A. war Dave Labrel, mit dem wir inzwischen eng befreundet sind.
Ich habe außerdem in meinem eigenen Studio in L.A. gearbeitet, wo ich einen 27- Zoll-iMac habe, Pro Tools, Native Instruments Machine, ein Paar Focal Twins, ein UAD Apollo Twin und ein MXL V67, ein weiteres billiges Großmembranmikrofon. Die Aufnahmen in L.A. waren ein langer Prozess. Und ja, wir haben da eine Menge Geld ausgegeben! Es gab definitiv Tage, wo wir keine Ahnung hatten, ob wir den Song noch voranbringen oder schon wieder schlechter machen. Das Album wurde schließlich im Juni 2015 veröffentlich, aber nur in Dänemark. Wir wollten es endlich rausbringen, und Warner Bros schien es wohl sinnvoll, erst mal zu schauen, wie es in unserer Heimat ankommt. [The Blue Album, wie die Fans es nennen, belegte 18 Wochen lang die Nummer 1 der dänischen Charts; Anm. d. Verfassers].
Wir entschlossen uns dann, für die internationale Veröffentlichung eine etwas andere Version zu machen. Bei ein paar der Songs wurde die Produktion verändert, einige wurden gegen Songs von unserem ersten Album ausgetauscht, und Serban Ghenea wurde engagiert, um Mama Said, Happy Home, Strip No More und Don’t You Worry About Me sowie eine neue Version von You’re Not There zu remixen.«
Internationaler Sound
Im Frühjahr 2015 spielten Überlegungen, ob man Songs remixen sollte, noch keine Rolle. Damals ging es einzig darum, den besten Mix-Engineer für die Aufnahmen der Band zu finden. Geeignete Kandidaten wurden ausgewählt und ausprobiert, bis man sich schließlich für Delbert Bowers entschied. »Sobald ich 7 Years hörte«, erzählt Bowers, »hatte ich eine Gänsehaut. Da wusste ich, dass ich unbedingt Teil des Projektes werden wollte.«
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er gerade einmal zwei Jahre als selbständiger Mix- Engineer. Insofern war er eigentlich nicht der wahrscheinlichste Kandidat für die Betreuung eines Projekts mit großem Budget und hohen Erwartungen. Sein Background war freilich erstklassig: Bowers ist Vollblutmusiker, hat an der University of California Musik studiert, ja sogar einen Doktortitel erworben, und er arbeitete vier Jahre im vielleicht besten Mix-Studio der Welt, den Larrabee Studios in Los Angeles, wo er sich vom Praktikanten zum Assistenten von Manny Marroquin hochdiente, der wiederum einer der weltweit gefragtesten Mix-Engineers ist. Bowers verbrachte zweieinhalb Jahre mit Marroquin, während die beiden fast ausschließlich für die erste Garde der Pop-Prominenz tätig waren. Seit er selbständig arbeitet, ist Bowers weiterhin bestens im Geschäft, wenngleich − bislang − nicht für die A-Prominenz. Wie für Lukas Graham ging es Bowers um nichts weniger als den großen Durchbruch.
Mixing in Glamouröser Umgebung
Bowers arbeitet teilweise in seinen eigenen Räumlichkeiten in L.A. Sein Clarity Studio ist gänzlich rechnerbasiert mit einem Pro Tools Native-System, Apogee Ensemble-Wandlern und Yamaha NS10-Boxen mit Bryson 4B-Endstufe. Nachdem er dort eine Woche lang Lukas Grahams Album mischte, entschied man sich, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen und ins Larrabee Studio 4 zu ziehen. Die Larrabee-Website preist Studio 4 als »The Rat Pack Room« an; es sei »das bei Weitem glamouröseste Studio der Stadt und beliebt bei der Pop-Elite«, ausgestattet mit »luxuriösen Stoffen, akzentuiert mit Granit-Oberflächen, dunklen Leder-Sofas und reich verzierten Leuchtern.« Man gönnt sich ja sonst nichts! Wichtiger für das musikalische Resultat wa – ren das Monitoring mit Augspurger- und Yamaha NS10-Boxen und vielleicht auch das 56-kanalige SSL G+-Pult, das allerdings vorwiegend als Laptop-Ablage diente.
