Im Gegensatz zu ihren Vorbildern sind die singenden Zucchinis gar keine Schwestern, sondern ein skurriler, nicht verwandter Damendreier, der sich dem Female-Close-Harmony Gesang der 30er- und 40er-Jahre verschrieben hat. Die drei Musikerinnen pflegen die Tradition der amerikanischen Boswell Sisters, der dänischen Kordt Sisters, der Three Peters Sisters aus Hawaii oder des niederländischen Trio Lescano. Sie nennen das, was sie tun, »Musik zum Anschauen« und bespaßen ihr Publikum neben Kontrabass, Akustikgitarre, Trompete und Posaune mit allerlei Geräuschklimbim und Schabernack.
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Optisch ein schriller Knaller mit falschen Wimpern, Netzstrümpfen und modischem Vintage-Look, herrscht bei ihnen eine Farbe vor, die auch längst ihr Privatleben dominiert: Es grünt so grün, wenn die Zucchinis erscheinen, und das seit 2009 mit wachsendem Erfolg auf mittlerweile rund 100 Bühnen pro Jahr. Gerade haben die Mädels ihr Debütalbum eingespielt.
Mit dem üblichen Besteck aus Klick und Overdubs, Eindroppen, Ausbessern, Pimpen und all dem Schnickschnack, der heute bei einer Produktion unerlässlich scheint. In München ergab sich nun die Möglichkeit, Teile ihres Albums »undubbed«, live & direct und in Mono für eine exklusive Kollektion ein zweites Mal aufzunehmen. Tina, die Gitarristin, hatte die Unterlagen für die Verlosung des Studiotages auf Empfehlung eines Freundes eingereicht. Die beiden anderen erfuhren davon erst, als die Würfel schon gefallen waren. Die Begeisterung des Trios über den Zuschlag war groß, entspricht doch die Art des Aufnehmens in diesem Retro-Ambiente viel eher ihrem stilistischen Naturell, obwohl die komplett andere Vorgehensweise verglichen mit der zurückliegenden Albumproduktion eine besondere Herausforderung darstellt.
Nochmal zur Erinnerung: Im Moonshine Records Studio ist die Aufnahme auch gleich die Platte. Alles muss in der Performance geregelt werden. Abgesehen vom finalen Mastering kann nichts nachbearbeitet, korrigiert oder hinzugefügt werden. Es gibt keine Equalizer, keine Kompressoren, nichts. Nur historische Mikrofone, dazu passende Pre-Amps und ein Mischpult, das die Signale mischt, aber nicht filtert. So, wie die Musik aus dem Aufnahmeraum aufs Tonband kommt, so endet sie auf dem Tonträger.
»Wir beginnen immer mit einem Hauptmikrofon, abhängig davon, wo der Sänger steht«, erklärt Michael Rahm, der Engineer des Studios, das übliche Vorgehen. »Wir ziehen es hoch und schauen, was ist schon drauf, wo muss ich stützen, was fehlt?« Diese Methode funktioniert bei den Zucchinis jedoch nicht. Denn hier singen gleich drei Personen und spielen dazu diverse Instrumente unterschiedlichster Intensität. Vom leisen Shaker-Ei bis zur lauten Trompete. Mit nur einem Mikrofon kommt man da nicht weit. So werden es sechs: je eines pro Stimme, sowie eines pro Instrument.
Damit ist die Eingangskapazität des RCA BC-3B-Broadcast-Röhrenmischpultes von 1957 am Ende. Hall muss über einen der drei Inputs des Pre-Amps der Presto Bandmaschine zugemischt werden. Der finale Aufbau sieht dann wie folgt aus: Die drei stehen nebeneinander, so wie auf der Bühne. Jule mit Bass in der Mitte, vom Regieraum aus rechts daneben Tina und links Sinje, die Multiinstrumentalistin. Heute beschränkt sie sich auf Trompete und Flügelhorn und bläst ihre von imposanten Macho Growls durchsetzten Soli gegen eine als Reflexionsbrecher genutzte Dämmplatte an der Wand. Den Rückschall fängt bei den ersten Songs ein RCA 77DX auf, es wird aber später ersetzt durch das französische Bändchenmikrofon Melodium 42B, das schon von Miles Davis und Dizzy Gillespie wegen seiner brillanten Höhenauflösung geschätzt wurde.
