Als Sam Smith 2014 mit dem Monsterhit Stay With Me seinen internationalen Durchbruch hinlegte, war nicht nur sofort klar, dass hier ein Ausnahmesänger die Arena betreten hatte, sondern auch, dass die Gospel-inspirierte Produktion des Songs deutlich anders klang als alles, was gerade die Hitparaden bevölkerte. Keine EDM-Einflüsse, keine Synths, keine offensichtlich programmierten Beats, kein aufgepumpter Bass, keine abgeflachte Dynamik und kein Lautheits-Exzess. Vor allem aber klang Smiths wundersame Stimme einzigartig und natürlich − ganz anders als die zeitweise omnipräsenten monotonen, autogetuneten Pop-Stimmen.
Smiths Debütalbum In The Lonely Hour, das einen Monat nach der Single veröffentlicht wurde, war aus demselben Holz geschnitzt. Alle Stücke des Albums sind von Smith, zusammen mit einem kleinen Club britischer Songwriter, mitverfasst worden. Darunter Smiths dauerhafter Kollege James Napier aka Jimmy Napes und eine Hand voll weiterer Songschreiber, von denen einige schon mit anderen größeren britischen Acts wie Adele oder Florence & The Machine gearbeitet hatten. Das Album als Ganzes zeigte, dass es möglich ist, einen großen internationalen Hit zu landen, ohne in die Fallen zu treten, die sich durch Audio-Technologie und musikstilistische Entwicklungen des 21. Jahrhunderts auftun.
Smiths zweites Album The Thrill Of It All ist letzten November veröffentlicht worden. Als bekannt wurde, dass Smith − auch diesmal unter ständiger Mitarbeit von Napes − die Songs seines neuen Albums mit einer breiten Auswahl amerikanischer Pop-Songwriter verfasst hatte, kamen Befürchtungen auf, Smith könnte seine Authentizität zugunsten einer autogetuneten, weitgehend programmierten Pop-/R’n’B-Stilistik aufgegeben haben, die gerade die Popwelt dominiert. Immerhin deuten die Namen der Beteiligten klar in diese Richtung: Stargate (ein Produktionsduo aus Norwegen, das aber in New York sitzt und für seine Arbeiten mit Rihanna, Britney Spears und Katy Perry bekannt ist), Tyler Johnson (Taylor Swift, Pink, Miley Cyrus), James »Malay« Ho (Frank Ocean, Zayn Malik), Jason »Poo Bear« Boyd (Justin Bieber, DJ Khaled) und HipHop-Legende Timbaland.
Die Produktion von The Thrill Of It All und seiner Lead-Single Too Good At Goodbyes klingt authentisch und natürlich wie gehabt. Smiths Musik und seine Stimme klingen weiterhin anders, als das was sonst momentan die internationalen Charts bevölkert − was den enormen Erfolg von Single und zweitem Album umso beeindruckender macht. Auf seinen beiden Alben singt Smith unnachahmlich kunstvoll zu einer Begleitung von geschmackvoll gespieltem Schlagzeug, Bass, Gitarre, Piano, gelegentlich Fender Rhodes oder Wurlitzer und Background-Gesang. Dazu kommen regelmäßig Chöre, Streicher und/oder Bläser, und ab und zu sind ein paar programmierte Drums zu hören, ohne den natürlichen Gesamteindruck zu trüben. Und die Produktion zeigt dem Loudness War mit tonnenweise Dynamik und keiner Verzerrung lässig den Mittelfinger. Für jeden, dem an Abwechslung und Hi-Fi-Klang gelegen ist, kommt dies einer frischen Brise gleich.
Ein paar dB leiser
Niemand ist näher an der Quelle, um eine Insider-Perspektive auf die Produktion von The Thrill Of It All und die damit zusammenhängenden Entscheidungen abzugeben, als Stephen Fitzmaurice. Moderne Pop-Alben werden normalerweise mit ganzen Stäben von Co-Songwritern, Produzenten, Engineers und Mixern produziert. The Thrill Of It All dagegen ist auch in dem Punkt einzigartig: Fitzmaurice hat das komplette Album tontechnisch betreut, gemixt, und co-produziert. Und obwohl beim Vorgängeralbum In The Lonely Hour einige Produzenten, Engineers und Mixer beteiligt waren, hatte Fitzmaurice auch bereits in dessen Entstehung eine zentrale Rolle eingenommen − inklusive Engineering, Co-Produktion und Mix des großen Hits Stay With Me. Dasselbe hat er für Smiths 2015 veröffentlichten und für einen Grammy nominierten James-Bond-Song Writing’s On The Wall getan.
