Nicht alles, was Gold ist, glänzt. Rohes Ambiente, echte Patina und zwei charismatische Betreiber machen den Berliner Schaltraum zu einem ganz besonderen Aufnahme- und Produktionsort.
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Sind Recording-Tempel out? Diese Frage wird angesichts der sich wandelnden Studioszene immer wieder gerne gestellt. Wer heute seinen Studio-Terminkalender füllen will, muss Musikern definitiv mehr bieten als lange Equipment-Listen und standardisierten Einheits-Schick. Individuelle Konzepte und Authentizität stehen vielfach höher im Kurs als Glanz und Gloria. Der Berliner Schaltraum trifft hier den richtigen Nerv. Live-Recording und Analog-Produktion in einem einzigartigen Ambiente bilden die konzeptionelle Grundlage. Die „Geister in der Maschine“ sind die beiden Betreiber und Vollblutmusiker Smail und Tom.
Der Schaltraum bietet auf gut 90 m² je einen Regie- und Aufnahmeraum, der Seinesgleichen sucht. Beim Betreten des kleinen, randvoll mit Technik ausgestatteten Regieraumes offenbart sich auf den ersten Blick eine der Besonderheiten des Studios: Hier kann vollständig analog produziert werden. Vom Analogmixer über reichlich Outboard bis hin zur voll ausgebauten Studer 24-Spur- und Telefunken Master-Maschine ist alles dazu Notwendige vorhanden. Eine Pro-Tools-basierte DAW fehlt natürlich ebenfalls nicht. Eine Tür weiter öffnet sich der riesige Aufnahmeraum, der mit seinem leicht morbiden Charme und den Relikten längst vergangener Audiotechnik eine Atmosphäre ausstrahlt, die zweifellos die Kreativität beflügelt.
Smail erklärt: „Wir hatten das Kölner Can-Studio als Vorbild vor Augen. Es sollte hier wie dort keine abgetrennte Regie geben, sondern nur einen großen Raum, in dem gejammt, aufgenommen, produziert und gechillt wird. Dieses Konzept hat sich allerdings als nicht wirklich praxistauglich erwiesen. Es war uns einfach zu laut, bei jeder Aufnahme direkt bei der Band zu sitzen. So haben wir die Regie nach nebenan verlegt.“ Der offenen und kommunikativen, an einen Übungsraum erinnernden Arbeitsatmosphäre tut das keinen Abbruch. „Das Studio eignet sich perfekt für Live-Aufnahmen. Eine ganze Band kann sich hier so richtig austoben. Zudem ist die Akustik hervorragend“, erklärt Smail. „Beides ist natürlich im Ergebnis hörbar. Wir legen größten Wert auf perfektes Arrangement und Einspielung, weniger auf nachträgliches Schnippeln.“ Wenn gewünscht, kann der gesamte Aufnahmeprozess vollständig analog geschehen aber auch digitale Produktionen oder jegliche Art von Mischform werden angeboten.
Seine Ursprünge hat das Studio tatsächlich als Übungsraum. Dazu muss man wissen, dass Smail und Tom zu den Urgesteinen der Berliner Punk- und Hardcore-Szene zählen. Tom spielte Gitarre bei Jingo de Lunch, Extrabreit und Kumpelbasis, Smail ist als Punk-Produzent eine feste Größe. Als Toms Proberaum eines Nachts voll Wasser läuft, findet er eine Etage tiefer „Asyl“ in Smails, damals noch recht rudimentär gestalteten Studio. Nach kurzer Zeit steht für beide fest: Wir machen ein gemeinsames Ding! Das Studio wächst stetig und existiert in seiner aktuellen Form seit mittlerweile fünf Jahren. Der Erfolg spricht für sich: Wir sind Helden und Selig probten im Schaltraum, Die Toten Hosen haben hier vorproduziert, Moses Schneider und Thees Ullmann ihre Drums aufgenommen. Dank seines besonderen Ambientes wird der Raum auch gerne für Videoproduktionen gebucht. So wurde etwa das aktuelle Beatsteaks-Video hier gedreht. Musikalisch ist der Schaltraum in allen Richtungen offen, verdankt seine Credits jedoch vielfach Freunden der schrägeren Töne. Beispielsweise produziert Tom aktuell die Berliner Hardcore-Band Fightball, und Smail mixt Love Lines − „ein abgefahrener Mix aus französischem 60’s-Pop, Fehlfarben und Stooges.“
Funkhaus Berlin
Das riesige, weithin sichtbare Funkhaus Berlin in der Nalepastrasse im Bezirk Köpenick war einst Sitz des DDR-Rundfunks und hat sich nach seiner wechselvollen Vergangenheit zu einem der interessantesten Kreativ-Standorte der Republik entwickelt. Zahlreiche prominente Künstler wie etwa Wir Sind Helden oder Mouse On Mars betreiben hier ihre Studios. Die großen Aufnahmesäle haben mit ihrer hervorragenden Akustik auch schon Daniel Barenboom, Lang Lang und Sting beeindruckt. Da eine Rundum-Sanierung nie stattgefunden hat, besitzt das Gebäude noch ganz seinen ursprünglich-rauen Charme.