T.Raumschmiere über die Produktion seines aktuellen Studioalbums
von MATTHIAS FUCHS,
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Wenn Marco Haas aka »T.Raumschmiere« die Regler hochzieht, fliegt üblicherweise das Dach weg. Auf seinem aktuellen Studioalbum schlägt der »King of Gnarz« jedoch überraschend ruhige Saiten an — eine neue Erfahrung jenseits von Electro-Geballer und Krach-Exzess?
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Beats wie aus der Dampframme, Sounds, so lieblich wie die Geräuschkulisse einer Schreinerei, zelebriert in fast selbstzerstörerisch- exzessiven Live-Auftritten − das sind die bekannten und von Publikum wie Kritikern gleichermaßen geliebten Markenzeichen des Berliner Electro-Punks Marco Haas aka T.Raumschmiere. Sein gerade veröffentlichtes und schlicht mit T.Raumschmiere betiteltes Album verwundert und fasziniert jedoch mit einem radikalen Gegenentwurf der bisherigen Haas’schen Sound-Qualitäten. Sicher, das Ding klingt noch immer recht düster, bisweilen sogar fast ein wenig beklemmend. Anstelle der bekannten Monster-Beats und Kreis – sägen-Sounds öffnen sich jedoch weite Klanglandschaften über rumpelig pulsierenden Hintergrund-Loops, begleitet von wunderschönen Atmos, die einen unwiderstehlichen Sog auf den geneigten Hörer ausüben. Was ist passiert?
Wir treffen einen bestens gelaunten Marco Haas in seinem Berliner Studio.
Kein Electro-Punk-Alarm mehr bei T.Raumschmiere − ist dem Monstertruckdriver der Sprit ausgegangen? Quatsch! (lacht) Ich hatte da schon seit langem einfach Bock drauf! Eigentlich bin ich schon immer großer Ambient-Fan gewesen. Aber es ist noch nie zu einem entsprechenden Album gekommen. Irgendwann kam immer die Baller-Kick dazwischen, und der Ambient-Track war mal wieder im Arsch …
Aber nun hat es offenbar funktioniert? Ja, ich denke, die Zeit war nun endlich reif dafür. Es steckt viel Privates in diesem Album − vielleicht mehr als je zuvor. Ich habe mein Leben ein gutes Stück weit entschleunigt und damit auch die Musik. Das macht sich in meinen anderen Projekten beziehungsweise Produktionsarbeiten ebenso bemerkbar und fühlt sich sehr gut an. Melodien und schöne Sounds sind mir wirklich wichtig geworden − Musik, die emotional anspricht.
Obwohl vergleichsweise ruhig und verhalten, besitzen die zehn Tracks doch allesamt hohen Unterhaltungswert. Ich wollte keine Nerd-Jungens-Platte machen. Nicht nur irgendwelches Gefrickel, bei dem sich der Reiz darin erschöpft zu rätseln, wie wohl die Sounds gebastelt sein könnten. Es sollte Musik werden, die einfach Spaß macht und beim Hörer etwas Emotionales in Bewegung setzt.
Hattest du ein Thema, ein Konzept? Nein, gar nicht. Die Tracks spiegeln hauptsächlich aktuelle Stimmungen im Studio wider. Einen thematischen Überbau oder so etwas gibt’s da nicht.
Das Studio als Modularsystem: Die Musik von T.Raumschmiere entsteht in Handarbeit. Ob analog oder digital, ist dabei egal — Sound und Haptik der Instrumente müssen stimmen. Für jeden Track wird ein Teil der beachtlichen Sammlung aus Klangerzeugern, Loop-Maschinen und Effektgeräten neu zusammengeschaltet und live mit Händen und Füßen bearbeitet. Diese Sessions bilden den Kern der Tracks. Der Rechner liefert meist nur die MIDI-Masterclock und dient als Bandmaschine.
Auch nicht bezüglich des Sound-Charakters? Auch da nicht. Tracks und Sounds sind hier im Studio zusammen mit meinem Freund und Mitproduzenten Ben Lauber (Berliner Produzent, u. a. mit Moses Schneider tätig; Anm.d.Red.) entstanden. Die Atmosphäre der Tracks entstand spontan aus der aktuellen Stimmung. Als Ideen-Trigger nutzten wir manchmal mehr oder weniger sinnfreie Stichworte, die dann Assoziationen weckten und musikalisch umsetzbare Stimmungen erzeugten. Das funktioniert mit Ben hervor – ragend. Wir kennen uns seit Jahren und können stundenlang fast ohne ein Wort zusammenarbeiten und jammen.
Wie sind die Tracks entstanden? Alle Tracks entstanden bei Sessions hier im Studio. Zunächst ziehen wir von sämtlichen Geräten die Kabel ab und stecken ein viel versprechendes Setup komplett neu zusammen. Dann wird mit Sounds experimentiert, gejammt und reichlich an den Knöpfen gedreht. Wenn der Funke überspringt, jammen und schrauben wir an den Maschinen drei oder vier Stunden lang, bis ein fast kompletter Track steht.
