Travis Harrington produziert den US-Rapstar Rod Wave
von Paul Tingen; Übersetzung: Matthias Fuchs,
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Laptop-Studios gehören mittlerweile zum Alltag. Der vollständige Verzicht auf eine professionelle Studioumgebung gilt jedoch als äußerst gewagter Schritt. Travis Harrington berichtet über Recording-Sessions in Hotelzimmern und seine Vorliebe für Kopfhörer-Mixe.
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»Das Verhältnis zwischen Produzent und Künstler war bisher meist der entscheidende Faktor für die Qualität einer Produktion. Zurzeit scheint sich dieser Bezug jedoch zunehmend in Richtung Engineer und Künstler zu verschieben. Das gilt vor allem für die Rap-Musik. Immer mehr Künstler verzichten im Studio auf den Produzenten und arbeiten nur noch mit einem Engineer. Dessen Rolle fokussiert sich somit zwangsläufig auf eher untypische Tätigkeiten wie Produktion und Mix«, sagt Engineer Travis Harrington – nicht zuletzt bekannt geworden durch seine Arbeit mit US-Mega-Rapstar Drake.
Er berichtet hier über seine Erfahrungen bei der Produktion für Sänger und Rapper Rod Wave. Nicht wenige seiner langjährigen Engineer-Kollegen stimmen ihm hinsichtlich der oben beschriebenen Entwicklung zu, darunter Patrizio Pigliapoco (Engineer und Mixer für Chris Brown), Bainz (Young Thug, Gunna), Tillie Mann (Migos, Lil Baby) sowie Todd Hurtt (Polo G.). Auch außerhalb der Rap-Szene ist diese Tendenz spürbar. So berichten Josh Gudwin (Justin Bieber) und Stuart White (Beyoncé) Entsprechendes.
Im Rap, insbesondere beim Trap, ist es mittlerweile üblich, dass Produzenten ausschließlich die Beats liefern – und sie vollkommen unabhängig vom Künstler erarbeiten. Dennoch schätzen sämtliche, oben genannten Künstler nach wie vor eine intensive Beziehung zu einer Vertrauensperson im Studio, die ihnen hilft, ihre musikalischen Ideen umzusetzen. Nun fällt diese Rolle zunehmend dem Engineer zu.
In einem Hotelzimmer aufzunehmen ...
... ist für Travis Harrington und Rod Wave mittlerweile vollkommen normal.
Travis mixt nicht nur mobil, sondern mastert sogar, ohne dafür ein Studio zu buchen.
Mix it anywhere
Travis’ Arbeit mit Rapper Rod Wave passt exakt in diesen neuen Trend. Aber auch ein weiterer Aspekt dieser Zusammenarbeit ist durchaus zukunftsweisend: Die beiden verzichten fast vollständig auf »richtige« Studios. Stattdessen installiert Travis nach Bedarf eine portable Variante seines »Mixing is Art« Studios in Hotelzimmern oder anderen Räumlichkeiten: »Wir haben uns 2018 in den 11th Street Studios in Atlanta kennengelernt«, berichtet Travis. »Rod mag konventionelle Studios nicht besonders. Und meine Spezialität ist es, in jeder halbwegs geeigneten Räumlichkeit ein temporäres Studio einzurichten – sei es in einem Hotelzimmer oder Wohnhaus. Rod und ich haben daraus einen Workflow und einen eigenen Sound entwickelt.«
Die Zusammenarbeit begann während der Produktion von Rods fünftem Mixtape PTSD, welches 2020 bei Alamo Records released wurde. Der Track Heart On Ice startete auf YouTube und TikTok durch, ging schließlich in den USA zweimal Platin und sorgte für Rods großen Durchbruch. Das zugehörige Album wurde zwar standesgemäß von Mixer-Star Fabian Marasciullo gemischt, die Zusammenarbeit zwischen Travis und Rod jedoch fortgeführt.
