Electrobeats, fetten Bässe

De/constructed – Deichkind: Auch Im Bentley Wird Geweint

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In dieser Workshop-Reihe zeigen wir, wie und mit welchen Tools sich aktuelle Charthits und zeitlose Klassiker zu Hause in der eigenen DAW (nach-)produzieren lassen, um daraus Techniken und Ideen für eigene Produktionen zu entwickeln. In dieser Folge analysieren wir für euch die Single Auch im Bentley wird geweint von Deichkind.

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Style-Analyse

Mit den alten Bon-Voyage-Hip-Hop-Zeiten haben Deichkind bereits seit der Single Limit von 2002 nichts mehr gemein und befinden sich seit Aufstand im Schlaraffenland von 2006 und dem 2008er-Album Arbeit nervt auf dem Weg, ihren selbst einmal als »Tech Rap« betitelten Stil aus Elektronik, Dada-Techno und klugen Wortspielen immer weiter zu perfektionieren. Zum weiteren Erscheinungsbild gehören künstlerisch geprägte, satirische Videos mit starker Bildsprache und ausufernde Liveshows mit extravaganten Outfits getreu ihrem Motto »Krawall und Remmidemmi«. Kurzum, Deichkind sind ein Gesamtkunstwerk. Mit auf den Punkt produzierten Electrobeats, fetten Bässen und abgedrehten Synth-Lines versprühen sie dabei trotz aller kommerzieller Erfolge eher Club-, Party- und Festival-Feeling, als dass sie klassischen Popformeln folgen. Auch im Bentley wird geweint entspricht genau diesem typischem Deichkind-Sound mit abstraktem Groove und künstlerischen Vibes.


Die Daten zu dieser Episode könnt ihr hier herunterladen:

Stems

Cubase


Drums & Bass

Der Drumbeat ist ein ziemlicher Banger, bei 140 bpm in Halftime gedacht und damit trappig. Kick und Snare sind in dem zweitaktigen Pattern klar positioniert und brechen im gesamten Songverlauf nicht aus ihrem Schema aus. Die verwendeten Sounds in unserem Beispiel-Pattern sind Grundsamples von Splice, wobei bei der Snare auf einen Sidestick-artigen Charakter geachtet werden sollte. Peitschender und durchsetzungsfähiger wird der Klang durch Clipping mittels SIR Audio Standardclip und Betonung der Transienten durch den Cubase Envelope Shaper. Den Trap-Eindruck verstärken die Hi-Hats, die zunächst ein unterbrochenes 16tel-Pattern spielen und im zweiten Teil des Chorus mit 32tel-Rolls und durchgängigen 16teln mehr Tempo aufnehmen.

Das Steinberg Mixer Delay sorgt durch eine kurze Verzögerung (10–30 ms) auf einer Seite des Stereosignals dafür, dass die Hi-Hats extrem breit klingen und Platz in der Monomitte lassen. Ein zusätzlicher Flanger moduliert das Signal, damit sie nicht zu statisch klingen. Kleinere Percussion-Sounds und subtile Loops halten das Pattern über den Songverlauf spannend und abwechslungsreich.

Bass

Die Bassline aus Serum hat eine 808-Charakteristik, was durch einen harten Attack, viel Sustain und einen wuchtigen Bass gekennzeichnet ist; Waves MaxxBass und RBass verstärken dies signifikant. Ein weiterer etwas räumlicherer und metallischerer Serum-Sound doppelt die Linie für ein etwas kühleres Feel. Gespielt wird auf dem Grundton »F« mit Oktaven über die Quinte »C« und die Mollterz »As«. Typisch für Deichkind ist, hier technoid auf einem Akkord zu verharren.

Und alles braucht seinen Platz! Auch das wird bei Deichkind großgeschrieben. Das Arrangement ist so sparsam und überlegt instrumentiert, dass alle Elemente einen genau definierten Platz haben, weshalb die Tracks auch so wuchtig aus den Boxen knallen. Auch triggert hier die Kick per Sidechain den Wavesfactory Trackspacer und drückt die Bassline mit jedem Schlag kurz in den Hintergrund.

Synth Lead

Neben den ausgeklügelten Vocals sind es vor allem die Lead-Sequenzen, die Deichkind-Tracks ausmachen. Wichtig hierfür ist nicht nur der Sound, sondern auch, was gespielt wird. Soundmäßig haben wir es hier mit einem Layer aus kurzen, prägnanten, irgendwie kalt-digitalen und markanten Pluck-Synths zu tun. Mit diesen Kriterien im Kopf haben wir für unser Beispiel ein Layer aus verschiedenen Nexus, Spire, Serum und Diva Instanzen zusammengestellt. Um den Attack noch härter zu gestalten, ist ein Trick, die einzelnen Anschläge mit einem kurzen Percussion-Sound abzudoppeln. Transient Designer, Fabfilter Saturn und Pro L2 Limiter verstärken nochmals Attack und Drive, und ein sehr kurz eingestellter Valhalla VintageVerb (Preset »Gated Snare«, 0,30 Sekunden Länge) fügt einen deutlich wahrnehmbaren und etwas metallisch klingenden Raum hinzu.

