Mixpraxis: Sky Adams produziert Kylie Minogues Golden
von Paul Tingen; Übersetzung: Konrad Feuerstein ,
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Kylie Minogues 14. Studioalbum war bei der Kritik ebenso erfolgreich wie bei den Käufern. Veröffentlicht im selben Jahr, in dem sie ihren 50. Geburtstag feierte, erreichte Golden die Nummer 1 der Charts im UK und in Australien, schaffte die Top 10 in vielen anderen Ländern und wurde wegen Minogues ehrlicher Texte für seine »Authentizität« ebenso wie für seine musikalische »Experimentalität« gepriesen. Letztere war der großen Leitidee des Albums geschuldet, nämlich Dance, Disco und Synthiepop − jene Genres, in denen Kylie Minogue heimisch ist − mit Country zu fusionieren.
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Wenn ein erfahrener Popstar nach mehr als drei Dekaden Karriere also zum ersten Mal im Leben Country erkunden möchte, an wen wird sie sich wenden? In Minogues Fall an einen Producer nigerianisch-deutscher Abstammung, der in London lebt und auf urbane Dance-Grooves spezialisiert ist. Ist ja logisch, an wen auch sonst! Minogue hat aber tatsächlich viel Zeit in Nashville verbracht, wo sie mit etablierten Songwritern und Produzenten gearbeitet hat, die für ihre Country-Einflüsse bekannt sind, wie etwa Nathan Chapman, Liz Rose und Steve McEwan.
Unter den rund 20 Songschreibern und Produzenten jedenfalls, die in den Album-Credits gelistet werden − darunter bekannte Namen wie Richard Stannard, Ash Howes, Eg White und Mark Taylor − sticht der Name von Sky Adams heraus. Er hat acht der 16 Stücke produziert, die auf der Deluxe-Edition des Albums enthalten sind, und sieben davon mitkomponiert − der eine, den er nicht mitkomponiert hat, ist die erste Single Dancing, die Minogue mit Chapman und McEwan geschrieben hatte. Adams hat mehr Produktions- und Kompositions-Credits als irgendjemand der übrigen Kollaborateure auf dem Album, und wenn man bedenkt, dass er zumindest auf den ersten Blick so wenig für Country steht wie überhaupt nur möglich, wird klar, dass bei der Arbeit an Golden irgendetwas Ungewöhnliches ablief.
Erstkontakt
Was also ging dort vor sich? Sky Adams berichtete uns via Skype aus seinem neuen Studio im Londoner Queens Park von seiner ungewöhnlichen Kollaboration mit Kylie Minogue. Einer Pressemitteilung zufolge war die »Country meets Dance«-Ausrichtung von Golden die Idee von Minogues langjährigem A&R-Manager Jamie Nelson. Den ersten Kontakt zwischen Minogues Team und Adams hatte Nelson über Will Blake vom Sound Collective hergestellt, einer Londoner Management-Company für Künstler, Produzenten und Songschreiber, bei der auch Adams unter Vertrag ist.
»Vor einem Jahr arbeitete Jamie [Nelson] mit einem anderen Künstler namens Earl«, erinnert sich Adams, »und sie haben nach Singles Ausschau gehalten. Also hat er Will [Blake] kontaktiert, der mich vorschlug. Ich habe ein wenig an dem Projekt gearbeitet und dann Monate nichts von Jamie gehört. Bis November 2017, als ich einen Anruf bekam, sie suchten noch eine Single für ein Album von Kylie, das größtenteils in Nashville aufgenommen wurde und ansonsten weitgehend eingetütet war. Die Idee war, dass ich eine oder zwei Sessions mit Kylie in meinem Studio abhalte, um zu sehen, was wir zustandebringen würden.
