Der Urknall

Beat-Programming mit Sawlin

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(Bild: PIXOOM PHOTOGRAPHIE)

Industrial-Techno von Sawlin

Vorsicht bitte — in diesem Beat-Programming-Beitrag wird uns der Berliner Produzent Sawlin die Kickdrums mit der Dampframme ins Gehör prügeln. Dreckiger Industrial-Techno steht im Fokus, und Sawlin zeigt sich mit seinem aktuellen Album Ursprung als Meister der fiesen Töne. Willkommen im Reich von Power-Drums und Strobo-Blitzen!

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Wer das Glück haben sollte, sich an das Nachtleben der frühen 90er zu erinnern, dem werden Künstler wie Joey Beltram, Underground Resistance oder Chris Liebing im Gedächtnis geblieben sein. Und mit ihnen ein Sound, der sich noch ganz dicht an seinen Industrialund Elektropunk-Wurzeln bewegte und trotz seiner dystopischen Atmosphäre (oder gerade deswegen?) zwingend zum Feiern einlud. Sollten fluffige House-Chords und entspannt klackernde Minimal-Beats mittlerweile nerven − voilà −, hier kommt Abhilfe: Die Musik des Berliner Produzenten Sawlin bezieht ihre rohe Energie aus angezerrten Drums, bissigen Noises und düster-intensiver Atmosphäre. Sein aktuelles Album Ursprung vereint diese Elemente kongenial.

Wir schauen Sawlin in seinem Homestudio über die Schulter.

Am Ursprung – Die Kick

Selbstverständlich ist der Beat das tragende und damit wichtigste Element eines IndustrialTechno-Tracks. Als stilbildend gilt vor allem eine bestimmte Sound-Ästhetik: Die Drums, insbesondere die Kick, dürfen fett und krachig klingen, das gesamte Soundbild vermittelt einen vergleichsweise rohen und ungeschliffenen Eindruck. Guter Ausgangspunkt sind klassische 909-Sounds. Aber auch VintageSample-Drummies wie die Yamaha RX-Serie aus den späten 80ern liefern authentische Klänge. Quellen für Instant-Sounds sind etwa N.I. Machine Expansion »Grey Forge« oder »Toxic Beats« von Haunted House Records.


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Sawlin, mit bürgerlichem Namen Ronny Scholz, arbeitet als Produzent, Live-Act und Mastering-Engineer in Berlin. Seit 2008 veröffentlicht er EPs auf Labels wie Vault Series, Sleaze Records und Cocoon. Sein aktuelles Album mit dem Titel Ursprung, erschienen bei Arts, manifestiert perfekt Sawlins dunklen und unverwechselbaren Sound. Berghain, ADE und Boiler Room zählen zu den regelmäßigen Live-Spielwiesen, auf denen Sawlin mit seinen harten, aber stimmungsvollen Sets begeistert. Als Mastering-Engineer arbeitet er für Größen wie Robert Hood oder Mark Broom.


Sawlin erstellt seine Sounds ausschließlich selbst: »Die Kick ist das grundlegende Rhythmuselement − entsprechend große Beachtung verdient ihr Sounddesign.« Sawlin stackt gerne mehrere Samples, um sämtliche Klangdetails möglichst genau kontrollieren zu können. Zudem erlaubt die Mischung eines knalligen, obertonreichen Kick-Samples mit einem Subbass nicht nur eine flexible Klangformung, auch die Umwandlung zur Bassline geht meist recht einfach vonstatten.

Umgekehrt lassen sich komplexere Drumsounds frequenzselektiv mit Dynamik, EQ und Effekten bearbeiten. Beschränkt man etwa die Verzerrung auf höhere Frequenzbereiche, bleibt der Gesamtklang tight und druckvoll. Sawlins Geheimtipp zum Frequenz-Splitting ist das Plug-in »Blue Cats MB-7«: Hier lassen sich sämtliche Frequenzbänder mit beliebigen weiteren VST-Plug-ins zur Klangbearbeitung bestücken. »Eine Art Wunderwaffe bei meiner Albumproduktion«, sagt Sawlin.

Die Kick wird üblicherweise im »Four to the Floor«-Stil angelegt. Entscheidet man sich für einen gebrochenen Beat, sollten die übrigen Rhythmuselemente einen treibenden, geraden Drive vermitteln − eine durchaus interessante musikalische Alternative.

Sidechain – im Rhythmus Bleiben

Snare, Hi-Hat und Percussion sollten klare rhythmische Funktionen erfüllen und zusammen den Beat schnörkellos nach vorne treiben. Entsprechend bieten sich Snare-Schläge auf den Zahlzeiten »1« und »3« sowie durchgängige Offbeat-Hi-Hats an, die der Snare entgegengestellt werden. Rhythmische Finessen und Shuffle-Beats sind natürlich nicht verboten, hier aber eher untypisch.

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Wir haben den Produzenten Sawlin in seinem Homestudio in Berlin besucht. (Bild: Matthias Fuchs)

Demgegenüber erlaubt die Soundgestaltung maximalen Freiraum. Allzu typische Klänge lassen sich durch perkussive Geräusche ersetzen. Effekt-Fans können sich nach Lust und Laune austoben − auch Sawlin belässt kein Sample unbearbeitet. Interessant ist an dieser Stelle die Verwendung von »halb-tonalen« Percussion-Klängen: Sie funktionieren gleichzeitig als rhythmisches und melodisches Element. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass ein Industrial-Techno-Track so sparsam wie möglich instrumentiert und arrangiert sein sollte. Jedes Element ohne klar definierte Funktion ist überflüssig. Besonders fetten und angezerrten Sounds sollte viel Raum gegönnt werden − je mächtiger die Sounds, desto sparsamer sollte der Beat gestaltet sein. Eine gute Hilfe ist die Verwendung von kräftiger Sidechain-Kompression: Nutzt man die Kick als Steuersignal, machen ihr die übrigen Sounds des Beats automatisch und rhythmisch präzise »Platz«. Zudem sorgt der zwangsläufig entstehende Pump-Effekt für Bewegung und Groove.