»Ich hatte alle Mixes bereits in meinem Studio auf den Weg gebracht, was den Klang und den Vibe angeht«, erklärt Bowers. »Doch dann zogen wir ins Larrabee, teilweise wegen der Raumakustik, die es mir erlaubte, die feinen Klangdetails mit größerer Gewissheit zu justieren. Es lag aber auch daran, dass dies für mich ein ungewöhnliches Projekt war und alle, die an dem Album gearbeitet hatten, Pilo, Stefano und die gesamte Band, mit dabei sein wollten. Das war in einem größeren Raum einfacher zu bewerkstelligen, au- ßerdem gab’s da gute Verpflegung! Zudem wurden, während ich mischte, noch ständig Änderungen an der Produktion gemacht. So wurden Vocals noch perfektioniert, der Sound der Kick-Drum verändert usw. Auch das war ein Grund, weiterhin in-the-box zu arbeiten, sodass ich ohne Verzögerungen zwischen den Sessions hin und her springen konnte.
Pilo hat manchmal von mir übernommen, um der Produktion noch etwas hinzuzufügen oder um die Streicher neu zu mischen. Er ist sehr genau und weiß, was er will. Er hat eine europäische Perspektive, wie wir sie hier in Amerika nicht kennen. Beispielsweise ist er ganz fokussiert auf die Produktion, die musikalischen Elemente und die Soundscapes, während ich mich sehr darauf konzentriert habe, dass Lukas’ Vocals immer klar und sauber rüberkommen − das war Regel Nummer 1, als ich mit Manny arbeitete. Manchmal haben wir in unseren beiden Welten gegeneinander gearbeitet, aber meist haben wir einander ergänzt, weil wir beide das gleiche Ziel hatten, das wir nur eben mit verschiedenen Ohren angegangen sind.
Bei den meisten Projekten, die ich mische, gibt es keine Anweisungen. Man gibt mir einen Referenz-Mix und die Session, und dann heißt es nur: ›Mach dein Ding.‹ Dieses Mal war’s ähnlich, außer dass ich mich mit Lukas unterhalten habe und ihn fragte, wie er die Musik beschreiben würde, die er macht. Seine Antwort war: ›Ghetto Pop.‹ Da dachte ich: ›Okay, jetzt verstehe ich’s!‹ Diese Mentalität habe ich in allen Songs beizubehalten versucht: Straße mit ein bisschen Schmutz und Schmiss, aber auch fein polierten Elementen, beispielsweise die Vocals. Ansonsten habe ich mich vor den Mixes nur wenig mit den Jungs unterhalten, was ich für sie tun sollte.
Wie ich schon sagte, hatte ich Gänsehaut, als ich zum ersten Mal 7 Years hörte − aber nicht bis zum Ende des Songs. Beim Mix habe ich deshalb sehr darauf geachtet, dass der Track durchgängig emotional bewegt. Wann immer sich meine Gänsehaut legte, wusste ich, dass ich falsch abgebogen bin. Mein Hauptziel war daher, den Vibe des Songs durchgängig zu treffen. Der Song war eigentlich schon auf einem guten Weg, als ich ihn bekam. Die Vocals waren der vielleicht schwie – rigste Aspekt dieses Mixes, aufgrund der Art und Weise, wie sie aufgenommen wurden. Ein großer Teil des Processings, das wir dem Lead-Vocal angedeihen ließen, war sehr nichtlinear: Wir haben’s wirklich auf die Spitze getrieben.
Den Mix fährt Bowers schon so laut, dass er eigentlich kein Mastering mehr benötigt. Sein Lieblings-Plug-in ist das seines »Ausbilders«.