Am Tag vor der Session schickte Jamie mir Dancing und sagte ›Zeig uns mal, was du aus diesem Song machen kannst!‹ Ich hörte es mir an, nahm die komplette Produktion aus Nashville weg, behielt Kylies Vocals, beschleunigte sie ein wenig, baute ein neues Arrangement und schickte es zurück. Sie meinten: ›Oh Gott, das ist ja fantastisch!‹ Als Kylie im Studio ankam, war sie sehr gespannt. Wir hatten dann die zwei Sessions, danach haben sie vier weitere Sessions gebucht, und so ging es immer weiter. Letztlich ist sie einen ganzen Monat geblieben, und wir haben elf oder zwölf Songs aufgenommen! Danach habe ich einige Wochen damit verbracht, die Sachen zu mixen.«
Vom Rapper zum Producer
Offensichtlich ist etwas Magisches in Adams Studio passiert, damals noch im Ost-Londoner Shoreditch. Wenn Adams die Geschichte erzählt, wird deutlich, dass das ganze Konzept »Country meets Pop/Dance« ein herausfordernder Balanceakt war, der ständig zwischen den Extremen oszillierte und erst in Adams Studio gelöst wurde. Um besser zu verstehen, was Adams in das Projekt eingebracht hat und warum gerade sein Background in urbanen Musikstilen anscheinend geholfen hat, einige knifflige Rätsel zu lösen, müssen wir in die Geschichte des Mannes eintauchen. Adams beginnt am Anfang …
»Mein Vater ist Nigerianer und meine Mutter Deutsche. Ich habe die ersten zehn Jahre meines Lebens in Nigeria verbracht, dann sind wir nach Deutschland gezogen, zwischen Aachen und Köln. Mit 17 bin ich nach London gezogen, um es dort als Rapper zu schaffen. Mit 21 habe ich gelernt, Gitarre zu spielen, weil ich es cool fand, ein Gitarre spielender Rapper zu sein, und ein paar Jahre habe ich in einer Band namens Life Imitates Art gespielt. Es lief ganz gut, aber ich habe gleichzeitig daran gearbeitet, Beats zu bauen, und am Ende musste ich entscheiden, ob ich mich schwerpunktmäßig der Band oder der Produktion widme. Ich habe mich für Produktion entschieden.«
Adams (der seinen bürgerlichen Namen übrigens als »unaussprechlich« einschätzt) fing vor etwa zehn Jahren an, mit DAWs zu arbeiten − etwa zur selben Zeit, als er auch begann, Gitarre zu spielen −, und sowohl die Gitarren- als auch die Beatmaking-Skills erwarb er nach eigenem Bekunden zum großen Teil, indem er YouTube-Videos ansah. Irgendwann gelang es ihm, von Phrased Differently gesignt zu werden, einem im UK führenden unabhängigen Musikverlag, und vor knapp vier Jahren wurde er vom Sound Collective übernommen, die er als hilfreich für seine weitere Producer-Karriere einstuft.
»Ich habe alle Tiefs des Studiogeschäfts erlebt. Jedes Mal, wenn jemand sich nicht zurückmeldet, muss man sich aufraffen dranzubleiben und darauf vertrauen, dass sich eine neue Tür öffnet, wenn eine Tür zugeht. Nachdem ich gesignt wurde, habe ich viele Jahre lang mit tonnenweise In-House-Künstlern gearbeitet, einfach bezahlte Jobs gemacht, um im Geschäft zu bleiben. Es gab ein Jahr, in dem ich zwei Sessions am Tag abgehalten habe, und keines der Stücke, die ich produziert hatte, ist veröffentlicht worden. Ich habe mich gefragt, was denn hier abgeht!
Irgendwann habe ich gelernt, lieber smarter zu sein als immer härter zu arbeiten, und dass es darum geht, sorgfältig auszuwählen, an welchen Projekten ich arbeite, und die Songs dann zu kontrollieren, nachdem sie das Studio verlassen haben, um sicherzustellen, dass etwas aus ihnen wird. Manche Leute verbringen Tage damit, an einem Song zu arbeiten, schicken ihn weg und bekommen keine Rückmeldung. Ich habe irgendwann gelernt sicherzustellen, dass die Songs so umwerfend sind, bevor sie mein Studio verlassen, dass ich immer eine Rückmeldung bekomme. Und dann habe ich nachgeliefert.«
Adams führt seine Fähigkeit, Stücke »umwerfend« klingen zu lassen, zum Teil auf seine Entscheidung zurück, Gitarre spielen zu lernen. »Das war das Beste, was ich in meinem Leben getan habe. Bevor ich Gitarre spielen konnte, wusste ich nichts über Musik, nicht einmal, was Akkorde sind! Die meisten Dinge, die ich heute mache, könnte ich nicht, wenn ich nicht Gitarre spielen würde. Ich habe dann auch Keyboard spielen gelernt. Wenn man Noten nur auf einem Bildschirm anklicken kann, landet man damit vielleicht einen Hit, aber was macht man danach? Man bleibt eben sehr eingeschränkt in seinen Möglichkeiten.«
Adams Fähigkeit, ›traditionelle‹ Instrumente zu spielen und also in einer Vielzahl von Musikgenres zu arbeiten, hat ihm offensichtlich sehr geholfen, im Rahmen der Arbeit an Minogues Golden Country zu erkunden und zu integrieren. Hinzu kommt, wie er sagt, dass seine Arbeitsmethoden ihm ermöglichen, sehr schnell zu arbeiten und die Atmosphäre in den Mittelpunkt zu stellen. Adams zufolge sind beide Fähigkeiten essenziell für die Arbeit mit anderen Künstlern und waren auch entscheidend für seine Arbeit mit Minogue.
