Als Billie Eilish der große Durchbruch gelang, suchten aufmerksame Beobachter sofort nach den »Verantwortlichen« für ihre stilistischen Innovationen und den ungewöhnlichen Klang ihrer Aufnahmen. Eilishs Musik unterscheidet sich erheblich vom dominanten Sound der späten 2010er, der sich durch dicke Bässe, hochglanzpolierte In-your-face-Produktion und schillernde Auto-Tune-Vocals mit tonnenweise Delay und Hall auszeichnet. Ebenso typisch für diese Zeit ist es, dass Songs von verschiedenen Personen geschrieben und produziert werden, was zu Album-Creditlisten führt, die Dutzende von Songwritern, Producern und Mixern aufführen.
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Billy Eilish weicht in fast jeder Hinsicht von diesen Standards ab: Das Einzige, was ihre Musik mit aktuellen Trends gemeinsam hat, ist der voluminöse Bass. Ansonsten: leise gesungene, dunkel klingende Vocals ohne erkennbares Tuning oder Hall, düstere, manchmal unheimliche Songtexte, hyperreduzierte, minimalistische Arrangements mit häufigem Einsatz von Foley-Effekten [Geräuschen, wie sie normalerweise für Film-Synchronisationen von Spezialisten nachgebaut werden; Anm.d.Übers.] und ein insgesamt sehr höhenarmes Klangbild. Es gibt ein Sprichwort, demzufolge der beste Weg, die Aufmerksamkeit eines Raumes voller Menschen auf sich zu ziehen, darin bestehe, sehr leise zu sprechen. Eilishs Musik scheint die musikgewordene Umsetzung dieses Prinzips zu sein: Mit leisem Gesang hat sie die Aufmerksamkeit der gesamten Welt auf sich gezogen.
Darüber hinaus finden sich anstelle von Horden an Songwritern, Producern und Mixern nur vier Personen in den Credits von Eilishs Album When We Fall Asleep, Where Do We Go?: die Sängerin selbst, ihr Bruder Finneas O’Connell, Mixer Rob Kinelski und Mastering-Engineer John Greenham. Finneas O’Connell produzierte das komplette Album, schrieb alle Songs mit und spielte bzw. programmierte die Musik. Kinelski und Greenham ihrerseits sind zwar eingefleischte Profis, aber keiner der beiden gehört zu jener Studio-Elite, die für die überwiegende Mehrheit aktueller Hits verantwortlich ist.
Ein Viertel des kleinen Teams zu sein, das Billie Eilish in die Stratosphäre geschossen hat, hat bei Rob Kinelski spürbar Spuren hinterlassen; noch immer scheint er im Gespräch nicht ganz fassen zu können, was passiert ist. »Als ich mit dem Mix des Albums fertig war«, kommentiert er, »hörte ich es mir vollständig an und dachte: ›Wow, das ist ein wirklich düsteres Album!‹ Es gibt kaum High-End, außer in ein paar Songs mit hohen Synthesizern. Ich stellte mir schon vor, auf gearslutz.com zerrissen zu werden. Ich selbst fand es super, aber ich fragte mich, ob es draußen in der Welt verstanden würde.«
Es wird erstaunlich gut verstanden, wie sich herausstellen sollte, und Eilishs überraschender Erfolg hat nicht nur für die 17-jährige Sängerin und ihren Bruder, sondern auch für Kinelski das Leben verändert. Dieses Interview wurde aus zwei Skype-Gesprächen im Abstand von nur zwei Wochen zusammengestellt, und während er beim ersten noch in einem Studio in seinem Haus in Los Angeles arbeitete, hatte er bei unserem zweiten Gespräch bereits einen professionellen Studioraum gemietet und sein komplettes Equipment dorthin verfrachtet, um mit der dramatisch ansteigenden Nachfrage nach seinen Diensten fertig zu werden. »Das Telefon hat nicht aufgehört zu klingeln«, bestätigt er, »Es war irre!«
Kinelski lernte die Musik von Eilish und O’Connell Anfang 2017 kennen, kurz nachdem ihr Song Ocean Eyes von Interscope wiederveröffentlicht wurde. Die beiden hatten das Stück schon im November 2015 auf SoundCloud veröffentlicht, als sie gerade 14 bzw. 17 Jahre alt waren. Es hatte im Internet unerwartet viel Aufmerksamkeit erregt, im Laufe der Zeit auch von Major Labels. Schließlich wurden die beiden von The Darkroom Records und Interscope gesignt. Kinelski: »Finneas hatte Ocean Eyes noch selbst gemixt, und als sie dann bei Interscope waren, suchten sie nach einem Mixer. Ich hatte gerade das Album Lost On You von LP [aka Laura Pergolizzi] gemixt, das John [Greenham] gemastert hatte, und er empfahl mich und sagte, ich sei gut im Umgang mit Low-End. Ich glaube, sie wollten jemanden mit Hintergrund in urbanen Beats finden, denn Billie ist großer Hip-Hop-Fan. Aber sie wollten zugleich einen Mixer, der nicht nur Urban macht. Der erste Song, den ich für sie als Versuch gemischt habe, war der Nachfolger von Ocean Eyes, ein Song namens Bellyache. Sie liebten den Mix und riefen mich für das nächste Stück wieder an, und von da an immer wieder. Dann machte ich ihre EP Don‹t Smile At Me [August 2017] und schließlich das ganze Album.«
Wochenrückblick #13 – Wie viele Plug-ins braucht die Welt?
