Obwohl Bitwig Studio längst viel weiter entwickelt ist, lohnt sich ein Rückblick auf die erste Version der DAW, um mehr über die Musik-Bearbeitungs- und Recording-Software, ihre Geschichte und die Menschen dahinter zu erfahren.
Hier also der damalige Preview von Axel Latta, erschienen in Sound&Recording 10/2012:
BITWIG STUDIO
Software-Sequenzer für Mac & PC – Von allem das Beste?
Bitwig ist ein weiterer Debütant im DAW-Sektor: Das Berliner Unternehmen machte uns in den letzten Monaten mit immer mehr Details und erst kürzlich mit einer Beta-Version ihrer Multiplattform-DAW Bitwig Studio neugierig. Sehr neugierig sogar, denn einerseits fragt man sich natürlich, ob der Markt für Musikproduktions-Tools ein weiteres Audio/MIDI-Sequenzer-Konzept braucht, und zum anderen bedarf es keiner Industriespionage, um herauszufinden, dass sich das Bitwig-Team aus ehemaligen Ableton-Mitarbeitern zusammensetzt und der Firmensitz nur etwa 500 Meter Luftlinie vom früheren Arbeitsplatz entfernt ist.
Angesichts dieser Truppenbesetzung ist es kaum verwunderlich, dass Bitwig Studio auch optisch einige Ähnlichkeiten mit Ableton Live aufzuweisen hat. In der Produktionsumgebung gibt es ebenfalls zwei Hauptansichten: Arrangement und Mix. Des Weiteren wird die Oberfläche hauptsächlich von grauen und orangen Farbtönen dominiert und erinnert vom Stil etwas an »Traktor« oder »Maschine« von Native Instruments. Es liegt wohl an der Berliner Luft! Nichtsdestotrotz − gehen wir unvoreingenommen ans Werk und schauen uns das Ganze genauer an.
Mit Loop-basierten Clips hat seinerzeit Ableton die Sequenzer-Welt revolutioniert − heute ist diese Drag&Drop-Arbeitsweise ein Standard bei Musikkreation und beim Live-Spielen. Die Besonderheit des so charakteristischen »Clip Launcher« bei Bitwig Studio allerdings ist, dass dieser wahlweise auch im Arrangement zur Verfügung steht − was einige Vorteile mit sich bringt. Denn Clips können blitzschnell zwischen beiden Ansichten ausgetauscht werden, ohne (wie in Ableton Live) einen Umweg über die [Tab]-Taste bzw. das Ansichtssymbol zu machen. Damit werden zwei (eigentlich grundsätzlich verschiedene) Arbeitsweisen endlich sinnvoll miteinander verknüpft: Man kann komfortabel an einem etwa eintaktigen Loop arbeiten, während die anderen Spuren des Songs linear weiterlaufen!
Für Nutzer, die Produktionen bisher nur auf rein linearen Sequenzern wie Cubase oder Logic gefahren haben, wäre diese Kombination also ein Sprung ins nicht allzu kalte Wasser.
Für diesen Preview stand uns noch keine Dokumentation zur Verfügung, und dennoch ließ sich Bitwig Studio binnen kürzester Zeit gut handhaben. Man hat alle wichtigen Elemente eigentlich sofort im Blick.
Rechts gibt der Browser Zugriff auf alle Medien und Elemente, die sich per Drag&Drop komfortabel handhaben lassen. Am unteren Rand lässt sich ein weiteres Feld einblenden, welches je nach Situation den Mixer, die »Device Chain« mit Instrumenten und Effekten, den Audio-/MIDI-Editor oder den Automation- Editor beinhaltet.
Auch wenn Bitwig Studio zunächst als »Einfenster«-Applikation erscheint, vermisst man die Konfigurierbarkeit der Arbeitsbereiche nicht: Neben einer Fullscreen-Ansicht gibt es auch zwei Dual-Monitor-Layouts: »Layout 1« zeigt auf dem ersten Monitor fortdauernd das Arrangement und/oder den Clip-Launcher an, während der zweite Monitor Editoren und Device-Chain darstellt. »Layout 2« verteilt indessen Mix und Arrangement fest auf zwei Bildschirme.
Mit »Multiplattform-DAW« ist übrigens nicht nur die Unterstützung von Windows oder Mac OS X gemeint, vielmehr wird es so manchen Nutzer erfreuen, dass Bitwig auch auf dem kostenfreien Betriebssystem Linux läuft und somit eventuell eine Alternative zu Harrison Mixbus oder Ardour darstellen könnte.
WORKFLOW UND EDITING
In diesen Disziplinen hat Bitwig einige nette Überraschungen auf Lager: Die Software arbeitet mit vier Spurtypen: »Audio«, »Instrument«, »Hybrid« und »Effect«. Interessant sind Hybrid-Spuren, die wahlweise Audiomaterial und MIDI-Informationen gleichzeitig beinhalten und eine schnelle Umwandlung von Noten-Clips zu Audio-Clips ermöglichen. Audiodateien werden bei Import durch das Echtzeit-Timestretching automatisch auf eine gerade Taktanzahl getrimmt. Wird eine Audiodatei hingegen nicht in das Arrangement gezogen, sondern direkt auf dem Spur-Header abgelegt, erzeugt Bitwig automatisch einen Sampler, der sofort spielbar ist.