»Ich glaube, ein wesentlicher Grund, warum sie in mein Studio gekommen sind, ist, dass ich ein Vibe-Typ bin. Ich bin ein geselliger Mensch, und für mich bedeutet Produktion nicht nur, an einem Computer zu sitzen und einen Beat zu bauen, sondern es geht darum, was im ganzen Raum passiert. Bei einer Session geht es darum, eine Atmosphäre im Studio zu kreieren, und man sagt, darin wäre ich gut. Ich achte darauf, dass es im Studio entspannt abläuft, und das haben sie geliebt. Ich schaffe einen Track am Tag. In vier bis fünf Stunden bekomme ich ein Stück zu 90 % fertig, danach stehen nur ein paar kleinere Tweaks an.
Am wichtigsten ist es, den Flow am Laufen zu halten. Für Künstler gibt es nichts Nervigeres, als mit einem Producer im Studio zu sein, der nur damit beschäftigt ist, Knöpfe zu drücken oder am richtigen Kickdrum-Sound zu schrauben. Sowas unterbricht den Fluss. Ein Instrument spielen zu können, hilft sehr, den Fluss aufrecht zu erhalten, außerdem ermöglicht es mir, mich auf unterschiedliche Arten am Songwriting zu beteiligen. Ich bekomme schneller ein Gefühl für den Song, wenn ich Gitarre spiele. Wenn ich an Popmusik arbeite, spiele ich Gitarre bei ungefähr 50 % der Songs, die ich zu komponieren helfe. Zum Beispiel haben wir Zak Ables Song Unstable mit einer Gitarre begonnen, und die hat sich als genau richtig herausgestellt.
Wenn man Gitarre spielt, ist es auch einfacher, mit anderen Leuten im Raum zu komponieren − oft schreiben wir alle an Texten und Gesangsmelodien. Ich nehme diese frühen Ideen oft mit einem Handy auf. Ich entwickle SongIdeen gern, bis wir eine Strophe und einen Refrain haben, und wenn deren Form einmal so halbwegs steht, lade ich sie in den Computer und fange an, an Arrangement und Produktion zu arbeiten. Während ich damit beschäftigt bin, sitzt jemand anderes vielleicht schon an der zweiten Strophe, und so weiter, und wenn diese Sachen fertig sind, bin ich schon mit der Produktion durch, und kurz danach ist der Song fertig.
So habe ich auch mit Kylie gearbeitet. Verschiedene Songschreiber kamen in verschiedenen Arbeitsabschnitten dazu. Ich schätze, für Kylie und ihr Team geht es um das Gesamtpaket: Der Vibe und die Geschwindigkeit, mit der ich arbeite, ebenso wie mein Ansatz, Vocals aufzunehmen. Manche Leute verbringen vielleicht einen ganzen Tag damit, eine Idee für einen Song festzunageln, und dann sagen sie: ›Lass es uns morgen fertigstellen.‹ Aber für mich ist es sehr wichtig, jeden Tag einen Song fertig zu bekommen. Überhaupt ist es das Wichtigste, Stücke zu Ende zu bekommen. Es ist egal, ob deine Idee supertoll oder nur okay ist − sobald du sie zu Ende gebracht hast, kannst du immer darauf zurückgreifen und entscheiden, was noch verbessert werden muss. Ideen zu Ende zu bringen, zeugt von Professionalität.«
Die richtige Balance
Die wesentliche Herausforderung bei der Arbeit an Golden war es, die richtige Balance zwischen den neuen Country-Elementen und Minogues musikalischen Wurzeln zu finden. Wie die Sängerin selbst in einem Pressetext schrieb: »Es sollte poppig genug bleiben, um für mich authentisch zu sein, aber Country-mäßig genug, um auf diesem Album einen neuen Sound zu haben.« Sie hatte aber auch regelmäßig gedacht: »Das ist toll, aber zurück in der echten Welt − also meiner echten Welt − wie wird das funktionieren?« Zu dem Zeitpunkt, als Nelson auf Adams zukam, lag allem Anschein nach das Gefühl in der Luft, dass mit der Balance dieser Elemente etwas noch nicht stimmte. Für Adams allerdings erforderte das Projekt mehr, als nur das Country-Feeling mit ein paar urbanen Beats zu ergänzen. Tatsächlich hat die Herausforderung, auf ganz verschiedene Arten Urban und Country zu integrieren, einen echten Enthusiasmus bei ihm herausgekitzelt.