Ganz offensichtlich betrachten Smith und die Leute in seinem Umfeld Fitzmaurice als essenziellen Teil ihres Recording- und Produktions-Teams und haben größtes Vertrauen in seine Kunstfertigkeit. Von seinem Studio bei Pierce Entertainment in West-London aus gibt der irische Produzent am Telefon ausführlich Auskunft über die Arbeit an The Thrill Of It All. Er begann damit, die Visionen für die Entstehung des Albums zu beschreiben, die er mit Smith und Co-Producer Jimmy Napes teilte, wenn auch mit ein paar überraschend unterschiedlichen Schwerpunkten.
»Bevor wir mit den Aufnahmen anfingen, habe ich immer mal wieder mit Sam [Smith] und Jimmy [Napes], aber auch mit Jo Charrington und Nick Raphael, den Chefs von Capitol Records, darüber gesprochen, wie das Album angegangen werden soll. Besonders Sam hat darauf bestanden, das Album wieder mit derselben Band aufzunehmen, also haben wir das getan. Die einzige Änderung war ein anderer Gitarrist. Sam wollte das Album auch auf dieselbe Art wie den Vorgänger aufnehmen: mit der Band, die live im Studio spielt, während er dazu singt. Insgesamt war es sehr wichtig, alles natürlich klingen zu lassen. Beispielsweise wurde nicht eine Note auf der Platte nachgestimmt. Es gab einen Song, in dem ich eine Note getunet hatte, weil sie den Pianisten Ruben störte. Dann hat Sam mich gebeten, es bei dieser Note mal ohne Tuning zu versuchen, und es klang gut. So sind wir auf diesem Album völlig ohne Tuning ausgekommen.
Ein wesentlicher Unterschied zu den Aufnahmen des ersten Albums war, dass Sam und Jimmy das neue Album unbedingt auf Tonband aufnehmen wollten. Sie hatten sich so viele Platten angehört, die auf Tape aufgenommen worden waren und in ein paar Songwriting-Sessions mit Tape gearbeitet − wahrscheinlich hat sich das so als romantische Vorstellung bei ihnen festgesetzt. Ich bin als einziger Beteiligter alt genug, um wirklich noch mit Tonband gearbeitet zu haben, und kenne daher die Fallstricke. Also habe ich ihnen die Vor- und Nachteile aufgezeigt. Zum Beispiel hat man Bandrauschen und kann nicht einfach Loops bauen und so weiter. Klanglich dagegen ist der Unterschied zu digitalen Aufnahmen nicht mehr nennenswert, und wo er doch noch hörbar ist, ziehe ich die digitale Variante sogar vor: Drums nehme ich lieber digital auf, weil dann die Transienten besser erhalten bleiben, insbesondere bei Kick und Snare. Sams Stimme hat andererseits durch die Aufnahme auf Tape gewonnen, denn dadurch, dass ich sie ziemlich krass ausgesteuert habe, sind die harten Transienten etwas abgerundet worden.
Die andere Sache ist, dass wir das Album um 2dB leiser gemastert haben, als es bei den meisten modernen Pop-Alben gemacht wird. Im Radio und auf Streaming-Websites ist tendenziell alles auf dieselbe Lautstärke komprimiert. Also klingt Sams Platte insbesondere im Radio besser, denn sie ist nicht schon vorher totgequetscht worden. Ich war ein paar Mal in den USA, seitdem die Platte veröffentlicht wurde, und wenn sie dort im Radio läuft, klingt sie anders als der ganze Rest. Alles andere ist rhythmische Popmusik, und was Sam macht, sticht deutlich hervor. Diese Diskrepanz kann für oder gegen einen arbeiten, daher waren wir und das Label tatsächlich ein wenig besorgt, wie Sam dort hineinpassen würde.«
Unisono
Der Wunsch, live mit Band im Studio auf Tape aufzunehmen, legt nahe, dass Smith und Napes eine nostalgische Liebe für Produktionsmethoden und Spirit der 70er pflegen. Bedenkt man, wie sehr sich das Resultat von 99% der heutigen Charts unterscheidet, erscheint eine gewisse Nervosität verständlich. Aber in Fitzmaurice hatte das Team einen Kapitän, der mit seiner Erfahrung etwaige raue Gewässer umschiffen konnte. Der Produzent begann im London der 80er unter Studio-Legenden wie Trevor Horn und Julian Mendelsohn. Er hat seitdem mit Größen wie Pet Shop Boys, Tom Jones, Tina Turner, Cher, U2, Depeche Mode, Craig David, Sting, Kate Nash, Olly Murs, Aloe Blacc und Kylie Minogue gearbeitet. Über die Jahre ist er viermal für den Grammy nominiert worden, inklusive »Record Of The Year« für Sam Smiths Stay With Me und »Best Pop Album« für In The Lonely Hour.
