Ein Künstler, der ein Album produziert hat und den A&R-Filter bei Plattenfirmen umgehen will, kann stattdessen selbst veröffentlichen — oder einfach eine Plattenfirma samt ihrer Promotion-Dienstleistungen mieten, wie es die Rent-A-Record-Company, eine Abteilung von Motor Music, anbietet.
Seit 2007 bietet die Plattenfirma Motor Music mit der Rent-A-Record-Company einen sogenannten »Label-Service«, der die herkömmlichen Dienstleistungen einer Plattenfirma wie Veröffentlichung, PR- und Marketing-Betreuung vermietet. Das Konzept eigne sich sowohl für professionelle Newcomer mit vorhandener »Startbasis« sowie für etablierte Künstler, die die Rechte an ihren Produktionen behalten wollen, erzählt Label-Manager Christian Goebel. Zu den bisherigen namhaften Kunden zählen etwa Selig, Westernhagen, Max Giesinger, Moneybrother oder die Newcomerin Alice Phoebe Lou.
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Konzept
Wie die Rent-A-Record-Company im Rahmen der Umwälzungen in der Musikindustrie entstanden ist? »Irgendwann war es in der Branche nicht mehr sinnvoll, eine ›reine‹ Plattenfirma zu bleiben. Daraus entstanden zwei Möglichkeiten: An die Stelle eines herkömmlichen Plattenvertrags kommt heute oft ein 360-Grad-Deal mit dem Künstler zum Einsatz, der uns an Live-, Merch- und Publishing-Einnahmen beteiligt. Oder wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz als Plattenfirma − aber in einem Rahmen, der das ermöglicht.«
Die Idee dahinter? »Ursprünglich war eine Plattenfirma wie eine Bank, dazu eine eigene Marke − etwa Motown. Die Frage, die sich stellte: Ist ein Künstler immer noch gut aufgehoben bei einer Plattenfirma, die als Marke stark ist, oder ist inzwischen der Künstler selbst die Marke geworden? In letzterem Fall schließt sich die Frage an: Was soll eine Plattenfirma machen? Platten machen!« Wie lange es gedauert hat, die Idee bei Motor durchzusetzen? »Die interne Entscheidung war schnell gefallen, aber es war ein langer Prozess, bis wir das durchgesetzt haben. Wir waren 2007 mit dem Label-Service die ersten in Deutschland.«
Das Konzept sieht eine Beteiligung von 20 % der Vertriebseinnahmen über zehn Jahre vor, mindestens jedoch 5.000 Euro als Grundpreis. Darin enthalten sind etwa die Koordinierung und Steuerung von Veröffentlichung, Produktion und Vertrieb, sowie Auswertungen, die Erstellung eines Marketing-Plans sowie Promotion- und Marketing-Koordination. Bei Bedarf werden Marketing-Maßnahmen und freie Promoter beauftragt, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist – dazu später mehr. »Das ist eine Mischkalkulation: Die 5.000 Euro decken unseren Mindest- Arbeitsaufwand bei jeder Veröffentlichung grundsätzlich ab, was Personal- und Fixkosten angeht. Da haben wir noch keinen Cent verdient, verlieren aber zumindest kein Geld. Die Veröffentlichungen, bei denen mehr Einnahmen entstehen, tragen die Firma. Jeder Künstler wird bei uns unabhängig behandelt − jeder ist für sich erfolgreich, muss aber jeweils auch die Kosten decken.« Im Vergleich zur »herkömmlichen« Plattenfirmen-Idee, wo ein erfolgreicher Künstler zehn Flops mitfinanziert, sei das überschaubarer, meint Goebel. »Mit deutlich geringeren Margen: Wir gewinnen weniger mit unseren erfolgreichen Veröffentlichungen, und verlieren umgekehrt auch weniger.«
»Für Künstler war das zunächst ungewöhnlich: Nicht mehr du als Künstler wirst von der Plattenfirma angestellt und bekommst gesagt, was du machen musst, sondern du sagst uns, was wir machen sollen.« Sie seien die einzigen, die das Konzept mit den Möglichkeiten eines Major-Labels anbieten, so Goebel: »Viele Vertriebe ›spielen‹ heute auch ein bisschen Plattenfirma − ohne das allzu abwertend zu meinen −, und auch die Majors haben sich verändert.« Sie selbst böten die Mischung aus Major-Historie und -Kontakten, seien aber ähnlich agil aufgestellt wie ein Indie-Label und wollten »den Künstlern das Beste beider Welten bieten«, meint Goebel.
