Martin Mayer grinst von einem Ohr zu anderen: Schließlich hat sich sein Besucher gerade unvermittelt umgedreht, um nachzuschauen, wer hinter seinem Rücken die Türe zum Studio geöffnet hat. Die »Türe« ist allerdings lediglich Teil einer Aufnahme, die auf Mayers ausgeklügeltem 3D-Audio-Wiedergabesystem zu hören ist …
Die verblüffenden Klangerlebnisse während der Demo-Session changieren zwischen absolut naturgetreu und völlig abgedreht bei elektronischen Dance-Tracks. Hören in einer neuen Dimension: Im ATMIX 3D Audio Lab ist dies sowohl im übertragenen Sinn als auch wortwörtlich zu erleben.
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Mister Master
Martin Mayer ist seit Jahrzehnten in der Audiobranche tätig und gemeinsam mit seiner Frau Diana Mayer-Blaimschein unter dem Firmennamen »Mister Master« bekannt. Das Ehepaar betreibt in Klosterneuburg (nahe Wien) den größten kontinentaleuropäischen Rental-Service für Schoeps-Mikrofone, und die Kollektion ist von wirklich atemberaubender Dimension. Mayer, der bereits mit dem Deutschen Bühnenpreis OPUS ausgezeichnet wurde, ist ein Mikrofonfreak par excellence, und jenseits der hochwertigen Schallwandler aus Karlsruhe verfügt er über eine private Mikrofonsammlung, die Kenner mit der Zunge schnalzen und andächtig vor einer Vitrine am Eingang zum Studio niederknien lässt.
Bei einem Besuch in Klosterneuburg sollte man sich übrigens nicht als unachtsamer Audio-Ignorant erweisen und die eigene Jacke ohne Nachzudenken im Flur am »Kleiderständer« aufhängen: Bei der mehrarmigen, an einem schwarzen Ständer montierten Konstruktion handelt es sich keineswegs um lustig geformte Kleiderhaken, sondern vielmehr um einen mit acht (!) CCM 4-Kompaktmikrofonen versehenen ORTF-3D-Aufbau, welcher als Sondermodell bei Schoeps exklusiv für Martin Mayer angefertigt wurde.
3D-Schlüsselerlebnis
Sein Schlüsselerlebnis in puncto 3D-Audio hatte Martin Mayer vor zwei Jahren bei einer Veranstaltung in Graz. Bei der in Kooperation mit dem Institut für Elektronische Musik und Akustik durchgeführten »ICSA − International Conference on Spatial Audio« traf Mayer nach eigenen Worten auf »jene 200 Wahnsinnigen, die sich weltweit beruflich mit dem Thema 3D-Audio auseinandersetzen«. Bei einer Demonstration der Möglichkeiten kam es für Mayer zu einem nachhaltig prägenden Aha-Moment, und die Begeisterung fand ihren Niederschlag schon wenig später in ersten Ideen für ein eigenes Studio. Auch Diana Mayer-Blaimschein (»So etwas hatte ich vorher noch nie gehört!«) war nach intensiven Hörerlebnissen mit dem 3D-Audio-Virus infiziert. Den Stein final ins Rollen brachten ein Besuch im Münchner Studio von Stefan Zaradic sowie ein Abstecher in den mit Dolby Atmos ausgestatteten großen Saal des Cineplexx Linz. »Man muss es hören, um es zu verstehen!«, weiß Diana Mayer-Blaimschein.
Bild: www.JoergKuester.com
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Mehr als nur Musik
Im Erdgeschoss ihres Hauses haben Martin Mayer und Diana Mayer-Blaimschein ein Studio eingerichtet, das von den Betreibern als »Labor« verstanden wird, was sich auch in der Bezeichnung »ATMIX 3D Audio Lab« niederschlägt. ATMIX ist als Name an »Upmix« angelehnt, beinhaltet aber auch das Länderkürzel AT für Österreich, und Atmosphärisches kommt bei einem Besuch der sympathischen Audiofachleute ohnehin nie zu kurz.
Selbstverständlich spielten bei der Planung finanzielle Aspekte eine Rolle. Martin Mayer ist sicher, dass sich das Studio in Zukunft amortisieren wird, denn schließlich geht es bei 3D-Audio nicht nur um spektakuläre Musikerlebnisse, sondern um Einsatzfelder vollkommen unterschiedlicher Beschaffenheit: Festinstallationen (z. B. in Museen oder Showrooms) sind ebenso Thema wie Bebauungsplanungen für den öffentlichen Raum, medizinische Anwendungen, Gaming, VR oder Anforderungen aus der Industrie. Dem Vernehmen nach gab es bereits 3D-Audio-Versuche eines Herstellers von Haushaltsgeräten, der in einem entsprechend ausgestatteten Tonstudio ermittelte, wie die Betriebsgeräusche seiner unterschiedlichen Produkte bei einem parallelen Einsatz mehrerer Geräte zusammenwirken. Ähnliches ist aus der Automobilindustrie bekannt, wo beispielsweise der beim Zuschlagen von Türen entstehende Sound passend zum Image der Marke optimiert wird.
