Britische Würze

Mixpraxis: Mark Ralph über die Arbeit an Clean Bandits What Is Love

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Die Hitparaden in den angelsächsischen Ländern scheinen mal wieder besonders gleichförmig zu sein — stilistisch ebenso wie bezogen auf die Künstler, die sie bevölkern. Die US-Charts gleichen einer Parade von Atlanta-Trap- und Rap-beeinflussten Künstlern, von Post Malone über Travis Scott bis Cardi B. Wie so oft scheint es an den Briten zu sein, etwas Würze und Abwechslung einzubringen. Mit Stars wie Adele, Ed Sheeran, Florence + The Machine und Sam Smith läuft es dort recht gut. Zusätzlich gibt es eine echte neue Welle von UK-Künstlern, die Einflüsse von amerikanischem R’n’B, Trap und Hip-Hop mit traditionelleren Musikstilen und britischem Pop-Gefühl kombinieren. Beispiele sind einschlägige Acts wie Jax Jones, Hot Chip, Years & Years, Rudimental, Jess Glynne und Clean Bandit.

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Clean Bandit verschmelzen Electronica, urbane Grooves und EDM-Vocal-Chops mit Streichern und anderen »echten« Instrumenten. Diese Acts arbeiten tendenziell mit einer Kombination von elektronischen/programmierten und »handgespielten« Instrumenten, im Gegensatz zum immer weitgehender programmierten, in-the-box-mäßigen amerikanischen Ansatz. Eine weitere Gemeinsamkeit der zuletzt erwähnten Acts ist die Zusammenarbeit mit dem britischen Producer und Mixer Mark Ralph, der es offensichtlich zu seinem Karriere-Motto gemacht hat, Dinge neu zu kombinieren − stilistisch, musikalisch und, wie wir sehen werden, auch technisch.

Ralph gewann 2016 bei den Londoner UK A&R Awards in der Kategorie »Producer des Jahres« und könnte überhaupt der momentan am heißesten gehandelte Producer aus dem UK sein. Seine Musikerkarriere begann 1993, als er Gitarre für Sister Sledges Remake ihres klassischen 1979er Hits We Are Family spielte − und damit für keinen Geringeren als Nile Rodgers einsprang. Ralph konzentrierte sich weiter auf sein Ding und wurde gefragter Session-Gitarrist, arbeitete als solcher mit allen von Natalie Imbruglia bis Tom Jones und brachte es ebenso zu einem eigenen Plattenvertrag als Künstler. Nachdem ihn sein Label 1998 fallen ließ, arbeitete er eine Zeit lang beim Londoner Equipment-Verleih Tickle Music Hire, bevor er sich im neuen Jahrtausend immer mehr in Songwriting und Produktion vertiefte. Irgendwann bekam er wieder einen Plattenvertrag; seinen letzten Versuch als Recording-Artist hatte er 2009 als Drittel der Synthpop-Band Filthy Dukes.

»Nach dieser Erfahrung«, erinnert sich Ralph, »entschied ich mich, kein Künstler mehr sein zu wollen, sondern mich lieber darauf zu konzentrieren, andere Leute zu produzieren, und mixen zu lernen. Es dauert, bis man etwas gut kann, und ich glaube, alles, was ich je getan habe, hat mir als Erfahrung genützt. Als ich beim Equipment-Verleih arbeitete, dachte ich, es wäre das Ende meiner Musikkarriere. Tatsächlich habe ich da aber gelernt, wie jedes Gerät funktioniert und wie man es anschließt, d. h., ich habe eine Menge Studio-Skills mitgenommen. Einen Plattenvertrag zu bekommen ist das erhabenste Gefühl, das man haben kann, und wieder fallen gelassen zu werden, ist entsprechend das schrecklichste Gefühl. Aber durch die Erfahrung habe ich gelernt, Härten locker zu nehmen und die Achterbahnfahrt zu managen, die eine Karriere im Musikbusiness nun mal ist. Ich habe bisher 26 Jahre voller Aufregung und Enttäuschung erlebt, und wenn ich auch momentan wieder oben auf einer Welle reite, weiß ich, dass es in fünf Jahren wieder ganz anders aussehen kann. Ich mache mir nicht mehr allzu viel sowohl aus den Hochs als auch aus den Tiefs.«

Ralphs Entscheidung, sich komplett auf seine Produktions- und Mixing-Karriere zu konzentrieren, hat sich im großen Stil ausgezahlt. In den letzten zehn Jahren hat er neben den schon erwähnten Namen mit allen von Franz Ferdinand über Jessie Ware bis Take That gearbeitet; Credits bekommt er für Komposition, Engineering, Mixing und Produktion. Zudem hat er zweimal ein eigenes Studio aufgebaut und betreibt momentan einen Studiokomplex mit vielen Räumen namens Club Ralph in der Nähe des Londoner Queen’s Park.