»Die Kosten sind für jede Veröffentlichung anders: Die setzen sich zusammen aus den Kosten für die Veröffentlichung, also für unser Produktmanagement, dazu kommt alles, was für die Veröffentlichung notwendig ist: etwa physische Herstellung und GEMA, zudem externe Promoter − je nachdem, was bei dem Künstler Sinn ergibt. Wir buchen zum Beispiel eine TV-Kampagne und sonstige Marketing-Kampagnen, allerdings begrenzt durch die Künstler-Budgets.«
»Mindestgröße«
Wie muss ein Künstler aufgestellt sein, damit es sich lohnt, die Plattenfirma zu mieten? Es müssten drei Punkte zusammenkommen, betont Goebel: »Der Künstler muss ein Verständnis dafür haben, wer er ist: Musik, Fotos, Artwork und Bio müssen eine gemeinsame Sprache sprechen [Hier findest du ein Interview mit Kommunikations-Coach Saskia Rieth]. Er muss ein Verständnis für sich und seine Position haben − immer auf dem Fundament der Musik.
Der nächste Schritt ist eine erste Fanbase, die Schwungmasse mit reinbringt.« Er setze grob 1.000 Likes bei Facebook als Mindestgröße an, erklärt Goebel. »Wir suchen dem Künstler ja Aufmerksamkeit, dazu brauchen wir eine Grundlage. Wenn ich einen Medienpartner dazu bringe, sich mit dem Künstler zu beschäftigen, und der hat 68 Likes, wird der Medienpartner schnell das Interesse verlieren.« Ihr Konzept, externe Aufmerksamkeit zu vermitteln, diene als »Verstärker«, der Künstler müsse aber in sich funktionieren.
Wie kann eine Band eine entsprechende Fanbase aufbauen, um jene »Hürde« zu überwinden? »Das ist sehr Genre-abhängig: Im elektronischen Bereich geht vieles über Sound-Cloud und die DJ-Sets von anderen. Viel passiert dadurch, dass man andere Titel remixt und dafür sorgt, dass man dort verlinkt wird. Einer Band sagen wir: Spielt lieber noch ein paar Konzerte, sprecht euren Freundeskreis noch mehr an. Im Rock-Bereich: live, live, live − eine Support-Tour spielen, Festivals, überall. Dann entsteht eine Community, die sich sehr gut unterstützt. Bei Elektro erwartet man weniger, dass derjenige live spielt. Der legt dann vielleicht im Club auf oder produziert andere. Als Singer/Songwriter: Einer unserer erfolgreichsten Künstler letztes Jahr, Alice Phoebe Lou, hat als Straßenmusikerin angefangen und ist jetzt sozusagen die YouTube-Singer/Songwriterin. Die musste genau schauen: Wo sind meine potenziellen Fans, wie erreiche ich die?«
Karriere-Phasen
»Eigentlich durchläuft ein erfolgreicher Künstler zwei Phasen in seiner Karriere, die sich perfekt für Label-Service eignen: Zu Beginn, wenn er die ›Mindestgröße‹ erreicht hat, kann er noch viel über klassische Promotion wachsen − dann kauft er über den Label- Service individuellen Service ein, was noch moderat finanzierbar ist.« Der Vorteil laut Goebel: »Er bindet sich nicht langfristig − bei der nächsten Platte kann er schauen, wie weit er gekommen ist und hat noch alle Rechte in der Hand.«
Das andere des Spektrums seien etablierte Künstler. »Die großen Namen in Deutschland sind alle nicht mehr bei einer klassischen Plattenfirma. Teilweise haben sie ihr eigenes Label − zum Beispiel Grönemeyer, Die Ärzte oder Naidoo. Das bedeutet allerdings, dass sie andere Künstler unter Vertrag nehmen müssen, weil keiner von ihnen alleine so groß ist, dass er zwölf Monate im Jahr die Rundum-Betreuung des kompletten Apparats braucht. Grönemeyer ist mit Grönland Records ein gutes Beispiel dafür, andere Künstler zu signen, aber damit geht eine Verantwortung einher. Westernhagen ist zum Beispiel den anderen Weg mit uns gegangen. Der sagt sich: ›Wenn die Platte raus ist, will ich für die Promotion-Phase die Rundum- Betreuung einer Plattenfirma.‹ Dazu gehören bei der Größenordnung TV-Kooperationen etwa mit dem Anbieter Starwatch, was wir eintüten: Das bedeutet, die beteiligten Sender strahlen Werbespots für einen Künstler beziehungsweise das Album aus und werden dafür an den Einnahmen beteiligt. Zusätzliche Auftritte und Formate können sich in dem Rahmen auch ergeben. Auf dem ›großen‹ Künstler-Level ist es natürlich einfacher, Künstlern einen Vertriebsvorschuss zu besorgen, weil Westernhagen seine Verkaufshistorie hat − der hat Fans, die er praktisch immer erreicht. Es wäre Unsinn, bei einem Major 80 % der Einnahmen abzugeben, wenn man die Marius-Fans auf sehr direktem Weg erreichen kann. Stattdessen ist es wichtiger, die gezielt anzusprechen und möglichst viel an Rechten und Einnahmen zu behalten. Nach der Veröffentlichungsphase ist die Promo-Kampagne abgeschlossen.« Je nach Kampagne arbeiten sie etwa ein Jahr an einem Album, erzählt Goebel.