Fitzmaurice war nicht an den Anfangsstadien der Entstehung von The Thrill Of It All beteiligt. Der komplette Songwriting-Prozess, inklusive die Auswahl der Co-Autoren, wurde gemeistert von Smith, Jimmy Napes, Smiths Label und seinen Managern. »Smith hat viele Leute ausprobiert«, erklärt Fitzmaurice, »und viele Songs sind geschrieben worden. Manche davon sind auf dem Album gelandet, viele andere nicht. Ich war an nichts von all dem beteiligt. Die Songs waren schon ausgewählt, als ich anfing, am Album zu arbeiten. Sam hatte schon lange Zeit komponiert, als ich im Januar 2017 für Aufnahmesessions gebucht wurde, die dann am 1. Mai in den Londoner RAK-Studios begannen − derselbe Ort, an dem ich sein voriges Album aufgenommen habe.
Die Basic-Tracks für alle Stücke des neuen Albums haben wir innerhalb von zweieinhalb Wochen im RAK-Studio aufgenommen, abgesehen davon, dass wir in wenigen Fällen auf die Songwriting-Demos aufgebaut haben, die natürlich anderswo aufgenommen worden waren. Zum Beispiel wurde der Song Pray um Timbalands Drum-Loop und Vocal-Percussion herum gebaut. Weil aber die überwiegende Mehrheit des Materials von denselben Personen am selben Ort aufgenommen worden ist, ist das Resultat ein sehr in sich geschlossenes Album. Wir haben jeden Tag im Kern mit demselben Set-Up gearbeitet: Schlagzeug, Bass, Gitarre, Piano und live dazu Sams Gesang. Ein paar Overdubs haben wir während dieser zweieinhalb Wochen auch gemacht, Percussion zum Beispiel, und der Bassist Jodi Milliner hat etwas Moog Bass zu seinem Fender Precision hinzugegeben.«
Ein komplettes Album innerhalb von zwei bis drei Wochen im selben Studio aufzunehmen, das war in den 70ern durchaus das Standard-Verfahren. Da aber die Aufnahme von The Thrill Of It All schon 2017 war, stellten die Dinge sich nicht so einfach dar. Zunächst einmal zeigt ein Blick in die Credits nicht nur die heutzutage übliche Crew von Songwritern (immerhin kolossale 28 Personen bei der 10-Song-Standard-Edition), sondern auch einige weitere Ko-Produzenten (sechs zusätzlich zu Fitzmaurice und Napes) sowie eine große Palette von Studios in London, New York, Los Angeles und Nashville. Während es also dem Spirit der 70er verpflichtet ist, ist The Thrill Of It All zugleich ein echtes 2017er Album.
Allerdings sind die zusätzlichen Studios teilweise deshalb in den Credits gelistet, weil dort die erwähnten Song-Demos aufgenommen worden waren. Darüber hinaus gab es Fitzmaurice zufolge aber auch zusätzliche Sessions nach den Band-Aufnahmen im RAK. Bevor er darüber berichtete, erzählte Fitzmaurice aber zunächst detailliert von den RAK-Band-Sessions. Diese fanden größtenteils in Studio 1 statt, das mit einem 48- kanaligen API-Pult und einem großen LiveRaum glänzt, der bis zu 35 Personen aufnehmen kann. Fitzmaurice begann mit der Erläuterung, wie genau er die Tape-Aufnahmen mit einer Studer A800 Mk3 [Bandmaschine] durchführte.