Die Dynamik war das, worauf ich mich hauptsächlich konzentrierte, um dieses Gänsehaut-Feeling aufrechtzuerhalten. Ich wollte, dass die Hooks richtig abheben, und habe eine Menge Zeit darauf verwendet, alles so zu justieren, dass sie explodieren. Beispielsweise wird es während der Bridge wieder intimer, und wenn die dritte Hook dann voll reinhaut [bei 3:01], sollte es förmlich explodieren. Ich habe gezielt darauf hingearbeitet, diesen Moment aufzubauen. Bis dahin fühlst du dich wie auf einer Achterbahn, aber wenn dieser Moment kommt, dann hebst du ab, und das ganze Ding springt dich an.
Natürlich habe ich auch genau auf den Sound geachtet, aber weil die Leute heute mit Ohrstöpseln im Zug und sonst wo Musik hören, macht es keinen Sinn mehr, einen Mix aus rein akustischer Perspektive anzugehen. So wie die Leute heute Musik hören, geht es nicht mehr um den Klang, sondern um den Vibe und das Feeling. Insofern lasse ich mich nicht allzu sehr von technischen Details in den Bann ziehen. Ich konzentriere mich ganz auf den Klangaspekt des Vibes und betrachte den Song nicht mehr durch die technische Brille.
Es kann deshalb sein, dass du dich wunderst, wenn du dir das Plug-in-Routing anschaust. Aber wir haben einfach Plug-ins hinzugefügt, wie und wann wir sie gerade brauchten, während wir uns auf den emotionalen Gehalt und die Intimität der Musik konzentrierten. Kann sein, dass das ganze Hi-Fi-Ding heute vielleicht passé ist, aber was überlebt hat, ist der emotionale Aspekt. Der bleibt, egal ob du Sachen aus den 1960ern, aus den 1980ern oder von heute hörst. Die Klangvorstellungen ändern sich, doch was bleibt, ist der Vibe.«
65 Spuren − Überschaubare Session
Mit etwa 65 Spuren ist die Session für 7 Years, gemessen an heutigen Standards, recht kompakt. Von oben nach unten sehen wir einen Mix-Input-Bus-Track, einen Music-Bus-Track, durch den alle Instrumente laufen, 12 Schlagzeugspuren, einschließlich Drum-Master und All-Drums, vier Bass-Spuren, drei Pianospuren einschließlich Piano-Aux, fünf Keyboard-Spuren einschließlich Toy Piano, Wurlitzer und Orgel, neun programmierte Streicher – spuren einschließlich des Master-Bus »Old Strings«, sechs Spuren mit echten Streichern einschließlich einer Master-Bus-Spur, eine Strings-All-Gruppenspur, sechs Effektspuren, fünf Lead-Vocal-Tracks, bestehend aus zwei Audiopuren plus zwei Lead-Aux-Tracks und einem Lead-Master-Track, einen Backing-Vocal-Track und acht Aux-Effect-Tracks ganz am Ende der Session. Die gesamte Session beginnt übrigens erst bei 1:40, was man im Hinterkopf behalten sollte, wenn man sie mit der veröffentlichten Version vergleicht.
Bowers: »Die Session war außergewöhnlich gut organisiert, als ich sie bekam, ich konnte mich also gleich dem Piano widmen, denn ich wusste, dass dies der emotionale Kern des Songs ist. Nachdem ich den Piano-Sound eingestellt hatte, ging ich zum Schlagzeug über. Manny ist Schlagzeuger, und von ihm habe ich gelernt, mich möglichst früh den Drums zu widmen, denn wenn du es erst später tust, wird es zu einem Kampf. Dann habe ich den Bass hinzu genommen und sofort danach Lukas’ Vocals, weil ich wusste, dass er sich mit allem anderen in die Quere kommen würde; von daher hat es gut funktioniert, mich damit auseinanderzusetzen, solange der Song noch in seiner Rohform war. Erst danach habe ich die Keyboards und Streicher hinzugefügt.«
Der Piano-Sound
»Ich fand, dass das Piano etwas Zartes, Emotionales hat, das im gesamten Mix ein Funkeln erzeugen sollte. Das erste Plug-in im PianoInsert ist die Slate Virtual Console Collection, die ich auf allen wichtigen Elementen meiner Mixes verwende, auf allen Hauptinstrumenten, die von einer solchen Pult-Emulation profitieren. Das ist die erste Version dieses Plugins. Ich kann es leider nicht auf jeder einzelnen Spur verwenden, weil es einfach die CPU killen würde; ich verwende es nämlich mit heftigem Oversampling. Also suche ich mir die Tracks heraus, die besonders wichtig sind, um ihnen eine Dosis davon zu verpassen.