Kinelskis Background liegt nicht vorrangig in Hip-Hop und R’n’B. Er wuchs an der Ostküste auf, und sein erster Versuch, an die Fleischtöpfe der Musikindustrie zu gelangen, endete in einer Farce à la Spinal Tap. »Als ich in der Highschool war, spielte ich Bass in einer Band, und wir kamen wirklich gut voran. Wir hatten eine Tour durch das ganze Land gebucht, und Plattenfirmen interessierten sich für uns. Dann, in der Nacht vor unserem großen Showcase-Gig in Washington D.C., betrank sich der Drummer und brach sich die Hand, als er einem Freund fast den Kopf einschlug. Er spielte den Gig mit einer Hand, und das Label sagte: ›Lasst es uns in sechs Monaten noch einmal versuchen.‹ Ich war 20, hatte fünf Jahre in dieser Band verbracht und war ausgebrannt.«
»Ich entschied mich, am New Yorker SAE Institute zu studieren, und anschließend gründete ich mein eigenes Studio in New Jersey. Es lief gut, aber ich hatte nie das Gefühl, etwas zu machen, das das Interesse eines Major-Labels wecken könnte, also fing ich als General Assistant bei den New Yorker Sony Music Studios an und wurde dort später Assistant Engineer. Ich habe bei Beyoncés zweitem Album B‹Day [2006] assistiert, das hat mir viele Türen geöffnet. Plötzlich war ich an an vielen hochkarätigen Sessions beteiligt.Nach der Schließung der Sony Studios [2007] arbeitete ich zwei Jahre lang freiberuflich in New York; in der Zeit habe ich hauptsächlich Demos für Songwriter aufgenommen.2009 zog ich nach Los Angeles und begann, mit dem Roc Nation Management zu arbeiten, wo ich [den Hip-Hop-Producer] NO I.D. kennenlernte. Mit ihm arbeitete ich vierJahre lang zusammen, teils mit unglaublichen Künstlern wie Big Sean, Nas und Common.«
Man kennt sich
Als Eilish und O’Connell Kontakt mit Kinelski aufnahmen, hatte er vier Jahre lang als unabhängiger Mixer gearbeitet und dabei Credits wie Zara Larsson, Joey Bada$$ und Vince Staples angehäuft. Insbesondere seine Arbeit mit NO I.D. hatte ihn in Hip-Hop und R’n’B etabliert, aber, so sagt er, sein stilistischer Background war im Zusammenhang der Arbeit mit Billie Eilish kein großes Thema. »Ich habe nicht wirklich viel Zeit mit Billie oder Finn verbracht. Wir haben uns getroffen, bevor wir die EP zusammen machten, da sie mich kennenlernen wollten, und hatten ein paar Besprechungen über mich und darüber, was sie wollten. Aber eigentlichkamen wir schnell an den Punkt, an dem sie mir einfach Sessions schickten, wissend, was sie von mir zurückbekommen werden.
Ich weiß, dass sie ein massives Low-End wollen, das aber nicht alles andere übertönt, sie wollen die Vocals superpräsent, und oft sind ungewöhnliche Dinge in ihren Sessions komplett beabsichtigt. Beispielsweise haben sie mir den Song 8 mit einer Kickdrum geschickt, die nicht in der Mitte des Stereopanoramas saß, woraufhin ich sie auf mono stellte und zentrierte. Zuerst gefiel es ihnen so, aber dann bat Finn mich, sie wieder dahin zu legen, wo sie vorher war. Beim Song Xanny gab es eine Diskussion, dass die Vocals im Refrain möglicherweise zu verzerrt wären, was aber von Finn beabsichtigt war. Ich konnte einen guten Mittelweg finden, indem ich eine cleane Stimme mit der verzerrten mischte. Sie wissen, was sie wollen!