»Meine Nische war immer, organische Klänge mit elektronischer Musik zu kombinieren«, sagt Ralph. »Ich war in vielen Bands und habe auf traditionelle Art Songs geschrieben. Ich war in einer Rockband, habe Latin, Soul, Funk und Disco gespielt. Aber rein organische Musik hat mich nie wirklich fasziniert. Um mein Interesse zu erregen, musste sie immer schon ein synthetisches Element in Kombination mit organischen Sounds haben. Wo genau der Punkt zwischen dem organischen und dem elektronischen Pol liegt, ist sehr variabel.«

Die Band, die Ralphs hybriden musikalischen Ansatz möglicherweise am besten verkörpert und mit der er den bisher größten Erfolg hatte, ist Clean Bandit. Seit ihrem Durchbruch mit dem Hit Mozart’s House im Jahr 2013 konnte die Band eine Reihe größerer Hit-Singles für sich verbuchen, inklusive Rather Be (2014), Rockabye (2016), Symphony (2017) und Solo (2018). Mozart’s House und Rather Be stammen vom Debütalbum New Eyes (2014), während die drei letztgenannten auf ihrem zweiten Album What Is Love enthalten sind, das Ende November 2018 erschienen ist.

Analoge-Festspiele

»Ich habe von 2002 bis 2007 komplett in-the-box gearbeitet«, erzählt Ralph. »Dann fragte mich mein Freund David M. Allen, der The Cure, Depeche Mode usw. produziert hat, ob ich halbe-halbe mit ihm ein Mischpult kaufen wollen würde, denn er war auf das Pult gestoßen, das Conny Plank in den 70ern gebaut hatte. Wir brachten es nach London, ließen es restaurieren, und anschließend habe ich sieben Jahre lang damit gearbeitet. Ich hatte viel Freude daran, habe zwei Alben von Hot Chip damit gemacht, eines von Franz Ferdinand, das Album der Filthy Dukes und viele mehr. Das war noch in einem anderen Studio. Vor vier Jahren übernahm ich das Gebäude, in dem ich jetzt mein Studio habe, und da es schon das SSL-Pult eingebaut hatte, war es okay für mich, Dave das Conny-Plank-Pult Vollzeit zu überlassen, während ich mit SSL zu arbeiten begann. Seitdem arbeite ich zwar in-the-box, wenn ich mit jemandem zusammen komponiere, wie es eben alle tun, weil es beim Songwriting nicht so sehr auf den Klang ankommt − ich benutze das Pult dann nur als Monitor. An dem Punkt aber, wo analoge Bearbeitung einen Unterschied macht, also beim Aufnehmen und Mixen, verteile ich alles über die 48 Kanäle des Pults. Wenn ich mixe, forme ich den Klang zu etwa 70 % mit EQ und Kompression des Pultes und mit analogem Outboard-Equipment. Wenn dann Automatisierungen anstehen, übertrage ich alle 48 Kanäle zurück in die gleiche Pro-Tools-Session, entsorge die Spuren, die ich nicht brauche, und finalisiere den Mix in-the-box, bevor die vier Gruppen wieder ins Pult gehen.