Das nächste Plug-in ist der Waves REQ6, den sie während der Produktion hinzugefügt haben. Damit werden die Höhen kräftig angehoben und der Bass ein wenig abgesenkt. Dann kommt der Waves RCompressor, den ich häufig verwende, weil er so einfach, schnell und geschmeidig ist. Er macht nur ein bisschen Gain-Reduction, um den Pegel konstant zu halten. Dahinter kommt der übliche Avid 7-Band-EQ, der die Mitten bei 500 Hz etwas freischaufelt. Als Nächstes kommt ein weiterer meiner Favoriten, der Waves SSL Channel. Er ist simpel und erinnert an den echten Pult-EQ. Ich bin mir sicher, dass man die Bearbeitungen des Pianos auf nur drei Plug-ins reduzieren könnte, aber beim Mix sind wir so vorgegangen, dass wir bei jeder Veränderung durch Pilo oder meinerseits sichergehen wollten, dass wir den Mix leicht wieder auf den vorigen Stand bringen könnten. Statt die Settings der bestehenden Plug-ins zu verändern, haben wir deshalb immer weitere hinzugefügt.« Pilegaard: »Wo ich’s mir nochmal anschaue, fällt mir ein, dass das Hauptpiano eigentlich ein Sample-Piano ist, nämlich Alicia’s Keys von Native Instruments. Der kurze Abschnitt in der Bridge ist alles, was wir vom echten Flügel, den wir in Kopenhagen aufgenommen hatten, behalten haben. Offensichtlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das gesampelte Piano besser klang!«
Drums
Bowers: »Nachdem ich das Piano bearbeitet hatte, habe ich gleich die Kick-Drum hinzugefügt. Ich wusste, dass das Piano vor allem die mittleren und hohen Frequenzen abdeckt, und nachdem ich das soweit eingestellt hatte, nahm ich die tieffrequenten Sachen wie die Kick-Drum, das übrige Schlagzeug und den Bass hin – zu. Auf der Haupt-Kick-Drum ist wieder die Slate Virtual Console Emulation. Ich wollte, dass sie nach HipHop und Straße klingt, also massiv, mit einem runden Bass. Dafür habe ich mit dem SSL Channel bei 60 Hz angehoben und dem Sound mit dem Decapitator etwas mehr Schmutz verliehen. Laut Pilegaard ist die andere Kick-Spur ein Sample vom [Native Instruments] Abbey Road 70s Drummer, um die Snare fetter klingen zu lassen.