»Ich hatte das Vergnügen, Rods erstes Album Ghetto Gospel, danach Pray 4 Love und aktuell Soulfly aufzunehmen und zu mixen. Ghetto Gospel war das erste Projekt, welches wir vollständig zusammen durchgeführt haben. Hier hat Rod auch erstmalig seine musikalische Vision wirklich zielstrebig umgesetzt. Der Großteil der Songs wurde auf Tour aufgenommen, denn in diesem Umfeld ist Rod am kreativsten. Rod ist einer dieser Künstler, die du im richtigen Moment erwischen musst. Das kann zu jeder Tages- oder Nachtzeit passieren. Deshalb bin ich für Rod ständig erreichbar – ein Anruf, und los geht’s. Nach den Aufnahmen arbeite ich sofort an Mix und Mastering weiter. Unterwegs verwende ich dazu meine Dre Beats Studio-3-Kopfhörer und, falls machbar, meine JBL 104-BT-Lautsprecher.«
Selbst angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten erscheint die Vorstellung, ein Album fast vollständig in Hotelzimmern aufzunehmen und dabei Equipment zu nutzen, welches in ein paar Koffern Platz findet, äußerst befremdlich. Nicht weniger befremdlich ist die Vorstellung, als Abhörreferenz einen Kopfhörer und ein Paar 200-Euro-Desktop-Speaker zu verwenden. Sind millionenschwere Topstudios mit aufwendigem Akustikbau und Hi-End-Abhören mittlerweile wirklich überflüssig geworden?
Um noch ein wenig tiefer in der Wunde zu bohren, sei festgestellt, dass Travis’ Produktionen keinen Deut schlechter klingen als jede beliebige andere Topproduktion. Und nicht zu vergessen – Soulfly hat die US-Albumcharts getoppt, seine Vorgänger haben die Plätze 2 und 10 belegt und sind beide Platin gegangen. Die Kollaboration mit Travis und mehreren, zumeist völlig unbekannten Beat-Produzenten hat den 23-jährigen Rob Wave innerhalb von nur zwei Jahren zu einem der angesagtesten Trap- und R&B-Künstlern gemacht.
Gelernt ist gelernt
Travis Harrington wurde 1988 in Atlanta geboren. Als Teenie bastelte er Beats im elterlichen Schlafzimmer. Wenig später besuchte er die Los Angeles Recording School und arbeitete im Anschluss in den Larrabee Studios, der Wirkungsstätte von Koryphäen wie Jaycen Joshua und Manny Marroquin. Zurück in Atlanta, übernahm er eine Assistant-Stelle in den dortigen Triangle Sound Studios. Hier arbeitete er mit Größen wie Josh Gudwin und Amerikas Top-Vocal-Producer Kuk Harrell – Tätigkeiten, die ihm Credits für Aufnahmen mit Justin Bieber und Drake einbrachten.
»Meine Lehrer waren Tricky Stewart (Mitbetreiber der Triangle Sound Studios; Anm.d.Red.) und seine Mix-Engineers Jaycen Joshua und Manny Marroquin«, erinnert sich Travis. »Auch in Kuks Arbeit als Vocal-Producer hatte ich einen gewissen Einblick. Als ich in das Studio kam, hatten sie dort gerade eine riesige Erfolgsphase. Es hat regelrecht Grammys geregnet, etwa für Beyonces Single Ladies. Ich hatte also reichlich Gelegenheit, zu lernen und schließlich meinen eigenen Anspruch und Sound zu finden.«
2011 startete Travis in die Selbstständigkeit und eröffnete schließlich vier Jahre später in Atlanta sein »Mixing Is Art«-Studio. Nach eigener Aussage ist der Name des Studios Programm. Er unterstreicht Travis’ Ansicht, Mixing sei kein ausschließlich technischer Prozess und Perfektion eine sehr subjektive Angelegenheit. In diesem Sinne zählt endloses Feintuning nicht zu Travis’ Lieblingsbeschäftigungen: »Wenn du ein Stück Musik magst, dann deshalb, weil es etwas in dir berührt. Das ist der Punkt, auf den es mir ankommt und den ich herausarbeiten möchte. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich in einem Studio oder in einem Hotelzimmer sitze. Du kannst zwei Wochen damit zubringen, einen Song technisch zu perfektionieren – und ihm dabei jeglichen Vibe wegproduzieren. Technik und Vibe dürfen sich nicht ausschließen. Letztlich geht doch immer nur um die eine Frage: Klingt es gut?