»Aviciis Wake Me Up hat die Leute für Country-Einflüsse in elektronischer Musik geöffnet. Ich mochte es, aber ich habe mich nie eingehender damit befasst. Als Jamie mich kontaktierte, erzählte er mir natürlich, dass sie in die Country-Richtung gegangen waren, aber das Ding bei mir ist, dass ich Musik nicht kategorisiere. Ich sehe Musik einfach als Muster. Alles ist immer verbunden, und ob ich nun mit Reggae oder Dance oder Country arbeite − ich sehe rhythmische Muster und Feels, die sich jeweils geringfügig voneinander unterscheiden, mit denen man sich aber immer verbinden kann. Genau genommen liebe ich Herausforderungen und neue Klänge zu kreieren, daher war es aufregend, mit Country zu arbeiten. Ich habe mich gefühlt wie ein Kind im Bonbongeschäft, mit Zugang zu all diesen Sachen, mit denen ich noch nie zuvor gearbeitet hatte, wie Slidegitarren und Banjos! Ich würde herumexperimentieren und viel Spaß haben!«
Obwohl Minogues Team den Dance-Country-Hybriden liebte, zu dem Adams Dancing formte, gab es in der weiteren Arbeit am Album durchaus ein paar haarige Momente. »Ich hatte immer wieder Jamie am Telefon«, erinnert sich der Producer, »der mir sagte: ›Zu viel Country!‹, und sich später wieder meldete, um zu sagen: ›Zu viel Dance!‹ Das Ganze war eine große Sache, also waren alle sehr darauf erpicht, die richtige Balance zu finden. Gegen Ende, kurz bevor wir zum Mixen übergehen wollten, bin ich dann gebeten worden, alles, was wir gemacht hatten, im Country-Stil zu überarbeiten. Das hat mich erstmal runtergezogen, aber Kylie und Danny [Shah] haben mich wieder aufgegabelt, und daraufhin habe ich für ein Wochenende nur Dolly Parton aufgesogen. Ich habe all ihre Alben heruntergeladen, und mich stundenlang irrsinnig in nichts als Jolene vertieft! Anschließend ging ich zur Arbeit und legte zusätzliche Banjos, Slidegitarren usw. drauf. Ich drehte alles so, dass es super-countryesk wurde. Und bekam dann einen Anruf, in dem es hieß: ›Zu viel Country, Kumpel, zu viel Country!‹, also griff ich auf das zurück, was wir vorher schon hatten!«
Studio-Wizard
Wie oben erwähnt, fand all das in Adams Studio statt, wo er mit einem sehr zeitgemäßen Setup arbeitet. »Ich habe einen sehr simplen Aufbau in meinem neuen Studio: einen Mac mit Logic Pro, einen Avalon VT-737SP MikrofonPreamp/Kompressor, der super für Vocals ist, eine Apollo Twin MK II Soundkarte, Focal CMS65-Monitore und nur ein Mikrofon, ein Aston Origin. Das Aston ging direkt in die Apollo, fertig! Ich bin in mein neues Studio im Queens Park umgezogen, weil ich mehr Platz brauchte. Inzwischen laufen bei mir auch andere A-Liga-Künstler durch, und die Leute mögen es, durch den ganzen Raum tanzen zu können!
