Von Berlin nach Heilbronn
Der erste große Meilenstein von Beyerdynamik war der 1937 vorgestellte DT 48 – einer der ersten dynamischen Kopfhörer überhaupt und das wohl am längsten gefertigte Stück Audiotechnik. In leicht abgewandelter Form wird er von Beyerdynamic bis heute (!) gefertigt und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, insbesondere bei Rundfunk und Filmton. Möglicherweise hatten Sie selbst schon einen auf, ohne es zu wissen: Eine spezielle Audiometrie-Version des Beyerdynamic DT 48 wird von HNO-Ärzten für Gehörmessungen verwendet.
Ein zweiter Meilenstein folgte nur zwei Jahre später. Das Beyerdynamic M 19 war das erste, für den Rundfunkeinsatz zugelassene dynamische Mikrofon. Es handelte sich um ein Tauchspulmikrofon mit Kugelcharakteristik; die Membran bestand aus Aluminium. Das Beyerdynamic M 19 klang viel besser als die bis dahin üblichen Kohlemikrofone und war sehr viel kompakter als die allmählich aufkommenden Kondensatormikros, schon weil es keine Stromversorgung benötigte. Außerdem war es überaus robust. Der Legende nach fiel das Beyerdynamic M 19 bei seiner Zertifizierung aus dem zweiten Stock des Berliner Funkhauses – und bestand trotzdem alle Tests.
Der zweite Weltkrieg bedeutet auch für Beyer einen gewaltigen Einschnitt. Das Berliner Firmengebäude wird in den letzten Kriegstagen zerstört, und Eugen Beyer siedelt nach Heilbronn um, um dort ab 1948 den Neuanfang zu wagen. Ein paar Jahre wohnt auch sein langjähriger Berliner Freund Georg Neumann in Heilbronn – ihre beiden Unternehmen drucken eine Zeit lang sogar gemeinsame Prospekte, denn die Produktpaletten ergänzen sich überschneidungsfrei. Während Neumann sich auf Kondensatorwandler festlegt, fertigt Beyer bis dahin ausschließlich dynamische Systeme, was Mitte der 60er die Umbenennung in „Beyer Dynamic” nahelegt – auf älteren Mikros ist der Firmenname noch getrennt geschrieben. Die Änderung in die heutige Schreibweise „beyerdynamic” fällt ungefähr in den Zeitraum der ersten Kondensatormikros, Ende der 70er.
Zuvor profiliert sich Beyerdynamic auf dem Gebiet der Bändchenmikrofone. Wann genau die ersten Modelle M 30 und M 31 auf den Markt kamen, ist nicht mehr genau zu ermitteln; möglicherweise entstanden sie noch zu Berliner Zeiten. Beyerdynamics bis heute nahezu unverändert gefertigte Bändchenriege M 130, M 160 und M 260 wird im Laufe der 60er-Jahre vorgestellt – eigentlich genau die Zeit, in der viele der großen Bändchenhersteller wie RCA die Segel streichen.
Beyerdynamic stemmt sich gegen den Trend mit einigen innovativen sowie mit Patenten (DBP 1077258) bedachten Konzepten, die die Klangeigenschaften wieder mit Kondensatormikros konkurrenzfähig machen. Außerdem verkleinert Beyer die Bändchensysteme soweit, dass sie für den Handheld-Einsatz taugen. 1969 stellt Beyerdynamic das M500 vor, ein Bändchen-Gesangsmikro für den Bühneneinsatz. In den 70er- und 80er-Jahren erfreut es sich mit seinem frischen Sound großer Beliebtheit; Größen wie ABBA, Frank Sinatra und viele, viele andere benutzen es – möglicherweise ohne überhaupt zu wissen, dass es sich dabei um ein Bändchenmikro handelt.
Ein Schild mit der ursprünglichen Firmenbezeichnung hängt noch immer im Eingangsbereich.
Zu den Pionierleistungen von Beyerdynamic gehört auch die erste Drahtlos-Mikrofonanlage „Transistophone”, die ab 1962 in Produktion geht. Und auch das Digitalmikrofon, wie wir es heute kennen, nahm bei Beyerdynamic seinen Anfang. Die 1997 vorgestellten Modelle MCD 100 und MCD 101 von Beyerdynamic entsprachen bereits weitgehend der heutigen Technik, u. a. verwendeten sie einen aufwendigen Gain-Ranging-AD-Wandler, um den gesamten Dynamikbereich der Kapsel abzubilden. Was nicht viele wissen: In der vollständig digitalen Mikrofonanlage des deutschen Bundestags kommen 220 speziell angefertigte Beyerdynamic-Mikrofone für die Abgeordneten zum Einsatz. Der breite Markt war aber offenbar noch nicht bereit für eine so radikale Umwälzung, und so wurden die Digitalmikrofone vor ein paar Jahren wieder aus dem Beyerdynamic-Lieferprogramm gestrichen.