»3D-Audio nimmt aktuell entscheidend an Fahrt auf«, sagt Martin Mayer, »und auch in Gesprächen mit in diesem Bereich engagierten Kollegen stellt sich immer wieder heraus, dass es bei diversen möglichen Projekten gar nicht um vermeintlich offensichtliche Aufgabenstellungen geht.« Apropos Kollegen: Mit gleichgesinnten Proaudio-Spezialisten engagiert sich Martin Mayer im herstellerunabhängigen Immersive Audio Network (www.ian.solutions) − ein Blick auf die Liste der dort versammelten Kenner & Könner lässt eine spannende dreidimensionale Audiozukunft erwarten!
SpatialSound Wave
Im ATMIX 3D Audio Lab setzt man auf den objektbasierten Ansatz des vom Fraunhofer IDMT entwickelten SpatialSound Wave Produktions- und Wiedergabesystems. Martin Mayer zeigt sich von der für die dreidimensionale Reproduktion über vergleichsweise wenige Lautsprecher adaptierten Wellenfeldsynthese restlos begeistert. Zu Demonstrationszwecken lässt er einzelne Signale mit einer Bewegung seiner PC-Maus im Raum kreisen, was erstaunlicherweise auch bei kritischem Zuhören vollkommen artefaktfrei funktioniert: Sogar »böse« Signale wie eine in 16teln gespielte Triangel wandern fließend durch die virtuell erzeugte Audio-Umgebung, und die Ergebnisse klingen selbst dann noch gut, wenn das Rendering statt über die komplette Boxenphalanx lediglich über vier Positionen ausgegeben wird. »Früher war es technologisch schlichtweg unmöglich, Audioereignisse bei der elektroakustischen Wiedergabe derart detailliert im Raum wiederzugeben«, erklärt Diana Mayer-Blaimschein. »Man hört den Unterschied zwischen dem echten Instrument und dessen Aufnahme nicht mehr!«
SpatialSound Wave läuft im ATMIX 3D Audio Lab mit bemerkenswert geringer Latenz auf einem Dell-Server unter Linux. Die leistungsstarke Lösung wurde schlüsselfertig vom Fraunhofer IDMT geliefert. Das System ist als Besonderheit mit einer Dante-Karte von Four Audio bestückt. Der Server befindet sich in einem Nebenraum des Studios, wo weitere Gerätschaften in einem 19″-Rack untergebracht sind. Das ATMIX 3D Audio Lab ist Fraunhofer Evaluation Partner.
Pro Tools 12 | HD Native auf einem PC ist die DAW der Wahl; als Audio-Interface dient ein NTP Technology Penta 721 Digital I/O, das mit DigiLink-, MADI-, AES/EBU- und Dante-Anschlüssen aufwarten kann. Ein Focusrite RedNet D16 AES versorgt als zusätzlicher Dante-AES/EBU Umsetzer mehrere Lautsprecher. Ein DS414j Four-Bay-NAS von Synology dient der Datensicherung, ein Cisco Switch distribuiert die Dante-Signale.
Bild: www.JoergKuester.com
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Lautsprecher und die Stimme Gottes
Beim Betreten des Studios springt unmittelbar die außergewöhnliche Lautsprecherkonstellation ins Auge: Martin Mayer hat auf Ohrhöhe zehn Genelec 8330A SAM in einem Ring angeordnet, woraus sich Kreisausschnitte von 36 Grad zwischen den Boxenpositionen ergeben. Vier weitere Lautsprecher gleichen Typs sind als elevierte Wiedergabepositionen in den Ecken des Raums montiert, und zentral von oben beschallt ein Genelec 8330A SAM als »Voice of God« die Hörer. Tieffrequente Unterstützung liefern zwei Genelec 7260A-SAM-Subwoofer mit 10″-Bestückung. Martin Mayer ist ein ausgewiesener Anhänger der dualen Subbass-Wiedergabe, seit er mit einem derartigen Subwoofer-Setup bei Open-Air-Opernaufführungen im Steinbruch St. Margarethen experimentieren konnte.
Alle Lautsprecher werden im ATMIX 3D Audio Lab digital mit AES/ EBU-Audiosignalen versorgt und lassen sich über eine Netzwerkverbindung mithilfe des GLM (Genelec Loudspeaker Manager) steuern sowie bei Bedarf einmessen. Das gewählte Setup ermöglicht über seine originäre Funktion hinaus die präzise Wiedergabe von stereophonem Audiomaterial, und auch typische 5.1-Mischungen lassen sich sehr gut abhören. Auffällig ist die Tatsache, dass sich im ATMIX 3D Audio Lab ein Lautsprecher mittig hinter den Hörern befindet − ein Raumschiff fliegt also nicht wie bei Dolby Atmos über die Köpfe hinweg und trennt sich anschließend in zwei Teile, sondern rast schnurgerade von vorne nach hinten.
