von Redaktion, Thomas Berg, Artikel aus dem Archiv
Anzeige
Gestandene Gitarreros werden da nicht anders argumentieren: Um einen guten Gitarrensound aufzunehmen, braucht man (möglichst in dieser Reihenfolge): einen guten Gitarristen, ein gutes Instrument und einen guten Amp, dem man in seiner Lautstärkeentwicklung freien Lauf lässt. Dann sollte man noch wissen, wie man mit Mikrofonen und Preamps das Amp-Signal in die DAW befördert.
Wer aber nachts in seinem Homestudio seinen Ideen freien Lauf lassen möchte, hat ein Problem. Und eigentlich schon seit der Erfindung des Homerecording feilen etliche Hersteller an Konzepten, wie man den satten Amp-Sound bei Zimmerlautstärke einspielen kann.
Anzeige
Auf den folgenden Seiten liefern wir viele Equipment- und Praxis-Tipps, die zeigen, wie man in den eigenen vier Wänden gute Sounds erzielen kann. Es gibt hier vielseitige Lösungsansätze, dennoch nützt einem die beste Technik nichts, wenn sich ein Gitarrist bei der Recording-Session nicht wohlfühlt und sein Potenzial nur zum Teil ausschöpfen kann.
So haben wir die Kollegen von GITARRE & BASS (das ist die Redaktion nebenan) nach ihrer Meinung gefragt, um möglichst beide Seiten (Engineer und Musiker) zu berücksichtigen. Thomas Berg, Gitarrist und Recording-Experte von GITARRE & BASS liefert außerdem gute Tipps, wie man sich mit einfachen Mitteln helfen kann.
Lautsprechersimulationen
Nicht nur im Homestudio, sondern auch live oder zum Üben kann eine Lautsprechersimulation ein nützlicher Helfer sein. Warum braucht man aber so etwas, wenn das VST-Rack bereits voll mit den schönsten Amp-Simulationen ist?
Dies hat mit der Spiel-Performance zu tun, denn das Spielen über ein Audio-Interface und Plugins ist stets mehr oder weniger Latenz-behaftet. Um einen guten, fleischigen Ton möglichst vor der A/D-Wandlung zu haben, ist ein echter Amp scheinbar nicht zu ersetzen, mindestens sollte ein guter Preamp vorhanden sein. Beides lässt sich bestens mit Speaker-Simulationen kombinieren. Es gibt sie in unterschiedlichen Ausführungen, die entweder hinter die Effektgeräte bzw. Vorstufe des Verstärkers oder zwischen Endstufe und Box geschaltet werden.
Für den Einbau ins Rack
Die Neuerscheinung Two Notes Torpedo Reload ist laut Testbericht von G&B-Autor Thomas Berg ab Seite 48 das Non-Plus-Ultra, aber auch eine eher komplexe Recording-Lösung. Deutlich einfacher, dennoch flexibel, ist hier der SPL Transducer: Als Load-Box »verbrät« das 2-HE-Gerät die Verstärkerlast und bietet differenzierte Pegelmöglichkeiten für die klanglich Beeinflussung durch Lautsprecher und Mikrofonierung. So lässt sich die »Speaker Action« (Lautsprecherhub) einstellen und bei der virtuellen Mikrofonwahl zwischen Dynamic- und Kondensator-Typen wählen.
Mehr oder weniger allen Speaker-Simulationen gemein ist ein etwas »luftarmer« Grundsound − gemeint ist die räumliche Klangkomponente, die bei der Mikrofonierung immer eine Rolle spielt. Um diese Problemzone zu kompensieren, bieten viele Speaker-Simulatoren eine Art »Ambience«-Funktion. Meistens nimmt diese aber dem Sound den Grip und bewirkt einen eher verwaschenen Klang. Trotz seiner Justage-Möglichkeiten macht da auch der SPL Transducer keine Ausnahme. Die meisten Gitarristen kommen mit der »Direct«-Einstellung besser klar. Wer ohnehin mit nachgeschalteten Effekten arbeitet, wird diesen »trockenen« Sound vielleicht sogar eher begrüßen.
Speaker-Sims als Stompboxen
Einfach, aber praktisch ist der Musician Sound Design Cab Rock. Trotz seiner handlichen Maße gehört das Gerät zur Kategorie »Load-Box« und lässt sich hinter dem Speaker-Output des Verstärkers betreiben (bis zu 100 Watt). Aber auch der direkte Anschluss einer E-Gitarre ist dank Hi-Z-Eingang möglich. Beim Cab Rock hat man die Wahl zwischen zwei Speaker-Cabinets (2 x 12″ und 4 x 12″) sowie die Einstellmöglichkeit für das virtuelle Mikrofon (Mic 57 Center-Position On/Off). In seinem ausführlichen Vergleichstest (G&B 2.2013) verteilt GITARRE & BASS-Autor Marc-Oliver Richter gute Noten für die Verarbeitung und den edlen Look. Ebenso gefiel die Tendenz zu warmen und weichen Sounds.