Ich werde auf Focal Trio-6-BE-Monitore aufstocken, weil sie größer sind und mehr Wumms und Tiefe haben. Aber die Focals sind alles, was ich brauche. Ich brauche nicht Tonnen verschiedener Monitore. Es geht nur um persönlichen Geschmack. Wenn es gut klingt, ist es gut. Natürlich muss man seinen Raum und seine Lautsprecher kennen, und auch ich höre Sachen zusätzlich auf meinem Laptop, im Auto und an anderen Orten. Aber man kann alles auf allen Lautsprechern mixen, so lang man weiß, was man gerade hört.
Ich habe auch vor, mir etwas Outboard-Equipment zuzulegen, wie Neve-Kompressoren und solche Sachen. Beim Aufnehmen ist es schwierig, einen guten Outboard-Kompressor virtuell zu ersetzen. Die Qualität, die ich mit dem Avalon bei Vocal-Aufnahmen bekomme, ist schon überwältigend. Aber sonst interessieren mich die Signalketten, die ich in the box mit Plug-ins bekomme, größtenteils mehr als Outboard. Obwohl ich mit Standard-Templates und typischer Vocal-Signalkette arbeite, gehe ich ziemlich experimentell mit Plug-ins vor, ich spiele viel mit Distortion und Overdrive herum. Ich kann auch ohne Outboard so ziemlich jeden Sound bekommen, den ich will.«
Während des Monats, den Minogue in Adams Studio war, spielte der Londoner Producer eine bemerkenswerte Vielzahl unterschiedlicher Rollen: Er betätigte sich als Songschreiber, Engineer, Vocal-Coach, Programmierer, Produzent, Mixer und allgemeiner Stimmungs-Manager. Als Quelle, aus der er viele dieser Fähigkeiten erworben hat, verweist er wie der auf YouTube ebenso wie auf die unzähligen Sessions, die er über die Jahre mit anderen Producern bestritten hat: »Ich habe alles aufgesogen. Man sammelt Erfahrung, und die Ohren entwickeln sich, sodass man mehr und mehr von den Details wahrnimmt. Wenn man heute Demos an Labels schickt, muss schließlich alles schon quasi pressreif klingen. Das bedeutet, dass ich all diese Fertigkeiten lernen musste − komponieren, arrangieren, aufnehmen, mixen und produzieren − und mit allem schnell und praxisorientiert sein muss!«
Zum Thema Vocal-Coaching und -Aufnahme erläutert Adams: »Ich bitte den Sänger oder die Sängerin meistens um zehn Takes von jeder Passage des ganzen Songs, und wenn nötig, nehmen wir nochmal zehn Takes auf. Ich compe [d. h. in diesem Kontext: selektiere die tatsächlich verwendeten Ausschnitte aus den Takes; Anm. d. Übers.], während wir aufnehmen, deshalb ist am Ende der Aufnahmen alles schon ziemlich poliert. Ich ändere danach vielleicht noch Kleinigkeiten, aber das ist alles. Es spart Zeit, direkt bei der Aufnahme zu compen, und dadurch lässt man den Künstler nicht warten. Wenn ich an Vocals arbeite, suche ich vor allem Aufrichtigkeit und Echtheit. Es soll ja nicht gezwungen klingen!
Man muss auch mal sagen können: ›Genug! Wir haben, was wir brauchen!‹ Man verbringt sonst Stunde um Stunde damit, sich in Details zu verzetteln, die niemand je heraushören wird. Man muss wissen, wann es gut ist. Generell sollte man bei der Produktion ein gewisses Maß an Selbstvertrauen haben, Fehler zuzulassen und das Gefühl zu fokussieren. Ein paar Fehler müssen drinbleiben, denn wenn man Unperfektheiten zu sehr ausbügelt, nimmt man den Dingen ihr Leben. Manchmal, wenn eine Gitarre perfekt platziert ist, verschiebe ich sie ein wenig. Oder ich lege irgendwo ein zufällig ausgewähltes Plug-in drauf, das den Sound durcheinanderbringt. Wenn man so etwas nicht tut, klingt es nur wie alles andere auch. Ich will immer davon weg, dass die Sachen zu sauber klingen. Wenn man experimentiert, hat die Musik mehr Charakter.«
Mixing
Adams Neuerfindung von Dancing hat definitiv Charakter, und einer der Gründe dafür ist, dass es an den Kanten etwas ungeschliffen ist. Was auch zum Thema des Songs passt: Mit der Refrainzeile »When I go out / I wanna go out dancing« ist der Song zwar auf den ersten Blick eine eher oberfläch – liche Hymne auf Clubbing und Nachtleben, dem eine superpolierte Produktion durchaus angemessen wäre. Wenn aber die dritte Strophe Zeilen enthält wie »When the final curtain falls / We could say we did it all«, wird klar, dass Minogue vielmehr ihre Vergänglichkeit und ihren Wunsch, das Leben bis dahin mit erhobenem Haupt mitzunehmen, thematisiert. Im Fall von Dancing inspirierten diese Dinge Adams auch dazu, das Tempo etwas anzuheben, um sicherzustellen, dass nichts Schwülstiges in dem Song mitschwingt.
