Wenn Sounddesign eine Sportart wäre, dann wären Tonsturm wohl die Adrenalin-Junkies unter den Tonschaffenden, da sie mit waghalsigen und anspruchsvollen Aktionen auf Klangjagd gehen. Mit Sport haben die Sounddesigner zwar nichts am Hut, dennoch gehen sie mit ihrer Arbeit absolut ans Limit. Kein Wunder, dass ihre Field Recordings auch von Hollywoods Sounddesignern hoch geschätzt werden und schon einigen Blockbuster den gewissen Nervenkitzel verleihen konnten.
Wer bislang glaubte, Sounddesign sei ein Job für Stubenhocker … nicht für die Jungs von Tonsturm. Wenn Tilman Hahn und Emil Klotzsch von ihren Field Recordings erzählen, dann klingt das erst einmal nach Abenteuer. Egal ob Unterwasseraufnahmen, Field Recordings in unberührter Natur oder Aufnahmen in direkter Nähe von Starkstrom − sie suchen an abwegigsten Locations mit außergewöhnlichen Hilfsmitteln und Equipment immer das Extrem und machen ihre Sounds zu einem echten Klangerlebnis.
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Tilman und Emil arbeiten seit 2005 als Freelancer in der Filmvertonung und haben 2010 ihr Unternehmen Tonsturm gegründet. Mit Tonsturm produzieren die beiden Sample-Packs von und für Film-Sounddesigner. Durch die Erfahrungen aus ihrer alltäglichen Arbeit wissen sie genau, welche Sounds auf dem Markt noch fehlen oder welchem vielleicht noch der gewisse Kick fehlt. Und genau hier setzen die beiden an.
Geplante Klanggiganten
Während die Field Recordings im Alltag eher spontan ablaufen, sind die Aufnahmen von Tonsturm von langer Hand geplant. Das Projekt mit dem größten finanziellen und organisatorischen Aufwand war die Sound-Library »Massive Explosions«. Auf diese haben die beiden in den letzten Jahren hingearbeitet, und jetzt fühlten sie sich aufgrund ihrer stetig gewachsenen Erfahrung auch dazu bereit.
»Hier stellt man nicht einfach mal ein paar Mikrofone auf und legt los«, so Emil. Bei der Aufnahme zu Explosions selbst gab es nicht die Möglichkeit, wie in einem Studio zu sagen: »Der Take war schon gut, aber den machen wir noch mal.« Pegel und Settings mussten also stimmen. Das Gelände wurde in der Zeit der Recordings mit dem Militär geteilt, das auch den Ort der Sprengung bestimmt hat. Daher mussten die beiden mit ihren 19 Mikrofonen oft schnell von einem Ort zum anderen rennen, alles neu aufbauen, neu einstellen und hoffen, dass das Setup für die nächste Sprengung passt. Insgesamt wurden 60 Detonationen recordet.
»Die Durchführung war für uns beide ein enormer Kraftakt«, sagt Emil, »angefangen von der Planung bis hin zur Aufnahme. Solche Sprengungen dürfen nur auf einem Militärgelände von einem Sprengmeister durchgeführt werden. Dazu brauchten wir erst einmal die Kontakte. Das bedeutete viele Telefonate, viele Gespräche, viele Fragen und sehr viel Bürokratie.«
Beim Filmton fehlt dem Sounddesigner oft ein Mittensignal, sodass er sich den Center-Kanal aus dem Stereosignal zusammenbauen muss. An dieser Stelle haben Tonsturm bereits vorgesorgt.
Bild: Tonsturm
Die Left-Center-Right-Mikrofonierung basiert auf einer ORTF-Stereofonie mit zusätzlichem Mikrofon für die Mitte.
Links und rechts sind Sennheiser MKH 8040 mit Richtcharakteristik Niere und in der Mitte die Superniere MKH 8050 integriert.
Damit liefern Tonsturm ihre Klänge als Dreikanal.
Bild: Marc Bohn
Mit der MS-Mikrofonierung in ihrem Korb sind Tonsturm äußerst flexibel: oben ein Hochfrequenzmikrofon, das bis
100 kHz aufnimmt, in der Mitte die Acht des MKH 30 von Sennheiser und unten ein MKH 8050 für das Mittensignal.
