Er ist einer der ganz großen deutschen Poeten, ein Liedermacher, wie es ihn kein zweites Mal gibt: Reinhard Mey. Seine Texte bewegen Generationen, sein Sound ist unverwech selbar und bleibt dabei doch vielschichtig. Im Produktionsreport zum neuen Studio album Nach Haus treffen wir Produzent Manfred Leuchter, Toningenieur Jörg Surrey – und den Künstler selbst.
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Nähert man sich Reinhard Mey einmal aus un- gewöhnlicher Perspektive, der Zahlenseite, stellt man schnell fest, dass dieser Mann nicht nur mit seinem Werk zu beeindrucken weiß: Mit 81 Jahren hat der »Meyster«, wie viele Freunde seiner Musik ihn liebevoll nennen, nun 60 Alben geschaffen, davon ist sein 29. Studioalbum Nach Haus, das nach vier Jahren »Schreib- und Lebzeit« Anfang Mai erschien, direkt auf Platz 1 der GfK Mediacontrol Charts eingestiegen.
Das Phänomen Reinhard Mey ist aber nicht anhand von Zahlen erklärbar. Wohl kein anderer deutscher Künstler hat so vielschichtige Zeitdokumente geliefert und dem »Volk« durchaus mit einem Augenzwinkern »aufs Maul« geschaut. Und da macht auch Nach Haus keine Ausnahme: In 15 Titeln lässt Mey in seine Seele blicken, macht Geschichte und Geschichten erlebbar und lässt Großes und Kleines im Leben zu einem tiefsinnigen Werk verschmelzen.
Für Kontinuität sorgt auch das Team um Reinhard. Bei der musikalischen Entstehung seiner Alben vertraut er seit vielen Jahren zwei Menschen: Da ist zum einen Produzent Manfred Leuchter, der mit viel Liebe das Album vom ersten Leadsheet bis zum Mastering alle Notenblätter und Regler in der Hand behält. Toningenieur Jörg Surrey kümmert sich um die Gesangsaufnahme im Berliner Teldex Studio und sorgt so für den stimmlichen Wohlklang, den Freunde der Musik und der Künstler selbst so schätzen.
Manfred Leuchter. Und so muss sich der geneigte Autor auf eine Reise Nach Haus begeben, um den Entstehungsprozess des Albums zu begleiten. Erste Station ist dabei das belgische Kelmis. Hier hat Manfred Leuchter sein Studio-Refugium, den Musentempel.
Reinhard und du seid ja nun schon lange musikalische Partner.
Manfred: Da ist zunächst einmal ein enormes Vertrauen, das sich lange aufgebaut hat. Reinhard schenkt mir seine Titel und lässt mich machen. Ich denke, er schätzt und braucht auch den Abstand; er hat ein halbes Jahr geschrieben und möchte nun, dass der nächste Schritt ohne ihn passiert. Das ist natürlich für den feinen Herrn Produzenten auch eine gewisse Herausforderung. (lacht) Natürlich weiß ich, was ihm gefällt, aber ein Risiko, auch mal daneben zu liegen, ist da. Am Ende ist es aber immer gut gegangen.
Wie startet bei euch konkret die gemeinsame Arbeit?
Reinhard schickt mir die Songs, die er bei sich in Pro Tools aufgenommen hat. Für Nach Haus waren es 16 Stücke (15 davon sind aufs Album gekommen; Anm. d. Red.), zu denen ich dann erstmal die Leadsheets erstellt habe. Das geht einfach los mit Tonart und Tempi.
Am Ende sitze ich pro Song dann aber doch etwa zwei Tage, bis ich alles »verschriftlicht« habe. Das liegt daran, dass es – obwohl es bei Reinhard immer so organisch klingt – musikalisch wirklich ausgefuchst ist. Reinhard hat auch immer eine Live-Sicht auf die Dinge, ich eher die Album-Sicht. Bei dieser Masse an Text ist es beispielsweise auch mal schön, wenn vier Takte lang mal keiner singt. (lacht)
Wie entstehen die ersten Arrangements?
Basis ist ein erstes Demo mit einem im besten Sinne möglichst charakterlosen E-Piano, was nichts vorwegnimmt, sondern nur Form, Tempo und Akkorde hat. Parallel arbeite ich schon am Masterplan des Albums, also an der Ausgestaltung der Titel und der Kompilierung. Die Dramaturgie ist mir da sehr wichtig: Wie steigt man ein, wie hört es auf? Und dann greife ich schon in meinen Pool an großartigen Musikern.
Demnach buchst du die Musiker rela tiv früh im Produktionsprozess?
Wir haben es ja mit einem sehr Gitarren- lastigen Album zu tun. Und da sind Ian Melrose und Jens Kommnick gesetzte Größen, auf die ich nicht verzichten möchte. Die lasse ich auch gerne aufeinander los: Ich bitte einen von den beiden loszulegen, sodass sich der andere da einfach »draufsetzen« kann.