Es gibt mehrere Snare-Samples, die alle recht fett klingen, wobei einige eher mittig klingen und andere mehr Höhen und Attack haben. Wenn ich mich recht erinnere, waren alle Snares zusammen ein bisschen zu viel des Guten, von daher habe ich die Snare weniger mit EQ bearbeitet als mit Kompression, um sie im Zaum zu halten. Dafür habe ich mehrere Kompressoren verwendet, insbesondere eine Reihe von 1176-Plug-in-Emulationen wie den BF76. Es ging vor allem darum, die Transienten zu kontrollieren.«
Pilegaard: »Es gibt da einen Loop aus einem Sample-Pack, den ich irgendwo gefunden und zurechtgeschnitten habe. Wie du siehst, sind da eine Menge Edits!« Bowers: »Der Loop hat SnareRolls, die ihm eine Menge Bewegung geben. Und wieder habe ich hier das Slate Virtual Console Plug-in eingesetzt, außerdem den SPL Transient Designer, um den Attack ein bisschen abzuschmirgeln. Alle Drums, mit Ausnahme des Loops, laufen durch den Drum-MasterTrack, auf dem ich wieder das Slate Virtual Console Plug-in, einen [Waves] API 2500 [Bus Compressor] den Decapitator und den SPL Transient Designer habe, und Pilo hat den C6 hinzugefügt, der bei 4 kHz eine Menge Gain Reduction macht. Immer wenn du einen C6 siehst, hat Pilo das Plug-in hinzugefügt! Du siehst auch das Routing der Schlagzeugspuren: Der Drum-Loop geht direkt auf den MusicBus oben, auf den ich alle musikalischen Elemente gelegt habe.«
Bass
Pilegaard: »Der Bass war ganz geradlinig. Es gibt einen Waves CLA 76 auf dem Sub-Bass und den Waves LoAir Subharmonic Generator, um den Sound fetter zu machen. Wenn du beim Film arbeitest, hast du immer dieses Plug-in auf einem Pre-Fader-Send, der direkt auf den Sub geht. So kannst du jedem Sound, an dem du arbeitest, über den Subwoofer enorme Power verleihen!«
Bowers: »Es gibt eine Bass-DistortionSpur, die durch die UAD Softube Collection und dann den Sansamp läuft. Als wir anfingen, waren sowohl die Drums als auch der Bass sehr clean, und alle diese Plug-in-Instanzen des API 2500, Sansamp und Decapitator waren Versuche meinerseits, dem Track mehr Street Credibility zu verleihen, d. h. den ›Ghetto‹-Aspekt in ›Ghetto Pop‹ zu betonen.« Pilegaard: »Die Bass-Distortion-Spur ist auf −28,5 dB geregelt; wenn du sie so – lo schaltest, hörst du nur Schmutz, Bundgeräusche und Distortion. Sie ist für die Textur zuständig.«
Vocals
Bowers: »Ob ich hören konnte, dass die Vocals mit einem billigen Mikro aufgenommen wurden? Ja und nein. Ein großer Teil davon klang super, aber in bestimmten Lagen kann Lukas schon sehr kraftvoll klingen, und ich glaube, das Mikrofon hat das in einen harschen Sound übersetzt. Wir haben daher viel Zeit damit verbracht, diese übertriebene Schärfe in den Griff zu bekommen, wofür wir oft den Waves C6 Multiband Compressor verwendet haben. Immer wenn ich nach einer Pause zurückkam, hatte Pilo einen weiteren C6 hinzugefügt! Es gab auch noch andere Plug-ins, mit denen wir dasselbe gemacht haben, aber letztendlich ging es immer um eine Frage: Fühlt es sich gut und richtig an? Abgesehen vom gelegentlich etwas scharfen Klang, war das einer der einfacheren Vocals des Albums, was den Mix anging. Er war sehr konsistent, und das ist der Schlüssel.
Die Vocals laufen durch die darunter liegenden Aux-Tracks und die dort verwendeten Plug-ins. Im ersten Insert ist ein Tubetech CL1B, und dahinter kommt ein CLA 76. Das hat damit zu tun, dass wir uns Rihanna und Adele angehört haben; wir wollten die Transienten passieren lassen und dann den Vocal schnell wieder runterziehen. Wir haben länger am Attack und der Release der beiden Plug-ins herumgespielt. Ursprünglich hatte der Vocal nicht diesen Attack. Er war sehr linear. Natürlich weiß jeder, dass Tom Elmhirst zwei Kompressoren mit schnellem Attack und flotter Release verwendet, und mit dieser Technik im Hinterkopf habe ich den Softube [Tubetech CL1B] und den CLA 76 eingestellt. Dahinter kommt der SSL Channel, nur um ein bisschen die Höhen anzuheben und die harschen Frequenzen bei 7 kHz zu reduzieren. Dann kommt das Plug-in, das weltweit wohl am häufigsten missbraucht wird, der Waves C4 Multiband Compressor im gleichermaßen überstrapazierten, aber höchst effektiven Pop-Vocal-Setting. Und wieder kommt ein C6, mit dem Pilo dem Sound etwas Härte nehmen wollte, dieses Mal bei 2 kHz.