Weniger überzeugten auch hier die räumliche Tiefe und Auflösung des Sounds, in Verbindung mit der Mikrofon-Simulation wiederum ließ der Cab-Rock-Sound an Lebendigkeit vermissen. Schlichtweg begeistert waren die Kollegen aus der GITARRE & BASS-Redaktion vom AA-Light von Bleeding Cowboys, der aber konzeptionell einen anderen Weg geht. Der AA-Light soll keine Verstärkerlast verbraten − der Signal-Eingang ist für Line-Pegel ausgelegt. Man braucht also einen Preamp oder nutzt als Minimal-Lösung zur Impedanzwandlung das Verzerrerpedal seiner Wahl. Die kleine Box überzeugt durch simpelste Handhabung, ist praktisch für Live-, Übungs und Studio-Anwendungen und auch vom Preis her höchst akzeptabel: 98,− Euro.
Mehr Regelmöglichkeiten bietet dann wieder der AMT Chameleon Cab. Mit gleich vier Reglern kann man vielseitig am Grundsound herumschrauben, was vor allem für Recording-Anwendungen interessant ist. Wie der AA-light ist übrigens auch der Chameleon Cab nicht für den Anschluss an den Verstärker-Ausgang konzipiert. Den Sound bewerteten die Experten von GITARRE&BASS ebenfalls gut: »… von allen getesteten Cab-Boxen die knalligste«.
Noch frecher als der AMT klingt der Carl Martin Rock Bug. Mit seinem immer etwas rauen, aber durchaus rockigen und lebendigen Sound verleihen die GITARRE & BASS- Experten den Preis für den Vintage-Ton. Der Carl Martin Rock Bug verzichtet ebenfalls auf eine Klangregelung, bietet immerhin aber zwei Presets (Closed/Open), die jeweils einen Combo- und einen Stack-Sound formen sollen. Die Combo-Simulation reduziert vor allem den Bassbereich und nimmt etwas Druck weg. Dadurch wird der Rock Bug noch offener und spritziger.
Geht´s nicht irgendwie doch laut …
… einfach nur etwas leiser? Klar, auch das geht! Silentboxen (oder Isolation Cabinets) erlauben es, einen echten Amp zu spielen, um damit richtige Lautsprecher in Schwingung zu versetzen. Eine Silentbox ist eine Lautsprecherbox mit spezieller Lautstärkedämmung. Der Speaker wird dabei natürlich vollständig »gedeckelt« und in der Box von einem meistens intern zu installierenden Mikrofon abgenommen. Im Handling verhalten sich Silentboxen prinzipiell wie Speaker-Simulationen. Man kann sie gut in der Regie einsetzen − so hat man etwa den Amp, Box und Mikrofonierung stets in »greifbarer« Nähe und muss nicht immer wieder in den Aufnahmeraum rennen, um an der Mikrofonposition zu feilen.
Ebenso kann eine Silentbox bei Bandaufnahmen oder Live-Recording nützlich sein, um das Übersprechen auf andere Mikrofone in den Griff zu bekommen. Wer damit aber nachts um 12 in der Mietwohnung seinem 100er-Marshall lauschen möchte, wird vermutlich trotzdem Ärger mit den Nachbarn bekommen, denn so stark ist die Lautstärkedämmung dann doch nicht.
Die Innenwände von Silentboxen sind mit schalldämmendem Schaumstoff ausgekleidet, um Reflexionen zu minimieren. Dennoch muss man wegen der parallel gegenüberliegenden Wände davon ausgehen, dass Resonanzen nicht vollständig auszuschließen sind. Darauf, das Resonanzen Einfluss auf den Frequenzgang des mikrofonierten Signals haben, weist löblicherweise Grossmann Audio hin und gibt sogar detailliert an, mit welchen EQ-Einstellungen man das Klangverhalten der Box kompensieren kann. Kein Wunder, dass die Grossmann Silentbox längst als Klassiker gehandelt wird und in vielen Studios ihren festen Platz hat.
Modeling & Profiling
Lautsprechersimulationen stellen die preiswerteste Lösung dar, um einen guten Grundsound vor dem Audio-Interface zu bekommen. Außerdem eignen sie sich bestens für kleine Gigs, zum Üben oder als Notfall-Amp, sollte der Röhrencombo plötzlich mal abrauchen. Luxuriös dagegen in Preis und Leistung sind die All-in-one- ösungen von Kemper und Fractal Audio, die sich modernster Impulse-Response- und Modeling-Technologien bedienen.