Sinjes Gesang geht über ein RCA 74BX, Jule und Tina singen über je ein RCA 44B, deren Achter-Charakteristik zugleich den Raum abbildet. Der Kontrabass wird über ein »Bird – cage« Altec T36 aufgenommen, die Gitarre über ein Altec 150A mit Glasmembran. Das wegen seiner schlanken Figur als »Cokebottle« bezeichnete Mikrofon kam 1948 für 230,− Dollar auf den Markt, verbunden mit dem Werbespruch: »Talent deserves to be seen as well as heard.« Entwickelt wurde es als Alternative zu den klobigen RCA-Mikrofonen, die bei Konzerten zu viel des Gesichts verdeckten.
Recording starts
Nachdem der grundsätzliche Aufbau steht und von den Ladys mit kokettem Wimpernaufschlag als »die Mikrofonie ist typgerecht« abgesegnet wurde, beginnt die Suche nach dem ausgewogenen Klangbild. Denn auch ohne Equalizer und Kompressoren lässt sich der Sound beeinflussen. Wie bei einem Schachspiel werden Musiker und Mikrofone verschoben. »Geh mit der Trompete einen Schritt zurück … Dreh dich etwas zur Seite … Komm näher ans Mikrofon … Stellt euch gegenüber auf …« Durch Spielzüge wie diese entwickelt sich eine homogene Akustik, der am Ende lediglich ein paar Höhen fehlen. Um das auszugleichen, wird die Pre-Amp- Abdeckung der alten Bandmaschine von 1950 entfernt, um an eine kleine Stellschraube zu kommen, mit der entsprechend nachjustiert werden kann. »Wir wollen hier eine bestimmte Art von Sound machen« sagt Michael Rahm und weist darauf hin, dass der mit modernen, hochauflösenden Mikrofonen nicht zu erzielen wäre. »Das komplette Ding hier, die Mikros mit ihrem beschnittenen Frequenzverhalten, die Pre-Amps, die Bandmaschine, die im Endeffekt der Wandler ist und auch nochmal Sound macht, das ist eine Kette, die das Resultat ausmacht.«
Die Zucchinis interessieren sich für solche Fragen nur am Rande. Sie machen eine Musik, die aus der Zeit kommt, aus der auch das Equipment des Studios stammt. Das allein genügt, um ihnen das Gefühl zu geben, hier richtig zu sein. Geflasht von der Atmosphäre und der Ausstrahlung der Einrichtung beginnen sie, ihre Songs einzuspielen. Es kommt ihnen entgegen, dass in diesem Studio Kopfhörer nicht gebraucht werden, und so gelingt es ihnen zu agieren, als stünden sie vor Publikum. Während sie sich live eher als Comedy inszenieren, schrubben die Zucchinetten hier ihre Songs konzentriert runter und haben Spaß. Unüberhörbar grinsen sie beim Spielen und bewerten in ihrer Selbstkritik vor allem die musikalische Interaktion, zu der Sinje meint: »Die Geräte sind gnädig.« »Ich finde, das ist eine ganz andere Energie«, begeistert sich Tina.
»Bei unserem Album haben wir viele Sachen getrennt voneinander aufgenommen. Und hier, zu dritt mit der geballten Zucchini-Power vor diesen Wahnsinnsmikrofonen zu stehen, in diesem wunderschönen Studio … ich finde, man hört es. Und man fühlt es vor allen Dingen. Wenn man da steht, ist das was ganz anderes.« Tina bringt es offenbar auf den Punkt, denn Sinje ergänzt: »Ich fühle mich wirklich sehr geerdet hier in diesem Aufnahmeraum. Alles sieht so schön aus, und durch diese alten Mikrofone hat man ein viel authentischeres Gefühl zu singen. Es ist fast schon so gemütlich wie in unserem Proberaum.« Auch Jule stimmt zu: »Ja, das ist der Trick daran. Eigentlich ist es so, als wären wir im ganz intimen Proberaum. Und ich glaube, das fängt sich ein.«
Kommt da nicht hinzu, dass ihr mit eurer Musik und der Art eurer Arrangements eh im Vintage-Bereich unterwegs seid?