Ja, mit dem C6 haben wir schon ziemlich geklotzt! (lacht) Die Thresholds sind in Bewegung, teilweise pro Wort. Das lief so: Dieses Wort klingt ziemlich hart, lass uns den C6 automatisieren, damit er da eingreift, und dann haben wir einen weiteren C6 für einen anderen Abschnitt der Spur eingesetzt. Bei diesem Song gibt’s ne Menge Automation, und nicht nur für die Pegel, sondern auch Plug-in-Automation. Auf allem. Wie gesagt, der Vibe des Songs war mein Leitstern, und Pilo hat sich mehr auf die Einzelheiten konzentriert, weshalb wir ständig Sachen feinjustiert haben.
Wie du siehst, gibt es in der Bridge Automation auf dem Hall und dem Delay, um mehr Intimität zu erzeugen. Hall und Delay haben magische Qualitäten. Viele verwenden diese Effekte, um Weite zu erzeugen, aber für mich haben sie mehr mit Nähe zu tun. Wenn du sie richtig einsetzt, kannst du ein Gefühl erzeugen, als sei der Sänger dein bester Freund, der zu dir spricht. Die Bridge war für mich immer noch nicht ganz perfekt, weil das Timbre des Vocals sich hier verändert. Für mich war der einzige Weg, das zu beheben, den Vocal-Track zu duplizieren und die Plug-ins für die Bridge von Grund auf neu aufzubauen, anstatt immer weitere Automation zu betreiben.
Zu guter Letzt laufen die Sends der VocalSpuren auf die grünen Aux-Effektspuren mit verschiedenen Arten von Reverb oder Delay für die Music- und Vocal-Tracks. Die Aux-Tracks, die mit ›dB‹ markiert sind, stammen von mir, die übrigen wurden während der Produktion hinzugefügt. Ich habe einen Large Hall Reverb von Mannys Hall-Plug-in [Waves Manny Marroquin Reverb] genommen. Es ist ein klasse Plug-in, das richtige High-End-Hardware emuliert.«
Streicher & Sound-Effekte
»Alle Streicher gehen auf den Strings-All-Bus, wo sie durch gemeinsame Bearbeitung mit Plug-ins miteinander verschweißt werden, damit sie sich wie ein Ensemble anhören. Wieder habe ich das Slate Virutal Console Plug-in und den SSL Channel Compressor verwendet; Letzterer wird per Sidechain von der Kick getriggert, damit ihr die Streicher ein bisschen aus dem Weg gehen. Ansonsten habe ich nur die Höhen leicht abgesenkt. Die Sound-Effect-Spuren sind, von oben nach unten: Vinyl-Knistern, das komplett durchläuft, Geräusche eines größeren Publikums, das schließlich ›Lukas Graham!‹ schreit, das Geräusch eines Filmprojektors, ein Crash/Hit, Uhrenticken (das in vielen Songs von Lukas Graham vorkommt − es ist ein sich wiederholendes Thema des Albums), Saitengeräusche mit seltsamen Effekten, und ein Piano, das mit der Rückwärts-Snare verwoben ist, die zwischen den Strophen zu hören ist.
