Extrem-Tüftler

Studio- und Live-Tontechniker Rob Griffin

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Rob Griffin
Rob Griffin in seinem Heimstudio in Panama City; vorne unten und links hinten zwei modulare Schertler-Arthur-Format-48-Konsolen (Bild: Tarina Rodriguez)

Der Tontechniker Rob Griffin, 63, war etwa mit den Jazz-Legenden Herbie Hancock, Wayne Shorter, Michael Brecker oder Brian Blade auf Tour und im Studio. Zur Abmischung nutzt er ein »ausuferndes« Wohnzimmerstudio in Panama, wo er inzwischen lebt. Griffin überspielt alle Spuren einzeln in Echtzeit aus Pro Tools in sein RADAR-System und bearbeitet sie gleichzeitig »Out of the Box«. Neben Grammys für Studioalben kann er auf eine Karriere als Live-Mischer bei über 12.000 Konzerten zurückblicken — nachdem er ursprünglich erfolgreicher Gitarrist war. Ein Blick auf einen unkonventionellen Lebensentwurf und ungebrochene Neugier abseits aller Audio-Routine.

Wie die jahrzehntelange Kombination aus Recordingund Live-Engineer funktioniert? Er sei komplett verrückt, betont Griffin. Der sympathische Tontechniker prustet laut, wenn er lacht, zeigt sich begeisterungsfähig. Griffin, der kürzlich Shorters aktuelles Album Emanon, ein Mammutprojekt, abgemischt hat, reiste danach ein halbes Jahr durch Europa, um sich mit Audiotechnologien zu beschäftigen und Hersteller zu treffen. Wir haben ihn bei der Firma Schertler »erwischt«, wo ihn die aktuelle Arthur-Serie eines modularen analogen Mischpults begeistert.

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Was hat dich eigentlich nach Panama verschlagen?

Ist das schon das Interview?

Das hängt von deiner Antwort ab … (lacht)

Der erste Grund: Ich habe in San Francisco gelebt und hatte fünf Geschwister, dazu meine Eltern. Ich arbeitete gerade mit [Jazz-Saxofonist und Komponist] Wayne Shorter, der für mich eine Vaterfigur ist. Seine Frau starb bei einem Flugzeugabsturz − ich war derjenige, der es ihm beibringen musste. In der darauffolgenden Woche starben überraschend mein Vater und mein Bruder. Dazu kam die Scheidung von meiner Frau. Ich zog nach Columbus, Ohio, wo ich herkam, um mich um meine Mutter und meine Großmutter zu kümmern. Nach San Francisco schien mir Ohio persönlich weniger reizvoll. Ich mag das kalte Wetter nicht, und hatte bereits in Panama zu tun − dazu komme ich gleich. Ich bevorzuge jeden Tag 28 Grad. Musikalisch gesehen: Der Pianist vom Wayne Shorter Quartett, Danilo Pérez, stammt aus Panama. Er betreibt die dortige Berklee School Of Music- Filiale. Ich zog dorthin, um ihm bei seinen Projekten zu helfen und die Musik für soziale Veränderungen zu nutzen. Ich bin selbst politisch links orientiert. Dazu kommt, dass ich bereits über zehn Jahre wegen Danilo regelmäßig in Panama war. Dann wurde ich Teil von Projekten im Dschungel von Panama: die Harvard-Trägerschaft Geoversity.org, eine Gruppe von Leuten, zu der auch Verhaltensforscherin Jane Goodall gehört, die sich um das Erhalten der Natur kümmert.

Ich bin ein Dschungel-Typ − 63 Jahre alt, etwas weniger verrückt als früher, aber habe viel Zeit in Amazonien oder Papua verbracht. Das war also interessant für mich. Wir nutzen zum Beispiel das sogenannte Biomimicry: Dabei geht es darum, Lösungen der Natur zu nutzen, um Probleme in der Ingenieurswelt zu lösen. Das Projekt ist abgefahren. Wir sind dazu da, die Tiere und den Wald zu beschützen. Wir kaufen Land, das früher gerodet wurde, und bewalden es wieder. Ich arbeite dort zum Beispiel als FoH auf deren Regenwald-Campus. Vor zehn Jahren begann ich also, mehr und mehr Zeit in Panama zu verbringen. Als mein letzter Bruder starb, zog ich mit meinem Mixing-Studio nach Panama um.

