Robbie Williams: He Feels Real Love (but too early)
von Benjamin Schöter,
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Performance schlägt im Zweifel die Vorteile eines Recordings unter Highend-Bedingungen. Robbie Williams’ Feel ist ein gutes Beispiel dafür.
Robbie Williams fühlt. Real Love. Das Problem dabei nur: Er fühlt es zu früh. Die Performance super, die Umgebung jedoch nicht perfekt, denn: Er singt gerade die Demo ein. Und diese entsteht nicht im großen Studio während der eigentlichen Aufnahmen zu seinem Erfolgsalbum Escapology, sondern zu eher widrigen Bedingungen beim Produzieren der Demo. Zu dieser Zeit ist das Problem aber noch nicht allzu groß, ist man sich doch sicher, das Ganze dann im großen Studio mit großem Besteck genauso gut, wenn nicht noch besser hinzubekommen. Was nun folgt, ist aber auch ein Mutmacher an alle da draußen.
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Ich weiß zwar nicht, ob ich hier auf Gleichgesinnte treffe, aber ich finde: Feel ist ein ganz astreiner Popsong. Harmonisch traditionell poppig, das Arrangement dafür raffiniert – und der Vibe des Songs unterstützt die Vocals ganz ausgezeichnet. Und wie es sich für einen guten Popsong so ziemt, wird er umso vielseitiger, je mehr man versucht, die einzelnen Spuren und Instrumente zu ergründen. Denn man stellt fest: Ja, das wirkt auf den ersten Blick simpel, aber die Art und Weise, wie Gitarren arrangiert wurden, wann Backings einsetzen, welche Effekte verwendet werden, lässt einen bei näherem Hinsehen mit dem Eindruck zurück, hier etwas sehr Profundes auf die Ohren zu bekommen.
Der Grund jedoch, warum man sich damit näher beschäftigt, ist jedoch in meinem Falle ein anderer, ein Grund, der den inneren Monk auf den Plan ruft. Einige wissen jetzt, so glaube ich zumindest, wovon die Rede ist. Die Refrains. Ganz zu Beginn, zu den Zeiten, als Feel als Single gespielt wurde, gab es für kurze Zeit eine erste, eine andere »Radio Edit«-Version als diese, die sich später etablierte. Diese war an und für sich auch schon in Ordnung, wenig später jedoch schienen die Rundfunkanstalten des Landes die Radiogeräte der Endverbraucher mit einer neuen Fassung zu beschallen. Darin sang Robbie in Teilen der Refrains viel direkter, emotionaler, ausdrucksstärker oder, kurz gesagt: schöner.
Wir machen es einmal praktisch. Der geneigte Lesende möge entweder: a) sein Radiogerät einschalten und warten, bis der Song gespielt wird oder b) ihn ganz im Sinne des digitalen Zeitalters in der Streaming-Plattform seines Vertrauens aufrufen und hören. Aber bitte: Ganz von Anfang und ohne Skippen, denn dann fällt es mehr auf. Wartet man den ersten kurzen Chorus ab und geduldet sich bis etwa 1:45, setzt der zweite Refrain ein. So weit, so gut. Wartet man noch weiter bis etwa 1:55, fällt einem doch, hoffe ich, etwas recht deutlich auf. Besagte andere, stärkere Performance. Und für diejenigen unter uns, die sich mehr oder minder professionell mit Tontechnik beschäftigen (dürften viele sein): Der Sound ist merklich anders. Und ist man bei 2:05 angelangt, so spürt man vielleicht die Kraft dieser Performance, dieses Takes. Denn die Vocals ziehen, der Take hat es, das gewisse Etwas! Im Gegensatz zum Beginn des Chorus wirkt Williams’ Stimme offen, locker, gelöst und voller Inbrunst. Ganz treffend, dass dieser, dann wieder im Umfeld des großen Studios und des »großen Bestecks«, »I can not get enough« als Nächstes ins Mikrofon singt. Hier ist die Aufnahmequalität wieder »Weltstar-Niveau«, dennoch sind die Zuhörer nicht ergriffen ob der High Fidelity, in der Robbie bekundet, dass er »nicht genug bekommt«, nein, sie sind ergriffen, weil er zuvor im Refrain alle Register ziehen konnte, man glaubt ihm dort, was er singt.
Produziert wird Feel seinerzeit von Guy Chambers (u. a. Kylie Minogue, Tom Jones, Diana Ross) und Steve Power (u. a. Joe Cocker, The Bangles). Es kommt dementsprechend, wie es kommen muss: Im Studio ist er nicht in der Lage, den Refrain in dieser Ausdrucksstärke zu reproduzieren. Später bekundet er dazu: »I just could not sing it as well as I did on that day.« Man entschließt sich, für große Teile des Songs die Demo-Aufnahmen heranzuziehen.
Und unter uns gesagt: Dieser Unterschied fällt tontechnisch durchaus stark auf. Er fällt womöglich auch denjenigen auf, die damit sonst nichts am Hut haben: »Irgendwie klingt das jetzt gerade ganz anders.« Das führt uns zum »Prinzip Material-Hoffnung«: Ganz gleich, dass Williams’ Stimme in diesen Teilen des Refrains anders klingen mag, die Performance schlägt diesen vermeintlichen Malus um Längen.
Und für alle, die gerade beim De-Essen oder Equalizing eines Vocal-Tracks verzweifeln: Denkt an Robbie Williams, und fühlt es. Fühlt ihr es, dann wird das schon!