Bei der Projektor-Spur habe ich mit dem Avid EQ3 bei 500 Hz um 1,5 dB abgesenkt. Pilo hat einen REQ für die Crash/Hit-Spur hinzugefügt, der als Hochpass fungiert und bei 800 Hz um 3 dB anhebt; und ich habe mit dem SSL Channel bei 8 kHz um 3 dB angehoben, damit der Sound mehr aus dem Mix hervorragt. Außerdem gibt es einen automatisierten Trim um −4,5 dB vor dem letzten Chorus.«
Stereo-Mix
»Wie schon gesagt, sind alle Musikinstrumente, Bass, Drums, Keyboards und die SoundEffekte auf diesen Music-Aux-Track geroutet, der wiederum den Stereo Bus ›INPUT‹ direkt darüber füttert. Auf dem Music-Aux habe ich nur ein einziges Plug-in, den Waves API 2500 [Bus Compressor], den ich eingesetzt habe, weil Pilo mehr Street-Feel haben wollte. Wir haben mit verschiedenen Plug-ins herum – probiert und uns schließlich für den API 2500 entschieden, wegen des Vibes und weil er alles zusätzlich miteinander verschweißt. Der 2500 macht den Sound ein bisschen raw & heavy.
Auf den Inserts der INPUT-Stereosumme habe ich eine ganze Reihe von Plug-ins. VCC ist der Slate Virtual Mix Bus im Brit 4K-Setting. Als Nächstes kommt ein Trim. Beim Arbeiten mit Manny und bei eigenen Projekten habe ich festgestellt, dass der Song manchmal so laut wird, dass die Plug-ins nicht mehr korrekt funktionieren. Beispielsweise kannst du den Threshold nicht mehr so tief einstellen, dass der Plug-in-Kompressor wie sein Hardware-Pendant arbeitet. Der Trim senkt daher den gesamten Mix um 6 dB ab, sodass die Plug-ins dahinter wie ihre analogen Gegenstücke reagieren. Außerdem bekommst du viel weniger Verzerrungen. Für mich ist das der Schlüssel fürs Bearbeiten der Stereosumme. Ich mag zwar Distortion, aber übersteuerte Plug-ins produzieren Distortion in ihrer schlimmsten Form.
Dahinter kommt der SSL Bus Compressor, der auf 1 bis 2 dB Gain Reduction mit sehr schnellem Attack und einer mittleren Release eingestellt ist. Er macht nicht viel, bis der Song später richtig groß wird, unmittelbar nach der Bridge. Dann kommt Ozone 5, das auf eine Badewannenkurve eingestellt ist, aber nicht dramatisch eingreift, nur 1 bis 2 dB auf beiden Seiten. Dahinter habe ich den bx_hybrid2, dessen EQ ich aber gar nicht verwende, sondern nur den Stereo-WidthKnopf. Die meisten Plug-ins für Stereobreite trennen die Stereomitte heraus, aber dieses Plug-in schafft es recht gut, die Stereomitte intakt zu lassen; du kannst den Mix ziemlich in die Breite ziehen und trotzdem die Stereomitte erhalten. Normalerweise habe ich den Knopf zwischen 100 und 120. Bei modernen Mixes geht es total um Stereobreite, wobei der Sound je nach Stilrichtung verschieden breit sein muss. 7 Years ist kein extrem breiter EDM Dance-Track, daher habe ich es mit der Breite nicht übertrieben. Der Song klingt immer noch breit und modern, mit strahlenden Höhen, aber er ist nicht so breit wie so manches da draußen.