Adams nahm Minogues Vocals zwar für alle anderen Stücke, an denen er mitarbeitete, in seinem Shoreditch Studio auf, aber im Fall von Dancing entschied er, das komplette 27-spurige Vocal-Arrangement beizubehalten. Hier kamen Adams Engineering-Skills ins Spiel, als er sein Aston-Mikrofon auf Michael Stockwells Akustikgitarre richtete. Ansonsten aber wurde das Arrangement in Logic konstruiert, mithilfe von Instrumenten und Samplern wie Native Instruments Kontakt 5 und Massive, Logic EXS24, Spectrasonics Stylus RMX und SampleScience Nostromos.
Die finale Logic-Session von Dancing besteht aus − nach heutigen Maßstäben − bescheidenen 54 Audiospuren. Zusätzlich gibt es einen Template-Vocal-Bus, zwei Reverb-Busse (einen mit Toraverb und einen mit Logic Space Designer), einen Kylie-Vocal-Bus und eine Masterspur mit Ozone 8. Ungewöhnlicherweise hat Adams die Spuren in seinen Sessions mehr oder weniger so sortiert, wie man Musik hört, d. h. Vocals ganz oben, Instrumente in der Mitte und Drums darunter, mit der Kickdrum ganz unten. Darunter liegt nur noch der Subbass.
»Für mich hat sich herausgestellt, dass alles besser wird, wenn ich die Vocals nach oben lege und den Mix damit beginne«, kommentiert Adams. »Schätzungsweise 90 % meines Mixes nehme ich schon vor, während ich das Stück aufnehme, arrangiere und programmiere. Ein Grund für diese Routine ist, dass ich damals während meines Studiojobs so viele Songs unter solchem Zeitdruck bearbeitet habe. Manchmal hatte ich nur einen Tag, um zehn Songs fertig zu bekommen, also nur eine Stunde pro Song! In dieser einen Stunde mussten mir alle denkbaren Sachen einfallen, womit ich den Song verbessern könnte. Das bedeutete, dass ich schon vorher, während der Session, an so viel wie möglich denken musste, damit schon fast alles erledigt ist, wenn ich ein Stück später zu Ende bearbeite.
Ich habe immer noch Plug-in-Presets und Templates, um schneller arbeiten zu können, und sitze normalerweise nach wie vor nur ein bis zwei Stunden an einem Mix. Im Fall der Mixe für Kylies Album hat mir Savvas geholfen (ein Producer und DJ, der ebenfalls beim Sound Collective unter Vertrag ist), der ein zweites Paar Ohren mitbrachte. Auch beim Mixen ist mir das Gesamtgefühl sehr wichtig. Ich höre mir nur selten einzelne Spuren an, sondern neige dazu, mit allen Bestandteilen zugeschaltet zu arbeiten, auch wenn ich vielleicht mal sehr schnell durch die einzelnen Spuren klicke, um zu hören, was gut klingt und was nicht so. Mein wesentlicher Fokus ist Ausgewogenheit, und wenn etwas matschig klingt, räume ich es mit dem EQ auf.«
Vocals
Adams begann seine Erläuterungen mit einem detaillierten Bericht darüber, was er aus Minogues Stimme gemacht hatte. Auf einigen der einzelnen Vocal-Spuren liegt zwar AutoTune, aber keine anderen Plug-ins, da alle weiteren Bearbeitungen auf dem Kylie-Vocal-Bus liegen. »Die Vocal-Spuren, die ich bekam, waren schon ziemlich weitgehend gecompt und gestimmt. AutoTune habe ich eher als Effekt dazugegeben: Es gibt der Stimme einen gewissen Glanz. Alle benutzen heute AutoTune, und das hat definitiv mit diesem Glanz zu tun, den es den Vocals gibt.