Rob Griffin
Griffin im Avatar-Studio in New York bei den Aufnahmen zum aktuellen Wayne-Shorter-Quartett-Album »Emanon« (Bild: Rob Griffin)

In welcher Gegend wohnst du dort?

Ich wohne in der Altstadt von Panama City, in dem kleinen Stadtteil Casco Antiguo [auch: San Felipe], die wie die Form einer Hand in den Pazifik reicht, nur vier Straßen breit und zwölf Straßen lang. Was Clubs und Touristen angeht, ist das die aktivste Gegend, und ich lebe genau in der Mitte. Ich kann also gerade mal vier Minuten in jede Richtung gehen. (lacht) Aber ich verlasse den Stadtteil nie, wenn ich in Panama bin.

Wie hat deine Karriere begonnen?

Ursprünglich war ich Profi-Musiker, spielte Gitarre und Mandoline auf recht hohem Niveau. Als Kind spielte ich Bluesgrass und hatte viele technische Fertigkeiten. Dadurch kam ich schnell an die Spitze und reiste um die ganze Welt. Als ich klein war, besaßen wir keinen Fernseher. Meine Eltern waren beide Professoren, wir hatten tausende Klassikplatten. Ich war sehr daran interessiert und hörte alles genau an. Mein älterer Bruder − ich war der jüngste − war Gitarrist und Recording-Engineer. Der nahm mich mit ins Studio, also hing ich 1968 mit 13 Jahren bereits am Wochenende im Studio rum. Die ganze Analogtechnik und die Mikrofone waren eine gute Erfahrung, da habe ich viel gelernt.

In den frühen 1970ern begann ich, mit alten Akustikgitarren zu handeln, um selbst an bessere zu kommen. Ich denke, das half, mein Ohr für akustische Instrumente zu sensibilisieren − meine heutige Spezialität. Dann habe ich mich am Handgelenk verletzt und konnte es fünf Jahre kaum bewegen. Beruflich war das der Super-Gau. Also fragten mich Leute, ob ich als FoH mit auf Tour kommen oder Platten mischen könnte. Wayne Shorter war übrigens der erste Jazzkünstler, für den ich gearbeitet habe, er ist für mich wie ein Vater. Der zweite war Herbie Hancock, danach kam Michael Brecker. Ich hatte unheimlich Glück. Heute geht es meinem Handgelenk besser, aber man kann schließlich nicht alles machen.

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Griffin bei der Arbeit auf dem Centro Mamoní−Regenwaldcampus eines Naturprojekts in Panama, mit dem Schertler Arthur-Pult (Bild: Rob Griffin)

Der Mixing-Arbeitsplatz in deinem Haus wirkt ähnlich beeindruckend …

Das Mixing-Studio ist sehr »ausufernd«: Mein Wohnzimmer ist mein Studio, allerdings mit einer Deckenhöhe von über 4 Metern. Als akustische Maßnahmen verwende ich Dinge aus dem Alltagsleben. Es gibt kein akustisches Treatment in meinem Wohnzimmer − wenn du die Tür öffnest, sieht es aus wie ein Studio mit einer Couch und einem Esstisch. Ich verwende orientalische Teppiche zur Dämmung und habe die Couch gegenüber meiner Speaker aufgestellt.

Die macht sich bestimmt gut als Bassfalle, um große Wellenlängen abzufangen?

Absolut! Dazu kommen zur Dämmung noch jede Menge Bücher und Schallplatten − ich habe tausende Bücher im Wohnzimmer. Mein Bücherregal ist vorne und hinten offen und steht ein Stück von der Wand entfernt. Jedes Buch hat eine andere Größe und Tiefe − sie absorbieren also allesamt unterschiedliche Frequenzen. Ich lebe dort seit zweieinhalb Jahren, war aber in den Jahren zuvor bereits sechs Monate pro Jahr dort.