Die Konstellation der Lautsprecher konnte von Martin Mayer frei gewählt werden, da keine festen Vorschriften für die Wiedergabe von 3D-Audio existieren. Durch das zum Einsatz kommende SpatialSound Wave ist lediglich eine Obergrenze von maximal 64 Lautsprechern definiert.
Das objektbasierte Verfahren war für Mayer von Beginn an Werkzeug der Wahl: »Natürlich haben auch kanalbasierte Ansätze wie Auro-3D ihre Berechtigung, denn letztlich kommt es darauf an, was man machen möchte«, so Mayer. »Eine Faustregel lautet, dass kanalbasierte Verfahren zu einer noch besseren Immersion verhelfen, während objektbasierte Verfahren zu einer präziseren Darstellung führen. Praktisch bedeutet das, dass man bei reinen Klassikaufnahmen sehr gut mit einem kanalbasierten Verfahren arbeiten kann, da hier in der Regel keine Signale im Raum bewegt werden. Möchte man sich bezüglich möglicher Einsätze jedoch breiter aufstellen, landet man irgendwann kaum vermeidbar bei einer objektbasierten Lösung.«
Maßgeschneiderte Raumaktustik für 12 m²
Die Größe des ATMIX 3D Audio Lab beträgt etwas mehr als 12 m2 bei einer Höhe von 2,25 Meter, was Österreichs Akustik-Guru Peter Willensdorfer (www.tonarchitektur.at) zunächst die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließ. Das ungewöhnlich kleine Format wurde von dem branchenweit anerkannten Akustikplaner jedoch als Herausforderung verstanden, und die nicht alltägliche Aufgabe konnte mit speziell angefertigten Absorbermodulen gelöst werden, welche heute Decke und Wände großflächig verkleiden.
Insbesondere fallen die an den Wänden montierten Schlitzloch-Stahlblechplatten auf, hinter denen sich eine »geheime« Mischung von Dämmmaterialien befindet. Die maßgeschneiderten Module sind auf die Eigenarten des Raums abgestimmt: Die im unbehandelten Zustand extrem störende Nachhallzeit (RT60) von über drei Sekunden bei einer Frequenz von 63 Hz ließ sich mit Anbringung der Module auf verträgliche 0,7 Sekunden reduzieren, und auch die Verteilung anderer Frequenzen im Raum wirkt angesichts der geringen Größe überraschend ausgewogen. Bei der Planung war zu berücksichtigen, dass die Lautsprecher im konkreten Fall rundum aufgestellt sind und bestehende Konzepte für typische Studiogegebenheiten mit klar definierter Beschallungsrichtung somit nicht greifen.
Bild: www.JoergKuester.com
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Ganz vorne mit dabei!
Content, der im ATMIX 3D Audio Lab entsteht, wird erst im letzten Schritt in das endgültige Ausgabeformat konvertiert. Das Rendering liefert passende Ergebnisse für jedes gewünschte Wiedergabe-Setup von binaural bis zu Konstellationen mit 64 Lautsprechern. Auf einer Messe könnte man beispielsweise der im Studio vorbereiteten Produktion unter realen Gegebenheiten den letzten Schliff verpassen und das Ergebnis anschließend auf einen Mehrkanal-Recorder ausspielen, welcher zur Wiedergabe (beispielsweise 4 + 4 Lautsprecher auf zwei Ebenen) vor Ort verbleibt.
Im Konzertkontext konnte Martin Mayer u. a. bereits Erfahrungen beim Tetragon-Project sammeln, das im Juli 2016 für die 3D-Audio-Wiedergabe komponierte Musik im György-Ligeti-Saal (MUMUTH-Veranstaltungsgebäude der Kunstuniversität Graz) aufführte und sich die Bühne mit Al di Meola nebst Band teilte. Den »Klangwelten im Raum«, welche jenseits etablierter Liedstrukturen und Musikformen eine eigene musikalische Sprache entwickeln, wurde von berufener Seite höchstes Lob zuteil: »Das war ein Event, von dem wir noch in Jahrzehnten sprechen werden!«, kommentierte Ing. Dr. M.A. Edwin Pfanzagl-Cardone, der als Head of Sound dem Acoustics-Department der weltberühmten Salzburger Festspiele vorsteht. Die Produktion wurde bezüglich des Live-Sounds von Martin Mayer betreut, der in diesem Zusammenhang mit Genehmigung des Fraunhofer IDMT ein »Spatial-Sound Wave«-System mobil einsetzte.
»Wir verstehen das ATMIX 3D Audio Lab als Demo- und Preproduction-Suite«, sagt Martin Mayer über sein Studio. »Die Reaktionen auf unser neues Angebot waren bislang durchweg sehr positiv. Mit ATMIX 3D Audio Lab möchten wir die Chance nutzen, bei der Entwicklung ganz vorne mit dabei zu sein − wenn dann der große Durchbruch für 3D-Audio kommt, werden wir bereits auf einen soliden Erfahrungsschatz zurückgreifen und auch anspruchsvolle Aufgaben lösen können. Wir sind dann hoffentlich diejenigen, die man anspricht, wenn professioneller 3D-Audiocontent von höchster Qualität benötigt wird …« (schmunzelt)