Das Klavier ist in Hinsicht auf Konstruktion und Akustik sicherlich eines der komplexesten Musikinstrumente. Um seine Aufnahme optimieren zu können, sollte man ein paar grundlegende Dinge wissen. Bevor wir uns also der Aufnahmetechnik im Detail widmen, ein wenig Instrumentenkunde im Schnelldurchlauf …
1880 wurde in Hamburg die europäische Produktionsstätte gegründet, die heute 300 Mitarbeiter beschäftigt und die für die Lieferung außerhalb Nordamerikas zuständig ist. Pro Jahr verlassen über 3.000 Flügel die Werke in New York und Hamburg. Das Modell D mit einer Länge von 274 cm ist der Konzertflügel für den professionellen Einsatz auf der Bühne – quasi die Königsdisziplin unter den Flügeln. Das C-Modell hat eine Länge von 227 cm, das Modell B, das auch häufig im privaten Bereich eingesetzt wird, ist 211 cm lang, und das kleinste Flügelmodell S hat lediglich eine Länge von 155 mm. Die Kosten liegen je nach Modell zwischen 50.000 und 120.000 Euro.
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Mikrofonierung bei Live-Bandrecordings im Studio – Moses Schneider – Wochenrückblick #42
Der Flügel besteht zum größten Teil aus Holz, und die Holzbeschaffenheit ist maßgeblich entscheidend für den Klang. Das Gehäuse des Steinway-Flügels ist der Rim. Es besteht aus bis zu 20 Ahorn- und Mahagoni-Hartholzschichten. In der sogenannten Rimbiegerei werden die Hölzer miteinander kalt verleimt und in einem Gang im sogenannten Biegebock eingespannt. Nach einigen Stunden erhält der Rim so seine jeweils modellabhängige Form. Der Rim dient aber nicht nur als tragendes Gebilde, um die enormen Zugkräfte aufzunehmen, sondern er ist auch Klangkörper.
Ein Flügel besteht übrigens aus ca. 12.000 Teilen, die zum großen Teil in Handarbeit gefertigt werden. Bei Steinway & Sons kommen Maschinen im Fertigungsprozess nur dort zum Einsatz, wo sie präziser sind.
Gussplatte
Zentraler Bestandteil ist die Gussplatte, die auf Holzdübeln ruht. Sie wird in einem Stück aus Eisen gegossen, dient der statischen Stabilität des Flügels und muss die entstehenden Kräfte von bis zu 21 Tonnen (bei einem auf 440 Hz gestimmten Konzertflügel) aufnehmen. Eine CNC-Maschine führt die ca. 250 Bohrungen in der Gussplatte, die zur Aufnahme der Mechanik benötigt werden, aus.
Stimmstock und Resonanzboden
Die Wirbel werden in den Stimmstock eingeschraubt. Sie müssen zwar fest sitzen, sich aber auch zum Stimmen drehen lassen. Dies erreicht man, indem der Stimmstock aus sechs Schichten Hartholz mit einem Versatz von 45 Grad ausgebaut wird – übrigens eines der „jüngsten” Patente von Steinway (1963).
Eine Hauptkomponente ist der Resonanzboden – quasi die Seele eines jeden Flügels – aus Fichtenholz, der keinen Kontakt zur Gussplatte hat. Bei Steinway dünnt sich der Resonanzboden zu den Enden hin aus, wodurch – ähnlich einer Membran – das Schwingungsverhalten optimiert wird. Alle Verbindungen im Gehäusebau bei Steinway erfolgen ausschließlich mit Holzverbindungen (Dübeln) und nicht mit Metallschrauben oder Bolzen, da diese den Schwingungsverlauf innerhalb des Gehäuses unterbrechen würden – wieder einer von vielen Punkten, die Einfluss auf den Klang eines Flügels haben.
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Zentrales Bestandteils eines Flügels: Die Gussplatte
eines auf 440 Hz gestimmten Konzertflügels muss
eine Belastung von bis zu 21 Tonnen aufnehmen.
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Das Gehäuse des Flügels: Der Rim besteht aus
20 Hartholzschichten.
Klaviatur und Saiten
Die Hammerköpfe schlagen die Saiten von unten an. Je nach Tonlage besitzen die Töne eine (Bass) bis drei (Diskant) Saiten/Chöre. Die Hammerköpfe müssen die Saiten an einer bestimmten Stelle anschlagen und werden während des Produktionsprozesses entsprechend ausgerichtet. Die Diskantsaiten bestehen aus reinem Stahl, während die Basssaiten mit Kupferdraht umwickelt sind. Die Saitenbespannung erfolgt über Kreuz. Die maximale Länge der Saiten ist von Modell zu Modell unterschiedlich und liegt zwischen 155,5 und 253,5 cm.