Rob Griffin
Beim Live-Mix im Hollywood Bowl, Los Angeles (Bild: Royer Labs)

Du hast kürzlich am neuen Album des Wayne Shorter Quartetts gearbeitet, Emanon

Der Titel heißt »Noname« rückwärts − wir haben die Platte zusammen mit dem Orpheus Chamber Orchestra im New Yorker Avatar Studio A aufgenommen. Für das Mastering gehe ich immer zu Mark Wilder in New York. Das war das erste Mal, dass ich erlebt habe, dass er keinerlei EQ- Anpassungen vornahm. Das sagt mir, dass ich bei mir gut abhören kann.

Gerade mit dem Orchester klingt das nach einem sehr aufwendigen Projekt. Wie liefen denn die Aufnahmen ab?

Im Studio hatten wir sehr begrenzt Zeit, weil das Orchester teuer war. Einerseits war das Wayne Shorter Quartett, das seit 17 Jahren ohne Veränderungen existiert, gut eingespielt. Und das Orchester hatte keinen Dirigenten − dafür sind sie berühmt, übernehmen dadurch selbst eine große Verantwortung. Zusammengenommen führte das dazu, dass alles in einem Take aufgenommen wurde. Bis auf ein Intro, das ich herausschnitt und durch einen anderen Take ersetzte. Ich nehme gerne im Avatar-Studio [firmiert mittlerweile mit neuem Eigentümer wieder unter dem ehemaligen Namen Power Station; Anm. d. Red.] auf, weil ich das Mischpult − eine Neve 8088-Konsole − klasse finde.

Wir nahmen mit Pro Tools auf, ich zähle eigentlich nicht zu den Fans und hätte es toll gefunden, noch auf einem anderen Format aufzunehmen, was aber keine Option war. Ich nehme flat auf, ohne EQ und Kompression, verschiebe stattdessen die Mikrofone. Für das Symphonieorchester nutzte ich drei alte Neumann M50 in Decca-Tree-Aufstellung, dazu noch Mikrofone von Leo de Klerk in den Niederlanden, der über 800 Klassikplatten für Philips aufgenommen hat, und ein guter Freund von mir ist. Er hat ein Mikrofon entwickelt, das DIFA − »Diffused Field Adapter Circuit« − meist mit DPA-Kapseln. Zwei hänge ich im Raum auf, zusammen mit dem Decca Tree, auch für das Orchester. Jedes hat zwei Outputs − zwei Kugelkapseln, mit leichtem Abstand, zusammen mit dem DIFA-Schaltkreis. Es klingt wie ein Kugelmikrofon, richtet aber im Bassbereich. Praktisch das Gegenteil von einem M50. Das Interessante: Du kannst die Pan-Einstellungen wild verändern, nichts verändert sich − nur der Bassbereich wird von hinten nach vorne im Klangbild verschoben − unglaublich. Es existieren allerdings nur vier Exemplare. Leo hat die Prototypen nie weiterentwickelt, meint aber, er könnte den Schaltkreis in Software übersetzen − leider hat er jede Menge andere Projekte. Zurück zur Aufnahme: Wir nahmen praktisch alles live auf. Wayne orchestriert alles, schreibt die Arrangements selbst von Hand. Die ganze Platte war am Ende in 2 Stunden und 53 Minuten aufgenommen − das werde ich nie vergessen. Schlicht Wahnsinn!

Bei der Platte gab es spätere Overdubs, richtig?

Ja. Wayne Shorter hatte Lungenprobleme und eher sparsam gespielt, daher entschieden wir uns, in Panama noch ein paar Overdubs aufzunehmen. Danilo betreibt einen Jazz-Club mit toller Bühnenakustik. Dort haben wir Piano-Parts und zusätzliche Saxofon-Elemente von Wayne aufgenommen.

Rob Griffin
Schlagzeuger Brian Blade mit Rob Griffin − letzterer verzichtet auf direkte Tom-Mikrofonierung (Bild: Rob Griffin)

Was war die größte Herausforderung?