ARP 2600

Beim Aufnehmen liegt die Schönheit einer Konsole darin, dass man Dinge schon wirklich im Detail formt, bevor man auf »Aufnahme« drückt. Das entspricht einer altmodischen Vorstellung von Arbeit, die ich immer noch sehr wichtig finde. So nimmt man nicht mehr allen Kram auf, den man nicht wirklich braucht oder der fehlerhaft ist. Man gestaltet Sachen so, wie sie klingen sollen, bevor man überhaupt den Aufnahmeknopf drückt, und damit erspart man sich tonnenweise digitales Sound-Processing, um den Kram nach der Aufnahme auf Vordermann zu bringen. Die Zeit, die man am Anfang damit verbringt, den Klang zu formen, ist Zeit, die man später nicht dafür aufwenden muss, Sachen zu reparieren.«

Konsequenterweise hat Ralph auch regalweise Hardware-Synths in seinem Studio. Als Gitarrist sei er zwar kein Synth-Virtuose, sagt er, aber dass er die Geräte liebt, wird klar angesichts der Liste von Klassikern, die in seinem Studio stehen: ARP 2600, Roland Jupiter-8, Roland SH-101, Minimoog, Roland Juno JX-8P, Korg Minipops, Roland TR808, Linn LM2, Korg MonoPoly, Moog Voyager, Solina String Ensemble, Yamaha DX7, Oberheim DMX, Korg MS-20 und mehr. In seinem Control-Room befinden sich zudem jede Menge Outboard-Geräte von Neve, EMT, Tube-Tech, Eventide, AMS, Yamaha, Urei, Valley People, Empirical Labs, Manley, Roland oder Lexicon.

Roland Juno JX-8P, Korg Minipops, Roland TR-808, Linn LM2, Korg MonoPoly, Moog Voyager, Solina String Ensemble, Yamaha DX7, Oberheim DMX, Korg MS-20 und mehr …

»Das größte Outboard-Gerät ist das Pult selbst«, betont Ralph. »Ich benutze ausgiebig den EQ und die Kompression meines SSL-Pultes. Und dann gibt es da mein eigentliches Outboard-Equipment. Ich finde, dass Outboard-Kompressoren bestimmte Dinge können, die Software-Kompressoren einfach nicht leisten können. Natürlich gibt es umgekehrt auch Dinge, die In-the-box-Kompressoren können, Hardware-Kompressoren aber nicht − wobei der wesentliche Vorzug von Software die Automatisierbarkeit aller Parameter ist. Aber meine Outboard-Kompressoren sind meine jeweils erste Adresse für spezifische Dinge: Neve 33611 für Lead-Vocals, Tube-Tech LCA-2B für Piano und Gitarren, Distressor für Bass, da er etwa Distortion dazu gibt, Manley Vari-Mu für Backing-Vocals und Streichern, Valley People 610 als Parallel-Kompression für Drums.«

Eine vierte essenzielle Komponente von Ralphs Out-of-the-box-Ansatz ist der Mix-Bus-Kompressor seines SSL-Pults. »Für mich ist das eine Art Zauberknopf. Viele Leute benutzen ein digitales Äquivalent, beispielsweise gibt es in Logic eine Funktion namens ›Glue‹. Und ›Klebstoff‹ ist auch eine gute Beschreibung für das, was der SSL-Mix-Bus-Kompressor tut. Ich höre die Dinge, an denen ich arbeite, gern von Anfang an mit dem SSL-Mix-Bus-Kompressor drauf. Ich benutze immer dieselbe Einstellung: maximale Ratio, mittleres Release und Attack (jeweils zwei Stufen unter dem Maximum), Threshold wiederum auf Maximum, sodass es eigentlich noch nicht komprimiert, bis man das eingehende Signal pusht. Der Kompressor selbst ist ein nicht reproduzierbarer Aspekt des Total-Recall, also wird alles auf dem Pult zu Kanal 8 des VCA [Voltage Controlled Amplifier] gesendet, den ich benutzte, um den Kompressor zu pushen. Ich benutze ihn als meinen Input-Gain und pushe nie über ca. 3 dB Gain-Reduction auf dem Bus-Kompressor.

Aus jahrelanger Erfahrung weiß ich: Jedes Mal, wenn ich etwas mit dem SSL-Pult gemixt habe, ohne den Kompressor direkt eingeschaltet zu haben, wenn ich ihn also erst am Endes des Mixes zugeschaltet habe, gab es immer unerwünschte Folgen. Dadurch werden Transienten zerstört, es entsteht ein Pump-Effekt usw. Wohingegen es keine unangenehmen Überraschungen am Ende gibt, wenn ich vom ersten Moment an mit eingeschaltetem SSL-Bus-Kompressor mixe. Dann ist alles, wie ich es haben möchte. Eine der tollen Eigenschaften, die im Laufe der Jahre die Leute für das SSL-Pult begeistert hat, ist der viele Headroom, d. h., man kann es ohne hörbare Verzerrung in den roten Bereich fahren. Und die zweite tolle Eigenschaft ist eben der SSL-Bus-Kompressor am Ende der Signalkette, der dem Sound schmeichelt, ihn aufregender macht und im mehr Wumms gibt.