Steinberg integrierte vor einiger Zeit »VST Note Expression« in Cubase, was das Schreiben von Automationsdaten für einzelne Noten ermöglicht. Ganz ähnlich ist das auch in Bitwig umzusetzen, wenn auch nur mit den hauseigenen Instrumenten.
Der Editor besitzt ein weiteres tolles Feature. Über eine dedizierte Schaltfläche lässt sich das sogenannte »Layer-Editing« aktivieren. Hier wird eine Spurliste angezeigt, mit der sich einzelne MIDI- und Audiospuren ein- und ausblenden lassen. Das ist sehr praktisch, um mehrere Elemente gleichzeitig zu editieren, deren Events zeitlichen Bezug zueinander haben.
INSTRUMENTE UND MIDI
Selbstverständlich darf in einem Sequenzer ein möglichst vielfältiges Potpourri an hauseigenen Klangerzeugern nicht fehlen. Und so liefert der Hersteller momentan acht Plug-ins mit: »Organ-9«, eine Orgel-Emulation mit neun Registern, den FM-Synthesizer »FM-4«, einen subtraktiven Synthesizer mit zwei Oszillatoren namens »Polysynth« sowie einen »Sampler«.
Nun muss man nicht stundenlang FM-Parameter verschalten, um eigene Percussion-Sounds zu kreieren, denn für diese Instrumentengruppe sind die restlichen vier Klangerzeuger reserviert. Namentlich stets mit dem Präfix »E« versehen, liegt es nahe, dass sich die individuellen Module für Tom, Snare, Kick und Hi-Hat weniger für die Nachahmung von realem Schlagzeug eignen, sondern primär auf elektronische Tanz- und Experimentalmusik abzielen. Rauschgeneratoren, Pitch-Hüllkurven, Filter … alles, was das Herz begehrt, ist an seinem Platz.
Praktisch bei der Arbeit, wenn man noch nicht genau weiß, welcher Klangerzeuger oder Sound für eine MIDI-Spur optimal ist: Eine Spur in Bitwig Studio ist nicht auf nur ein Instrument beschränkt, denn beliebig viele Instanzen können hintereinander abgelegt werden, wobei immer nur die letzte Laut von sich gibt. So kann man sehr schnell umschalten, um verschiedene Sounds zu vergleichen.
Für waschechte Layer-Sounds stattdessen ist das Gerät »Inst-Layer« hilfreich, das viele Instrumente auf einem MIDI-Eingang und einem Audioausgang zusammenfasst. Ganz ähnlich arbeitet auch das Gerät »Inst-XY«, welches zwar nur bis zu vier Instrumente unterbringt, dafür aber ein einzigartiges Feature besitzt: Über einen XY-Controller ist es möglich, nahtlos zwischen den geladenen Klangerzeugern überzublenden. Somit lassen sich in Handumdrehen Morphing-Sounds realisieren.
ZUKUNFTSAUSSICHTEN
Da unsere Vorabversion noch in einem sehr frühen Beta-Stadium war − einen genauen Release-Termin konnte uns Bitwig bis Redaktionsschluss nicht nennen − kann man noch nicht genau absehen, welche Features dann gleich verfügbar sein werden.
Gegenwärtig scheint die Software auf Features wie etwa »Slice To New MIDI-Track« zu verzichten. Die noch leeren Ordner der Device-Library namens »Detectors« und »Note Effects« verraten, dass hier noch heftig programmiert wird.
Laut Hersteller unterstützt Bitwig die VST-Schnittstelle sowohl für 32 als auch 64 Bit. In der Beta-Version war es allerdings noch nicht möglich, Plug-ins von Fremdanbietern einzubinden.
Bitwig kündigt obendrein noch weitere Schmankerl an. So sollen mehrere Nutzer über LAN oder das Internet am gleichen Projekt arbeiten können. Auch sei ein natives Modularsystem geplant, um eigene Instrumente und Effekte selbst zu erstellen.
RESÜMEE
Aufnehmen, Einspielen, Abspielen, Mixen, Mastern … im Großen und Ganzen unterscheiden sich die DAWs hinsichtlich der Grundfunktionalität kaum. Was aber den Weg zum Ziel betrifft, haben sich die Arbeitsweisen wohl kaum so drastisch geändert wie in den letzten Jahren. Bereits die Beta-Version von Bitwig Studio zeigt viele gute Ideen. So einige alltägliche Arbeitsschritte werden hier vereinfacht und auf den Punkt gebracht. Wir sind jedenfalls schon sehr gespannt auf eine weitere DAW, die weder vor Studioproduktion noch vor Live-Performance und digitalem DJing zurückschreckt.
www.bitwig.com