Ein weiteres Patent gibt es für das Prinzip der sogenannten Duplex-Skala: Zusätzlich zu dem vom Hammer angeschlagenen Saitensegment klingen auch die vorne und hinten frei schwingenden Saitensegmente mit, was zu einem besonderen Obertonreichtum des Flügels führt.
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Die fertige Mechanik mit den aufgezogenen
Saiten – gestimmt wird übrigens am anderen
Ende (am Stimmstock).
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Der Flügel vor dem Lackieren – man sieht sehr schön die über Kreuz geführten
Bass- (kupferdrahtummantelt) und Diskant-Saiten.
Intonation
Selbst bei dieser hohen Fertigungspräzision klingen nicht alle Flügel exakt gleich – auch nicht gleiche Modelle. Klavier und Flügel werden ja im Wesentlichen aus dem Naturprodukt Holz gefertigt, mit entsprechenden Abweichungen in der Beschaffenheit. Aber auch nach dem eigentlichem Fertigungsprozess bietet das sogenannte Intonieren – nicht zu verwechseln mit dem Stimmen der Saiten – eine klangliche Gestaltungsmöglichkeit. Dabei wird der Klangcharakter im Detail abgestimmt – der Filz auf den Hammerköpfen wird z. B. mit einer Nadel eingestochen, um so den Tonansatz „weicher” zu gestalten.
Dämpfer und Mechanik
Oberhalb der Hämmerköpfe setzen die Dämpfer auf den Saiten auf. Sie werden einerseits durch die Tastenbewegung, andererseits durch das Haltepedal bewegt. Mechanik und Dämpfer erzeugen Nebengeräusche, die bei Produktionen meistens möglichst wenig zu hören sein sollen. Das gleichzeitige Abheben aller Dämpfer durch das Pedal erzeugt z. B. ein helles, komplexes Zischen, das je nachdem, wie effizient der ausführende Musiker das Pedal einsetzt, mehr oder weniger laut sein kann. Ebenso charakteristisch wird die Ausklingphase der Saiten bestimmt, je nachdem, wie Dämpfer die Saitenschwingung stoppen. Solche Klangdetails kann man durch entsprechende Ausrichtung der Mikrofone mehr oder weniger betonen.
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Klaviatur vor dem Einbau in die
komplette Anschlagsmechanik
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Mit Nadeln wird jeder Hammerfilz individuell
intoniert – eine Tätigkeit für sehr erfahrene
Mitarbeiter mit geschultem Gehör.
Bild: Dirk Matschuk, Peter Kaminski
Das Modell einer Tastaturmechanik
Klang und Akustik eines Flügels
So komplex wie die Konstruktion eines Flügels ist auch sein Klang, und wir möchten Obertonspektrum, Dynamik und Transientenverhalten sowie Abstrahlcharakteristik genauer unter die Lupe nehmen – alles wichtige Dinge, deren Kenntnis für eine optimale Mikrofonauswahl und Platzierung sehr hilfreich sind.
Kennzeichnend für den Grundcharakter eines jeden Hammerklaviers ist die Klangerzeugung über eine angeschlagene Saite, womit sich kein stetig andauernder Ton, sondern ein Ausklangverhalten in der Amplitude und im Obertonverhalten über den gesamten Zeitverlauf ergibt. Beeinflusst wird das ganze Verhalten noch von der Anschlagstärke, dem Einsatz der Pedale sowie dem Instrument selber wie z. B. der Stellung des Deckels beim Flügel.
Dynamik
Der Dynamikumfang beim Flügel ist sehr groß, und der Schalldruck in ein Meter Entfernung kann bei vollgriffigem Fortissimo-Spiel problemlos deutlich über 100 dB SPL erreichen – so manches Mikrofon muss sich hinsichtlich der Aussteuerungsfestigkeit beweisen, wenn ein Flügel sehr nah mikrofoniert wird. Ein Klavier ist naturgemäß leiser als ein Flügel. Der Schallleistungspegel (Anm. d. Red.: im Gegensatz zum Schalldruck unabhängig von der Entfernung) kann beim Flügel über 110 dB annehmen. Übrigens führt beim Flügel auch ein Schließen des Deckels nicht zu einer sehr großen Abnahme des Schallpegels – aber zu einer Abnahme des Obertonanteils; dazu später mehr. Bei Pianissimo-Spiel und einzelnen Tönen liegt der Schallleistungspegel dann so um die 60 dB oder darunter. Wir können also von einem Dynamikumfang beim Anschlagzeitpunkt von durchaus 50 dB ausgehen.
Hüllkurvenverlauf
Der grundlegende Zeitverlauf des Flügelklangs lässt sich in vier Zeitsegmente aufteilen:
– Dem eigentlichen Anschlag gehen Mechanikgeräusche voraus, was sehr von der Anschlagtechnik abhängt.