»Da es Tape sein sollte, habe ich mich für 16 Spuren entschieden, weil ich glaube, dass das der Aufnahme mehr von diesem analogen Charakter mitgibt, um den es Jimmy und Sam ging. Was ich dabei nicht so richtig bedacht hatte, war, dass ich mich damit selbst in den Möglichkeiten einschränke. Aber letztlich hatte ich doch Freude an der Herausforderung, eine fünfköpfige Live-Band auf 16 Spuren zu bekommen: Es bedeutet, dass man früh Entscheidungen treffen muss! Heute benutzen alle so viele Mikrofone und Spuren und lassen sich damit alle Optionen offen, dass es toll war, sich mal so fokussieren zu müssen. Und als die Band dann die Instrumente niedergelegt hat, klang das Playback direkt ziemlich gut, weil vieles schon angemischt und gebounct war.
Als ich am Anfang meiner Karriere mit Tape gearbeitet habe, musste jeder einzelne Stereo-Bounce von jeweils mehreren Spuren direkt super klingen. Es bedeutete, dass alles sofort so klingen musste wie es am Ende klingen sollte. Dieser Tage mixe ich viel Kram von anderen, und ich bekomme z.B. überund untereinander geschichtete Toms, jedes auf einer eigenen Spur, oder acht Spuren mit ›Oooh‹ unisono. Die Leute lassen auch haufenweise Sachen an der Seite liegen. Ich kann damit nicht gut umgehen. Unsere Gehirne haben eine begrenzte Kapazität. Ich denke immer: ›Gib mir doch einfach einen StereoBounce!‹.«
DAP King Horns
Fitzmaurice hat das CLASP-System von Endless Analogue benutzt, das bis zu drei Bandmaschinen in die DAW integriert, indem es das Tape als Zwischenstufe benutzt und das Signal gleichzeitig in die DAW aufnimmt. Das ermöglicht es, alle klanglichen Eigenschaften einer Tape-Aufnahme mitzunehmen, während man zugleich Tonband-Kosten spart und überhaupt von Edit- und Speicherungs-Vorteilen der DAW profitiert. Daher gab es keine klassischen Tracksheets, sondern Fitzmaurice hat uns zwei Screenshots der Original-16-Spur-Session von Too Good At Goodbye vorgelegt. Details zu allen Spuren und Signalketten: siehe Kasten »Aufnahmen auf 16 Spuren«.
»Wenn wir morgens zusammenkamen, spielte die Band erstmal für ein paar Stunden immer den Song durch, den wir an dem Tag jeweils aufnehmen wollten. Währenddessen habe ich an den Sounds gearbeitet, den Drum- oder Gitarrensound verändert, je nachdem, was der jeweilige Song benötigte. Um die Mittagszeit kam dann immer Sam rein, dann haben wir nach dem Mittagessen zwei oder drei Takes aufgenommen und waren schon durch damit. Sam ging anschließend nach Hause und wir würden ein Comping aufnehmen und von manchen Bandmitglieder vielleicht einen Overdub erstellen. Die Band ist meistens so gegen 17, 18 Uhr gegangen, woraufhin Engineer Darren Heelis und ich zurückblieben, um weiter am Comping und Editing zu arbeiten. Ich sorge gern dafür, dass mir Kram nicht über den Kopf wächst! Am Ende jedes Tages hatten wir das Gerüst eines Stücks fertig.
Ein Sänger wie Sam erzählt mit jedem Song eine Geschichte. Alles wird von seiner Stimme geleitet und die Band spielt zu seiner Stimme. Earl Harvin, der Schlagzeuger, hat die Stimme richtig laut auf dem Kopfhörer. Wenn Sam also an Intensität zulegt, kann Earl auch ein bisschen zulegen, und wenn Sam sehr intim singt, kann Earl auch sanfter spielen. Die Band hat meistens zum Click gespielt, gelegentlich aber auch − wie erwähnt − zu einzelnen Elementen der Songwriting-Demos. Dies war der Fall bei Timbalands Beitrag zu Pray, und bei Too Good At Goodbyes haben wir Sams Original-Demo-Backing-Vocals belassen, während wir in Say It First Malays Drum-Programming weiterbenutzt haben.