Wenn ich also einen Mix zu etwa 70 % fertiggestellt habe und bereit bin, Stems für Pro Tools zu printen, nimmt mein Engineer Tom Fuller die Bus-Kompression raus und erstellt dann die Stems. Sonst hätten wir ja die Mix-Bus-Kompression auf jedem einzelnen Stem. Wenn der Mix dann im Computer ist und alle Spuren auf die vier Aux-Spuren ganz unten in der Session geschickt werden, die wiederum auf die Kanäle 1 bis 8 des Pultes zurückgeschickt werden, alle auf Unity eingestellt, dann schalten wir den Mix-Bus-Kompressor wieder ein. Was ich dann höre, sollte identisch sein mit dem, was ich vorher hatte, als der Mix über das Pult verteilt war. Wir haben es getestet, und es ist immer identisch.«

Geraubter Sound

Da Clean Bandit ihre Songs oft in Jack Pattersons Raum eine Etage tiefer schreiben, ist es für Mark Ralph kein großer Aufwand, mal eben reinzuschauen, was die Band so treibt. »Aber ich habe nie einen Clean-Bandit-Song mitkomponiert«, hält der Producer fest. »Wenn sie komponieren, sind üblicherweise schon Jack und Grace [Chatto] im Raum, mit ein oder zwei anderen Songwritern. Mit mehr als vier Leuten in einem Raum schreiben zu wollen, wäre nicht mehr gut zu managen. Daher läuft es meistens so ab, dass sie zu mir kommen, wenn sie einen Song geschrieben haben. Üblicherweise besteht der aus einem Haufen Ideen, manchmal fast fertig, manchmal auch eher ein Gerüst, jedenfalls klingt es meistens noch nicht wie eine Platte. Jack hat dann sein Projekt in Ableton, wir übertragen alles in Pro Tools und arbeiten dann daran, die Produktion und den Mix fertigzustellen. Jack spielt Saxofon und Keyboards, ich spiele Gitarre, Grace spielt Cello und Luke [Patterson] Drums, also ergänzen wir uns. Für das neue Album haben wir viele von Graces Cello-Parts in meinem Live-Raum aufgenommen, und Jack nimmt sehr gern Streicher bei RAK auf, ebenso wie seine Piano-Parts.

Auf dem neuen Album ist eine breite Palette von Gastmusikern zu hören, manche davon sehr bekannt, andere weniger. Manchmal co-komponiert ein Künstler, mit dem Clean Bandit arbeiten, den Song mit ihnen zusammen im Raum, aber häufiger schicken sie dem gefeatureten Künstler ein Demo. Die Demo enthält dann schon einen Guide-Vocal von einem der Songwriter, wobei wir bereit sind, den Song später dem Input des jeweiligen Künstlers entsprechend zu ändern. Ein Song ist nie abgeschlossen, bis er wirklich fertig ist. Ich habe keine Bedenken, auch am Ende noch etwas zu ändern. Die Vocals auf dem Demo sind für den Künstler oft nicht reproduzierbar, daher bleiben sie oft drin, und der Sänger oder die Sängerin der Vocals bekommt dann einen Credit für Background-Gesang. Jedenfalls werden die Gast-Vocals in neun von zehn Fällen erst aufgenommen, wenn ich schon in den Song involviert bin.

Beispielsweise haben wir für das neue Album einen Song mit einer mexikanischen Sängerin aufgenommen, die währenddessen gerade in Madrid war. Also haben wir Skype benutzt. Sie war in einem Studio, und der Engineer dort verband den Ausgang seines Pultes mit den Eingängen von Skype. Sie hatten dort auch ein Talkback-Mikrofon im Raum, und der Engineer hatte ein Plug-in namens Mutomatic, das automatisch auf Talkback umschaltete, sobald er Stop drückte. Wir konnten die Sängerin auf dem Bildschirm sehen und so mit ihr sprechen, als wäre sie im Raum, während sie uns über ein Mikrofon hörten, das wir in unseren Laptop gestöpselt hatten. Da wir von Hauptstadt zu Hauptstadt verbunden waren, hatten wir eine gute Internetverbindung; wir konnten das Audiosignal in voller Qualität über unsere Monitore hören, ohne Verzögerung. Es funktionierte reibungslos.