Als Nächstes kommt Mannys EQ [Waves Manny Marroquin EQ]; der ist super! Ich liebe dieses Plug-in, weil es oberhalb von 20 kHz eingreifen kann. In diesem Fall habe ich bei 20 kHz um 2 dB angehoben; das hilft dem Track zu atmen und relaxter zu klingen. Die Session war im Format 44,1 kHz/24 Bit, trotzdem höre ich den Unterschied in den Höhen. Vermutlich liegt das vor allem an der Filtergüte.«
Pilegaard: »Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Computer-Games spielte. Damals sagte man, dass das Auge nicht mehr als 30 bis 50 Frames pro Sekunde unterscheiden kann. Trotzdem macht es einen Riesenunterschied, ob du ein Game mit 50 Frames pro Sekunde spielst oder mit 120 Frames pro Sekunde. Ich glaube, das hier ist ähnlich.«
Bowers: »Hinter Mannys EQ habe ich einen zweiten Trim, der das Signal wieder um die 6 dB anhebt, die ich zuvor abgesenkt hatte. Dann gehe ich durch den Waves L2, der bis ans absolute Limit geht, Null. Ich gehöre zur Manny-Marroquin-Schule, d. h., ich mache den Mix so laut wie nur möglich, sodass er unmittelbar nach dem Mixing veröffentlicht werden kann, sogar ohne weiteres Mastering. Limiting ist Teil dessen, was die Leute heute hören wollen. Nach dem L2 kommt ein letzter Trim, der noch weitere 2 dB anhebt. Der L2 geht noch nicht ganz bis auf Null, und je weiter du den Threshold am L2 nach unten ziehst, desto mehr Crunch erzeugst du; manchmal kannst du ihn dann einfach nicht mehr weiter nach unten ziehen, weil die Verzerrungen zu stark werden.
Pilegaard (ungläubig): »Heißt das, dass du den L2 auf 0 dB eingestellt hast und danach das gesamte Signal noch einmal um 2 dB anhebst? Demnach wäre dein PeakLevel 2 dB über Null, d. h., du übersteuerst die Wandler, wenn die Musik maximalen Pegel erreicht?«
Bowers: »Stimmt. Ein Teil dieses ganzen modernen Sounds ist, wie weit wir in die Verzerrung gehen können. Das ist Teil des Sounds, den die Leute heute hören wollen. Wenn du das wegnimmst, klingt es nicht mehr aktuell. Außerdem: Wenn du an Auditions für ein Label teilnimmst und dein Song nicht lauter ist als der Reference-Mix, dann bekommst du den Job nicht. Manchmal ist es eine schmerzliche Arbeit, einen Song übertrieben laut zu machen, lauter als er sein sollte. Aber du kannst laut sein und trotzdem Dynamik ha – ben. Laut muss nicht schlecht sein; das Problem ist, dass die Leute es missbrauchen, sodass alles laut ist und keine Dynamik mehr bleibt. Das mag ich nicht. Ich mag schon, wenn es laut ist, aber nicht, wenn alles plattgewalzt klingt.
Techniken ändern sich, aber Lautheit ist Teil dessen, was die Leute heute hören. Alles hat heute Verzerrung, es ist lediglich eine Frage, wie viel. Die Plug-ins, die man heute verwendet, zusätzlich zum L2, der etwa 3 dB rausholt, sind der FabFilter Pro_L Limiter oder der L3, um weitere 3 dB herauszuholen. Wenn du diese Plug-ins auf die Stereosumme legst, klingt es automatisch nach Pop.
Aber wenn du dir bei diesem Song die Volume-Automation des INPUT-Tracks anschaust, siehst du, dass sie durchgehend bei Null bleibt und erst in der Hook nach der Bridge um weitere 2 dB ansteigt. Ich glaube nicht, dass ich bis zu diesem Abschnitt hinter der Bridge über Null gekommen bin. Ich wollte, dass dieser Moment, wenn die Hook wieder einsetzt, massiv reinknallt. Ich liebe das Video des Songs, denn da gibt’s genau in diesem Augenblick eine riesige Explosion hinter Lukas. Als ich das sah, dachte ich: ›Jaa! Genau das wollte ich erreichen, diese Explosion!‹ «
Es mag seltsam erscheinen, dass beim Mix einer Ballade von »Street Credibility«, »Distortion« und »Explosionen« die Rede ist. Aber das ist 2016, und angesichts des massiven Erfolgs von 7 Years darf man konstatieren, dass Pilegaard und Bowers mit ihrer Ästhetik den Zeitgeist exakt getroffen und Lukas Graham Forchhammers »Ghetto«-Erfahrungen als Jugendlicher in Christiana – Kopenhagens berüchtigtem Viertel der alternativen AnarchoSzene – für die gesamte Welt nachfühlbar gemacht haben.