Schwierig werde der Label-Service bei mittelgroßen Künstlern, fährt er fort: »Die sind relativ groß, verkaufen vielleicht 10.000 Platten, würden aber gerne Gold erreichen. Die bräuchten eine TV-Kampagne für eine Viertelmillion, damit es richtig knallt − sind allerdings noch zu klein, um einen Vertriebsvorschuss zu bekommen, aber schon so groß, dass es richtig teuer wird. Da ist ein Risiko-Investment nötig − wenn es Sinn ergibt, können wir da auch helfen.« Er erwähnt Max Giesinger als Beispiel: »Die erste Platte war noch überschaubar per Crowdfunding zu finanzieren. Bei der zweiten war klar: Da ist die Single 80 Millionen drauf, und man will den nächsten Schritt gehen, mit dem entsprechenden Aufwand. Wir konnten mit BMG noch einen Partner besorgen, um das umzusetzen. Das ist aber dünnes Eis bei Künstlern der mittleren Größenordnung, die ganz groß werden wollen.«
Plattenfirma, Verlag, Booking, Management
Wenn eine Band professioneller wird, wen braucht sie eigentlich wann? »Als Team existieren pro Künstler vier verschiedene Rollen: Plattenfirma, Verlag, Booker und Manager. Alle vier Rollen machen am Anfang eigentlich keinen Sinn − ein Manager erst bei wirklich relevanten Einnahmen. Wir sind deutlich vorgelagert − ein Manager könnte auch erstmal gar nicht arbeiten. Zunächst braucht es eine Veröffentlichung zum Beispiel über uns, um für einen guten Manager attraktiv zu werden. Die Kette dreht sich ja oft im Kreis: Kein Booker hat Lust auf eine Band ohne Veröffentlichung. Klassische Plattenfirmen haben keine Lust auf eine Band ohne Booker, und so weiter. Wir sind sozusagen in der Lücke: Wir profitieren natürlich davon, wenn Shows existieren, und unterstützen das. Aber wenn alles andere stimmt, kann man darauf auch mal verzichten. Die Band kann auch ohne Booker sagen: ›Wir entscheiden uns jetzt für die Veröffentlichung − Punkt.‹ Damit geht es los. Anschließend kann ich einen Booker finden und mir vielleicht einen Manager suchen. Wenn ich dann mit einem Verlag spreche, bietet der mir wesentlich bessere Konditionen, als wenn ich am Anfang mit leeren Händen anklopfe. Es geht darum, sich von uns aus hochzuarbeiten und sich attraktiver zu machen für andere Partner.«
Promotion-Bereiche
»Grundsätzlich bestehen vier Bereiche: Online, Radio, Presse und TV. Das meiste geben wir an externe Promoter raus, wenn es Sinn ergibt, wo Spezialisten sitzen.« Die Kosten für entsprechende Promoter beginnen laut Goebel bei rund 2.500 Euro und variieren je nach Veröffentlichung. Stichwort Fensehpromotion: »Wir haben in Deutschland leider kaum noch TV-Formate − die brechen quasi monatlich weg! (lacht) Bei jeder Veröffentlichung stellen wir fest, dass es einen Kontakt weniger zu bemustern gibt. Für Newcomer existieren am Anfang zwei bis vier Slots im Fernsehen, die sprechen wir selbst direkt an.« Zugang zum breiteren TV-Markt existiere erst, wenn ein Künstler bereits ein »Household-Name« sei, meint Goebel: »Wenn der Künstler so bekannt ist, dass es interessant ist, über ihn zu sprechen, auch ohne dass er gerade live präsent ist.«