Für den Song Solo haben wir Demi Lovato ähnlich aufgenommen, diesmal über FaceTime. Sie war irgendwo in der Pampa bei Nashville, und Jack und Grace mussten sie über eine wirklich schlechte Verbindung instruieren, was sehr herausfordernd war, aber auch das hat letztlich funktioniert. Für den Song Solo haben wir über all die unterschiedlichen Styles nachgedacht, die wir so einbauen könnten; geworden sind es dann Reggae und Dancehall, Vocals à la US-Pop und indisch beeinflusste Bollywood-Streicher. Was die Drums betrifft, kommen zudem Trap-Einflüsse durch. Die [Roland Drummachine] 808 und die superschnellen Hi-Hat-Patterns, die typisch für Trap sind, sind überall auf dem neuen Clean-Bandit-Album. Wir haben bei Solo viel mit den Strings experimentiert: Es gibt diese Kombination von luxuriös klingenden Streichern, die bei RAK aufgenommen wurden, Graces Cello, das in meinem Raum aufgenommen wurde, und weiteren Streichern, die unter uns in Jacks Studio aufgenommen wurden. Wir haben die Streicher-Aufnahmen teilweise bearbeitet, damit sie wie Bollywood-Strings klingen bzw. als wären sie gesampelt.

Wenn man Strings von einer Platte absampelt und die Samples dann schneidet, schneidet man oft die Hallfahnen ab, sodass es unnatürlich klingt. Um diesen Effekt nachzubauen, haben wir etwas Reverb auf die Streicher-Aufnahmen gegeben, sie damit gebounct und das gebouncte Audio dann geschnitten, um diese unnatürlichen Stopps im Hall zu bekommen. Solche Bearbeitungen lassen Dinge wie getriggert klingen, obwohl die Streicher eigentlich live aufgenommen wurden. Wir haben die Streicher auch in NI Kontakt bearbeitet und dort den Pitchbend automatisiert, damit sie natürlich intonieren. Wir wollten die Strings so ähnlich klingen lassen wie in Toxic von Britney Spears.

Es ist heute schwierig, klassische Instrumente aufregend klingen zu lassen, also haben wir auf rudimentäre Sampling-Technik aus einer anderen Ära zurückgegriffen und versucht, die Unvollkommenheiten des damaligen Ansatzes nachzubauen, der dem Sound eine Rauheit und Kantigkeit gibt, die man bei unverfälscht aufgenommenen Streichern nicht hat. Momentan wird oft der Charakter aus der Musik gebügelt, weil alles sauber gestimmt ist, aber echte Instrumente verleihen elektronischer Musik Farbe und Dynamik, weshalb wir sie gezielt verwenden. So hat Jack auch einen gesampelten Gitarrenpart in Solo mit dem AmpleSound-Plug-in erstellt, das einen pseudo-natürlichen Akustikgitarren-Sound ergibt. Eine absichtlich unechte Gitarre hat etwas Faszinierendes an sich, aber in diesem Fall hört man eine Kombination aus der AmpleSound- und der Live-Gitarre. Wir haben das zu einem Hybrid gemischt, den wir interessant fanden.«

Mixing

Für den Mix von Solo hat Ralph neben den Clean Bandits Grace Chatto und Jack Patterson einen Credit bekommen, für Tom AD Fuller gab’s einen Engineering-Credit. Ralph war der Hauptverantwortliche an den Controllern. Den analogen Teil seines Mixing-Prozesses hat er oben bereits erläutert; er endete damit, dass Fuller den bis dahin analogen Mix nach Pro Tools exportierte. Im Fall des Songs Solo blähte sich die Pro-Tools-Session auf 80 Spuren auf: 13 Drum-Spuren (rot), zwei Bass-Spuren (hellblau), zwei Gitarren-Spuren (hellviolett), acht Spuren mit Synths und Instrumenten-Samples (grün und lila), sechs Spuren mit BollywoodStrings (dunkelviolett), 14 weitere Streicher-Spuren (dunkelblau), drei Streicher-Gruppenspuren inklusive einer Hall-Spur, acht Spuren mit Vocal-Chops (grün), zehn Spuren mit Demi Lovatos Lead-Vocals inklusive zwei Lead-Vocal-Gruppenspuren, zwei Backing-Vocal-Spuren (rosa), drei Aux-FX-Spuren (lila), die vier oben erwähnten Gruppenspuren, die ins Pult zurückgehen (Drums, Bass, Instrumente, Gesang, hellblau), und eine Mix-Print-Spur.