Tatsächlich hatten wir für den ersten Monat in den RAK-Studios das gesamte Gebäude angemietet. Wir haben in Studio 1 die Band aufgenommen, während wir in Studio 2 den Gitarrenverstärker hatten, ebenso wie einen Leslie-Lautsprecher und einen Bassverstärker, also ging uns nichts verloren. Nach einer Aufnahme, während ich in Studio 1 an Editing und Rough Mix gearbeitet habe, hat Darren oft in Studio 2 die Drums mit Samples ergänzt, einen Loop ausprobiert oder etwas von einem Demo so geschnipselt, dass es zur gerade aufgenommenen Live-Performance passt. Wir haben den Bass immer per DI aufgenommen, und Darren hat immer mal ausprobiert, wie er re-amped durch einen Ampeg Bassverstärker klingt. Wenn ihm etwas gefiel, hat er es in Pro Tools aufgenommen, sodass ich es mir anhören konnte. Währenddessen war Jimmy oft in Studio 3 mit dem Comping der Vocals beschäftigt oder damit, ein anderes Streicherarrangement oder sowas auszuprobieren.«
Die Streicher sind ebenso wie der Chor und die Bläser nach der Fertigstellung der Band-Aufnahmen als Overdubs hinzugefügt worden. Fitzmaurice: »Wir haben auch die Streicher bei RAK aufgenommen, zwei Tage lang. Wir hatten bis zu 23 Musiker da, was schon etwas gequetscht war, aber ich mag den Klang von Streichinstrumenten dort sehr. Der Raum ist etwas kleiner und hat einen warmen, holzigen Klang, der auch etwas näher und roher klingt als in einem größeren Raum, weniger orchestral. Simon Hale, der die Streicher arrangiert und dirigiert hat, mag auch den Streicher-Sound im RAK. Ich habe die Strings direkt in Pro Tools overdubbt, um angesichts der enormen Dynamik von Streichern Bandrauschen zu vermeiden. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass die Bandmaschine oder das CLASP-System mich im Stich lässt, während mir 23 Musiker zusehen!
Um die Dap King Horns als Overdub für drei oder vier Stücke aufzunehmen, habe ich das CLASP-System wiederum benutzt, denn das Tape hoch auszusteuern, hat den Klang der Bläser etwas verändert. Wir haben auch die Backing Vocals von Sam und ein paar Mädchen aus seiner Live-Band auf Tape aufgenommen, aber nicht den Chor. Den haben wir an einem Tag im großen Raum der AIRStudios aufgenommen, denn wir hatten am Ende 16 Sängerinnen und Sänger und die wollte ich unbedingt in einem etwas größeren Raum aufnehmen, um ein paar Ambiente-Mikrofone aufzustellen. Als wir dann im Juni alle Aufnahmen fertig hatten, sind wir in mein Studio bei Pierce Entertainment umgezogen, wo ich die finalen Mixe erstellt habe. Das ganze Projekt war ziemlich kontinuierlich angelegt, angefangen am 1. Mai [2017], und den letzten Mix habe ich am 20. Juli [2017] abgeliefert.«
The Mix
Damit weiter zum Mix der Lead-Single des Albums, Too Good At Goodbyes. Fitzmaurice hat all seine Mixe auf seinem Neve VR72 dirigiert, aber mit einem zeitgemäßen Twist: Er hat die Mixe nicht auf dem Pult fertiggestellt, sondern damit Stems gemischt und dann den Mix in-the-box fertiggestellt.
»Ich würde das Handtuch schmeißen an dem Tag, an dem ich komplett in-the-box mixen müsste«, kommentiert Fitzmaurice. »Ein Grund, ein Pult zu benutzen, war immer der Sound, aber HD ist dieser Qualität inzwischen ziemlich nahegekommen, daher ist das kein wesentlicher Grund mehr. Stattdessen liegen die Hauptgründe für mich im Bereich von Ergonomie und Gefühl. Automatisierung ist an einem Pult einfach und intuitiv, und es geht viel schneller für mich, eine Balance hinzubekommen als in-the-box. Ich kenne außerdem sehr genau den Sound an meinem Platz vor dem Pult mit einem Paar Nahfeld-Monitore oben drauf. Und es hat eine gewisse Romantik, am Mischpult zu arbeiten: Es gibt mir wirklich das Gefühl, eine Platte zu machen.