Klar, früher drehte sich sehr viel um das Studio und sein Equipment – das SSL-Pult usw. Heute kannst du dir deine Arbeitsumgebung viel freier einrichten. Sie kann genau auf deine Künstler*innen zugeschnitten sein und dafür sorgen, dass sie/er sich dort wirklich fallen lassen können. Mit Rod funktioniert das sehr gut. Um 3, 4 oder 6 Uhr morgens ruft er mich aus seinem Zimmer an, und schon geht es mit unserer Arbeit los.«
Frühschicht
Es dürfte nur wenige Musiker und Produzenten geben, die sich freiwillig um sechs Uhr früh zur Arbeit bewegen lassen. Allerdings gelten für Rod und Travis nicht die üblichen Normen. Letzterer bemerkt, dass er auf Tour sehr gut mit ein paar wenigen Stunden Schlaf auskommen kann. Zudem wären die Beschwerden anderer Hotelgäste über die frühmorgendlichen Sessions seltener geworden – möglichweise, weil die Hotels nun besser seien, vermutet Travis mit einem Grinsen …
Travis bemerkt, dass er mittlerweile sehr gut abschätzen kann, ob ein Hotelzimmer einen brauchbaren Sound ermöglichen wird oder nicht. »Tapeten, dicke Teppiche und reichlich Möbel sind ideal«, erklärt Travis. »Der Raum sollte so tot wie möglich klingen. Das Leben hauche ich ihm dann später im Mix ein. Schwierig wird es, wenn der Raum ausgeprägte Reflexionen und damit einen sehr eigenen Sound aufweist. Der Song Brace Face von Ghetto Gospel ist ein Beispiel dafür, dass sich auch unter schwierigen akustischen Bedingungen gute Aufnahmen realisieren lassen. Wir haben ihn in einem fast leeren Hotelzimmer aufgenommen. Es gab dort holzverkleidete Wandschränke und Flächen aus Granit – maximal ungünstig. Also habe ich Rod für die gesamte Aufnahme mitsamt Mikrofon unter eine Bettdecke gesteckt… Manchmal arbeite ich auch mit Stellwänden wie etwa die von Aston Halo Shadow, Kaotica Eyeball, und/oder mit Sterling Audio VMS Vocal Microphone Shields. Grundsätzlich sind aber die Raumbeschaffenheit und die Mikrofonposition entscheidend.«
Neben der Musik selbst, dem Vibe und der Akustik zählt natürlich auch hier das verwendete Equipment. Travis besitzt zwei Studios: sein »Mixing is Art«-Studio in Atlanta und darüber hinaus ein Setup, welches er gerne sein »Travel Studio« nennt. Da sein Studio in Atlanta über zwei Jahre kaum genutzt wurde, befindet sich dort das ältere Equipment, darunter ein Digidesign 002 und ein Mac Mini. Travis’ aktueller Fokus liegt eindeutig auf seinem mobilen Studio. »Ich nutze das neueste MacBook Pro mit Pro Tools, dazu ein UA Apollo-8-Audio-Interface, gelegentlich auch nur ein Apollo Solo. Mein Micpre ist ein Avalon 737. Die verwendeten Mikros sind ein Telefunken Ela M251 und ein Neumann U87. Für das Monitoring nutze ich Kopfhörer. Ich habe einen Audio Technica und einen weiteren von Audeze. Mein Lieblingskopfhörer ist jedoch der Dre Beat Studio 3. Früher hatte ich Avantone CLA-10-Monitore im Gepäck, heute sind es stattdessen JBL 104-BT.