Dass die Session sich von 48 auf gut 80 Spuren vergrößert hat, liegt an den vielen zusätzlichen Gruppen- und Aux-Spuren sowie daran, dass Ralph in einigen Fällen Audio über mehrere Spuren verteilt hat, um jeden Abschnitt unterschiedlich zu behandeln. Die Session ist nur spärlich mit Plug-ins besiedelt, womit Ralphs Einschätzung untermauert wird, dass er 70 % seines Mixes im analogen Modus macht. Beispielsweise gibt es keinerlei Plug-ins auf den regulären Streicher-Spuren, und ein paar Instanzen des Massenburg Design Works EQ sind die einzigen Plug-ins auf vielen der Drum- und Instrumental-Spuren. Die einzigen Spuren, auf deren Inserts eine nennenswerte Anzahl an Plug-ins liegt, sind die Spuren für Bass, Bollywood-Streicher und Lead-Vocals. Auch gibt es sehr wenige Sends in der Session, und nur Demi Lovatos Lead-Vocal-Spuren haben Sends zu den drei Aux-Effekt-Spuren, nämlich Verb 1 (mit Altiverb 1), Delay 1 (mit SoundToys Echoboy) und Verb 2 (mit Valhalla Room).

Ralph hebt einige der bemerkenswerteren Aspekte des In-the-box-Anteils des Solo-Mixes hervor: »Der [Design Works] Massenburg EQ ist mein liebster In-the-box-EQ. Er ist eine Emulation des Massenburg 8300 EQ, den ich zweimal in meinem Rack habe. Er klingt sehr musikalisch und natürlich für meine Ohren und lässt sich schnell bedienen. Die übliche Methode, eine Frequenz zu identifizieren, die man absenken möchte, ist, Q [die Bandbreite] auf das Minimum zu verengen, das Gain zu maximieren und dann durch die Frequenzen zu fahren, bis man die findet, die einen stört. So mache ich es am Pult. Aber mit dem MDW [Massenburg Design Works EQ], drückt man buchstäblich nur eine der fünf Tasten, und er tut automatisch alles für dich, damit du diese Frequenz finden kannst.

Die Pro-Tools-Session mit 80 Spuren

Ja, da ist Hall auf dem Bass! Jack und ich haben entschieden, einen kurzen 0,3s-Plate-Reverb vom Valhalla VintageVerb dazuzugeben. Er liegt auf einer Aux-Spur direkt an der Bassspur, und es gibt eine automatisierte Send-Funktion an diese Aux-Spur. Es gibt einige Stellen im Stück, an denen nur Bass und Drums zu hören sind, und an solchen Stellen kann es sehr viel bringen, dem Bass etwas Ambience zu geben. Diese Methode wird oft auf Dance-Musik angewandt. Sparsam verwendet, kann der Hall dem Bass ein wenig Tiefe und Charakter verleihen, ohne die unteren Frequenzen zu vermatschen.