– Das Einschwingverhalten wird bestimmt durch die Art und Weise des Anschlags.
– Nach Erreichen des Maximums folgt die erste Ausklingphase mit hohem Obertonanteil und Amplitudenmodulation durch Schwebung.
– Das letzte Zeitsegment mit sehr geringem Obertonanteil und gleichmäßigem Abklingen ohne Modulationen. Je nach Anschlagstärke kann die letzte Phase bei tiefen Tönen eine halbe Minute und länger dauern. In den oberen Lagen ist die Nachklangzeit mit nur einigen Sekunden deutlich kürzer.
Wie der exakte Verlauf aussieht, hängt von vielen Faktoren ab wie der Anschlagstärke, Anzahl der niedergedrückten Tasten, der Pedalbedingung, der Beschaffenheit des Hammerfilzes, der Verweildauer des Hammers auf den Saiten, dem Öffnungswinkel des Deckels sowie natürlich auch der Tonlage der einzelnen Töne. Der geräuschhafte Anteil vor dem Toneinsatz kann bis zu 40 ms lang sein. Die Einschwingphase dauert in Abhängigkeit der Tonlage ca. 10 bis 40 ms.
Das Ausschwingverhalten der Obertöne lässt sich sehr gut
in den beiden Sonogramm-Darstellungen erkennen. Abb.1
zeigt einen Ton mittlerer Lage. Die Obertöne verklingen
recht schnell, während der Basisbereich um den Grundton
herum lange ausklingt. Abschließend ist ein tieffrequentes
Geräusch zu erkennen, das durch das Aufsetzen des Dämpfers
und das Zurückfallen der Hammermechanik in die Ausgangsstellung
erzeugt wird...
... Abbildung 2 zeigt einen Ton
hoher Tonlage. Da diese Saiten keine Dämpfer besitzen, ist
ein diffuses Frequenzgemisch zu erkennen, das insgesamt
viel schneller ausklingt als der Ton mittlerer Lage.
Obertonverhalten
Das Obertonverhalten eines Flügels ist sehr komplex. Nicht nur die angeschlagenen Saiten machen den Ton durch ihre Schwingung aus, sondern auch durch den Flügelboden ergeben sich sehr klangprägende Resonanzen im Bereich von 100 Hz (beim Konzertflügel), die instrumentenabhängig bis zu 1 oder sogar 2 Kilohertz reichen können. Auch werden Nachbarseiten zum Schwingen angeregt. Zudem ist in den ersten 30 bis 40 ms durch das Anschlaggeräusch die Geräuschkomponente bis in den Bereich von 2,5 kHz sehr hoch. Wahrgenommen wird dieses Anschlaggeräusch als Transient – also ein sehr impulsartiges Geräusch, wodurch der Anschlag akustisch aber auch erst seine klangliche „Würze” bekommt.
Resonanzabhängige Klanganhebungen sind beim Klavier häufig im Bereich um 250 Hertz festzustellen, was u. a. auf Interaktionen zwischen dem Klavierresonanzboden und der räumlichen Umgebung zurückzuführen ist. Beim Klavier ist also auch der Aufstellort ein klangbestimmender Faktor.
Bei Klavieren und Flügeln ist in den mittleren und oberen Lagen der Grundton klangbestimmend. In den oberen Lagen sind fast keine Obertöne vorhanden, und bei der Analyse im Zeitbereich mit einem Oszillograph sieht man dort fast eine ausschwingende Sinuswellenform. Im Bassbereich beim Spielen in den beiden unteren Oktaven sind jedoch die Obertöne – u. a. durch den Einfluss des Resonanzbodens – im Bereich von 100 bis hinauf zu knapp 300 Hz sehr ausgeprägt.
Noch eine Anmerkung zu den Obertönen: Bei Flügeln und Klavieren weichen die Obertöne etwas vom mathematischen Frequenzvielfachen ab, denn sie liegen etwas höher (Inharmonizität). Dieser Effekt ist besonders in den hohen Lagen ausgeprägt.
Die FFT-Darstellungen veranschaulichen die Zusammensetzungen von Obertönen
und deren Amplitudenverläufe sehr gut. Deutlich zu erkennen sind die Unterschiede
der Tonlagen. Sehr obertonreich ist der Ton aus dem Bassbereich.
In der mittleren Lage ist das Ganze schon übersichtlicher,...
... während die
hohe Lage nur noch wenige Obertöne besitzt.