Bild: Tonsturm
Auch Regale und Teller wurden von den Bass-Shakern zum Beben gebracht und aufgenommen.
Bild: Tonsturm
Bild: Marc Bohn
Um Atmosphären aufzunehmen, verwenden Tonsturm ein 5.0 Rig von Michael Wiliams, dass sie selbst verlängert
haben, um größere Laufzeitunterschiede und damit ein breiteres Klangbild zu erzeugen.
Bild: Tonsturm
Die Bass-Shaker sind mit Schraubzwängen an der Lokomotive angebracht. Sie versetzten diesen Teil der Lok in
Schwingung. Die Piezo-Mikrofone wandeln die mechanische Schwingung des Stahlkolosses in Schall um.
Bass-Shaker im Einsatz
Was tut man, wenn man einen Sound möchte, der Wände zum Beben bringt? Richtig, man bringt Wände zum Beben! Mit sogenannten Bass-Shakern, die sich überall befestigen lassen. Mit Bass-Sounds angesteuert, bringen sie selbst Regale, Metalltüren, Tellertürme oder auch das Führerhäuschen einer Lokomotive ins Schwingen. Die Tonstürmer haben es getestet und aufgenommen. Auf einem stillgelegten Eisenbahngelände in NRW sind sie bei ihrer Recherche auf einen Eisenbahnliebhaber gestoßen, der auf dem gleichen Gelände in einer großen Halle ein privates Eisenbahnmuseum besitzt. »Eine riesen Halle voller Lokomotiven, Waggons und E-Loks, eine riesen Spielwiese für uns«, schwärmt Emil. Dort konnten sie die Bass-Shaker an mehreren alten Loks und einem alten Industriestahltor befestigen.
Das Ergebnis klingt monströs und mächtig, einfach nach einer echten Katastrophe. Beim Hören der Klänge denkt man sofort an ein Erdbeben oder einen Vulkanausbruch. Dafür sind die Sounds auch eigentlich gedacht. Aber Tilman merkt an, dass man beim Experimentieren mit diesen Sounds auch andere Filmmomente findet, in denen sie den Ton machen können. Wie beispielsweise bei einem ausgefallenen Motor am Flugzeug. Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
In den mehr als zehn Jahren Sounddesign haben die beiden ihr Equipment ständig verändert und weiterentwickelt − nicht nur aufgrund des Fortschritts der Technologien, sondern auch durch ihre steigenden Erfahrungswerte und Ausprobieren. Momentan arbeiten Emil und Tilman, um Atmosphären aufzunehmen, mit einem 5.0 Rig von Michael Wiliams. Bei den meisten Aufnahmen ist auch ihre Left-Center-Right-Mikrofonierung im Einsatz. Diese liefert der Post-Production direkt drei separate Kanäle: ein Mitten- und zwei Seitensignale, eben Mitte, links und rechts.
»Bei der MS-Mikrofonie, mit der wir vorher gearbeitet haben«, so Tilman, »hat man oft ein gutes Mittensignal und das Seitensignal ist eher so ›naja‹. Mit unserer LCR-Mikrofonierung haben wir jetzt beides in einer guten Qualität.« Bei den Recordings zu ihrem Soundarchiv »Tremor« waren auch sogenannte Piezo- bzw. Kontaktmikrofone dabei, die die mechanischen Schwingungen des Stahltors und des Führerhäuschens in Schall umgewandelt haben. Die Signale sind einzeln in der Library vorhanden und können vom User selbst hinzugemischt werden.
Besonders stolz sind Tilman und Emil auf ihr Hochfrequenzmikrofon, das bis 100 kHz aufnimmt. Der menschliche Hörbereich reicht in etwa bis 20 kHz. Wozu also ein Mikrofon, das weit über unserem Hörbereich liegt? Emil erklärt: »Wenn man das aufgenommene Signal eine Oktave tiefer pitcht, sind die Töne, die außerhalb unseres Hörbereichs liegen, auf einmal zu hören. Das ist total interessant, denn plötzlich werden hochfrequente Signale hörbar, Klänge, die man vorher noch nie gehört hat und auch gar nicht zuordnen kann. Damit lässt sich sehr gut experimentieren.«, erklärt Emil. Voraussetzung ist allerdings eine Samplerate von 192 oder 96 kHz. Interessant ist außerdem, dass die durch die hohe Auflösung des Audiosignales die Höhen beim Herunterpitchen trotzdem nicht verloren gehen und das Signal sehr klar und deutlich bleibt. Einen Klangvergleich findet ihr auf unserer Website.