Ich habe die akustischen Gitarren auf zwei Spuren verteilt, weil die Gitarre im Intro und die in der Bridge sehr unterschiedliche Bearbeitungen brauchten. Letztere hat den Valhalla Room für etwas zusätzliche Ambience drauf. Die wesentlichen Treatments mancher der Bollywood-Strings kommen vom Valhalla VintageVerb, dem SoundToys Little AlterBoy und der Cableguys Shaperbox. Wir hätten die Streicher bitten können, diese Tonhöhen-Slides ›in echt‹ einzuspielen, aber weil wir einen leicht synthetischen Klang wollten, haben wir sie stattdessen beim Resampeln durch eine Kombination aus der Pitchbend-Automatisierung von NI Kontakt und Little AlterBoy bekommen. Anstatt sanft zwischen den Noten zu wechseln, biegt es verlässlich zur nächsten Note; dieses Plug-in ist wirklich gut für solche automatisierten Pitch-Shifts. Die ShaperBox gibt es nur als VST, also benutze ich [die Host-Software für Plug-ins] Blue Cat PatchWork, damit sie mit AAX in Pro Tools funktioniert. Blue Cat PatchWork funktioniert hervorragend mit Synths und Audio-Plug-ins. In der ShaperBox habe ich den VolumeShaper verwendet, mit dem ich einen Sidechain-Effekt erstellen kann, ohne einen Trigger zu benutzen. Du kannst genau die Kurve einzeichnen, die du willst. KickStarter kommt von der gleichen Firma und funktioniert auch großartig, aber ShaperBox ist vielseitiger, da es nicht nur Volume-Shaping, sondern auch MIDI-Shaping, Pan-Shaping usw. kann.

Eines der wenigen Plug-ins auf den Instrumenten: der Massenburg Design Works EQ

Die Intro-Strings-Gruppe hat das XLN Audio RC-20 Retro Color drauf, das Jack mal als eine Art Geheimtipp aufgetan hat. Dieses Plug-in hat ein sehr schönes, natürlich klingendes Spektrum analog klingenden Processings. Es bietet Noise für Hintergrund-Knistern, und man kann es für einige verschiedene Arten von Overdrive verwenden, auch sehr subtil. Ich habe etwas Wobble und Distortion für die Streicher benutzt, außerdem ist die Distortion des RC-20 durchgehend auf Demis Gesang. Sie lässt alle Vocals leicht zerkocht und leicht auf und ab schwankend klingen, als kämen sie von einer Platte, die eiert. Das RC-20 hat auch einen sehr schönen Hall.«

Die Vocals

Demi Lovatos Gesangsspuren sind mit »AT« gekennzeichnet, was bedeutet, dass sie mit Antares AutoTune gestimmt sind. Ralph: »Ich mag dieses Plug-in, weil es im graphischen Modus so natürlich klingt. Weil die Default-Einstellung von AutoTune »Auto« ist, nehmen viele Leute an, dass AutoTune einfach alles automatisch erkennt und nur Melodyne das Programm sei, bei dem man alles einzeichnen kann. Aber auch AutoTune hatte von Anfang an einen graphischen Modus. Für mich ist AutoTune die beste Wahl, wenn ich auf subtile, transparente Art stimmen möchte, sodass man nicht hört, dass es gestimmt ist. Nachteile von AutoTune sind, dass es recht anfällig für Fehler und für CPU-Überlastung ist. Ich habe einen 18-Core-Prozessor iMac Pro mit 128 GB RAM und sollte damit eigentlich keine Abstürze erleben, dennoch habe ich regelmäßig Abstürze, wenn AutoTune involviert ist. Das Endergebnis jedoch klingt für meine Ohren deutlich natürlicher als bei der Verwendung von Melodyne. Bei Melodyne habe ich immer das Gefühl, es käme so eine synthetische Note hinzu. Allerdings kann AutoTune kein polyfones Audio korrigieren. Wenn also ein Gitarrenoder Klavierton innerhalb eines Akkords verstimmt ist, korrigiere ich das schon mit Melodyne.

Wir haben auch Avid Smack! auf Demis Lead-Stimme gelegt. Normalerweise ist der Waves CL76 meine erste Wahl als In-the-box-Kompressor, aber der Smack! hat immer noch den Effekt, der einem Outboard-Kompressor am ähnlichsten ist. Er ist sehr gut darin, Pop-Geräusche zu erkennen und sehr subtil zu de-essen. Wenn ich die Vocals auf dem Pult habe, laufen sie durch meinen Outboard-Kompressor und manchmal auch durch den Kompressor vom Pult selbst. Hier gehe ich auf Nummer sicher, denn mir ist bewusst, dass es irreversibel sein wird, ab dem Punkt, an dem ich in-the-box gehe. Wenn ich dann in-the-box bin und die Stimme ganz vorne hören will, stelle ich Smack! extremer ein, in diesem Fall mit einem Attack von 5,9 und einer Ratio von 6:1. Die hauptsächlichen Lead-Vocal-Spuren haben Sends an die beiden Reverb- und Delay-Aux-Spuren weiter unten in der Session, wo man sehen kann, dass ich die Reverbs und das Delay an einigen Stellen komplett abgeschnitten habe. Das ist ein DJ-Trick: einen ganzen Mix rein- und rausfiltern.