Abstrahlverhalten
Für uns Tonschaffende ist besonders das Abstrahlverhalten von Bedeutung, denn dies bestimmt maßgeblich den Aufstellort der Mikrofone. Ganz entscheidend für die Schallabstrahlung ist die Stellung des Flügeldeckels. Auch geben die Saiten selbst direkte Schallwellen ab. Dieses ist umso ausgeprägter, je näher man den Saiten kommt – ein beachtenswerter Punkt bei der Mikrofonplatzierung.
Der Regelfall ist sicherlich der Flügel mit aufgestelltem, offenem Deckel. Der Schall wird beim Flügel nach oben abgestrahlt und in diesem Fall – besonders zu hohen Frequenzen hin – vom schräggestellten Deckel reflektiert, d. h., die Abschattung für den Schall, der direkt nach oben abgegeben wird, steigt. Aber der Schall strahlt auch nach unten ab und wird vom Fußboden reflektiert. Die Schallabstrahlung in den tiefen Lagen ist um das Instrument herum insgesamt mehr oder weniger gleichmäßig. In den mittleren Lagen ergibt sich, wenn man in der Vertikalen als Null Grad die Horizontale parallel zum Fußboden auf Höhe der Klaviatur definiert, bei geöffnetem Deckel ein durchaus ausgeprägtes Maximum bei 40 Grad Erhebung, was sich in hohen Lagen auf bis zu 25 Grad Erhebung reduziert. In der horizontalen Ebene ergibt sich das Maximum der Abstrahlung frontal auf den offenen Deckel – also in einer Flucht mit der Klaviatur –; hier als Null Grad in der Horizontalen definiert. Dies alles sind wichtige Kriterien für die Mikrofonaufstellung. Es ergeben sich auch ein paar nicht so ausgeprägte Nebenzipfel, die uns aber nicht interessieren sollen, da sie für die Mikrofonaufstellung aus praktischen Gründen nicht so bedeutend sind. Sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen ist die Schallbündelung um 4 kHz besonders stark.
Ein Hinweis noch zu der Schallausbreitung speziell des Anschlaggeräusches. Dieses ist stark nach oben ausgeprägt, und sowohl in der horizontalen Ebene als auch in der vertikalen Ebene ergeben sich bei 0 Grad (nach der o. g. Definition) Minima. Bei einem Erhebungswinkel/Elevation von 30 bis 40 Grad steigt dieses Geräusch um ca. 10 dB an. Da aber auch der tonale Anteil bei 30 bis 40 Grad sein Maximum hat, lässt sich dieser Anteil nicht so einfach durch eine Elevation des Mikrofons kontrollieren.
Was passiert bei anderen Deckelstellungen? Die Abstrahlung bei halboffenem Deckel ist der bei offenem Deckel sehr ähnlich, aber man vermisst die Brillanz in den Höhen – der Klang wirkt hier etwas matter. Bei geschlossenem Deckel nimmt der Anteil der hohen Frequenzanteile stark ab. Bei mittleren Lagen ergibt sich bei den Obertönen bei einer Elevation von 30 Grad ein Minimum. Ansonsten ergibt sich eine relativ gleichmäßige Abstrahlung.
Fazit
Mit diesen Erkenntnissen lässt sich der optimale Bereich für eine Mikrofonaufstellung für Flügelaufnahmen schon einschränken. Was wir hier aber noch nicht berücksichtigt haben, ist die Distanz zum Flügel sowie die Wahl der Mikrofone bzw. Mikrofontypen und Richtcharakteristiken, die noch einiges an Spielraum und Kreativität gestatten.
Praxistipps für die Aufnahme
Aufbau des Instruments und Akustik sind eine Sache, doch die nächsten und entscheidenden Schritte zu einer perfekten Flügelaufnahme sind Auswahl und Aufstellung der Mikrofone.
Vorweg kann man eines feststellen: Es gibt sie nicht, die universelle, optimale Mikrofonaufstellung für Flügel oder Klavier. Denn die Klangeigenschaften der Mikrofone, das Mikrofonaufnahmeverfahren und die Aufstellung beeinflussen den resultierenden Klang doch immens – was wir mit Aufnahmen auch belegen werden. Mithilfe verschiedener Parameter lassen sich so bestimmte Klangeigenschaften gezielt herausarbeiten. Wir haben mit unterschiedlichen Mikrofonen und Aufstellungen einige Beispielaufnahmen gemacht, um Ihnen die klanglichen Unterschiede zu zeigen. Für vergleichbare Aufnahmen konnten wir den brandneuen Yamaha Mark IV Disklavier-Flügel nutzen. Einmal aufgezeichnete Beispiele lassen sich dank der hochwertigen Wiedergabetechnik exakt reproduzieren – beste Voraussetzung für unsere Tests also. Aber zunächst möchten wir auf die wichtigsten technischen Faktoren eingehen …
Distanz
Einer der wichtigsten Parameter ist die Entfernung zum Flügel, denn hierüber lässt sich der Anteil des Direktschalls und der Raumreflexionen bestimmen. Gerade bei Konzerten mit großem Orchester wird man eine eher nähere Mikrofonierung wählen müssen, die weniger Raumanteil hat, damit das Übersprechen anderer Signale möglichst gering bleibt. An dieser Stelle möchten wir uns aber zunächst rein auf die Soloaufnahme eines Flügels beschränken.