Reichweite erzeugen
Wie eine noch weitgehend unbekannte Band sich jenem Status nähern kann? »Das ist die Königsfrage! Von Bands, die bei mir hängenbleiben, habe ich nicht nur einmal, sondern drei Mal in kurzer Folge gehört: Ich sehe sie bei einem Konzert, höre später was im Radio und stoße auf einen Blog oder einen Review, der sie behandelt. Viele Bands sind nah dran: Man hört immer mal wieder, dass sie Konzerte spielen, irgendwann kommt ein Review − das kriegt man oft selbst hin. Aber die Koordination, die du brauchst, damit es beim Konsumenten wirklich ›klick‹ macht und der denkt: »Jetzt muss ich mal reinhören!«, ist das Entscheidende. Wenn verschiedene kleine Maßnahmen gut koordiniert zusammenkommen und aufeinander aufbauen, klickt er Likes oder geht aufs Konzert.«
Die Koordination? »Zum Beispiel: Ok, ich habe ich den ersten Radioeinsatz − ab jetzt ist mein Team in der Lage, auf eine höhere Playlist zu gelangen, und ich kann zum nächstgrößeren Sender gehen.« Es gehe darum, den Pegel zur Neugierde zu überschreiten. »Wir haben das Glück, dass bei Musik ohnehin Neugierde herrscht, im Vergleich zu anderen Produkten. Man muss lediglich die Arbeit gut koordinieren.
Die meisten Künstler bewegen sich bei den ersten Schritten, haben eine Fanbase, vielleicht ein paar Singles oder EPs selbst veröffentlicht, erste Erfahrungen gesammelt und brauchen einen professionellen Partner für den nächsten Schritt.«
Crowdfunding, wie es Max Giesinger bei dem Portal Startnext.com für sein erstes Album Laufen Lernen benutzt hat, könne sich zur Finanzierung eignen, meint Goebel. Neben Startnext.com nutzt die Rent-A-Record-Company etwa die Plattform Pledge Music. »Auch kleine Bands können sich gut finanzieren, wobei ich auch hier 1.000 Likes als kritische Grenze einziehen würde, je nach gewünschter Summe. Wenn die Crowdfunding-Kampagne gut gemacht ist, hat sie noch weitere Vorteile: Im Vorfeld zu einer Veröffentlichung kann man die Fans schon ›in Stimmung‹ bringen, eine Band kann ihr Angebot auch kreativ umsetzen. Wenn ich die Kampagne nur zur Vorbestellung für meine Platte nutze, geht das in die Hose, weil mir das Geld, das ich beim Crowdfunding einnehme, später fehlt − meine Hardcore-Fans kaufen das Album dann nicht mehr, weil sie es schon haben.«
Kreative Angebote im Rahmen des Crowdfundings? »Ich kann zum Beispiel meine erste Gitarre versteigern, Wohnzimmerkonzerte anbieten, einen Song für die Leute schreiben oder eine Postkarte von jedem Tour-Stopp. Das baut zusätzliche Nähe zum Fan auf. Man kann auch Erlebnisse verkaufen, die eigentlich Arbeit sind, aber für den Fan etwas Tolles: ›Du darfst mal Roadie bei einem Konzert sein.‹ Man verkauft praktisch eine emotionale Bindung zwischen Fan und Band. Wenn ich das schaffe, baue ich mir wirklich eine Hardcore-Fanbase auf. Wer einmal Roadie bei der Band war, wird immer kaufen und immer die Videos teilen. Die Band hat nicht nur neue Einnahmen generiert, sondern auch die Bindung zu ihren Fans deutlich verbessert.«
CD/Vinyl oder nur Download?
