In der Audiowelt steht »Distortion« sehr oft für etwas Schlechtes. Und als guter Tontechniker sollten wir auch immer versuchen, diese zu vermeiden. Soweit zumindest die Theorie. Dabei ist »Verzerrung« in den meisten Fällen dafür verantwortlich, dass wir ein Signal als satt, energisch oder analog empfinden. Grund genug, sich das Ganze mal etwas genauer anzuschauen.
Distortion kann beim Mixen bei richtiger Dosierung den Audiospuren Lebendigkeit, Energie und einen gewissen Biss verleihen. Natürlich macht auch hier die Dosis das Gift. Aber es gibt eben Sachen, die man mit einem Kompressor oder EQ nicht hinbekommt.
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Die Vorteile liegen ganz klar auf der Hand. Verzerrung »sägt« die Dynamik ab und lässt ein Signal konstanter und ausgewogener erscheinen. Auch der Ausklang wird verstärkt, und der Ton steht so deutlich länger – wer schon mal eine verzerrte E-Gitarre aufgenommen hat, wird das ganz klar anhand der Wellenform festgestellt haben. Anders als bei Kompression gibt es hier aber kein »Pumpen« oder irgendwelche rhythmischen Artefakte, und das Signal bleibt stets stabil und ausgewogen. Daher kommt Distortion auch sehr oft bei Drums zum Einsatz, denn hier gibt es eine sehr große Dynamik mit recht kurzen, einzelnen Schlägen. Wodurch das Instrument brav und kraftlos erscheinen kann.
In unserem ersten Beispiel benutze ich den Soundtoys Decapitator einfach direkt auf der Kick, der Snare und den Toms, um sattere und ausgewogenere Signale zu bekommen. Durch die Distortion werden die Schläge außerdem auch länger, und die Drums klingen so schwerer und größer. Close-Mikrofone vertragen die Verzerrung i.d.R. relativ gut, denn durch die Kürze der Schläge ist der Effekt nicht so auffällig wie z. B. bei einem Beckenschlag auf den Overheads. Hier würde man die Bearbeitung relativ schnell hören und sollte deswegen auch davon absehen.
Eine andere Möglichkeit wäre, ein Distortion-Plugin auf einem separaten Aux-Bus zu benutzen. Hier kann eine stärkere Zerrung wie z. B. mit dem UAD Ibanez TS808 Tube Screamer eingestellt und die einzelnen Spuren wie zu einem Reverb geschickt und zugemischt werden. Durch den parallelen Einsatz darf die Distortion durchaus stärker ausfallen, und auch etwas empfindlichere Spuren wie die Overheads oder Hi-Hat können von dem Effekt profitieren.
Ein weiterer Vorteil ist, dass durch Verzerrung auch immer Obertöne entstehen. Das kann besonders hilfreich sein, wenn man z. B. mit einem EQ bei einem dumpf klingenden Instrument nicht weiterkommt. Denn ein Equalizer kann i.d.R. nur boosten, was da ist. Sind keine Höhen oder obere Mitten vorhanden, kann auch nichts verstärkt werden. Durch Distortion werden diese Obertöne aber aus den tieferen Frequenzen generiert. So kann ich in unserem Beispiel mit dem SansAmp PSA1-Plugin die Bassgitarre anzerren und relativ einfach heller und hörbarer machen. Sollte eine stärkere Zerrung notwendig sein, um die entsprechenden Obertöne zu generieren, kann der Bassbereich dünner werden. In diesem Fall sollte das bearbeitete Signal dem Originalsignal zugemischt werden. Distortion kann von subtil bis brachial in allen Bereichen beim Mixen eingesetzt werden, auch auf dem Gesang! Beispielsweise dann, wenn dem Sänger der »Drive« fehlt.
Für unser nächstes Beispiel habe ich mir einen härteren Rock-Song ausgesucht. Hier klangen alle Instrumente bis auf den Gesang recht aggressiv. Die Vocals waren jedoch leider sehr zaghaft und zurückhaltend; Kompression und EQing konnten in diesem Fall nicht viel ausrichten. Also habe ich die McDSP FutzBox auf den Gesang gelegt und ihn ordentlich angezerrt und überfahren. Das klang für sich alleine nicht besonders schön, fügte sich aber im Mix richtig gut ein, und nun war der Gesang mit den stark verzerrten Gitarren auf einer Ebene.
Das ist natürlich ein extremes Beispiel und funktioniert nicht bei jedem Mix. Wenn man etwa den typischen R’n’B-Glanz haben möchte, wäre ein etwas subtilerer Einsatz von Distortion auf den Vocals angebracht. Dafür habe ich den FabFilter Saturn 2 in einem entsprechenden Mix auf die Stimme gelegt und nur den Bereich ab 7 kHz in den Höhen angezerrt. Dadurch werden zum einen die Höhen deutlich ausgewogener und S-Laute stechen nicht mehr so heraus, und zum anderen bekommt das Signal einen schönen, durchgehenden und leicht »metallischen« Schimmer. Das sind nur einige Möglichkeiten für den Einsatz von Distortion, die euch dazu anregen sollen, selbst zu experimentieren. Vielleicht sogar auf dem Master-Bus …