Die Distanz der Mikrofone zum Flügelgehäuse kann bei 0,5 bis zu maximal drei Metern liegen. Als Höhe kommen ein bis durchaus vier Meter – je nach gewünschtem Raumeffekt – infrage. Wenn Sie schon jetzt jemanden sagen hören: „Man macht das aber so …”, haben Sie es mit einem Mitmenschen zu tun, der tontechnisch nie das ganze Potenzial eines Flügels ausschöpfen wird. Erlaubt ist nicht nur, was gefällt, sondern auch, was funktioniert. Leider führt der Zeitdruck bei Aufnahmen oft dazu, dass eine Standardaufstellung verwendet wird, aber man sollte sich die Zeit einfach nehmen. Dies zeigt auch unsere Videostory über die Leipziger FWL-Studios, in denen wir gemeinsam mit Tonmeister Kai Mäder etliche Mikrofonkonstellation ausprobierten.
Aufstellung
Hier gibt es durchaus verschiedene Möglichkeiten, von denen u. a. Folgende zur Anwendung kommen:
– Gegenüber dem geöffnetem Deckel am Rand, außerhalb des Flügels.
– Im Flügelinneren unter dem Deckel, der auch halboffen oder geschlossen sein kann.
– Je ein Mikrofon rechts und links neben der Klaviatur auf Kopfhöhe.
– Seltener bei Studioaufnahmen: zwei über einem Flügel mit abgenommenem Deckel hängende Mikrofone.
Die erste Variante ist die meistbenutzte, und man kann sie getrost als Standardaufstellung bezeichnen. Aber die anderen Varianten sind in Abhängigkeit vom gewünschten Ergebnis alles andere als nur Experimentalanordnungen. Zu beachten sind noch weitere Parameter bei dieser Aufstellung, z. B. der Neigungswinkel der Mikrofone und die Platzierung entlang des Rimbogens. Durch die Neigung des Mikrofons lässt sich bei offenem Flügeldeckel der Anteil des Direktschalls zu dem vom Flügeldeckel reflektierten Schall in gewissen Grenzen einstellen. Standardmäßig wird man hier auch in Abhängigkeit von der Entfernung und Höhe einen Winkel von 20 bis 45 Grad nutzen – die goldene Mitte wäre dann bei Abständen von einem bis zwei Metern ein Winkel von 30 Grad. Bei mehr Neigung nach unten nehmen auch die mechanischen Geräusche wieder zu, und der Klang wird etwas härter und direkter. Dieses Verhalten gilt auch für eine Platzierung nahe an der Klaviatur. Eine Platzierung am Flügelende (von der Klaviatur aus gesehen) wird wohl eher die Ausnahme bleiben.
Bild: Peter Kaminski
Aufstellung einer sehr nahen A/B-Stereomikrofonierung
mit Neigung der Mikrofone
Bild: Peter Kaminski
DPA 4021 mit Magnetfüßen und Schwanenhälsen im Flügelinneren
Als Mikrofone lassen sich sowohl Groß- als auch Kleinmembranmikrofone einsetzen, und zwar in verschiedensten Mikrofonverfahren wie A/B mit 20 bis 40 cm Abstand zueinander (s. Abb. 1), X/Y und ORTF sowie M/S – wobei letzteres Verfahren bei Flügeln eher selten zum Einsatz kommt.
Eine Abnahme im Flügel hat einen sehr direkten Klang und das Ergebnis ist sehr davon abhängig, wo genau man die Mikrofone platziert. Man muss hier besonders darauf achten, dass die mechanischen Geräusche von Hammer- und Pedalmechanik nicht zu stark werden. Außerdem kann ein Flügel einen beachtlichen Schallpegel erzeugen, sodass so manches Mikrofon ohne Vordämpfung im Flügel zerrt – das kann auch schon bei lauten Passagen bei der zuvor genannten Variante und kleinen Distanzen zum Instrument schnell passieren. Darüber hinaus können Klang und Stereobild sehr instabil werden, wenn man die Mikrofone im Innenraum zu weit auseinander platziert.