Modeling-Amps sind ein beliebtes Tool für Live- und Recording-Anwendungen. Inzwischen haben sie sich deutlich weiterentwickelt und sind, was die Emulation betrifft, viel authentischer in der Sound-Reproduktion als damals der erste Line 6 Pod. Während bei ihm DSPs das Klangverhalten von Amps und Effekten nachbilden, erlauben aktuellere Geräte eine viel exaktere Klangbildung mithilfe der Impuls-Response-Technik. Ähnlich wie bei einem Faltungshall werden hier aus verschiedenen Samples einer Signalkette digitale »Klangprofile« abgeleitet.
Der deutsche Hersteller Kemper hat mit dem Profiling Amp ein geniales Werkzeug erfunden, das nicht nur Gitarristen auf höchstem Niveau alle Elemente für einen perfekten Gitarren-Amp-Sound beschert, sondern auch Recording-Engineers in reinste Verzückung versetzt: Endlich ist ein Gitarren-Setup jederzeit reproduzierbar! Und das Großartige dabei ist, dass man nicht etwa auf Presets angewiesen ist (diese gibt’s natürlich in tiptop Qualität), sondern man kann jede beliebige Amp-, Lautsprecher- und Mikrofon-Konstellation emulieren: einfach abscannen und als Preset speichern!
Möglich wird dies durch das ausgeklügelte Profiling-System des Kemper-Amps: Der echte Amp wird mit speziellen Mess-Signalen aus dem Kemper-Amp heraus bespielt, während der Sound gleichzeitig über einen Mikrofon-Eingang aufgenommen wird. Aus den Messdaten erstellt der Profiling Amp dann ein Profil, welches das Frequenz- und Dynamikverhalten der Konfiguration in digitaler Form repräsentiert.
Noch etwas komplexer und auch deutlich teurer ist der Modeling-Amp von Fractal Audio Systems: der Axe FX-II. Das 2-HEGerät beinhaltet detailreiche Amp- und Effekt-Modelle. Zudem kommt eine Form von Profiling-Technik zum Einsatz. Hier jedoch wird das intern gespeicherte Amp-Profil mit einem extern zugespielten vergleichen, um aus beiden Teilen ein möglichst optimales Profil abzuleiten.
Als »verblüffend« bezeichnet G&B-Autor Thomas Jeschonnek in seinem Testbericht (G&B 6.2013) die klanglichen Eigenschaften des Axe FX-II. Mit ca. 2.300,− Euro ist das Teil allerdings auch eine Kategorie für sich.
Nützliche Shortcuts
• Low-End bei der Gitarre ist solo zwar schön, in einem »normalen« Band-Arrangement darf man den Grundtonbereich aber großzügig beschneiden (120 Hz). Bei gitarrenlastigem Rock ist es ein interessanter Effekt,
die Gitarre unter den Bass rutschen zu lassen (75 Hz) und dort den Bass auszudünnen.
• Verzerrte Rockgitarre nicht komprimieren!
• Für einen schönen Rhythmus-Sound am besten ein offenes Cabinet (Fender Style) und Stratocaster
nehmen.
• Wenn EQ überhaupt nötig ist (dank perfekter Mikrofonierung;-), dann Präsenzanhebung: bei 4,5 kHz
mitten ins Gesicht!
• Für einen schönen »clean dirty Sound« à la AC/DC: Humbucker-Gitarre, geboosteter Marshall-style-Amp,
keine FX (!!!), simple Mikrofonierung — ab dafür!
• Stereoverbreiterung bei Rockgitarre kommt gut, entweder per Plugin oder Old-school doppeln (2 x möglichst
identisch aufnehmen, hartes R/L-Panning)
Guitar Recording No-Go´s
• Niemals blind mikrofonieren, sondern immer ins Mikrofonsignal reinhören! Bei mehreren Mikrofonen
besonders eventuelle Phasenauslöschungen checken.
• Wenn es roh nicht gut klingt, dann nicht mit Mixing-Tricks versuchen zu flicken, sondern schon bei der
Aufnahme etwas ändern.
• Niemals den Schutzleiter der Stromzuleitung des Amps abkleben (Lebensgefahr!!!). Wenn etwas
brummt, dann anders lösen.
• Niemals mit schlechtem Instrument aufnehmen: frische Saiten, 100% gestimmt, keine Krackel-Lötstellen,
Oktavreinheit, kein Saitenschnarren!
• Keine ungewohnte Saitenstärke vor der Aufnahme aufziehen.
• Nebengeräusche nicht ignorieren. Bei Hi-Gain-Staccato- Riffs z. B. Haargummi oberhalb vom Sattel als Dämpfer, Gitarrenposition suchen, wo am wenigsten Einstreuungen sind; eventuell Noise-Suppressor benutzen.