Recording & Entwicklung im berühmtesten Studio der Welt
Studiopraxis @ Abbey Road
von Markus Thiel, Artikel aus dem Archiv
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Wer sich bei unten genannter Headline einen ganz normalen Studioalltag vorstellt, könnte im Falle des altehrwürdigen Recording-Hauses im Londoner Stadtteil Westminster schnell auf den Holzweg geraten. Denn für das von EMI (heute ein Teil von Universal Music) betriebene Studio stand neben dem Einsatz von Audiotechnik auch immer deren Entwicklung im Vordergrund.
Um als Studiokomplex technologisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben, gibt es gemeinhin mehrere Wege. Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen bestand die Philosophie der Abbey Road Studios allerdings von Beginn an darin, selbst am eigenen Status Quo zu feilen.
Dazu unterhielt EMI ab Mitte der 50er-Jahre eine zunächst exklusiv für den Londoner Studiokomplex arbeitende, umfangreiche Entwicklungsabteilung für Recording-Equipment, welche den teureren bisher eingesetzten TAB/Telefunken-Hardware-Lösungen aus deutscher Fertigung Paroli bieten und diese schließlich ablösen sollten. Über die Jahre entstanden dabei Klassiker wie beispielsweise der Röhren-Preamp REDD.47 als Teil der »Beatles«-Konsole REDD.51 oder das Pult TG12345, welches wohl ebenfalls für immer untrennbar mit legendären Aufnahmen der Beatles oder den frühen Pink Floyd verbunden bleiben wird.
»In-House«-Entwicklungen wurden zudem ausschließlich und exklusiv in den Abbey Road Studios oder anderen EMI-Einrichtungen eingesetzt und waren somit nicht auf dem freien Markt erhältlich. Um den hart erarbeiteten technologischen Vorsprung nicht zu gefährden, ging man bei EMI sogar so weit, durch neuere Generationen abgelöste Hardware konsequent zu verschrotten.
Als im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung Röhrengeräte, Bandmaschinen und Analogpulte auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für obsolet erklärt wurden, widersetzten sich allerdings einzelne langjährige Mitarbeiter, wie der Mikrofonspezialist Lester Smith, den Anordnungen und retteten auf eigene Faust schrankweise Analogklassiker und Aufzeichnungen vor der sicheren Vernichtung. Zum Glück! − Denn knapp 20 Jahre später − pünktlich zur Analog-Renaissance − dienen diese Unikate nun als Grundstock für eine umfangreiche Reissue-Serie in Kooperation mit dem amerikanischen Hardware- Spezialisten Chandler Limited.
>> Recording-Kult und Prince Special <<
Für das Thema Recording-Kult haben wir Studio-Legende Al Schmitt getroffen und waren in denAbbey Road Studios, um uns ein paar edle Teile des dortigen Mikrofonparks anzuschauen. Engineers aus deutschen Studios zeigen, wie man heute mit echtem Vintage-Gear aufnimmt! In unserem Prince-Special widmen wir unsdem Sound, der Musik und der Person Prince,derdie Musikwelt weit über Minneapolis hinaus geprägt hat!
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Wenn es wirtschaftlich Sinn ergab, kauften auch die Abbey Road Studios neben jeder Menge Mikrofone aus meist deutscher Fertigung vor allem Outboard-Equipment aus Übersee ein. Da man Geräte wie etwa den Altec 436B-Kompressor ohnehin auf die in den Studios obligatorischen 200 Ohm Impedanz umbauen musste, bot sich in diesem Zug auch meist eine tiefgreifende technische Optimierung an. Im Falle des Altec-Geräts stand schließlich die Modifikation zum RS124-Kompressors am Ende der Bemühungen, welcher ebenfalls vor Kurzem seine Auferstehung im Portfolio von Chandler Limited feiern durfte.
Aber auch im laufenden Studiobetrieb nahm das REDD (Record Engineering Development Department), wie die EMI Entwicklungsabteilung der Studios genannt wurde, eine zentrale Rolle ein. So berichten langjährige Mitarbeiter, dass mitten in einer Session mit den Beatles auf Wunsch von John Lennon auch schon einmal der eine oder andere Presence-EQ on-the-fly per Lötkolben um eine fehlende Frequenz erweitert wurde.
Im Laufe ihrer bisher 80-jährigen Geschichte haben die Entwickler und Ingenieure der Abbey Road Studios echte und auch heute noch gefragte Klassiker der Audiotechnik geschaffen. Darüber hinaus wurden viele innovative Aufnahmeverfahren, wie das »Artificial Double Tracking« (technische Stimmendopplung in einem Take), in den 60ern von Technikern der Studios entwickelt. Nach offizieller Direktive durften solche von AudioEngineers aus der Praxis heraus entwickelten Techniken allerdings erst nach Absegnung durch das REDD und die EMI benutzt werden. Allerdings wurden viele innovative Produktionen der 60er- und 70er-Jahre erst durch moderate Übertretungen der allgemeinen Arbeitsrichtlinien möglich − natürlich mit nachträglicher Adelung durch die Unternehmensführung.
Learning By Doing
Auch wenn die Entwicklung innerhalb des Studioalltags mittlerweile nahezu komplett an Bedeutung verloren hat, können auch heutzutage noch junge Menschen von der Erfahrung der Abbey-Road-(Erfolgs)Geschichte profitieren. Das jüngst ins Leben gerufene Abbey Road Institute, welches in Kürze auch an drei eigenen Standorten in Deutschland seinen Betrieb aufnehmen wird, trägt dem Hand-in-Hand von Entwicklung und Studiopraxis pädagogisch mit einem exklusiven Background-Wissen im besonderen Maße Rechnung.
Legendäre Studiotechnik, die im Abbey Road entwickelt und gebaut wurde: Ob Mehrkanalaufnahme, Headphone-Monitoring oder Artificial Double Tracking — alles wurde vom Record Engineering Development Department, kurz REDD, entwickelt.
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