Wie er die Abwägung sieht zwischen einem reinen Download-Album, um Kosten zu sparen, und einer CD- oder Vinyl-Veröffentlichung, die auch beim Merchandising auf Konzerten angeboten werden kann? »Die Download-Entwicklung ist in Deutschland relativ langsam, weil der Tonträgermarkt noch sehr stark ist. Bands aus dem Ausland fragen das hingegen teilweise nicht mehr nach. Wenn Bands viel live spielen und dafür ein Produkt für das Merch wünschen, generieren und vertreiben wir das auch. Spielt ein Künstler aufgrund des Genres oder seiner Entwicklung nicht viel live, ergibt ein physisches Produkt meist auch noch keinen Sinn.«
Als Anhaltspunkt für erfolgreiche Albumverkäufe in der heutigen Musiklandschaft nennt Goebel rund 1.000 Alben für kleine, 5.000 für mittelgroße Künstler und 25.000 Alben für »große« Namen. Erfolg versuchen sie dabei nicht lediglich an Verkaufszahlen festzumachen, betont Goebel, sondern ganzheitlich zu betrachten − als Summe aus Verkäufen, neuen Fans/Followern, mehr Gigs und höheren Gagen sowie Markenkooperationen.
Rundfunk-Zugang?
Gerade bei Radiosendern ist es schwierig, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Da schaffe der Label-Service Abhilfe, betont Goebel. »Genau da lohnt es sich, die Expertise eines Labels an Bord zu holen, in welchen Formaten man stattfinden kann. Der Playlist-Bereich der Top-40-Radios ist fast fest vernagelt, leider auch komplett in Major-Hand, aber es gibt noch sehr viel drum herum: kleine Radiosender und − ganz wichtig − öffentlichrechtliche Formate mit ›Hand-Einsätzen‹ [statt festgelegter Playlists; Anm. d. Red.]: In Berlin existieren unter anderem mit Flux, Fritz und Radio Eins Sender, bei denen ich nicht einfach ›mitlaufe‹, sondern ich verkaufe bei jedem Einsatz auf Radio Eins Platten − weil sich das Publikum für neue Musik interessiert. Die Formate sind recht zugänglich, wenn man sie richtig anspricht − das heißt, wenn die von einem etablierten Partner Musik bekommen: von einer Plattenfirma, die sie kennen oder einem Radio-Promoter, der sozusagen ihr Ohr hat. Das sind die Sender, in die man schnell reinkommen kann und die wirklich einen Unterschied machen.
Danach beginnt die Mathematik hinter den Radioeinsätzen: In Deutschland gibt es spezielle Airplay-Charts, jeder Einsatz gibt Punkte − je nachdem, auf welchen Sendern man gespielt wird. Erst in den ›Airplay Top 200‹ hören sich andere Sender die Musik überhaupt erst an, dann kommt die Stufe der Top 100 und so weiter. Unsere Aufgabe als Plattenfirma zusammen mit dem Radio-Promoter besteht darin, mit dem Taschenrechner dazusitzen: Welchen Einsatz brauche ich noch, Mittwoch oder Donnerstag, bevor die Chart-Woche endet? Nochmal beim Radiosender anrufen: ›Kannst du den heute nochmal spielen? Dann rutsche ich am Freitag in die Airplay-Charts rein.‹ Das sind Bereiche, wo man als Künstler an seine Grenzen stößt, wenn man das selbst macht.«
Rundfunk-Bemusterung
Vereinzelt bieten Dienstleister jene Rundfunk-Bemusterung für Bands an. Goebel warnt dabei vor »schwarzen Schafen«: »Es darf sich jeder Label und Promoter nennen − das sind keine geschützten Begriffe. Da findet viel Unfug statt. In Deutschland gibt es das sogenannte ›Music Promotion Netzwerk‹ − eine Art In-House-›iTunes‹-System, in dem die Musik für Redakteure verfügbar gemacht wird. Das ist lediglich ein Tool. Radio-Promo heißt, man macht es dort verfügbar, und dann muss der Radio-Promoter die Sender ansprechen: ›Bitte hört euch das an!‹ Im MPN-Pool sind bisher 3.500 Redakteure. Es kostet 220 Euro Gebühren, dort einen Song einzustellen. Wenn wir das für unsere Künstler machen, geben wir das ohne Mehrkosten weiter. Manchmal lesen wir von Radio-Promotern, die ›Bemusterung an 3.500 Kontakte für 750 Euro‹ anbieten. Da weiß ich: Der stellt das ins MPN ein, macht nichts − niemand wird das hören! −, aber der Künstler denkt: 3.500 Kontakte − klingt toll! Dabei arbeiten davon allein beim RBB 75 Kontakte. Das weiß man als Künstler nicht, wenn man das nicht selbst macht.