Meine Vocal-Signalkette auf dem Kylie-Bus beginnt mit einem Logic Channel EQ mit Hi-Pass bei 69 Hz, außerdem booste ich bei 285 und 3.100 Hz. Dahinter liegt als Nächstes das Waves CLA Vocals, mit dem ich auch wieder ein paar Höhen booste und etwas Kompression dazugebe, dazu etwas Hall − insgesamt werden so die Vocals ein wenig unterstützt. Das dritte Plug-in ist das Waves Butch Vig Vocals. Mit De-Esser und Kompression jeweils bei 50 % gibt es etwas Präsenz und Luft dazu, was beides die Stimme definierter klingen lässt. Aus irgendeinem Grund gibt das Butch Vig eine schöne Sättigung und Klarheit auf die Vocals, aber für mich funktioniert es nur mit dem Aston-Mikrofon. Mit jedem anderen Mikrofon, das ich benutzt habe, klingt es tendenziell zu verzerrt.
Das nächste Plug-in ist ein Waves dbx 160 für etwas mehr Kompression, dann der Waves SSL G-Master Buss Compressor, eingestellt auf Ratio: 2, Attack: 1 und Release: 3. Dann der Waves C4 Multiband, eingestellt auf das Pensado-Preset, sodass er oberhalb von 8 kHz anhebt. Noch mehr Höhen kommen vom Waves API 560 EQ, bevor es dann in den Waves RVox [Renaissance Vox] mit einer Kompression von 4,2 geht. Ich finde, der RVox hilft wirklich, die Stimme nach vorne zu holen.
Das Reverb, das ich hauptsächlich in dieser Session benutzt habe, am meisten für die Vocals, ist Toraverb − überhaupt mein Lieblings-Reverb. Es ist echt schwierig, ein gutes Reverb zu finden, aber dieses liebe ich total, und ich setze es für fast alles ein. Es hat einen wunderbaren Ausklang und funktioniert einfach wirklich gut. »Crystal Cave« ist eines meiner liebsten Presets; ich benutze es hauptsächlich für Vocals. Es macht mir zwar nichts aus, dasselbe Reverb für alles zu benutzen, aber zusätzlich verwende ich manchmal Logics Space Designer, das auch einen tollen Klang hat und einen herrlichen Ausklang, den man voll aufdrehen kann. Das letzte Update, Chronoverb, ist großartig.«
Instrumente
Bei den Instrumenten angekommen, sprach Adams viel über die Akustikgitarren in Dancing, die eine Country-Melodie spielen, dabei aber mit starken mittleren Frequenzen und etwas Distortion eigentlich nicht sehr nach Country klingen, sowie über die Piano-Spur und die Spur mit Minogues Vocal-Chops. »Ich habe diese Chops aus ihren VocalSpuren gebaut«, erklärt Adams. »Dafür habe ich [den LogicSampler] EXS24 benutzt. Er chopt die Vocals automatisch für dich, was ein ziemlich cooles Feature ist. Und was die Gitarren betrifft … yeah, es ist nicht gerade der klassische Nashville-Sound, oder? Aber Jamie [Nelson] liebte das wegen des rohen Sounds und der Distortion, die ich ebenfalls auf Kylies Vocals gelegt hatte. Ich hätte die Gitarre glattpolierter klingen lassen können, aber ich wollte, dass sie etwas kantig bleibt.
Die Plug-in-Kette, die ich auf die Akustikgitarren-Spur gelegt habe, besteht aus dem Logic Channel EQ, der hauptsächlich Mitten und Höhen dazugibt, dem Waves CLA Guitar, den Logic-Plug-ins Overdrive und Space Designer, dazu noch Kickstart, entwickelt von Cableguys und Nicky Romero. Das Overdrive ist spitze, um Drums fetter klingen zu lassen, und es funktioniert auch für Gitarren. Ich liebe auch das Kickstart-Plug-in. Es imitiert einen Sidechain-Effekt, um diesen pumpenden Sound zu bekommen und damit Rhythmus dazuzugeben. Das ist ein EDM-Standard-Effekt, den ich für alles benutze. Super dope! Da ich es nicht mag, wenn Gitarren zu straight klingen, benutze ich es auch dafür. Man kann beim Kickstart verschiedene Arten rhythmischer Effekte einstellen, und ich wechsle gern den Rhythmus bei jedem Part, für den ich das Plug-in benutze.
