Von Heimstudios in der 80ern, Walgesängen und einem Deal mit ganz oben
Running Up That Hill – Kate Bush
von Benjamin Schöter,
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Okay, ich gebe offen zu: Ich springe auf den Zug auf. Seit der neuen Staffel »Stranger Things« schwappt eine weitere Synthie-Welle über in die Stromschnellen popkultureller Rezeption. Running Up That Hill (A Deal With God) ist ganz weit oben in den Charts der Staaten. Geschrieben hat ihn Kate Bush, erschienen ist er ursprünglich vor 37 Jahren auf ihrem Album Hounds Of Love. Das hatte so manchen Kommentar über die Beschaffenheit und Ideenarmut der heutigen Musikindustrie zur Folge. Ich möchte mich jedoch den Klageliedern kulturpessimistischer Feuilleton-Redaktionen nicht anschließen und stattdessen einen Blick darauf werfen, was den Song werden ließ, was er bis heute ist. Denn, so die Behauptung: Ganz gleich, wie viel oder wenig ideenreich die heutige Musikkultur sein mag – es schmälert nichts am Wert dieses tollen Songs.
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Für all diejenigen, bei denen der Titel noch keine Assoziation hervorruft: Es ist der Track mit den Walgesängen am Anfang, der mit dem schwer zuzuordnenden Lead-Sound. Klingt irgendwie nach maritimen Tierwelten, gepaart mit New Wave und Industrial Noise. Statisch und dennoch in Bewegung, abstrakt und trotzdem songdienlich. Das Gerät, womit Bush ihn erschafft, ist 1979 erschienen und somit seit sechs Jahren auf dem Markt. Es polarisiert derart, dass andere auf ihr Album schreiben, davon keinen Gebrauch gemacht zu haben. Das mag damit zusammenhängen, dass sich jenes Keyboard mit Bildschirm und Tastatur in Windeseile in Studios einnistet, wo es für zahlreiche Produktionen gerne genutzt wird. Schon einmal Miami Vice gesehen? Ja? Gut, dann dürften Titelmelodie und Crocketts Theme ja auch präsent sein. Geschrieben wurden diese Serienmusik-Ikonen der Achtziger von Jan Hammer, aber das nur am Rande.
Auch bei Kate Bushs Running Up That Hill ist besagtes in Studios nistende Gerät stilprägend: der Fairlight CMI. Ein Sampler. Damals der Sampler. Charakteristisch ist sein leicht näselnder Sound bzw. das zugehörige Sample »Sararr«. Tuned man das Radio auf den nächstbesten Eighties-Sender (meistens die, die früher Seventies und davor Sixties waren), gehe ich die Wette ein: Hört man nicht innerhalb eines Nachmittages diesen Sound, ansonsten höre ich einen Monat lang nur noch Zwölftonmusik.
Doch genug des heiteren Abschweifens. Es muss irgendwie so gewesen sein: Kate Bush, einst entscheidend gefördert von David Gilmour (Pink Floyd) sitzt in ihrem Heimstudio (1984/85!) mit einem CMI. Virtuelle Instrumente im heutigen Sinne sind logischerweise nicht präsent, dementsprechend heißt das Motto vielleicht auch: »Know your gear and make the most of it«, denn es finden sich weit mehr als diese eine Lead-Spur im Song, die der Fairlight beiträgt. Für diejenigen, die entweder einen echten CMI besitzen (stabile Geldanlage) oder aber, wie meine Wenigkeit, die entsprechende Software-Emulation verwenden (in meinem Falle Arturia): Wir können gerne kurz basteln. Man nehme einen virtuellen oder realen Fairlight CMI und öffne sich das Sample »Cello 2«. Man passe daraufhin unter »Functions« noch das Sample ein wenig an – über ein Mapping kann etwa der Parameter »Filter« mit einer Kurve verbunden werden, die früh ihren steilen Peak hat und etwas langsamer und runder in Richtung Null zurückgeht. Für das Gröbste reiche dies dann auch schon. Man spiele sodann die Noten Bb, G und C. Okay, es fehlt noch etwas Feintuning, aber der Sound dürfte zu erkennen sein. Und damit auch dieses mystischmaritime Industrial-Feeling.
Auch als etwas dezenteres Pad findet man den Fairlight im Song wieder, was zu einer gewissen stilistischen Geradlinigkeit beitragen mag.
Damals kostet der CMI so viel wie ein Haus. Dennoch muss es sich gelohnt haben, diesen und weiteres Equipment in ihr Homestudio zu stellen, denn Bush betont in Interviews, dass sie der Zeitdruck in den großen Studios ihrer Muse beraubt. Ihre vorhergehenden Alben versetzen sie also in die für diese Zeit sehr komfortable Lage, zu Hause mit hochwertigen Geräten Musik zu produzieren und nur noch dann in ein anderes Studio zu gehen, wenn es wirklich nötig ist. Das spart Zeit und Geld. So entsteht das Wesentliche auf einer 8-Spur-Maschine, erst für die späteren Overdubs wird alles auf eine 24-Track überspielt.
Weitere Instrumente, mit denen Bush diesen Song aufnimmt, sind ein DX7 und eine Linn Drum-Machine. Klar, »konventionelle« Instrumente gibt es natürlich auch – ihr Lebensgefährte Del Palmer etwa spielt den Bass ein, Stuart Elliot spielt Drums, ihr Bruder Paddy Bush Balalaika. Als Produzentin ist Kate Bush selbst aufgeführt.
Mag es zu dieser Zeit eigenwillig oder besonders sein, sein Album überwiegend zu Hause zu produzieren, so sind Sound und Feeling des Titels sowie des gesamten Albums insgesamt ähnlich originell und unorthodox. Das Gefühl, das der Song in mir hervorbringt, ist ähnlich rätselhaft wie der Leadsound. Ein Popsong, der zwischen Traumtanz und Melancholie, zwischen Freiheit und Weltschmerz pendelt. Zu straight, um E zu sein, zu diffus, um »nur« U zu sein. Würde man die Lyrics lesen und ohne Kenntnis des Titels versuchen, sie in den für die vorgesehenen Takten unterzubringen, man hätte keine leichte Zeit.
Sowieso, die Lyrics: Heute sind diese vielleicht noch brisanter als damals. Bush sagt damals, sie handelten davon, dass Männer und Frauen einander nicht verstehen könnten – eben weil sie Mann und Frau sind. Würden sie die Möglichkeit haben, einmal zu tauschen – es hätte mehr Verständnis füreinander zur Folge. Aber wie kann das geschehen? Durch einen »Deal With God«, und so heißt der Song eigentlich auch, ehe die Plattenfirma ihre Bedenken aufgrund des G-Worts äußert. Album wie Song werden ein großer Erfolg und dank des neuen Titels auch in religiöseren Ländern gespielt. In den USA braucht es jedoch mehr, um »die ganz große Nummer« zu werden, denn erst mithilfe der Mystery-Retro-Serie »Stranger Things« schafft es Kate Bush 2022, dort die volle Aufmerksamkeit zu erhalten.