Spielerisch bewegt sich die Sequenz ähnlich wie der Bass technoid rhythmisch hart auf dem Grundton »F«, mit einigen Halbton-Abweichungen auf »E«. Diese Halbton-Umspielungen sind ebenfalls ein typisches Merkmal von Deichkind Songs.

Instrumente & FX

Kleinere Synth-Einwürfe, Akzente und Vocal-Samples (hier aus der Kontakt Exhale-Library von Output) runden das Pattern ab. Besonders in den Strophen-Parts fallen noch die Brass Stabs ins Auge, die melodisch auch wiederum die Halbtonwechsel-Merkmale aufweisen. In unserem Beispiel stammen sie aus zwei Nexus-Instanzen (»Tuba Dance« und »Fat Brass«). Im Intro dürfen – passend zum Titel des Songs – natürlich Auto-Geräusche nicht fehlen. Solche Foley-Sounds findet man inzwischen ebenso auf Splice, You-Tube oder auch auf Streaming Portalen wie Spotify.

Arrangement

Bei Deichkind gibt es die vollen und die leeren Parts – mit oder ohne die Lead-Sequenz. Die Sequenz lässt sich als Instrumental-Teil oder für den Chorus nutzen, der in der Regel mit wenigen Schlagzeilen auskommt. Für Strophen ist der Sound zu prominent im Vordergrund.

Da das Pattern nur auf einem Akkord basiert, kann man es technoid loopen und hier und da Elemente ausschalten und wieder dazuschalten oder auch mal den Beat komplett herausnehmen, um eine Spannungskurve zu erzeugen. Klassische DJ-Filterfahrten sind eher nicht so der Deichkind-Style, sondern tatsächlich eher das harte Ausschalten, Variieren und wieder Dazuschalten von Parts.

Master

Den Masterbus gehen wir diesmal ziemlich dancig an. Nach dem Brainworx Shadow Hills Summenkompressor (feinjustiertes Preset »Mastering Medium PGM«) wird das Signal mit dem SIR Audio Standard Clip im »Hard Clip« Modus geclipped, mit dem Freeware Multibandkompressor OTT (10 %) bearbeitet und dem Dadalife Sausage Fattener minimal angezerrt (1 %). Der FabFilter Pro L2 (Einstellung »EDM Aggressive and Tight«) schließt die Kette als finaler Limiter ab.

01 Clipping Tool für Lautheit und harmonische Verzerrungen: Sir Audio Tools Standard Clip
02 Modulierte Hi-Hats mit Native Instruments Flanger-Plug-in Flair
03 Das Freeware-Tool Vinyl von iZotope erzeugt den Charakter alter Schallplatten.
04 Für seinen modernen, aufgeräumten und punchigen Charakter bekannt: Xfer Records Serum
05 Über den Wavesfactory Trackspacer wird der Bass per Sidechain immer dann kurz weggedrückt, wenn die Kick spielt.
06+07+08 Eine Kombi von Pluck-Sounds aus Nexus, ...
... Spire und ...
... Diva sorgt für den Lead-Sound. Im Nexus kam dafür vor allem die »Commercial Electro 2«-Expansion zum Einsatz.
09 Emulation des Ableton Live »Over the top«-Settings des internen Multibandkompressors, beliebt auf Einzelkanälen, Gruppen wie auch dem Masterbus
10 Direkterer und griffigerer Sound auf dem Master durch leichte Zerrung: Dadalife Sausage Fattener
11 Das Pattern in Steinberg Cubase Pro

Deichkind

Deichkind formierten sich bereits Ende der 90er-Jahre in Hamburg als HipHop Crew. Recht schnell fanden sie dabei zu einem eigenen Stil mit immer mehr elektronischen Elementen. Die Single Remmidemmi vom Album Aufstand im Schlaraffenland markierte 2006 einen ersten Höhepunkt auf diesem Weg. Mehrere Besetzungswechsel und der überraschende Tod von Bandproducer Sebastian Hackert 2009 sorgten jedoch für Unterbrechungen, bis sich die Band nach dreijähriger Pause entschloss, mit Roy Knauf als neuem Produzenten weiterzumachen. Das Album Befehl von ganz unten markiert 2012 ihren bisher größten Erfolg. Die Singles Leider geil und Bück dich hoch haben sich sogar als Redewendungen im alltäglichen Sprachgebrauch etabliert. Nach den Alben Niveau weshalb warum (2015) und Wer sagt denn das? (2019) erschien im Februar dieses Jahres ihr aktuelles Album Neues vom Dauerzustand, auf dem das Feature mit Clueso Auch im Bentley wird geweint bereits die dritte Singleauskopllung ist.

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