Basslinie oder nicht Basslinie? 

Du vermisst eine Bassline? Die ist für einen stimmigen Industrial-Techno-Track nicht unbedingt erforderlich. Legt man unter die Kickdrum einen mehr oder weniger tonalen Subbass (s. o.), kann er die Rolle der Bassline mit tragen und rundet das Bassfundament klanglich nach unten ab. Durchaus willkommen ist ein prägnanter, allerdings sparsam eingesetzter Sound als Hook-Element. Er braucht starken Signalcharakter und Wiedererkennungswert. Geschmackssicher ausgesuchte Vocal-Schnipsel mit reichlich Klangbearbeitung eignen sich gut. Für die schon eingangs erwähnte, düstere Atmosphäre sollten weniger tonale Pads als vielmehr flächige Noises genutzt werden. Sparsam im Hintergrund eingesetzt und ebenfalls mit Sidechain-Kompression rhythmisiert, vervollständigen sie den Track, ohne ihn zu überfrachten.

Energiegeladen, geradeaus und schön dreckig sollte ein Industrial-Techno-Beat klingen. Ein schnörkellos treibender Vierer-Beat mit knalligen Vintage-Sounds und düsterer Atmosphäre ist gefragt. Das passende Tempo liegt bei 122 bis 128 BPM. Der Berliner Produzent Sawlin macht’s vor:

01     Wir legen das Tempo auf 124 BPM fest und starten mit der Kickdrum als wesentliches Element. Sie wird zunächst als einfacher Vierer-Beat gesetzt. Alle Velocity-Werte sind identisch. Der Sound muss hart, knackig und vintage sein. Sawlin stackt drei Elemente und bearbeitet sie klanglich separat: der punchige Snare-Sound (vom Plug-in „Drumpad“), ein Synthesizer-Subbass („Trilogy“) und ein „Snap“-Sample („Sonifex STX-1260“). Letzteres wird mittels Effekten zu einem Knistern umgestrickt und funktioniert wie ein leises Slapback-Echo als interessantes rhythmisches Detail. Der Subbass erhält zwei zusätzliche Noten (Taktpositionen 1.4.2. und 1.4.3.). Er dient somit zugleich als Bassline. Mit dem Soundtoys Plug-in „Decapitator“ werden die drei Sound-Elemente unterschiedlich stark angezerrt.
Audio-Demo von 00:00 bis 00:23.

 

02     Ein perkussives Geräusch mit Delay-Effekt wird als Off-Beat-Snare eingesetzt, allerdings um eine 16tel-Note verzögert. Der Reaktor-Synth „Limelite“ liefert den Sound. Er besitzt einen internen Step-Sequencer, mit dem die Schlag-Sequenz programmiert wird. Auf die gleiche Weise wird ein tieffrequentes Percussion-Geräusch erzeugt und jeweils eine 8tel-Note hinter der „Snare“ platziert (bzw. eine 16tel-Note vor den Offbeat-Zählzeiten „zwei“ und „vier“). Diese beiden Elemente verleihen dem Beat einen gewichtigen, etwas schleppenden Groove. Audio-Demo von 00:23 bis 00:34.

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03     Als drittes rhythmisches Schlüsselelement programmiert Sawlin eine einfache, durchgängige Offbeat-Hihat. Sie beschleunigt das gefühlte Tempo des Beats und wird mit Raumeffekt „breit“ gemacht. Der Pegel wird durch die Kick-Schläge mittels Sidechain-Kompression rhythmisch gesteuert (Plug-in „Kickstarter“ von Nicky Romero). So erhält die Hihat-Figur eine Bewegung, der Beat wirkt aber gleichzeitig aufgeräumter. Audiodemo von 00:34 bis 00:46.

04     Nun folgt ein extrem verfremdetes Vocal-Sample mit einem langen Delay-Effekt. Es wird auf die Offbeats gesetzt und verdichtet den Track. Audiodemo von 00:46 bis 00:57.

05     Nachdem nun die Basiselemente des Beats stehen, ergänzt Sawlin noch etwas „Schmuckwerk“. Der Beat wird somit interessanter, verliert jedoch nicht seinen reduzierten Geradeaus-Charakter. Mit dem Percussion-Synth „Limelite“ und seinem internen Step-Sequencer erzeugt Sawlin eine Notenfolge, die gleichzeitig als Percussion-Sound und Melodielinie funktioniert. Aufbau der Sequenz und Klanggestaltung erlauben viele Freiräume.
Audiodemo von 00:57 bis 01:24.

 

06     Als stimmungsbildendes Detail wird schließlich ein noisiger Atmo-Sound aus dem iPad unter den Beat gelegt. Auch er wird über das „Kickstarter“ Plug-in mittels kräftiger Sidechain-Kompression rhythmisiert. Der Sound selbst entstammt dem Granular-Sampler „Borderland Granular“. Audiodemo ab 01:24.

 

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