Sinje: Ich glaube, das ist ein Lebensgefühl. Die Kleidung, die Wimpern, die Strumpfhosen … das alles ist eine Welt für sich.
Jule: Wir hören ja diese ganzen alten Aufnahmen. Wenn wir Songs covern, hören wir unsere Gesangssätze komplett von den alten Aufnahmen raus, manches sogar noch von Shellack. Man fragt sich dann schon: Wie ist dieser Geist da hineingefahren? Als Künstler, der im Jetzt lebt, der an seinem Sound arbeitet, mit seinen Stimmbändern, mit seinem Kehlkopf, mit seinen Resonanzräumen im Ensemble, arbeiten wir immer am Sound. Dann hört man diese alten Aufnahmen und fragt sich: Steckt der Zauber in den Aufnahmen, weil die so unfassbar viel besser waren? Weil das Schwestern waren, die zusammen aufgewachsen sind und es das Lebensgefühl der Zeit war? Oder kommt das auch ein stückweit …
Tina: …durch die damalige Aufnahmetechnik? Das ist genau die Frage, die den Gründer des Studios beschäftigt hat: Wo kommt der Sound her, den wir heute als »authentisch« empfinden?
Die Antwort ist recht simpel: Der Sound entsteht von allein. Die hier versammelte Technik war zu ihrer Zeit das Beste vom Besten, State-of-the-art. Heute ist das Arbeiten damit ein bewusst gewählter Schritt zurück in die Vergangenheit. In jener Zeit aber war das die einzige Möglichkeit aufzunehmen. Es gab keine Alternative. Die Überlegung, ob analog oder digital, mono oder stereo, doppeln oder triggern, ist ein Luxus der Gegenwart. Man hat zwar auch damals schon angefangen, mit zwei Bandmaschinen und Overdubs zu experimentieren. Aber wenn etwas versemmelt wurde, mussten alle nochmal ran. Weil sich einzelne Teile nicht reparieren ließen. Tina: Wobei diese quasi live-Situation eigentlich von Vorteil ist. Da entsteht richtig gute Energie. Als wir für die Platte produziert haben, war das nicht alles so unbeschwert und leicht.
Sinje: Der Anspruch hier ist ein anderer. Wenn ich was aufnehme und denke: »Aah, das kannst du noch besser«, und du versuchst es noch besser und noch besser und noch besser, wird es irgendwann total glatt. Hier nimmst du den Spirit der Bühne sozu – sagen mit ins Studio, und es geht darum, diese Stimmung beim Singen zu fühlen. Deshalb der unüberhörbare positive Vibe, das Lachen in den Aufnahmen?
Jule: Wenn Publikum da ist, ist das Lächeln automatisch da. Das war für uns auch die Schwierigkeit, als wir angefangen haben, im Studio für die Platte zu arbeiten. Weil wir kein Publikum hatten, das wir ansingen konnten. Dieses dialogische Prinzip der guten Lau – ne, das muss man aus sich selber schöpfen. Weil man es hört.
Sinje: Deshalb ist hier die Aufnahmesituation auch sehr gut für uns. Weil wir nicht von Wänden getrennt sind und uns sehen können. Hier haben wir die gleiche Aufstellung wie auf der Bühne.
Tina: Als wir das allererste Mal im Tonstudio waren, da sind wir hinterher raus gegangen und hatten etwas, was irgendwie ok war. Wir haben aber gemerkt: »Oh, irgendwie ist das …«
Jule: »… lost in translation!«
Record is done
Am Ende des Tages haben die Zucchini Sistaz in München sieben Titel aufgenommen, eine kleine EP mit Intro und Outro und einer Coverversion eines Songs von Mia (Tanz der Moleküle). Auch wenn während der Aufnahmen nichts bearbeitet wurde, musste final doch noch ein wenig gemastert werden, weil zu viel Bass auf dem Tape gelandet war. Die Möglichkeiten der Moderne können da helfen, die klangliche Ästhetik des Moonshine Records Studio bleibt davon unberührt.
Hallo,
Klingt sehr interessant.
Wo kann man denn die platte kaufen?
Gruss
Stefan