Die heutigen Hauptgeschäftsbereiche von Beyerdynamic sind professionelle Audiotechnik (Studio, Bühne, Broadcast) und der stark wachsende Markt der Konferenztechnik. Kleinere Sparten sind Consumer-Produkte (hauptsächlich Hi-Fi-Kopfhörer) und Aviation (Piloten-Headsets). Bei unserem Rundgang in der Firma Beyerdynamic mit den Pro-Audio-Spezialisten Oliver Senghaas und Klaus Kirchhöfer interessierten wir uns natürlich besonders für die Studioprodukte.
Fabrik? Manufaktur!
Was bei Beyerdynamic sofort auffällt ist, dass das alte Firmenschild im Eingangsbereich Etikettenschwindel ist: Elektrotechnik wird jede Menge produziert, aber von einer Fabrik im engeren Sinn kann keine Rede sein: Mit seinen rund 300 Mitarbeitern ist Beyerdynamic eine große Manufaktur. Nirgends ist hier ein Fließband zu entdecken, die Arbeitsabläufe sind auch nicht in einzelne Handgriffe unterteilt. Die Mikrofone und Kopfhörer werden von der jeweils zuständigen Person vollständig montiert, geprüft und anschließend oft sogar verpackt. Der Manufakturgedanke gehört fest zur Firmenphilosophie von Beyerdynamic: Die Arbeiter – in der Mehrzahl sind es Frauen, da nur wenige Männer mit so ruhiger Hand arbeiten – können sich mit den von ihnen gefertigten Produkten identifizieren und bleiben motiviert. Außerdem ist die Qualitätssicherung aufgrund der direkten Zuständigkeit bei Beyerdynamic einfacher als in der sonst üblichen Fließbandproduktion.
Die traditionelle Manufakturfertigung erlaubt außerdem eine ökonomische Lagerhaltung. Beyerdynamic hat ein ungemein großes Repertoire an lieferbaren Produkten. Die wenigsten davon müssen aber in großen Stückzahlen vorgehalten werden. Die Manufakturproduktion erlaubt es, „on demand” auf den Markt zu reagieren. Nur so ist es auch möglich, traditionsreiche Produkte wie die Bändchenmikros im Portfolio zu behalten, die bei Beyerdynamic viele Jahre nur in kleinen Stückzahlen verlangt wurden. Lange wurden sämtliche Bändchenmikrofone von einer einzigen Mitarbeiterin gefertigt, und als die Nachfrage aufgrund des Ribbon-Revivals wieder anzog, wurde bei Beyerdynamic eine zweite in diese „Zen-Kunst” eingewiesen: Das Einspannen des fragilen Bändchen erfordert extreme Geduld und feinstes Fingerspitzengefühl. Die Lehrzeit dauerte drei Jahre!
Statt über Massenproduktion nachzudenken geht Beyerdynamic in die entgegengesetzte Richtung: Unter der Überschrift „Beyerdynamic Manufaktur” kann sich der Kunde online seinen persönlichen Kopfhörer in Design und technischer Ausstattung zusammenstellen. Womit die Heilbronner eindrucksvoll beweisen, selbst Einzelstücke zu vernünftigen Preisen produzieren zu können. Neuerdings gibt es diesen Service auch für den Mikrofonklassiker M88 – vielen bekannt als „das Phil-Collins-Mikro”. Beyerdynamic fertigt diesen Evergreen bereits seit Anfang der 60er-Jahre, und noch immer ist das M88 eines der besten Tauchspulmikros überhaupt.
Volles Programm
Beyerdynamic gehört zu den wenigen echten Vollsortimentern im Mikrofonsektor und bietet alle drei heute populären Wandlersysteme an: Tauchspul-, Bändchen- und Kondensatormikrofone. Neben Studio- und Bühnenmikrofonen werden in Heilbronn auch Richtrohre und Stereomikrofone für den Broadcast-Bereich gefertigt sowie ein paar preisgünstige Modelle für den Consumer-Markt, wie z. B. das MCE72, das als Camcorder-Mikro sehr beliebt ist.
Zu den weniger bekannten Spezialitäten von Beyerdynamic gehört die Übertragerfertigung. Bis in die 70er- und 80er-Jahre fanden sich diese Übertrager in vielen Mischpulten verschiedenster Hersteller als Mikrofon-Eingangsübertrager. Das Besondere dieser Trafos ist die geringe Baugröße und die Fertigung nach einem alten Beyer-Patent (DBP 1060478). Anders als bei üblichen Übertragern wird der Metallkern nicht um die fertig gewickelten Spulen zusammengesetzt, sondern besteht aus ungeteilten Blechen, was den magnetischen Fluss verbessert und Verluste minimiert. Wie aber kommt dann die Spule auf den Kern? Das Prinzip ist einfach, aber genial: Der Wickelkörper ist rund und besteht aus zwei Teilen, die den Kern umschließend verleimt werden. Danach wird der Wickelkörper mit einer Gummiwalze angetrieben und so der Draht aufgebracht. Die entsprechenden Maschinen – wir durften sie leider nicht von Nahem fotografieren – haben bereits etliche Jährchen auf dem Buckel, funktionieren aber immer noch prächtig.