Früher hat man seine Pult-Mixe mit allen im Raum gemacht und sofort Rückmeldung bekommen. Heute ist das Problem, wenn man einen Mix über die Welt verteilt an Leute schickt, dass man oft erst Tage später Feedback bekommt. Und ich kann nicht herumsitzen und auf Kommentare warten. Niemand zahlt mehr für Revisionen, also muss ich in der Lage sein, Dinge im Handumdrehen zu verändern, und das geht nur in-the-box. Wenn ich immer noch mit dem Pult arbeiten will, ist die einzige Lösung, mit Stems zu arbeiten. Ich erstelle Stems von vielen verschiedenen Spuren, weil es mir für die Arbeit am Computer viel Fleixibilität gibt. Man hat ziemlich viele Freiheiten, wenn man Stem-Sessions mischt. Für mich sind Stem-Sessions wie die analogen Multitracks, mit denen ich gearbeitet habe, als ich anfing, Platten zu machen: Die grundlegenden Probleme sind schon gelöst. Klanglich ist alles gut in Form und die Levels sind gesetzt. Wenn man es also alles zusammen abspielt und die Fader in einer geraden Linie hat, klingt es schon wie eine Schallplatte.
Momentan arbeite ich so, dass ich vielleicht einen halben Tag an der Konsole mixe, mit verschiedenen Outboard-EQs und Kompressoren. Ich sorge dort für eine grundlegende Balance und den grundlegenden Klang, mache ein paar Vocal-Fahrten und gebe vielleicht noch einen Bricasti-Hall oder sowas auf die Vocals − ich habe einen automatisierten Fader als Send zum Reverb − dann erstelle ich einen Print. Danach baue ich einen Stem für das gleiche Pro-Tools-Rig, das momentan aus HDX mit Pro Tools 12 und einer Antelope Atomic Clock besteht. Letztere gibt mir eine bessere Phase, besseres Stereo-Bild, mehr Tightness und lässt die tiefen Frequenzen besser klingen. Wenn ich von Spuren Stems erstelle, sende ich sie durch meine analoge Mastering-Kette, die besteht aus einem Avalon 2055 EQ, einem Manley VariMu Kompressor, von da geht es weiter in einen Chandler Curvebender EQ, dann in einen Chandler-Zener-Kompressor und schließlich in meinen Crane Song HEDD AD/D-A-Wandler.
Wie viel ich jeweils am Pult oder in-the-box mache, variiert. Manchmal fange ich einen Mix am Pult an und innerhalb einer Stunde klingt es super, dann bleibt es ein 99%-Pult-Mix. One Last Song ist ein Beispiel dafür. Es ist mir nie gelungen, den Rough Mix davon richtig klingen zu lassen, weil wir diese superlaute 16tel-HiHat vom Original-Drumloop drin hatten, die uns wahnsinnig gemacht hat, aber wenn man sie leiser stellen wollte, verlor sie ihre Energie. Im Pierce-Studio klang sie dagegen direkt gut, daher ist der Pult-Mix der finale Mix geblieben − auch wenn ich Stems erstellt habe, für den Fall, dass jemand später noch was nachgetweakt haben wollen würde.«
Fitzmaurices Stem-Session für den finalen Mix von Too Good At Goodbyes hat sich von den ursprünglichen 16 Spuren auf − für heute typischere − 47 Spuren ausgedehnt. Die hinzugekommenen 31 Spuren sind zusätzliche Sample-, Overdub-, Outboard-Effekte und Aux-Spuren sowie eine Master-Inputund eine finale Mix-Print-Spur. Im Folgenden ein Überblick über die Spuren der Stem-Session, angefangen unterhalb der Master-Inputund Mix-Print-Spuren: 11 Drum- und Percussion-Spuren (interessanterweise die selbe Anzahl wie in der 16-Spur-Session, obwohl die Spuren nicht exakt die selben sind wie dort), eine Bass-Spur und eine Moog-BassSpur, eine E-Gitarren-Spur, ein Akustikgitarren-Overdub, eine Piano-Hauptspur, eine Piano-Outboard-Effekt-Spur, ein Piano-Overdub, ein Fender-Rhodes-Overdub, ein Synth-Streicher-Overdub, drei Streicher-Spuren (Nahaufnahme, Raum, Outboard-Effekt), eine Aux-Spur mit Achtelnoten-Delay, eine trockene Lead-Vocal-Spur, zwei Lead-Vocal-Outboard-Effekt-Spuren, eine Spur mit Sam Smiths Backing-Vocals, zwei Spuren mit weiblichen Backing-Vocals, zwei Chor-Spuren, 10 Subgruppen-Spuren und zwei Aux-Effekt-Spuren.