Das Telefunken ist mein Lieblings-Vokalmikro. Es klingt unvergleichlich luftig. Das Sony C800 klingt ebenfalls sehr crisp, eignet sich allerdings nicht wirklich, um in einem Hotelzimmer aufzunehmen. Dennoch haben wir unsere letzte Veröffentlichung, Time Heals, mit einem C800 in einem Hotel in Miami aufgenommen. Beim Recorden verzichte ich auf Kompressor und EQ. Ich beschränke mich auf eine leichte Sättigung der Vocals, die ich mit dem Avalon herbeiführe. Dadurch entsteht etwas mehr Durchsetzungsfähigkeit. Alle weiteren Bearbeitungen erfolgen erst im Mix.«
Beats von YouTube
Das Zusammenspiel von Travis und Rod funktioniert meist nach einem bestimmten Muster: Nach Rods nächtlichem oder frühmorgentlichem Anruf treffen sich beide in Travis’ Hotelzimmer und nehmen entweder gleich eine zuvor von Rod entwickelte Idee auf, oder sie lassen zunächst einen Beat laufen: »Rod schreibt seine Songs auf verschiedene Weisen. Manchmal erscheint er mit einem mehr oder weniger vollständigen Song, und wir suchen dazu einen passenden Beat. Manchmal funktioniert es umgekehrt, und Rod findet online einen Beat, mit dem wir beginnen. Wir gehen dann zusammen mehrere Beats durch und probieren verschiedene Dinge aus. Meist findet sich etwas, was Rod triggert und sich weiterführen lässt.
Ganz zu Anfang unserer Zusammenarbeit hat sich Rod seine Beats tatsächlich auf YouTube gesucht. Gelegentlich passiert das noch immer. Heute gehe ich jedoch eher mit ein paar Produzenten ins Studio und nehme Beats auf, die Rod gefallen könnten. Auch wenn ich zwar die meiste Zeit mit Rods Arrangements und seinen Vocals verbringe, fließt eine Menge solcher Produktionsarbeit mit ein. So habe ich etwa die Frauenstimme in Street Runner in die finale Songversion eingefügt.
Aber wie schon gesagt – der größte Teil meiner Arbeit betrifft die Vocals, denn bei einer Hitproduktion sind die Vocals das absolut Entscheidende. Ich hatte das Glück, von wirklich angesagten Vocal-Produzenten lernen zu können. Da weder Rod noch ich ausgebildete Sänger sind, dreht sich alles um das Feeling der Vocals. Gesangstechnik ist bei uns Nebensache. Meist singt Rod den Song mehrmals hintereinander vollständig ein. Dann gehen wir noch einmal alles Zeile für Zeile, Abschnitt für Abschnitt durch und nehmen gegebenenfalls neu auf.
Nachträgliches Comping mag ich grundsätzlich gar nicht. Das erscheint mir im Ergebnis zu konstruiert. Wenn der Sänger den Raum verlässt, sollten die Vocals exakt so dastehen, wie der Sänger es wünscht. Ist die letzte Note eingesungen, sind die Vocal-Aufnahmen beendet, und der Mix kann beginnen.«
Mobiles Mixing
Das Stichwort »Mix« führt uns geradewegs zurück zu der überaus seltsamen Tatsache, dass Travis sämtliche Rod-Wave-Releases auf seinen »Dre Beats Studio 3«-Kopfhörern gemischt und gemastert hat. Ist diese Arbeitsweise doch grundsätzlich als No-go verschrien, kommt erschwerend hinzu, dass gerade diese Kopfhörer alles andere als neutral klingen. Für Travis sind die Beats-Kopfhörer dennoch ein rundum verlässliches Werkzeug und das On-the-Road-Mixen über Kopfhörer eine für ihn mittlerweile selbstverständliche Arbeitsweise: »Ich habe das Mixen in Studios gelernt, und ich habe lange Zeit in Studios gearbeitet. Meine Ohren sind entsprechend geschult, und so weiß ich, wie ich zu bewerten habe, was ich höre. Wir sind oft auf Tour, und die Songs müssen veröffentlicht werden. Also mixe und mastere ich, während ich zusammen mit Rod unterwegs bin.