Zu Glanzzeiten füllte der Übertrager-Katalog knapp 40 Seiten mit unzähligen Typen und Varianten. Moderne Mischpulte arbeiten – schon aus Kostengründen – meist ohne Übertrager, und so hat sich das Lieferprogramm bei Beyerdynamic über die Jahre auf 20 bis 30 Typen reduziert. Prinzipiell könnten die meisten der alten Modelle von Beyerdynamic aber noch produziert werden: Auch hier greift das Manufaktur-Prinzip. Wichtig ist die Übertragerfertigung natürlich auch für die eigene Produktion. Eines der Geheimnisse der Beyerdynamic-Bändchenmikrofone besteht in ihren exzellenten, präzise auf diese kleinen Systeme abgestimmten Übertragern.
Alles außer Hochdeutsch
Überhaupt verlässt sich Beyerdynamic nur ungern auf Zulieferer. Alle essentiellen Komponenten werden in-house gefertigt. Wenn nötig, werden bei Beyerdynamic sogar Schrauben selbst gedreht. Viele Plastikteile werden im Spritzgussverfahren selbst gefertigt; lediglich einige weniger wichtige Gehäusekomponenten werden außer Haus produziert – meist jedoch im direkten Umfeld von Heilbronn.
Viele der Produktionsmaschinen sind Eigenentwicklungen, darunter auch eine sehr beeindruckende Wickelmaschine für Schwingspulen, die wir leider nicht fotografieren durften. Wir hätten aber ohnehin unsere liebe Mühe gehabt, denn der Draht, den diese Maschine mit baden-württembergischer Präzision führt und aufbringt, ist so spinnwebendünn, dass er für die Kamera kaum sichtbar gewesen wäre. Man fragt sich, wie diese feinen Schwingspulen in den Jahrzehnten gefertigt werden konnten, bevor es diese Maschine gab!
Auch die meisten Prüfgeräte, die in der Produktion zur Qualitätssicherung eingesetzt werden, sind Eigenentwicklungen. Und wie es sich für einen anspruchsvollen Mikrofonhersteller gehört, verfügt Beyerdynamic über einen eigenen reflexionsarmen Messraum. Bei seiner Fertigstellung Anfang der 80er-Jahre war es der größte in ganz Europa. Neben dem großen Messraum, der für die Entwicklung und Messungen der großen Studiomikros wie dem MC 840 genutzt wird, verfügt Beyerdynamic auch noch über einen „kleinen Messraum”, in dem die kompakteren Modelle getestet werden. Der Mitarbeiter braucht diesen gar nicht zu betreten, sondern spannt das Mikrofon in einer Vorrichtung ein. Die Messung von Vorder- und Rückseite erfolgt dann automatisiert. Diese zeitsparende Methode ermöglicht es Beyerdynamic, jedes Mikrofon, auch die preisgünstigen, individuell zu messen. Bei den „besseren” Mikros wie den studiotauglichen Tauchspulern, den Bändchen und der MC-900-Kleinmembranserie wird das Messdiagramm auch mitgeliefert – ein Service, den man sonst selbst bei teuren Edelmikros nur selten geboten bekommt, geschweige denn bei Mikros für teilweise deutlich unter 200 Euro wie z. B. dem M 201.
Familiär
Wir verlassen Beyerdynamic in Heilbronn mit dem wohligen Gefühl, mal wieder ein Paradebeispiel dafür gesehen zu haben, was „Made in Germany” im In- und Ausland so beliebt macht: innovative Ideen gepaart mit hoher Fertigungsqualität. Beyerdynamic kombiniert diese „deutschen Tugenden“ mit einer Prise schwäbisch-fränkischem Eigensinn und einer fast familiären Atmosphäre – viele Mitarbeiter sind bereits seit vielen Jahren im Haus. Von „Hire & Fire” oder Zukunftsangst ist hier nichts zu spüren: Das Unternehmen Beyerdynamic befindet sich nach wie vor in Familienbesitz und kann mit seiner sehr breit aufgestellten Produktpalette mancher Erschütterung trotzen. Selbst im Krisenjahr 2009, als der osteuropäische Markt einbrach, schrieb man bei Beyerdynamic am Ende schwarze Zahlen. Aktuell kann sich Beyerdynamic über mangelnde Nachfrage nicht beklagen: Produktionsrückstände müssen aufgeholt werden, und in Südafrika brauchte man von Beyerdynamic jüngst eine vierstellige Zahl Hör-Sprech-Kombinationen für ein großes Sportereignis: Schaffe, schaffe, Mikros baue!
Text: Andreas Hau
Fotos: Andreas Hau, Beyerdynamic