Überhaupt ist das Problematische bei der Mikrofonierung im Innenraum, einen in allen Tonlagen ausgewogenen Pegel zu bekommen. Neben Kleinmembranmikrofonen, die über Magnete fixiert und mit Minischwanenhälsen ausgerichtet werden (z. B: DPA 4021), kann man auch Mikrofone über ein Galgenstativ in das Instrument hineinragen lassen. Genauso gut kann man Mikrofone von der Flügeldecke herunterhängen lassen (wofür es spezielle Halterungen gibt) oder auch Grenzflächenmikrofone auf den Metallrahmen legen oder am Flügeldeckel befestigen. Es gibt auch spezielle Mikrofonsets für Flügelaufnahmen wie das Earthworks PianoMic, das mittels einer speziellen Halterung im Rim befestigt wird. Bei solchen Varianten, die mechanischen Kontakt mit dem Instrument haben, ist darauf zu achten, dass keine Resonanzen entstehen, was man vor der Aufnahme ausgiebig in allen Lagen überprüfen sollte – also am besten jede Taste anschlagen und auch Akkorde in den verschiedenen Lagen überprüfen.
Eine interessante Anordnung ist die auf Ohrhöhe, mit je einem Mikrofon auf Stativen rechts und links neben der Klaviatur. Die Mikrofone zeigen dabei zum Flügel hin, parallel ausgerichtet zur Klaviatur. Mit dieser Anordnung bekommt man einen ähnlichen Höreindruck, wie ihn der Klavierspieler selber hat – ein eher selten genutzter Aufbau, aber je nach Genre besonders bei Solo-Aufnahmen sehr interessant.
Beispielaufnahmen
Wir haben bei Yamaha in Rellingen im neu gestaltetem Demoraum eine ganze Reihe von Mikrofonanordnungen – auch mit verschiedensten Mikrofontypen – durchgeführt. Die Ergebnisse findest du hier. Die Tabelle gibt Aufschluss über die einzelnen Aufnahmen. Der Raum ist kein eigentlicher Studio- oder Aufnahmeraum, und um die Charakteristiken herauszuarbeiten, haben wir immer einen eher nahen Aufstellort für die Mikrofone gewählt, um den Raum möglichst auszuschließen – stets etwas näher, als man eigentlich an das Instrument herangehen würde. Uns kam es bei den Aufnahmen besonders auf die klanglichen Parameter des Flügels, der Aufnahmeverfahren und des Aufstellortes im und um den Flügel an und wie man diese nutzen kann, um bestimmte Klangforcierungen zu erreichen. Als Wandler haben wir übrigens Lavry AD10 mit Mikrofonvorverstärker MP10 eingesetzt; aufgezeichnet wurde dann digital mit einem Edirol R4-Vierspurrekorder. Um eine exakte Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, wurden die einzelnen Passagen in ein Yamaha Mark IV Disklavier eingespielt und wiedergegeben.
Die Mikrofone
Mit dem DPA 4021 (Nierencharakteristik) haben wir einmal eine ganze Reihe von verschiedenen Aufstellungen durchprobiert, um diese einmal vergleichen zu können: verschiedene Standorte am Flügelrand, im Flügel sowie verschiedene Neigungen und Mikrofonverfahren (A/B und X/Y). Interessant ist auch der Einsatz des Schoeps MK 22; es wird von Schoeps als offene Niere bezeichnet und bietet einen vom Aufnahmewinkel unabhängigeren Frequenzgang als eine Standardniere. Dies ist wichtig bei gleichzeitiger Aufnahme vom Direktschall von den Saiten und reflektiertem Schall vom Flügeldeckel. Auch dazu gibt es Aufnahmen (A/B und ORTF). Auch Spezialmikrofone für Flügelaufnahmen wie das Earthworks PianoMic wurden eingesetzt. Hier wird zusätzlich auch noch die starke Klangveränderung beim Schließen des Flügels demonstriert.
Bild: Peter Kaminski
Earthworks PianoMic – spezielles Mikrofon für die
Montage im Flügel
Bild: Peter Kaminski
Zwei Mikrofone rechts und links neben dem Flügel auf Höhe der Klaviatur
vermitteln einen ähnlichen Höreindruck, wie ihn der Pianist hat.
Ergebnisse
Grundsätzlich leisten die DPA 4006 mit Kugelcharakteristik einen sehr guten Sound, erfordern aber eine etwas nähere Abnahme als mit anderen Mikrofonen, und der Einsatz im Zusammenhang mit Orchester gestaltet sich wegen des Übersprechens nicht als unproblematisch. Interessant ist auch die Aufstellung rechts und links neben der Klaviatur mit einem etwas anderen Stereobild als eine typische A/B am Flügelrim.
Mit seiner speziellen Nierencharakteristik bewährte sich das Schoeps für Flügelaufnahmen außerordentlich gut. Bei der Aufstellung hat man auch viele Freiheiten, wobei die Schoeps-Broschüre zum Mikrofon wertvolle Hinweise gibt.