Es gibt auch ›Fake‹-Gitarren in der Session, für die ich das ziemlich geile Gitarren-Plug-in aus Kontakt benutzt habe. Ich habe sie unter die echte Gitarre gelegt, nach rechts geschoben und Michaels Gitarre nach links. Auf Letztere habe ich einen High-Pass gelegt, sodass der Großteil der tieferen Frequenzen von der Sample-Gitarre kommen. Das Piano ist auch aus Kontakt, auch wieder mit Channel EQ, dazu den D16 Group Devastor, der toll ist für Dreck auf den Keyboards. Außerdem hatte ich den Kickstarter auf dem Piano, und den Logic Exciter. Ebenso hat die hauptsächliche Synth-Spur den Channel EQ, den Devastator und den Kickstart drauf, auch hier für mehr Bewegung im Sound.
Auf den Drum- und Percussion-Spuren liegt nicht viel, abgesehen vom Channel EQ und vom Space Designer Reverb. Übrigens, Sonic Academy Kick 2 ist super für EDM-Kickdrums. Es hat diese eine Kick, die überall funktioniert! Hier ein Geheimtipp, den noch niemand kennt: Geh zu den Einstellungen, finde die Pop-Kicks, und eine davon namens »Car« ist perfekt − du musst nur noch etwas Bass wegnehmen. Das ist meine Go-to-Kickdrum für alles. Man kann in dem Plug-in auch Transienten einstellen. Es hat auch eine supercoole Trap-Kickdrum mit dem perfekten ›Boom‹, d. h. mit jeder Menge Subbass.
Ich habe alle Parts auf den Keyboards eingespielt, und ich tippe auch Drums ein. Aber für Drums finde ich auch gern fertige Loops, die schon schön rund klingen und das richtige Feeling haben. Es gibt also auch einen Drumloop in diesem Stück. Ich beziehe meine Loops meistens von splice.com, das ist echt die Zukunft. Du kannst dort alles bekommen, was du willst. Als ich neulich Bollywood-Gesangsaufnahmen gemacht habe und feststellen musste, dass ich keine indischen Samples und Loops hatte, habe ich das einfach bei Splice eingetippt, und bekam sofort eine Tonne Kram vorgeschlagen. Es ist beeindruckend!«
Master-Bus
»Ich habe nur [die Plug-in-Mastering-Suite] iZotope Ozone 7 auf dem Master-Bus, die ein kleines bisschen Limiting macht. Ich mag den Klang der Ozone. Ich habe mal Mixe verschickt, für die ich sie nicht benutzt habe, und als sie vom Mastering zurückkamen, klangen sie seltsam, also lasse ich jetzt einfach immer die Ozone an. Ich drehe sie nicht zu weit auf, es geht mir wirklich nur um ihren Klang. Ozone 7 und 8 sind weitgehend gleich, aber 8 hat einen leicht veränderten Sound, also werde ich meine Ohren darauf einstellen müssen.«
Minogues Golden ist mit Abstand das profilträchtigste Projekt, an dem Adams bislang gearbeitet hat. Hat es seine Bekanntheit gefördert? »Absolut«, antwortet er enthusiastisch. »Das Telefon klingelt ständig, und ich tue mein Bestes, um die Anfragen so zu jonglieren, dass ich nicht zu viel annehme! Es ist ganz anders als in dem Karrierestadium, in dem ich das Gefühl hatte, nur zu treiben, und mich fragte, warum ich nirgendwo ankomme. Mein Manager Will hat seitdem wirklich viele Türen geöffnet. Glaub mir, das ist es, worum es geht: Jemanden da draußen zu haben, der an dich glaubt und bereit ist, sich hinzustellen und dich als das nächste große Ding zu verkaufen. Und dann musst du natürlich entsprechend abliefern! Für die Arbeit an der Kylie-Platte hätte ich es, ehrlich gesagt, geliebt, ein ganzes Jahr für das Album zu haben. Das wäre fantastisch gewesen, aber ich hatte nur einen Monat. Wie dem auch sei, es ist ziemlich gut geworden und eine Nummer 1 obendrein!«
Im Moment hebt Adams Karriere richtig ab. Es wird spannend, wie weit er sie bringen kann, aber angesichts des Talents, das er schon gezeigt hat, gibt es nach oben wohl keine Grenze.