In den letzten 30 Jahren haben sich die Produktions- und Vermarktungs-Bedingungen für Musiker grundlegend geändert. Moderne Computer-Programme und Social-Media-Plattformen sorgten zunächst für eine willkommene Unabhängigkeit für freischaffende Künstler.
Jeder von uns kennt solche Erfolgsgeschichten wie etwa die von Justin Bieber, der als Halbwüchsiger zuhause mit der Gitarre auf dem Bett saß und in sein iPhone sang. Er stellte den Beitrag ins Netz und wurde prompt „entdeckt“ – das heißt bereits sehr einflussreiche Influencer teilten den Beitrag und sorgten so für weltweite Verbreitung. A star was born!
Anzeige
In kürzester Zeit hatte Bieber genügend Follower, dass auch die Industrie auf ihn aufmerksam wurde und den Teenager unter Vertrag nahm. Doch solche Beispiele sind rar. Jeden Tag erscheinen zigtausend Longplayer, dazu noch ebenso viele Tutorials oder kurze Reels mit künstlerischen Beiträgen. Auf Facebook, YouTube und Instagram ist da buchstäblich die Hölle los. Heute kann jeder zuhause am Rechner mit einer DAW (Digital Audio Workstation) auf Studio-Niveau Aufnahmen erstellen, die sich hören lassen können.
Die Corona-Zeit hat diese Auswüchse enorm beschleunigt, denn die meisten Musiker konnten ja nicht mehr live spielen. Also produzierten sie zuhause Musik und drehten gleich noch ein Video dazu. Kameras mit 4K-Auflösung sind ebenfalls preiswert geworden, und Scheinwerfer gibt es bei Amazon bereits ab 19 Euro. Fertig ist das Produktionsstudio. Da sich Tonträger in Form einer CD kaum noch verkaufen lassen, da die meisten Nutzer nicht einmal mehr einen CD-Player besitzen, muss natürlich eine Homepage mit Vermarktungs-Tools her. Dort kann man die Songs dann runterladen. Oder man nutzt iTunes oder Spotify, um nur zwei der zahlreichen Anbieter zu nennen. Dass sich damit kaum Geld verdienen lässt, brauche ich hier sicher nicht mehr auszubreiten.
Digitale Einzelkämpfer
Wozu also das Ganze? Ganz einfach: Musiker zieht es seit jeher in die Öffentlichkeit. Man möchte einfach ein Publikum und natürlich Fans generieren.
Das Netz entpuppte sich in den letzten 20 Jahren als vermeintlich ideales Vermarktungsinstrument. Ohne Follower scheint ein Künstler keine Daseinsberechtigung mehr zu haben. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob man dort Witze erzählt, Schminktipps gibt, seine Tagesabläufe verfilmt, Kochrezepte verteilt oder Musik macht. Hauptsache Aufmerksamkeit. DEN Musikmarkt gibt es nicht mehr. Oft sind die Künstler selbst Multitask-Talente. Sie erscheinen in Spielshows, im Dschungelkamp, bei Let’s Dance und als Modedesigner und machen dann irgendwann eben auch noch Musik. Nebenbei vermarkten sie dort ihr Privatleben und ihre Dating-Gewohnheiten. Ab so und so viel Followern ist man automatisch ein „Promi“, der dann auch nach Lust und Laune Content erzeugen darf, gleichgültig ob das dann auch eine gewisse Qualität hat. Und offenbar ist die digitale Netzwelt der einzige Score für den Grad der Berühmtheit. Überflüssig zu erwähnen, dass die eine oder andere Musikperle dabei auf der Strecke bleibt. Was geschieht zum Beispiel, wenn man einfach „nur“ gute Musik produziert? Irgendwo habe ich gelesen, dass täglich 60.000 (!) Songs veröffentlicht werden. Wie soll man sich da noch eine Öffentlichkeit verschaffen? Noch dazu wenn man nicht eine bizarre Optik als Show-Effekt vor sich herträgt. Kurzum: Das Netz „der Freiheit“ ist eine Illusion geworden. Man muss Marketing-Stratege werden und die Parameter für die Selbstdarstellung beherrschen. Und das tun die wenigsten.
Und die, die dort das Sagen haben, tun das längst nicht mehr alleine. Auch dort werden die auffälligsten Netzarbeiter von Firmen umworben, die reichlich nachhelfen. Vor allem aber muss man in immer kürzer werdenden Zeitfenstern nachlegen. Zwei Wochen ohne Content im Netz können bereits dafür sorgen, dass man weg vom Fenster ist.
Die Mehrzahl der Netzkünstler sind längst einsame Einzelkämpfer, die aus der berüchtigten „stillen Kammer“ heraus ihr Glück versuchen. Vielleicht wird man ja auch wie einst Justin Bieber entdeckt und startet auf diesem Weg eine sagenhafte Karriere. Bis dahin muss man jeden Cent umdrehen, Kosten sparen und sich irgendwie über Wasser halten. Auch die Band spart man sich. Die kann man nicht mehr bezahlen. Also macht man auch die Musik ganz alleine. Es gibt ja genügend Programmier-Tools und bald schon KI, die mühelos eine Band ersetzen könnte. Auch die Texte werden hier und da schon aus Programmen generiert. Es muss halt schnell gehen.