Wenn man sich einmal das Rode NT55 anhört, schlägt sich dieses Mikrofon auch sehr gut. Es muss ja auch nicht immer das teuerste Mikrofon sein, aber gewisse klangliche Abstriche muss man schon machen. Zum flexiblen Klassiker AT 4055 mit Multi-Pattern-Richtcharakteristik muss man eigentlich nicht mehr viel sagen. Ohne Frage ist es auch sehr geeignet für Flügelaufnahmen. Auch wenn Großmembranmikrofone bei unserer Auswahl die Ausnahme bildeten, sind sie geradezu prädestiniert für den Flügel.
Für Aufnahmen mit Positionierung im Flügelinneren erweist sich das Earth Works PianoMic als nicht für alle Genres geeignet. Im Bereich Rock/Pop lässt es sich durch den sehr direkten und stark gefärbten Sound (besonders bei geschlossenem Deckel) einsetzen, im Bereich Klassik und auch Jazz würden wir es nicht einsetzen wollen, da doch sehr viel Natürlichkeit auf der Strecke bleibt. Da macht das DPA 4021 eine deutlich bessere Figur, und auch die beiliegenden Halterungen funktionieren in der Praxis einwandfrei.
Bild: Peter Kaminski
Aufnahme-Equipment im Demosaal der Firma Yamaha für unsere Referenzaufnahmen
Bild: Peter Kaminski
Eingespielt wurden alle Passagen für
unseren Test vom Marcus Loeber aus
Hamburg, seines Zeichens Produzent,
Arrangeur und Komponist. Er komponierte
mehr als 1.500 Stücke und
davon mehr als die Hälfte für Werbespots
so bekannter Marken wie CocaCola,
BMW, Mercedes Benz, Nike,
Porsche, Montblanc – um nur einige zu
nennen. Neben den Alben Songs For
Emelie und Two Sides erschien 2008
sein letztes Soloalbum At The Very
Moment, in dem er seinen eigenen
Stil, den er gerne als „Minimal piano“
bezeichnet, weiterentwickelte.
Fazit
Ein exaktes Kochrezept für Aufnahmen eines Flügels gibt es nicht. Die Möglichkeiten und klangbestimmenden Parameter sind einfach zu groß. Wenn man sich aber über den Musikstil, den Raum und das gewünschte Klangergebnis im Klaren ist, lässt sich schon planen, welche Aufstellung, welches Mikrofonverfahren und auch welche Mikrofone infrage kommen, um dies dann im Detail individuell durch Verändern des Abstands oder exakte Platzierung im Inneren zu optimieren. So wird man bei einer Rock-Piano-Nummer eine eher nahe Mikrofonierung, vielleicht sogar im Inneren des Flügels vorsehen, bei Balladen etwas mehr Abstand einplanen, um auch den Raum einzufangen, und beim Solo-Flügel im klassischen Bereich eher eine A/B-Mikrofonierung mit 1,5 Meter Abstand wählen.
Aber wichtig ist, noch einmal zu betonen: „Falsche” Aufstellungen gibt es nicht, nur schlecht und gut klingende, und selbst das ist in hohem Maße subjektiv. Bei Flügelaufnahmen ist halt ein hoher Erfahrungsschatz gefragt, und mit den hier vermittelten Grundlagen und den Hörbeispielen kann man schon einige eigene Experimente wagen, die einem nicht erspart bleiben. Jeder findet im Laufe der Zeit seine eigenen Methoden.
>> Hier geht es zu einem hilfreichen Digitalpiano Ratgeber von unseren Kollegen delamar.
Ganz großen und herzlichen Dank an Herrn Kaminski und das beteiligte Team für diesen ausführlichen und sehr umfangreichen Test/Bericht/”Seminar”. Auch wenn meine Aufnahmeerfahrung mit Flügeln gering ist, so kann ich die Fülle der Möglichkeiten und daraus resultierende Vielfalt des Höreindrucks nachvollziehen. Ich reagierte recht säuerlich bei solchen besserwisserischen Aussagen wie “aber das macht man doch so…” in Bezug auf die Mikrofonierung. Ein echter Profi macht keine solchen Aussagen. Ich glaube es ist nicht übertrieben zu sagen, dass jede Flügelaufnahme ein “Unikat” ist, weil praktisch nie alles gleich ist. Ein Eldorado für tontechnische Erfahrungen.
Ich finde das einen sehr guten Kommentar. Allerdings muss ich selbst eine “Das macht man so!”-Aussage hinzufügen.