Hall auf dem Bass!!

Alle Chorus-Vocals von Demi werden an die Demi-Chorus-Chops-Gruppenspur geschickt, auf die ich das Waves Greg Wells Voice-Centric [Plug-in] gelegt habe. Jack und ich hatten uns gefragt, wie wir Demis Gesang etwas aufregender machen könnten − und als wir das Greg Wells Plug-in zugeschaltet hatten, fanden wir den Sound ziemlich gut. Wann immer wir bei dieser Mix-Session zu wenig begeistert waren, haben wir das Greg-Wells-Plug-in probiert, und es ließ alles gut klingen. Auf einer der Bollywood-Strings-Spuren haben wir das Greg Wells Mix-Centric verwendet. Demis Chorus-Gruppen-Vocals haben wir auch mit der Shaper-Box bearbeitet. Der Mix ist auf 37 % eingestellt, es dient nur dazu, dem Gesang ein wenig Schwung mitzugeben. Wenn Sidechaining subtil auf Vocals angewandt wird, kann es sie etwas rhythmischer klingen lassen.

Wie schon erwähnt, befinden sich ganz unten in der Session die Subgruppen für Drums, Bass, Instrumente und Vocals. Diese gehen auf die Kanäle 1 bis 8 des Pultes, wo ich dann weitere Anpassungen in Sachen Gruppen-Level und Gruppen-Panning vornehmen kann. Man kann auch schon in Pro Tools eine kleine Level-Anpassung bei der Vocal-Gruppe sehen, die ich gegen Ende leicht angehoben habe. Wenn der Mix komplett fertig ist und ich einen Print erstellen will, gehe ich zum SSL-Computer, der so einen alten grünen Bildschirm hat und Mixe immer noch auf Disketten speichert, und speichere einen Total-Recall der Session mit den acht benutzten Fadern des Pultes. Darin werden auch die VCA-8-Einstellungen gespeichert, die das Level an SSL-Mix-Bus-Kompression steuern. Wenn ich den finalen Mix printe, habe ich alle Kanäle stummgeschaltet, außer natürlich die Kanäle 1 bis 8. Ich achte darauf, keine Inserts und keinen Kanal-EQ oder Kompression auf den Subgruppen-Kanälen zu haben. Auch wirklich wichtig ist es, alle 40 unbenutzten Kanäle an diesem Punkt nicht nur zu muten, sondern sie auch alle zum Rück-Bus des Quad-Kanal-Ausgangs auf dem SSL zu senden, denn wir haben festgestellt, dass ansonsten jeder unbenutzte Kanal ein kleines bisschen Rauschen auf den Mix-Bus schickt, selbst wenn er stummgeschaltet ist.

Die Intro-Strings-Gruppe

Ich printe zurück in die Session. Am unteren Ende der Session ist die Mix-Print-Spur, die als 4.2 markiert ist. Früher dauerte ein Recall auf einem SSL zwei Stunden, also hat man das nicht so oft gemacht. Aber heute muss man mit endlosen Änderungswünschen rechnen. Wenn du endlich all diese minutiösen Änderungen durchgeführt hast, bist du manchmal mehr als 50 Versionen des Mixes weiter. Mich zieht es herunter, wenn ich eine Mix-Spur sehe, auf der steht ›Mix 42‹. Also gehe ich gern eine Dezimalstelle zurück, weil es sich viel positiver liest. ›Mix 4.2‹ ist doch recht beruhigend: Hey, wir haben es in vier Mixen erledigt! Auch wenn es tatsächlich 42 Male waren, dass man vor und zurück ging und winzig kleine Dinge geändert hat.«

Letzteres ist anscheinend eine der vielen Strategien, mit denen Ralph die digitale Welt und die durch sie ermöglichten Arbeitsweisen humanisiert, ebenso wie auf technischer Ebene die Kombination mit Analogem und auf musikalischer die Mischung verschiedenster Genres und Sounds. Der Erfolg gibt ihm Recht: Die Würze und die Vielfalt, Ergebnisse seiner Arbeitsweise, erobern weiterhin die Welt im Sturm.

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