Schlimmes Übersprechen von Waynes Saxofon in der Decca-Tree-Aufstellung − und plötzlich wollte er nachträglich etwas anderes spielen. Obwohl ich 50 Mikrofone vor mir hatte, die sein ursprüngliches Spiel aufgenommen hatten, funktionierte der Overdub im Gesamtergebnis großartig! (lacht) Er hat mich auch gefragt, ob wir das Orchester loopen und die Sektion erweitern könnten. Klar, warum auch nicht? Wir hatten viele Piano- und Saxofon-Schnipsel aufgenommen. Zum Beispiel im Jazz Club − sie meinten, ich solle nicht aufnehmen, sie würden nur ein bisschen improvisieren. Nach fünf Minuten ärgerten sie sich, »zu blöd, dass wir das nicht haben« – natürlich hatte ich aufgenommen. Die Platte fängt mit dem Solo-Piano und Saxofon aus dem Jazz-Club an, dann schneide ich das Orchester rein, wie mit einer Machete, und später sind wir wieder im Jazz-Club. Am Ende hatte ich 84 Spuren. Wayne ist für mich der größte lebende Musiker, den werde ich nicht hängen lassen. Eine Deadline? Mir egal. Ich bin fertig, wenn ich fertig bin. Ich habe 16 bis 18 Stunden am Tag daran gemischt, 50 Tage lang inklusive langer lange Spaziergänge gegen Hörermüdung.

Wie sieht dein Setup aus?

Ich verwende IZ RADAR Standalone-Recorder, deren neues »RADAR Studio«-Modell. Was ich mache: Ich nutze eine alte DMXR-100 Sony-Digitalkonsole. Übrigens existiert fast die gesamte Sony Pro-Audio-Sparte nicht mehr − aufgrund eines Gesetzes in Japan, wonach inzwischen alle Produkte zu 80 Prozent recyclebar sein müssen. Das konnten sie nicht umsetzen, also wurden keine Konsolen, Aufnahmegeräte, Equalizer oder Hallgeräte mehr gebaut − nur noch Mikrofone. Das alte Digitalpult nutze ich zur Automation, sende nur digitale Signale durch, verwende keine der analogen Eingänge. Damit habe ich die vierfache Auflösung im Vergleich zum Computer − dort habe ich 256 Fader-Punkte, hier 1.024. Die Konsole bietet mir 56 Kanäle mit motorisierten Fadern sowie volle Automation, dazu den brauchbaren 32-Bit-Digital-EQ, den ich manchmal einsetze. Die wurden um die Jahrtausendwende entworfen, und hatten bereits ein Flash-Drive und einen Touchscreen! (lacht) Was meine Arbeitsweise angeht? Das ist ziemlich verrückt: Ich überspiele alle Kanäle nacheinander in RADAR, jeweils zwei Kanäle gleichzeitig, in Echtzeit.

Hilfe! Wozu das denn?

Zum einen: Der RADAR-Prozessor bietet viel mehr Rechenleistung als ein Computer. Das Ergebnis klingt besser. Ich gehe also jeweils aus dem Radar-System raus, durch eine analoge High-End-Signalkette und entscheide, welche Bearbeitung ich jeweils möchte: EQ, Kompression, Transienten-Bearbeitung − eines der wichtigsten Werkzeuge ist das Little Labs IBP 360-Grad-Phase-Alignment-Tool. Ich fange zunächst bei den Overheads an und passe die Phasenlage an, sodass beide gut harmonieren. Anschließend kommt die Bassdrum. Ich frage mich immer, welches Mikrofon am weitesten weg ist. Danach gehe ich jedes Mikrofon in Zweierpärchen durch und passe die Phasenlage nach dem EQ an, etwa Nahmikrofone zum Decca-Tree beim Orchester. Dann nehme ich das Ergebnis wieder in RADAR-System auf neue Spuren auf.