Das So-machen fängt schon einmal damit an, dass man den richtigen Flügel verwendet. Wenn im ganzen Artikel kein einziges Mal “Bösendorfer” erwähnt wird, so betrachte ich das als “deutschen Chauvenismus”. 🙂 🙂 🙂 Ich habe aber den Artikel trotzdem geschätzt. Sonst hätte ich ja nicht von vornherein nach Aufnahmemethoden gesucht.
Wenn man einen Bösendorfer aufnimmt, muss man allerdings auf andere Obertoneigenschaften und auch auf eine andere Baßfülle achten.
Richtig spannend wird es mit Flügeln um die vorige Jahrhundertwende, Ehrbar kommt anders als Heinisch als Schwaighofer als Grotrian Steinweg als Blüthner als Bechstein als Richard Lipp als Carl Mand … Und dann hängt es davon ab, was der Klavierbauer kann – Hören Sie sich mal dieses Instrument live an (https://www.klavierland.at/originale-meisterstuecke?pgid=k761dxtv-18df0cf3-e1a9-42bf-a96a-437284b03ed5) – Wenn Sie den Mund wieder zumachen können, wissen Sie, was ich als Pianist meine 😉
Gerne würde ich den Artikel als Quelle in meiner Masterarbeit angeben.
Könnt ihr mir mehr Infos zum Entstehungsjahr geben?+
Vielen Dank und liebe Grüsse
Ganz großen und herzlichen Dank an Herrn Kaminski und das beteiligte Team für diesen ausführlichen und sehr umfangreichen Test/Bericht/”Seminar”. Auch wenn meine Aufnahmeerfahrung mit Flügeln gering ist, so kann ich die Fülle der Möglichkeiten und daraus resultierende Vielfalt des Höreindrucks nachvollziehen. Ich reagierte recht säuerlich bei solchen besserwisserischen Aussagen wie “aber das macht man doch so…” in Bezug auf die Mikrofonierung. Ein echter Profi macht keine solchen Aussagen. Ich glaube es ist nicht übertrieben zu sagen, dass jede Flügelaufnahme ein “Unikat” ist, weil praktisch nie alles gleich ist. Ein Eldorado für tontechnische Erfahrungen.
Ich finde das einen sehr guten Kommentar. Allerdings muss ich selbst eine “Das macht man so!”-Aussage hinzufügen.
Das So-machen fängt schon einmal damit an, dass man den richtigen Flügel verwendet. Wenn im ganzen Artikel kein einziges Mal “Bösendorfer” erwähnt wird, so betrachte ich das als “deutschen Chauvenismus”. 🙂 🙂 🙂 Ich habe aber den Artikel trotzdem geschätzt. Sonst hätte ich ja nicht von vornherein nach Aufnahmemethoden gesucht.
Wenn man einen Bösendorfer aufnimmt, muss man allerdings auf andere Obertoneigenschaften und auch auf eine andere Baßfülle achten.
Richtig spannend wird es mit Flügeln um die vorige Jahrhundertwende, Ehrbar kommt anders als Heinisch als Schwaighofer als Grotrian Steinweg als Blüthner als Bechstein als Richard Lipp als Carl Mand … Und dann hängt es davon ab, was der Klavierbauer kann – Hören Sie sich mal dieses Instrument live an (https://www.klavierland.at/originale-meisterstuecke?pgid=k761dxtv-18df0cf3-e1a9-42bf-a96a-437284b03ed5) – Wenn Sie den Mund wieder zumachen können, wissen Sie, was ich als Pianist meine 😉
Schönen Dank für die sehr gute Arbeit!
Ich habe viel gelernt und mache ich mir schon viele Gedanken…
Mit freundlichen Grüßen,
Enrique Tarris
Super Artikel. Viel gelernt! Herzlichen Dank! Leider finde ich die Tonaufnahmen des Mikrotests nicht. Würden sie mir da einen Link schicken?
Finde den Artikel auch sehr interessant 🙂
Kann leider die Website mit den Hörproben nicht finden.
Hallo Lenni
Danke für den Hinweis, wir haben den Link nachgetragen.
Gruß aus der Redaktion.
Wow das ging ja schnell ^^
Vielen Dank
Liebes soundandrecordings-Team
Gerne würde ich den Artikel als Quelle in meiner Masterarbeit angeben.
Könnt ihr mir mehr Infos zum Entstehungsjahr geben?+
Vielen Dank und liebe Grüsse
Hallo Noah,
Der Artikel (in Print waren es mehrere) sind alle 2009 erschienen. Vielleicht helfen dir auch diese Links weiter:
https://www.soundandrecording.de/heftarchiv/2009-09/recording-pianos/
https://www.soundandrecording.de/heftarchiv/2009-09/recording-pianos-2/
https://www.soundandrecording.de/heftarchiv/2009-09/recording-pianos-3/
Lieben Gruß und viel Erfolg