Auch wir als Plattenfirma müssen jeden Tag schauen, was Neues passiert − zum Beispiel der Bereich Playlist-Marketing: Dabei gilt es, dafür zu sorgen, dass die Musik der Künstler auf Spotify-Playlisten kommt. Auch hier gibt es Drittanbieter, die einen unterstützen können − manche sind besser, manche schlechter. Wenn ich mir als Künstler das Wissen selbst aneignen muss, verschwende ich viel Zeit, Geld und mache zwangsläufig Fehler.«
Stichwort Aufmerksamkeit: »Eine Veröffentlichung heißt ja heute etwas ganz anderes − früher war das eine Leistung, die physisch erhältlich ist. Heute bedeutet eine Veröffentlichung lediglich, etwas verfügbar zu machen. Bei der Produktion an sich waren früher die Aufnahmemöglichkeiten begrenzt. Jetzt sind die günstiger, demokratisiert, und es existiert schlicht viel mehr Musik. Das ist toll für die Künstler, heißt aber auch, dass die Konkurrenz viel größer ist: Es wurde noch nie so viel Musik veröffentlicht wie heute, und es wird jede Woche mehr − umso wichtiger ist es, als Künstler jemanden für die Aufmerksamkeit zu haben, die die reine Veröffentlichung nicht schafft.«
YouTube-Streaming – Mehrwert oder Verkaufseinbußen?
Sollte ein Künstler Streaming-Portale wie YouTube bedienen, weil sie Aufmerksamkeit bringen, oder meiden, weil kostenloses Streaming potenzielle Verkäufe abschöpft? »Wir bewerten das für unsere meisten Künstler mittlerweile positiv: Geld, das ich bei den Hardcore-Fans verliere, gewinne ich durch die Menge an neuen Fans. Unter dem Strich kommt für die meisten mehr raus − gerade, wenn man weiß, wie man alle Plattformen passend bedient: wenn mein physisches Produkt ein schönes Booklet hat, dazu eine tolle Vinyl-Pressung, limitiert ist usw., und ich jeden Konsumenten entsprechend mit Respekt behandelte. Die Vinyl-Ausgabe ist ein besonderes Produkt, das einen Anreiz liefert, nicht nur zu streamen − stattdessen liefere ich bei Spotify zum Beispiel noch eine ›Kommentar-Version‹ des Albums ab. Dann kannibalisieren sich die Angebote nicht unbedingt. Zuerst hole ich Leute auf Spotify ab − die gehen noch aufs Konzert und kaufen dort die Vinyl-Ausgabe.
Ich verdiene heute kein Geld mehr, indem ich in der ersten Woche nach Release für Aufmerksamkeit sorge, und das war’s dann. Eigentlich muss das Ziel darin bestehen, den Konsumenten sozusagen ›lebenslang‹ zu begleiten. Das wird für uns beim Katalogmarketing immer wichtiger, dass ein potenzieller Fan immer wieder daran erinnert wird, die Musik zu hören − indem ich als Künstler meine Fans animiere, dass sie mich in ihre privaten Playlisten packen, und Katalogaktionen habe zum zehnjährigen Geburtstag eines Albums habe. Wenn man das vernünftig bespielt, bietet der Markt viel mehr Möglichkeiten als früher − aber ich kann mich nicht ausruhen und hoffen, dass es schon irgendwie funktioniert.«
Social Media
Die Online-Präsenz lädt am ehesten dazu ein, von einer Band selbst übernommen zu werden. Der größte Denkfehler bei der eigenen Online-Vermarktung laut Goebel? »Der besteht darin, wenn man es übertreibt, die Konkurrenz unterschätzt, und sich selbst als Band überschätzt. Wenn man vor allem denkt: ›Ich habe eine tolle Platte, die Musik wird schon für sich selbst sprechen.‹ Dann vergisst man, dass man trotzdem Hilfe braucht für das erste Mal Hören. Das ist das Überschätzen.