Die ersten drei Titel klingen ja sehr vertraut …
Das ist auch so gewollt. Nach dem Einstieg ist ein Titel wie Lagebericht möglich, der ja deutlich experimenteller und elektronischer ist. Und auch andere Titel, bei dem beispielsweise die Harfe von Ulla van Daelen die Hauptrolle spielt.
Mit Nota Bene hört das Album ja krass auf…
Das war komplett Reinhards Gedanke – und ich habe das zu gern erfüllt. Ich hatte das Händel-Thema vor vielen Jahren für meine Solo-CD schon einmal eingespielt, das ist locker 10, 12 Jahre her. Für das Demo von Nota Bene hatte er dann meine Aufnahme rausgekramt. Glücklicherweise hatte ich die Pro-Tools-Session von damals noch und konnte sie nutzen. Der Text ist der absolute Hammer, und ich habe bei der Arbeit an dem Titel wirklich geheult wie ein Schlosshund.
Noch einmal Stichwort »Aufhören«: Du machst das Mastering ja selber …
Ich finde es ist von Vorteil, wenn man von der ersten Note bis zum letzten Ton alles in der Hand hat. Und: Ich hatte das große Glück, dass ich Bernie Grundman und Howie Weinberg in Amerika ein bisschen über die Schulter schauen durfte. Und was ich da festgestellt habe: Zaubern tun die da auch nicht – die können nur ihren Job verdammt gut.
Jörg Surrey. Ein wichtiges Kapitel von Nach Haus spielt in Berlin. Es geht an die Vocal-Aufnahmen, die unter den wachen Augen von Toningenieur Jörg Surrey und Produzent Manfred Leuchter entstehen. Surrey hat sein Studio »Surrealis Sounds« seit 14 Jahren im legendären Teldex (früher: Teldec; Telefunken/Decca), eines der ältesten und wohl renommiertesten Studios Deutschlands.
Wie läuft denn die Studiozeit bei dir ab?
Jörg: Da wir uns schon lange kennen, läuft alles in einer freundlichen, vertrauten, allerdings auch sehr konzentrierten Stimmung ab. Wir haben uns für die Vocal-Aufnahmen von Nach Haus 10 Tage Zeit genommen. Konkret haben wir jeden Tag um 11 Uhr gemeinsam gestartet und gegen 16 Uhr die Aufnahmen beendet. So haben wir zwei bis drei Titel pro Tag aufnehmen können. Bevor Reinhard ins Studio kam, haben Manfred und ich die Aufnahmen des Vortags noch einmal mit frischen Ohren gehört.
Wie hast du dich vorbereitet?
Manfred hat mir im Vorfeld die Pro-Tools-Sessions geschickt, und einen Tag vor Aufnahmebeginn mit Reinhard haben Manfred und ich die Sessions durchgearbeitet und auf das lokale Setup angepasst, also beispielsweise das I/O-Routing gemacht. Die Instrumentals waren nahezu final, sodass Reinhard auf komfortable Roughmixe singen konnte.
Eine Besonderheit ist sicher das Gesangsmikrofon und seine Geschichte …
Es gibt hier im Teldex eine alte gigantische Mikrofonsammlung, die seit der Gründung des Studios in den 50er-Jahren aufgebaut worden ist. Dazu zählt auch ein U47, das noch ein Telefunken-Logo trägt. Das hat eine ganz besondere Reinhard-Mey-Geschichte: Bereits in den 1970er-Jahren hat er hier Mein Achtel Lorbeerblatt eingesungen – mit ebendiesem U47. Wir haben mit Reinhard die verschiedensten Mikrofone probiert – und das ist nach wie vor unser absoluter Favorit. Es macht die Stimme sehr plastisch und bringt sie nach vorne. Und es bildet die Mitten einfach sehr schön ab. Es klingt sehr warm und hat aber trotzdem eine Präsenz.
Wie sieht der Rest der Aufnahmekette aus?
Alles beginnt mit dem U47 bei Reinhard, ansonsten setze ich auch gerne das Voxorama U47 (von Mikrofon- spezialist Andreas Gosser; Anm. d. Red.) ein. Das geht dann direkt in den Neve 1073 Pre-Amp und dann in den Tube-Tech. Als Wandler nutze ich die 192-Interfaces von Pro Tools.
Wie sieht für dich dann die finale Bearbeitung aus?
Oft ist es so, dass bei den Aufnahmen schon die besten Takes ausgewählt werden. Bei komplexeren Aufnahmen gehen wir im Anschluss der Aufnahme nochmal die verschiedenen Takes durch und wählen das beste aus. Am letzten Tag haben wir gemeinsam mit Reinhard nochmal alle Songs gehört und haben uns dann verabschiedet. Ich habe dann noch die Edits bearbeitet, also vor allem Atmer und Schmatzer, da Reinhard ja sehr nah am Mikrofon steht, und die Sessions dann wieder zu Manfred geschickt.
Reinhard Mey. Berlin ist auch die Heimat des Künstlers. In der winzigen »Dichterstube« unterm Dach, wie er sie selbst beschreibt, arbeitet Reinhard an der Entstehung eines jeden neuen Albums.