Wie kann man sich das genau vorstellen? Um etwa einen rhythmischen Loop zu erzeugen, könnte ich beispielsweise einen Noise-Generator − wie die NWS Chaos Engine − durch einen Zerhacker/Looper schicken, der via MIDI-Clock getriggert wird. Dessen Signal geht dann weiter in ein Filter oder Delay, vielleicht in einen Hall. An allen Geräten wird kräftig geschraubt, bis etwas richtig Geiles entsteht.
Arbeitet ihr mit Overdubs? Fast gar nicht. Alle Elemente entstehen meist parallel in Echtzeit. Wir layern auch keine Sounds. So verhindern wir, dass die Tracks zu überfrachtet klingen. Dieses Session-Ding finde ich total spannend − es entsteht in kurzer Zeit sehr viel oder eben auch gar nichts Brauchbares.
Dann speicherst du vermutlich auch keine Versuche und archivierst sie für später? Richtig − genau das machen wir nicht. Entweder steht nach spätestens drei oder vier Stunden ein geiler Track, oder das ganze Ding wandert sofort und komplett in die Tonne. Der nächste Versuch startet dann wieder ganz von vorne. Es war für mich ein weiter Weg, um an diesen Punkt zu kommen. Ich hab jahrelang jeden Sound und jeden Loop gehortet und mich nicht getraut, ihn im sicheren Vertrauen auf Neues wegzuschmeißen. Jetzt kann ich das und empfinde diesen Schritt als sehr befreiend und effektiv.
>> Recording-Kult und Prince Special <<
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Welche Tools sind für dich bei dieser Arbeitsweise besonders wichtig? Ich stehe total auf geile Effektgeräte: Delays, Looper oder irgendwelche obskuren Sound-Verbieger sind toll − je schräger, desto besser! Die sind oftmals ziemlich einfach ausgestattet und lassen sich deshalb sehr intuitiv nutzen. Die Haptik ist dabei wichtig. Ich muss das Zeug möglichst mit beiden Händen bearbeiten können. Ähnliches gilt für Sequen – zer und Klangerzeuger: Auch die sollten intuitiv nutzbar sein. Ein Juno-60 für schöne Flächen ist genauso spannend wie besagte NWS Chaos Engine. Je nachdem, in welche Richtung es klanglich gehen soll, werden verschiedene Geräte zu Beginn einer Session via Patchbay zusammengeschaltet.
Welche Rolle spielt der Computer? Zunächst liefert er die MIDI-Master-Clock für Hardware-Sequenzer, Arpeggiatoren und geclockte Effekte. Ansonsten dient Cubase nur als Recording-Gerät und zum klanglichen Optimieren der Aufnahmen. Effekt-Plug-ins und Softsynths nutze ich selbst fast gar nicht − weil mir dabei die Haptik fehlt. Ben ist da viel zugänglicher. Er steht total auf Reaktor und Max/MSP. Wir haben sein Laptop genau wie die anderen Synthis als Klangquelle genutzt und es während unserer Sessions durch das Effekt-Setup geschickt.
Gibt es Samples oder Field-Recordings auf dem Album? Eigentlich ist alles komplett synthetisch. Ben hat in seinen Reaktor- und Max/MSP- Setups zwar einige Sample-basierte Sound – erzeuger. Die Herkunft der Samples ist aber nicht erkennbar, weil sie immer total verschraubt werden.
Wie hat sich der Mix des Albums gestaltet? Da die Tracks ja zum größten Teil schon beim Jammen entstehen und dabei mehr oder weniger fertig im Rechner landen, beschränken wir uns beim Mix meist nur auf ein paar Lautstärke- und Klangkorrekturen. Allzu viel passiert da weiter nicht. Den finalen Schliff hat Stefan Betke (auch bekannt als »Pole«; Anm.d.Red.) dem Album beim Mastering gegeben.
T.RAUMSCHMIERE Volle Deckung — Marco Haas aka »T.Raumschmiere« lässt es gerne krachen. Seit 1997 hat der Wahlberliner sieben Longplayer und zahlreiche EPs veröffentlicht, die den Begriff des »rhythmischen Lärms« allesamt neu definieren. Seinen bisher größten Hit landete der ehemalige Punkband-Drummer 2003 mit seinem Shufflebeat-Knaller Monstertruckdriver . Marcos Ver – öffentlichungen erscheinen meist bei Novamute und dem eigenen, viel beachteten Label Shitkatapult. Dort ist auch Marcos zweites Projekt Shrubbn beheimatet. Ein neues Album ist für 2016 terminiert. Neben seiner Tätigkeit als Musiker, Label-Betreiber und DJ produziert Marco u. a. Dieter Meier, Barbara Morgenstern, Fraktus und einige seiner Label-Kollegen von Shitkatapult. Das aktuelle Album T.Raumschmiere erschien am 30. Oktober 2015.