Ich habe mir angewöhnt, ausschließlich über Kopfhörer zu mixen und zu mastern. Auch wenn es verrückt klingt – ich gehe nicht einmal mehr zum Gegenhören in ein Studio, sondern verlasse mich voll und ganz auf meine Dre Beats. Ich weiß, dass viele Kollegen diese Kopfhörer nicht mögen, aber für mich sind sie perfekt. Ich habe sie für alle drei Rod-Wave-Alben verwendet und könnte momentan nicht ohne sie arbeiten.«
Travis schätzt nicht nur die Klangfärbung der Beats-Kopfhörer, er sieht auch Vorteile in ihrer Noise-Cancelling-Funktion: »Damit kann ich wirklich überall mixen. Ich habe sogar schon im Tourbus gemischt – ideal ist das natürlich nicht, aber es kann durchaus funktionieren. Am liebsten mixe ich früh morgens im Hotelzimmer, wenn noch alles ruhig ist. Grundsätzlich verbringe ich einfach sehr viel Zeit mit den Aufnahmen, höre sie mir immer wieder an, überprüfe sie und optimiere den Sound. Im Idealfall habe ich am Ende einer Tour ein neues Album fertig gemixt. Ich mixe nicht später noch einmal nach. Zudem versuche ich, Aufnahmen und Mix zeitlich so dicht wie möglich aufeinander folgen zu lassen. Ich will denselben Vibe treffen und sichergehen, dass ich bestimmte Ideen nicht vergesse.
Das Mastering erledige ich ebenfalls in meiner Pro-Tools-Session. Ich bin kein ausgebildeter Mastering-Engineer. Im Laufe von Rods Karriere ging es zunächst nur darum, die Sachen immer lauter zu machen – und hat es funktioniert.«
Für die Hotelzimmer-Aufnahmen schleppt Travis ein paar Koffer mit, in denen sein »Travel Studio« Platz findet.
Screenshot der ersten Spuren von sich Street Runner: oben die Mixdowns von Sample und Beat, darunter die
Sektionen mit Rods Verse-Vocals (»VS«), die Spur mit dem sprechenden Mädchen (»Phone«), Rods Break-
Vocals, Hook-Lead-Vocals, Ad-Libs sowie der Background
Mit dem McDSP ML4000 Mastering Limiter macht Travis das Master laut. Es sei das lauteste Plug-in, das ihm bislang untergekommen ist.
Mix und Mastering von Street Runner
Anhand des Songs Street Runner erläutert Travis seine Arbeitsweise bei Mix und Mastering näher. Der Song ist die Lead-Single von Rods Album Soulfly und wurde in den USA mit Platin ausgezeichnet. Wesentlicher Bestandteil ist ein Sample aus dem Song Mixed Signals der kanadischen Sängerin Ruth B.
»Rod und ich stießen auf dieses Sample von Ruth B «, erinnert sich Travis. »Wir schickten es den Produzenten LondnBlue und TnTXD, die dazu einen Beat erstellten. Da ich die Einzelspuren des Beats bekommen konnte, habe ich ihn selbst gemixt. Wenn ich Einzelspuren bekommen kann – was allerdings nicht immer möglich ist –, mixe ich den Beat in einer separaten Pro-Tools-Session. So auch hier. Beats zu mixen ist meist keine sonderlich komplizierte Sache – die Vocals sind wichtiger.«
Die Screenshots zeigen die Pro-Tools-Session für den Vocal-Mix von Street Runner. Ganz oben befinden sich die Mixdowns von Sample und Beat. Darunter folgen die Sektionen mit Rods Verse-Vocals (»VS«), die Spur mit dem sprechenden Mädchen (»Phone«), Rods Break-Vocals, Hook-Lead-Vocals, Ad-Libs sowie der Background. Rods Vocal-Sektionen besitzen allesamt einen eigenen Aux-Track, und alle Vocals gelangen in einen Vox-Aux. Im unteren Teil der Session finden sich Travis’ Aux-Effekt-Spuren mit Halbe- und Viertel-Noten-Delay, »Big Reverb« sowie einer weiteren Delay-Spur namens Aux 1. Der Master-Fader vervollständigt die Session.