Umgekehrt: Wenn man unterschätzt, was man selbst weiterhin beitragen muss. Es wäre genauso fatal, zu denken: ›Ich habe eine Plattenfirma, die machen jetzt alles für mich.‹
Die Wahrheit liegt in der Mitte − auf das Team zu vertrauen. Die Bands, die bei uns am erfolgreichsten sind, sind diejenigen, bei denen wir genau sagen können, was unsere Aufgabe ist und was die Band leistet.« Es gehe um gute Kommunikation und die Fähigkeit, sich als Band in ein Team zu integrieren. »Beispiel Spotify: Um dort erfolgreich zu sein, muss ich meine Präsenz als Band extrem liebevoll pflegen und Follower gewinnen. Ich muss Playlisten selbst anlegen und die pflegen, dort immer wieder Fans hinleiten: Dort versorge ich sie mit Informationen.«
Welche Plattformen sich für die Künstler eignen, sei individuell: »Manche Künstler können das Thema Social Media von Natur aus besser bedienen, haben eher die Persönlichkeit dafür, andere nicht. Das kann man auch nicht mit allen Daten der Welt komplett korrigieren.«
Das Auslagern des eigenen Accounts an dritte Parteien funktioniere allerdings nicht, betont Goebel. »Das merken Fans sofort, ob das von den Bands selbst kommt oder nicht. Aber man kann sich reduzieren und konzentrieren: Wenn jemand nicht gut mit Worten ist, aber ein toller Fotograf, dann konzentriert er sich eben auf Instragram und lässt Twitter. Umgekehrt: Wenn jemand gut Leute verlinken, gut kommunizieren kann, der geht auf Twitter. Man muss eigentlich nicht pauschal entscheiden, Social Media ja oder nein, sondern es gibt ja eine große Bandbreite an Kanälen: Was ist dafür das Richtige, wo fühle ich mich wohl, was kommt meiner Persönlichkeit am nächsten?« [siehe Story Saskia Rienth]
Was relevante Inhalte darstellt? »Ich muss mich als Künstler vor jedem Post einfach fragen: Ist das, was ich poste, gerade relevant und wichtig? Habe ich die richtige Form gewählt, um diese Relevanz auszudrücken, und ist es die richtige Plattform? Wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, die eigene Fanbase zu verstehen, kriegt man das relativ schnell hin. Als Künstler habe ich noch nie so viel über meine Fans gewusst wie heute!
Ich sehe ja, welches Post funktioniert, welche Uhrzeit funktioniert, wie Leute darauf reagieren. Diese Informationen muss ich wahrnehmen und auch verarbeiten. Aus einem Post, den niemand liked, muss ich als Band auch meine Schlüsse ziehen. Dann entwickle ich schnell ein Gefühl dafür, was meine Fans sehen wollen und was für sie wichtig ist.«
Dazu empfiehlt er eine Faustregel: »Das Verhältnis von privaten zu kommerziellen Inhalten sollte ungefähr 3:1 sein: drei Mal lustige Bilder − irgendwas − und dann vielleicht den neuen Song vorstellen. Wenn man sich Mühe gibt, die Fanbase zu verstehen, von uns unterstützt, wo man die Informationen findet, dann findet man als Band eigentlich sehr schnell seinen Weg und seine Sprache.«
Ausblick
Ob sich die Branche weiter in Richtung Label-Service entwickeln wird? »Grundsätzlich hat sich der Markt ja schon gewandelt, und der Musikmarkt ist im letzten Jahr um 7 Prozent gewachsen, alle Majors haben Zuwächse bekommen.
Das Schöne ist, dass die Künstler immer mehr Möglichkeiten haben und Majors unter Druck setzen, auch demokratischer und transparenter zu werden. Inwieweit sie das können und wollen, wird sich zeigen.
Der Künstler muss sich auf jeden Fall mehr informieren und schauen, was zu ihm passt.«
Danke! Sehr interessante Einblicke in ein, in meiner Wahrnehmung, äußerst komplexes Dickicht, welches sich Musikmarkt nennt. Ich mache zwar u. a. auch selber Musik, aber die Motivation in dem beschriebenen Labyrinth herum zu “rennen” hält sich bei mir in sehr engen Grenzen – stelle ich nach dem Lesen fest:-)
Danke! Sehr interessante Einblicke in ein, in meiner Wahrnehmung, äußerst komplexes Dickicht, welches sich Musikmarkt nennt. Ich mache zwar u. a. auch selber Musik, aber die Motivation in dem beschriebenen Labyrinth herum zu “rennen” hält sich bei mir in sehr engen Grenzen – stelle ich nach dem Lesen fest:-)