Abgesehen von der Fantasie oder Weitsicht, die du brauchst, um alle Spuren bereits für sich »endgültig« zu bearbeiten: Das einzelne Kopieren braucht reichlich Zeit …

Jawoll! Das ist der Deal: Keine Ahnung, ob ich ein guter Engineer bin, aber ich verspreche: Keiner hängt sich mehr in das Projekt rein. Ich mische überhaupt nicht in-the-box − mein Assistent Julio kann das toll. Wenn ich Audio-Restauration brauche − zum Beispiel Clicks entfernen − frage ich ihn. Nach der Phasenkorrektur nutze ich etwa den Vertigo VSE2-Kompressor und den VSM Mix Satellite, meine Hauptkontrolle, weil ich parallel blenden kann. Im ersten Insert nutze ich einen Kompressor − meist den VSE2 − falls nötig, parallel zugemischt. Bei Kompression geht es mir um Expansion oder darum, Low-Level-Details hochzubringen. Mein Haupt-Equalizer ist entweder der Cranesong IBIS, ein Nightpro EQ3D und der KuSH Clariphonic EQ für Höhenbänder. Ich verwende auch Summing and Difference, etwa für M/S-Bearbeitung. Dort nutze ich beispielsweise den Envelope von Elysia zur frequenzabhängigen Hüllkurvenbearbeitung, dazu harmonische Obertongenerierung vom Mix Satellite. Damit kann ich innerhalb eines Orchesters Cello oder Viola etwas »kräftiger« herausstellen. Das mache ich mit jedem Track.

Du hörst dir den Kontext natürlich passend mit der Latenz an?

Guter Punkt. Ja, ich höre mir den Rest passend zeitverzögert an. Ich bin gaga, wenn es um Phasenlage geht. Ein paar Tricks: Ich erinnere mich, wie ich mal bei einer Aufnahme von Esperanza Spalding [Jazz-Bassistin; Anm. d. Red.] Bass bei einer Aufnahme bearbeitet habe, und verbrachte am ersten Tag 18 Stunden damit, die Aufnahme mit zwei Mikrofonen in der Phase anzugleichen. In meiner Verzweiflung rief ich [Bassist] John Patitucci an. Er riet mir, eines der Mikrofone abzuschalten. (lacht) Gute Idee! Davon abgesehen: Mittlerweile schalte ich beim Phase-Aligning entweder einen meiner beiden Speaker aus oder den Mix mono. Und der größte Trick, den ich gelernt habe − egal, ob es um Phasenlage, Kompression oder EQ geht: Schließ die Augen beim Hören! Dadurch kann ich heute zwei Bassmikrofone in einer Minute in der Phase angleichen.

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Wayne Shorter Quartet beim Tokyo Jazz Festival — bei Drummer Blade (rechts) verwendet Griffin Overheads auf Ohrhöhe. (Bild: Rob Griffin)

Damit du nicht vom Bildschirm abgelenkt wirst?

Ja, eine der größten Ablenkungen für Toningenieure. Dein Hirn nimmt die Informationen auf, verwirft sie zwar gleich wieder, aber belegt damit Ressourcen. Sobald du deine Augen schließt − ich mache das beim Mischen ständig −, ist das Problem weg. Ansonsten: Ich verwende eine digital kontrollierte Patchbay, dadurch kann ich alle Effekte in jeder Reihenfolge vorhören und sofort eine Entscheidung treffen. Alles findet in Echtzeit statt.

Viele Tontechniker wären eher verängstigt, derart endgültige Entscheidungen Spur für Spur in Stein zu meißeln, ohne in Relation zum Endergebnis entscheiden zu können.

Das kann ich verstehen. Ich lege mich zunächst beim Decca Tree fest − am Ende komme ich darauf zurück und mache das vielleicht nochmal. Aber jeder Musiker passt sich im Mix gut ein. Alle meine Entscheidungen sind eher konservativ, nur ein bisschen EQ, etwas parallele Kompression. Dabei male ich mir das Ergebnis des endgültigen Mixes aus. Wichtig ist ein gutes klangliches Gedächtnis, was die Spuren angeht, ob ich bei 600 Hz anheben oder bei 220 Hz absenken muss. Wenn ich nachher ans eigentliche Mischen gehe, liegen die Spuren auf gleicher Fader-Einstellung und klingen toll; auch durch das Phase-Alignment. Was das angeht: Genauso wichtig wie die Noten ist der Raum dazwischen. Sound kommt aus der Stille und kehrt wieder zur Stille zurück, nach jeder Note. Ich versuche, die Klarheit dabei herauszustellen, weil diese Musik unglaublich komplex ist. Da ist es wichtig, alle Details gut zu hören.