Auffällig ist die große Anzahl verwendeter Plug-ins auf vielen Vocal-Spuren. Pro Spur finden sich bis zu neun Inserts und vier Sends. Die einzelnen Vocal-Spuren sind einander sehr ähnlich aufgebaut und bestehen im Wesentlichen aus Antares Autotune, danach je ein Waves H-EQ, Sibilance, RCompressor und RDeEsser, Avid D-Verb sowie Waves CLA-2A und RVox. Hier und dort finden sich zudem ein Waves Doubler und ein weiterer Waves DeEsser. Es darf spekuliert werden, ob Travis’ Vorliebe für Waves-Plug-ins mit Robs Künstlername zu tun haben könnte …
»Rods Style braucht nicht viel Autotune«, erklärt Travis. »Sein Sound lebt von einer gewissen Rohheit und Unvollkommenheit, die ich auf keinen Fall beseitigen möchte. So kommt Autotune nur subtil zum Einsatz. Manchmal arbeite ich auch mit Melodyne, allerdings auch hier sehr sparsam. Ich bearbeite nie die gesamte Performance, sondern nur eine oder zwei einzelne Noten. Es folgt der Waves H-EQ, mein liebstes EQ-Plug-in. Um Rods Präsenz und Durchsetzungskraft zu verbessern, booste ich damit seine Stimme in den Bereichen um 2 und 10 kHz. Falls es um 500 Hz etwas matschig klingen sollte, senke ich hier leicht ab.
Das Sibilance-Plug-in entschärft die Zischlaute. Es folgt der RCompressor, mit dem ich die Vocals recht kräftig zusammenquetsche. Danach folgt der DeEsser. Einige Kollegen können mit dieser Reihenfolge wenig anfangen, aber für mich funktioniert sie sehr gut. Ich stehe beim Mix nicht auf Regeln – mein Firmenname spricht hier für sich. Ich denke, in der Kunst haben Regeln und Rezepte nichts zu suchen. Du lernst sie, und dann machst du dein eigenes Ding.
Einer meiner kleinen, feinen Tricks liegt darin, das D-Verb nicht auf einem Send zu nutzen, sondern direkt auf die Spur zu legen. Danach komprimiere ich wieder – nun mit dem CLA-2A. Das entspricht ebenfalls nicht den üblichen Regeln, sorgt aber dafür, dass der jeweilige Sound vom Hall sehr schön umhüllt wird, ohne darin unterzugehen. So erziele ich sehr schön luftige und präsente Vocals.
Die ersten beiden Sends führen die Standard-Delays. Sie sind Teil meines Templates und mit Avid ModDelay und Waves H-Delay bestückt. Dann folgt der Big Reverb Aux mit H-Delay, Studio Reverb und D-Verb. Ich habe keine Ahnung, wer das Studio Reverb gemacht hat. Es ist Freeware. Ich bin im Internet darüber gestolpert und liebe es. Meist nutze ich die Einstellung ›Large Theater‹ mit ihrem sehr auffälligen Sound. Als echter Hall-Fan mache mit dem Reverb Dinge, die andere nicht einmal ausprobieren wollen. Hall ist für mich das A und O, um den Vocals ihre Tiefe zu verleihen. Aber selbst, um die Lautstärke zu erhöhen, nutze ich bisweilen Hall.
Die Parametereinstellungen der Effektketten variiere ich natürlich für jede Vocal-Spur. Auf den Ad-Libs sorgt zudem ein Waves Doubler für einen sehr breiten Sound. Auf manchen Spuren habe ich das Big Reverb weggelassen. Die entsprechenden Vocals klingen somit trockener und direkter. Eine weitere Besonderheit, die ich in diesem Mix gemacht habe, steckt am Songende in der Telefonstimme des Mädchens: Über die ›End FX‹-Aux-Spur habe ich den Waves One-Knob-Filter sowie RCompressor und D-Verb eingeschleift und den One Knob automatisiert, um eine Bewegung im Sound zu erzeugen.
Am unteren Ende der Session befindet sich der Master-Fader. Hier sorgt ein Waves ›Kramer Master Tape‹-Plug-in für eine leichte Sättigung, und ein Waves L2 begrenzt leicht den Pegel. Dann folgt ein L3 und schließlich der McDSP ML4000 Mastering Limiter. Letzterer ist mein bevorzugtes Tool, um das Master laut zu machen. Es ist das lauteste Plug-in, das ich bisher finden konnte.
Neben der Aufgabe, die Vocals optimal klingen zu lassen, lag bei diesem Mix der Fokus darauf, sämtliche Elemente – das Sample, die Vocals, den Beat und die Sprechstimme – bestmöglich aufeinander abzustimmen. Dabei sollten jedoch auch klangliche Kontraste geschaffen werden. Es ging darum, alle Elemente miteinander musikalisch klingen zu lassen – ganz so, wie es mir Dave Pensado einmal erklärt hatte.«