Fitzmaurice beschreibt ein paar Session-Highlights, angefangen oben bei den Drums: »Die beiden oberen Spuren sind ein Kickdrum-Sample und eine Live-Kickdrum. Ich mache von der Bassdrum gern einen separaten Stem. Als ich sie mal durch den Main Drum-Bus geschickt habe, hat der alles etwas zu sehr beeinflusst. Ich glaube, ich habe am Pult verschiedene Drum-Spuren in ein paar parallele Kompressions-Kanäle geschickt, nämlich einen mit einem 1176, der die Drums ganz schön zusammengehämmert hat, einen mit einem DBX 166 und einen mit einem Standard Audio Level-Or. Ich habe beide Seiten des [DBX] 166 unterschiedlich eingestellt; eine Seite gibt Punch dazu, die andere Seite gibt Dreck dazu. Der Level-Or ist ein Remake des Shure Level-Loc im Rahmen der 500- Serie, er gibt eine fette, charakterstarke Distortion-Textur dazu. Ich habe immer drei oder vier parallele Kompressions-Kanäle aufgebaut, zu denen ich an jedem Punkt Drums schicken kann.
Das UAD Little Labs Plug-in auf der Kickdrum ist so ein Phasen-Ding, um sie ein wenig geschmeidiger klingen zu lassen, und der Sonnox Oxford EQ nimmt die 30 Hz mit einem 12 dB-Filter weg, weil das Kickdrum-Sample zu flatterig klang. Der SPL Transient Designer auf der Sample- und der Live-Bassdrum-Spur ist automatisiert. Der Song wird wesentlich lebhafter im letzten Refrain, deshalb ziehe ich das Sustain an dem Punkt runter, um sie etwas tighter und punchiger klingen zu lassen. Ich lasse den UAD dbx 160 [Kompressor/Limiter] über einige der Drum-Spuren laufen, immer nur mit einem winzigen Anteil Kompression.
Der E-Bass hat auch den Oxford EQ drauf, der etwas von den oberen Frequenzen wegnimmt. Das Pult hatte wohl etwas mehr dazugegeben, als ich brauchen konnte. Ich habe nie das echte Helios-69-Pult benutzt, aber wie die Hardware-Version gibt auch das Plug-in eine kleine Menge unspezifische Tieffrequenzen dazu, wenn man 60 Hz auswählt, sogar wenn man den Gain nicht erhöht. Es steht dem Bass wirklich gut. Ich mag dieses Plug-in, daher ist es auf mehreren Spuren wie dem Moog-Bass und der E-Gitarre [Spurname: SKANKS]. Es gibt auch einen Send zu einem UAD Dimension D Chorus auf dem E-Bass, den ich so automatisiert habe, dass er immer nur im Pre-Chorus anspringt. Dann ist da eine Haupt-Pianospur und eine Piano-Effektspur, die ein Print ist vom EMT 140 Plate [Reverb] der RAK-Studios. Der Piano-Overdub gegen Ende [Spurname: end PNO] hat ein UAD RE-201 Space Echo und den Empirical Labs Arouser drauf, das ist die Plug-in-Version des Distressor. Das End-Piano war etwas zu perkussiv, deshalb komprimiere ich die Peaks ein wenig.
Es gibt drei verschiedene Spuren mit echten Streichern. Auf »spotSTRGS« liegen die Aufnahmen mit nahen Mikrofonen: Schoeps CMC-5s für die Geigen und Bratschen, Neumann U67 für die Celli und das Wunder CM7 Suprema für den Kontrabass. Dann eine Spur mit Raumaufnahmen der Streicher, für die wir einen Decca-Tree mit drei Neumann M50 bestückt haben. Aber ich hatte auch ein AEA-R88-Stereo-Bändchen-Mikrofon in der Mitte der Streicher-Sektion aufgestellt, das bei manchen Songs im Mix ist. In One Last Song und Baby You Drive Me Crazy sind alle Streicher nur über dieses Bändchen zu hören. Es ergibt einen leicht altmodischen Sound, da es nicht so viele Höhen aufzeichnet. Es klingt kleiner und zurückhaltender, weniger orchestral. Manche Songs fangen mit diesem Bändchen-Mikrofon an, und wenn der Refrain beginnt, öffnen die Spot-Mikrofone ein weites Stereo-Panorama. Die dritte Spur mit echten Streichern ist ein Print des EMT 140 Plate Reverb auf den Streichern, und ich habe einen automatisierten UAD 224 darübergelegt, vielleicht, weil ich an bestimmten Stellen noch nicht genug Hall hatte.