Mit so viel Strategie ist mancher aber bald schon überfordert. Was, wenn der Computer streikt, die Lizenzen für die Plug-ins wieder mal abgelaufen sind oder das Instagram-Konto gehackt wurde? Ich kenne zahlreiche Musiker, die sich auf diese Weise im Kreis drehen und einfach nicht vom Fleck kommen. Man schafft es vielleicht mit guter Musik bis ins Netz, aber dann ist man hoffnungslos verloren, weil man einfach nicht wahrgenommen wird. Die vermeintliche Freiheit mündet in einer Art postmodernen Beliebigkeit, die offenbar nur dazu taugt, irgendeine Cloud mit Daten zu belasten.
Früher war alles … anders
Ich schreibe das, weil ich das alles auch einmal ganz anders erlebt habe. Auch ich war mal Berufsmusiker. Und damals habe ich die scheinbar unüberwindbaren Hürden in diesem Business verflucht. Die Suche nach dem Proberaum, der Kampf um kleinere Clubgigs, zu denen dann meist keiner kam, die ätzenden Verhandlungen um Gagen, eine meist zum Scheitern verurteilte Demo-Produktion auf einem minderwertigen Vierspurrekorder und schließlich die Flut von Absagen der Plattenfirmen, die meist auf einem ganz hohen Ross daherritten. Doch irgendwann traf man jemanden, der an dich glaubte und dir half.
Oft war das ein befreundeter Musiker, der schon etwas weiter auf dem Weg nach oben war. Bei mir war das der Frankfurter Gitarrist Ali Neander, der meiner Band zum ersten Plattenvertrag verhalf. Und Ali schien ganz fröhlich dabei, andere Musiker zu fördern. Er gab mir Tipps für die ersten Studioaufnahmen und lieh mir dafür auch ein paar Amps. Später wurden wir von Alis Band, den Rodgau Monotones, auf Festivals eingeladen, die wir ohne diese Empfehlung nie gespielt hätten. Hinzu gesellten sich bald andere Musiker und Bands, die sich alle irgendwie unterstützten. Ali spielte auch die Leadgitarre auf meiner ersten echten Singleauskopplung.
1990 traf ich einen Musik-Anwalt in Frankfurt, der mich um ein Demo bat. Das nahm er mit auf die Midem-Verlagsmesse in Cannes und spielte es dort anderen Anwälten und Produzenten vor, darunter auch Dave Stewart von den Eurythmics. Der lud mich nach London in sein Studio ein, stellte mich seiner Band vor, woraus sich schnell Freundschaften entwickelten, und sorgte dafür, dass wir mit solchen Mitstreitern einen Major-Deal bei einer großen Plattenfirma bekamen. Dort wurde uns ein A&R-Manager zugeteilt, der zwar immer was zu mäkeln hatte, aber letztlich auch der Entwicklung der Band half. Die Firma vermittelte uns an ein paar große Festivals. Dort sah uns dann mal Marek Lieberberg, der uns noch am gleichen Abend unter Vertrag nahm und uns reichlich Support-Gigs mit größeren Bands verschaffte. Währenddessen vermittelte mich unser Frankfurter Anwalt an den damals weltgrößten Musikverlag in Los Angeles. Zuständig für uns war ein leitender Mitarbeiter in einem Hamburger Dependance-Büro, der mich von da an mit üppigen Verlagsvorschüssen ausstattete und mit Co-Writern und Produzenten in England zusammenbrachte.
Dieser Mann war eine feste Burg der Verlässlichkeit und brachte all seine Erfahrung ein. Eine rosige Zeit begann. Wir bekamen eine Managerin, die mich sogar durch Deutschland chauffierte, mir Interviews besorgte und immer zur Stelle war, wenn es irgendwo ein Problem gab. Mit Detlef Kinsler hatten wir in Frankfurt einen Journalisten, der fleißig und stets positiv über uns berichtete. Das Management brachte uns mit Rundfunkredakteuren zusammen, die unsere Musik im Radio spielten. Schließlich lief auch unser Video auf MTV. Kurzum: Ich war bestens (analog) vernetzt. Auch ohne Computer. Ich nutzte Fax und Telefon und kam damit bestens klar. Es gab immer jemanden, den man fragen konnte. Und das Tag und Nacht. Dieses Team wurde wie eine große Familie, die versuchte an einem Strang zu ziehen. Und ich glaube immer noch fest daran, dass solche Teams für uns Kreative unersätzlich sind. Ich bin jedem von diesen Leuten bis heute unendlich dankbar vor allem für die Erlebnisse und Erfahrungen, die ich damals machen durfte. Immer Auge in Auge und von Mensch zu Mensch. Und immer analog!