Als mobile Recorder nutzen die beiden seit Jahren die Geräte von Sound Devices, die klanglich, aber auch preislich in der Champions-League spielen. Ihre Augen und Ohren warten jetzt auf den Testbericht des Zoom F8 und den Vergleich mit einem Recorder von Sound Devices. Diesen Vergleich findet ihr ebenfalls auf unserer Website.
Das Leben hinter dem Klang
Emil und Tilman scheint die Arbeit nicht nur wegen der Aufnahmen und des Sounds zu begeistern. Mit Freude erzählen mir die beiden Geschichten, die sich abseits des Recordings zusammengetragen haben. Wie sie beim Bundes Luftwaffenamt angerufen haben, um herauszufinden, wo ein geeigneter, vollkommen ruhiger Ort ist, um Aufnahmen im Wald zu machen, und welche Reaktionen aufgrund ihres Anrufes folgten. Wie sie die großen, schweren Glasscheiben zu »Broken Glasses« in einen Sprinter rein und raus gehievt haben und nachts damit über Feld und Acker gefahren sind. An den Ort, an dem sie dann das Glas in 2 Meter Höhe zerschmettert haben, um den Impact im Vordergrund zu haben, und nicht das Auftreffen der Scherben auf dem Boden. Am Ende waren 26 blaue Plastikbeutel voll Glasscherben das Ergebnis.
Die wohl schönste Geschichte ereignete sich bei den Recordings zu »Clocks«. Richtig, sie haben das Ticken von Alltagsuhren aufgenommen. Aber nicht nur. Auch mehrere richtig große Turmuhren sind dabei. Während der Recordings bei einem Uhrenliebhaber im Keller war es für sie schön zu sehen, dass dieser ältere Mann sich so sehr darüber gefreut hat, dass jemand da ist, der seine Begeisterung für Uhren teilt − wenn auch aus einem anderen Grund. Nach dem Mastering haben die beiden ihm eine CD mit den Klängen seiner Uhr geschenkt. Der Mann war stolz und hat sich darüber gefreut, dass er sich die Klänge seiner Uhr jetzt auch im Wohnzimmer auf dem Sofa anhören kann. Wobei er wohl trotzdem noch ab und zu in den Keller gehen wird, um seinen Uhren zuzuhören.
Field Recording am Limit
Das Schöne am Sounddesign ist, dass die Begeisterung an der Arbeit und die Leidenschaft, die in einem Projekt stecken, am Ende hörbar sind. Mit ihrem akribischen Vorgehen und dem Blick fürs Detail schaffen es die Tonstürmer mit jedem ihrer Sample-Packs, ihren Filmton auf ein neues Level zu bringen.
Natürlich lassen sich Serien- oder Filmjunkies nicht nur über den Ton begeistern. Das funktioniert im Gegensatz zur Musik beim Film nur in der Kombination aus Ton und Bild. Es wird wohl niemanden geben, der aus einem Kinosaal geht und sagt: »Der Film war zwar schlecht, aber dafür war der Sound echt gut.« Allerdings zeichnen sich gute Filme auch durch einen guten Sound aus. Aus diesem Grund sind Emil und Tilman in einer Welt, in der wenig Budget für Filmton vorhanden ist, die Tonregisseure aus dem Off.
Und ihr Ruf eilt ihnen voraus. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Tonsturm-Sounds bereits in vielen bekannten amerikanischen TV-Serien, Kinofilmen und Games verwendet werden. Ich bin mir sicher, dass die beiden gerade an einer neuen Idee arbeiten, und warte gespannt darauf, auf welches Abenteuer sie sich als Nächstes begeben werden.
Ein wunderbarer Artikel, der treffend die Arbeit der beiden Tonsturm-Jungens beschreibt und wertschätzt. habe ich sehr gerne gelesen.