Die Main-Vocal-Spur hat die UAD Manley Voxbox drauf, die ein bisschen schnelle Kompression um 0,5 dB macht, also nicht viel. Das ist auch wieder eines dieser Plugins, die direkt irgendwas verbessern − auch ohne, dass man sich um die beste Einstellung bemüht. Es ist auch ein Massey-De-Esser auf dieser Spur. Normalerweise de-esse ich die Vocals manuell, aber hier waren ein paar Stellen im Refrain, wo manche Frequenzen mich etwas gestört haben. Ich habe in den Refrains ein Achtelnoten-Delay auf die Stimme gegeben, vom Echo-Boy der Aux-Spur darüber, außerdem etwas UAD Lexicon 224 Reverb. Die Lead-Voice-Spring-Spur ist ein Print von meinem Demeter RV-1 Outboard-Federhall, der fast wie eine Plate klingt, und LV Chamber ist ein Print des Bricasti Reverbs. Darunter sind drei Spuren mit Backing Vocals, davon eine von Sam und zwei von seinen Background-Sängerinnen und -Sängern: LaDonna Harley Peters, Patrick Linton, Vicky Akintola und Vula Malinga. Dann noch zwei Chor-Spuren. Vom Chor kommen auch die Handclaps in der zweiten Strophe. Alle Backing-Vocal-Spuren haben etwas UAD 224 Reverb drauf.
Unter all den Audio-Spuren sind Subgruppen-Busse − Beat, Kickdrum, Bass, Keys, Gitarren, Streicher, Lead-Vocals, Backing-Vocals, Chor und Effekte − die mir erlauben, jede dieser Gruppen als solche zu kontrollieren. Viele davon haben den Softube TubeTech CL1B [Kompressor] drauf, der in meinen Stem-Session-Subgruppen Standard ist, aber ich schalte ihn oft nicht an. Auch den Phoenix und den Maag EQ4 benutze ich in dieser Session nicht für die Lead-Vocals. Das sind alle Standards in meinen Templates, sodass der Phoenix die Stimme bei Bedarf etwas reicher machen kann, und der Maag hat diese Luft-Einstellung.«
Wiederum oben in der Session angefangen, erläutert Fitzmaurice seine Mastering-Kette: »All die individuellen Spuren gehen in diese Subgruppen, die zum Input-Kanal geroutet sind, wo wiederum der UAD Shadow Hills Stereo Kompressor nichts außer 0,5 dB komprimiert. Danach kommt der Dangerous Music BAX Mastering EQ, mit dem ich bei 130 Hz 0,5 dB hinzugebe und bei 71 KHz 1 dB breit absenke. Am Ende ist da noch ein UAD Manley Massive Passive EQ mit einem High-Pass-Filter bei 23 Hz, nur für den Fall, dass da noch irgendein Müll klebt, den ich zu entsorgen vergessen habe.
IN-THE-BOX: AUFNAHMEN AUF 16 SPUREN
Die 16 Spuren von Fitzmaurices Pro-Tools-Session der Basic-Track-Aufnahmen zu Too Good At Goodbyes bestehen, Mikros und Signalketten mitgezählt, aus:
1. HiHat: aufgenommen mit einem Mercenary Audio KM69 und einem Neve 1081 Mikro-Preamp
2. Kickdrum: aufgenommen mit einem Telefunken M82 und einem Neve 1081 Mikro-Preamp
3. Kickdrum Sub: NS10 > Neve 1081 > API 560 EQ
4. Snare: Shure SM58 (Grill abgenommen) / AKG451 / AKG C414 > Neve 1081
5. Floor Tom: Neumann FET 47 > Neve 1081
6. Contact: C-Ducer (An das Snare-Chassis getaped; für Rimshots) > API Pult Pre
7/8. Overhead Paar: 2x Coles 4028 > AEA TRP Mikro Preamp > Maag EQ4 > Dramastic Audio Obsidian Kompressor
9/10. Raum Paar: 2x Flea M50 > Neve 1081, Chandler TG1
11. Dist kit: Wunder CM7 Suprema > Neve 1081 > Distressor > Culture Vulture
12. Bass: Acme Motown DI > Neve 1073 > Urei 1176
13. E-Gitarre: Mesanovic 2S > Neve 1066 Mikro Preamp > LA-2A
14. Lead-Vocal: Neumann U67 > Neve1066 > Urei 1176
15. Piano: Neumann U67 > Neve 1064 > 1176
16. Moog-Bass (Overdub): Moog Voyager > EAR Wedgeit DI > Neve 1073 > DBX160x