Deine Plattenfirma hat dein Gesamtwerk als »Buch« beschrieben, das du immer weiter fort schreibst – siehst du das auch so?
Reinhard: Ja, meine Lieder sind die Chronik meines Lebens. Sie erzählen es nach und nach, von Jahr zu Jahr. Sie sind die Tagebücher, in denen ich alle Gedanken, alle Beobachtungen, Kümmernisse und Freuden niederschreibe. Dieses Schreiben bedeutet mir viel, es gibt mir die Chance, alles Erlebte noch einmal an mir vorbeiziehen zu lassen, zu reflektieren und ihm dann seinen angemessenen Speicherplatz in meinen Memoiren zuzuweisen. Ich werde hin und wieder gefragt, ob ich irgendwann eine Biografie schreiben werde – wozu? Ich habe sie doch längst geschrieben.
Warum glaubst du, dass sich so viele Menschen in deinen Liedern wiederfinden?
Ich glaube fest daran, dass wir trotz aller Unterschiede in Temperament, Weltanschauung und Herkunft die entscheidenden Dinge im Leben ähnlich sehen und dieselben Gefühle teilen. Erleben wir nicht alle die gleichen Freuden und Enttäuschungen, den gleichen Schmerz und die Lust? Ich bin nur der, der versucht, sie niederzuschreiben.
Dein augenzwinkerndes Noch’n Lied hat es schon thematisiert: Hast du manchmal das Gefühl, zu allem ein Lied geschrieben zu haben?
Nein, das Leben ist so ein großes buntes Mosaik, es ist wie das Universum, von dem man uns sagt, dass es sich immer weiter ausdehne – je genauer man hinsieht, desto größer und bunter erscheint es dem Betrachter. Wenn man sich nicht von vornherein eine Beschränkung zu bestimmten Themen auferlegt und den Blick einengt, dann ist der Themenvorrat unerschöpflich. Und vor allem gibt es da die nie versiegenden Quellen für immer »noch’n Lied«: Liebe, Schnaps, Tod, wie mein Freund Hannes Wader es genial zusammengefasst hat.
Wann ist für dich bei einem Album »Schluss«?
Ach was, ich schreibe zu gern, ich kann nicht einfach aufhören, ich könnte bis zum nächsten Album durch- schreiben. (lacht) Schluss ist, weil nichts mehr aufs Album passt, und es ist schmerzlich genug, wenn ein Lied auf ein nächstes Album warten muss. Ich feilsche jedes Mal mit Manfred um Sekunden bei Pausen und Blenden, um »noch’n Lied« rauszukriegen, auch dies Mal sind wir randvoll bei einer Stunde und 19 Minuten, das ist wie ein Weinglas »mit Berg« eingeschenkt.
Ob das Duett mit Hannes Wader, ein Lied von Konstantin Wecker, oder die Ukulele, gespielt von Götz Alsmann: Selten hat man so viele kongeniale Geister auf einem Reinhard-Mey-Album gefunden. Wie kam’s? Lang geplant oder ein schöner Zufall?
Lange gewünscht. Es ist immer eine große Freude, in Liedern Gastgeber für liebe Freunde und Kollegen zu sein. Mit allen habe ich auch auf früheren Alben zusammen musiziert, mit Konstantin beim Narrenschiff und Was keiner wagt, mit Götz im Nasenmann, und mit Hannes verbindet mich eine lange, innige Lebensfreundschaft von unserem »Untermieterzyklus« der 60er-Jahre über Es ist an der Zeit zu den Zwei Musketieren. »To infinity and beyond«, wie Buzz Lightyear sagt.
Manfred kokettiert augenzwinkerd gerne mit seiner Herausforderung, die Titel von dir nach der Schreib zeit zu bekommen – und sie dann erst mit einem fortgeschrittenen Arrangement dir zeigen zu dürfen. Ist das pures Vertrauen oder auch ein Wunsch, ggf. ab und an musikalisch überrascht zu werden?
Es ist beides. Auf der einen Seite die Gewissheit, dass Manfred all sein Wissen, sein Werkverständnis für meine Lieder und seine Kunst in die Arrangements legt, und die Erfahrung, dass am Ende eines langen gemeinsamen Schaffensprozesses alles gut wird. Wenn ich manchmal in meiner Mediathek zufällig an eins meiner eigenen Lieder gerate, durchfährt mich der Gedanke: »Wie hat er das wieder schön gemacht!« Das muss ich ihm dann gleich schreiben, und sei es mitten in der Nacht. Und genau diese Überraschung liebe ich, ich kann mich ja mit meiner eigenen Musik leider nicht selbst überraschen …
Was ich an dir sehr bewundere, ist dein schier unerschütterlicher Optimismus, das am Ende alles gut werden wird. Wie schaffst du das in der aktuellen Zeit?
Es ist ein Gottesgeschenk, das hilft zu überleben. Ich verdanke ihm, dass trotz der steigenden Flut um uns herum das Fünkchen Hoffnung nicht erlischt, sondern weiter sanft glimmt und in der schwarzen Finsternis schimmert.
Reinhard, Manfred, Jörg – vielen Dank für das gute Gespräch!