Ich mische allein, abgesehen von meinem Assistenten − niemand von der Band oder der Plattenfirma ist dabei. Ich schicke auch keine Vorab-Mischungen − kann ich gar nicht, weil ich erst fertig bin, wenn ich fertig bin. Ich könnte Dinge verändern, wenn Wayne danach fragt, aber das hat er bislang nicht.

Warum arbeitest du noch analog?

Mir gefällt der Klang besser. Das Radar-System klingt mit seiner Klangästhetik fast wie eine Studer-Bandmaschine. Wenn ich fertig bin, gehe ich mit der Summe in meine gleiche Kette − allerdings ohne Phase-Alignment.

Du hast Stefan Schertler bei seinem Arthur-Format48- Konzept eines modularen analogen Live-Mischpults beraten, dessen Kanalzüge und Effekte sich der Nutzer selbst konfigurieren kann. Was gefällt dir daran besonders?

Ich helfe Stefan Schertler mit seinem Mixer und bin davon begeistert. Bislang habe ich nur live damit gearbeitet, aber besonders die schnelle Transienten-Wiedergabe hat mich beeindruckt. Stefan ist der erste, der ein komplettes analoges Mischpult ohne jegliche negative Rückkopplung [die Rückführung des Verstärkersignals in den Schaltkreis, um Verzerrungen zu reduzieren; Anm. d. Red.] entworfen hat, mit 30 Dezibel Headroom. Auch beim Summing − kein negatives Feedback. Dadurch kommen Transienten viel besser durch, ich brauche am Ende weniger Pegel für Durchsetzungsfähigkeit, die Signale klingen klarer − weshalb ich weniger EQ brauche. In Europa nutzen einige Studios die Konsole statt einer SSL. Für ein paar hundert Euro pro Kanal ist das ein klasse Preis/Leistungs-Verhältnis. Stefan schätzt meinen Input, so baut er zum Beispiel eine komplette Phasenkontrolle für jeden Kanal ein.

Nicht bloß die übliche Polaritätsumschaltung?

Fuuuuck! Danke, dass du Polaritätsumschaltung statt Phasenschalter sagst! Mit der eigentlichen akustischen Phasenlage hat das ja nichts zu tun! Das hat noch keiner in einer analogen Konsole umgesetzt. Ich habe Jahre gebraucht, um Jonathan Little von Little Labs zum Bauen des IBP zu bewegen. Ich denke, viele missverstehen die Kraft von Phase-Alignment − das ist schließlich kein Time-Delay [Phase Alignment arbeitet frequenzbezogen, während ein herkömmliches Time-Delay alle Frequenzen »gleichmäßig« verschiebt; Anm. d. Red.]. Er wird auch Differenzverstärker in den Subgruppen und beim Summing einbauen.

Wie sieht deine Schlagzeugabnahme aus?

Overheads stelle ich nahe den Ohren des Drummers auf, nie über den Becken. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich arbeite viel mit dem Schlagzeuger Brian Blade [Wayne Shorter, Joni Mitchell, Bob Dylan, Herbie Hancock; Anm.d. Red.]. Vor Jahren wurde mir bewusst, dass er eigentlich Dynamik und Klang nur aus seiner Perspektive kreiert. Das wollte ich nicht verändern und habe deshalb die Mikrofone nahe seiner Hörposition aufgestellt. Bei Jazz-Drummern stelle ich sie nur noch dort auf − außer, wenn jemand zu viele Höhenanteile in den Becken hat, dann verwende ich gerne die Glyn-Johns-Mikrofonierung, bei der ein Mikrofon über dem Drummer und eines von der Stand Tom-Seite kommt. Eine tolle Idee! Du brauchst etwas Abstand, damit nicht zu viele Bassanteile transportiert werden, und musst es vielleicht anwinkeln, aber es funktioniert klasse. Ansonsten: Ich verstehe das Konzept nicht, ein Mikrofon direkt über ein Tom zu hängen. Ich würde mir dort nie ein Tom anhören, kein Drummer würde dort hören. Der einzige Hintergedanke besteht darin, bessere Signaltrennung zu erreichen.

www.schertler.com

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