Unser Arbeitsablauf ist immer der gleiche: Sie schicken mir einen neuen Song, und ich brauche je nach Zeitplan einen Tag, um ihn zu mixen. Ich schicke ihnen dann meinen ersten Mix-Pass, den sie dann wiederum kommentieren, normalerweise sehr schnell. Manchmal schicken sie mir einen neuen Stem, um ihn anstelle eines alten einzubauen. Finn schickt mir tolle Stems, bei denen die Vocal-Produktion schon eingebaut ist, inklusive aller Verzerrungen und anderer Effekte. Ich weiß meistens nicht, welche Treatments sie in die Stems schon eingebaut haben, aber alles ist sehr durchdacht. Billie ist selbst auch stark involviert, wobei ich im Allgemeinen mit Finn kommuniziere. Es war ganz lustig, denn für das Album schickten sie mir über Handy Sprachnachrichten zu den Revisionen. Dabei sang Billie manchmal die Gesangsparts ins Telefon, auf die sie sich gerade bezog.«
Arbeitsweise
Kinelski nimmt seine Mixe hauptsächlich in-the-box vor, abgesehen von der Hardware von Dangerous Music, die er in seinem Studio hat. »Ich benutze Pro Tools HD Native mit dem Avid IO 16×16 und einen Avid Artist Mix [DAW-Controller] mit acht Fadern, den ich ziemlich viel verwende. Alle meine Mixe laufen über meinen Dangerous 2-Bus, dann in meinen Dangerous Kompressor und zurück in Pro Tools. Als ich Billies Album mixte, habe ich mir auch den Dangerous Convert-AD+ [Converter] zugelegt, außerdem habe ich den Dangerous Monitor ST Monitor Controller. Meine Monitore sind ProAc Studio 100s und Yamaha NS10s, kürzlich habe ich noch Avantone CLA-10s gekauft. Außerdem habe ich Auratones.
Als ich bei Sony arbeitete, saß ich an SSL- und Neve-Mischpulten, aber sie wurden allmählich einfach zu riesigen Ellenbogenablagen, denn es hat sich zu der Zeit dahin entwickelt, dass Kunden immer mehr präzise, minutiöse Revisionen erwarteten, wie sie am Pult unmöglich als Recalls wiederherzustellen sind. Als ich meinen ersten eigenen iMac bekam, konnte ich kaum glauben, dass ich darauf Platten mischen würde. Ich arbeitete 2013 noch mit einem SSL-Pult, und in diesem Jahr gab mir ein Freund den Dangerous 2-Bus, den ich zum ersten Mal benutzte, als ich an Big Seans zweitem Major-Album Hall Of Fame arbeitete. Ich wollte ein paar analoge Elemente beim Mixen beibehalten, aber ich sah mich gezwungen, in den In-the-box-Workflow einzusteigen, denn der ist superschnell und supereinfach und bietet die Möglichkeit, Sessions sofort heranzuziehen und jeden Tag an mehreren Songs zu arbeiten.
Ich liebte den Dangerous 2-Bus sofort und machte ihn zu einem Teil meines Sounds. Auch den Monitor ST [Monitor Controller] mag ich sehr. Ich finde, dass Dangerous exzellentes Qualitäts-Equipment zu einem fairen Preis herstellt. Meinem Eindruck nach geben deren Geräte mir mehr Obertöne, mehr Tiefe und etwas mehr Separation als wenn ich ausschließlich in-the-box wäre. Ich fahre den 2-Bus gern ziemlich hart an, mit einem Boost von +6 dB auf jedem Kanal, und regle dafür den Output um etwa 4 dB herunter. Beim Direktvergleich zum In-the-box-Mix fühlt es sich offener und transparenter an.
Dann habe ich den Dangerous Kompressor, weil ich noch mehr Analoges in meiner Master-Bus-Kette wollte. Den liebe ich auch. Er ist sehr transparent und erweckt meine Mixe richtig zum Leben, er fügt ein musikalisches Element hinzu. Er hat einige coole Features, wie den Bass Cut und den Sibilance Boost im internen Sidechain. Ich glaube, dass der Bass-Cut einige der Subfrequenzen umgeht, die sonst die Kompression auslösen würden. So bleibt der Sound offen und druckvoll. Ich weiß nicht, was genau der Sibilance Boost bewirkt, aber ich lasse ihn einfach mal eingeschaltet. Normalerweise habe ich den Kompressor auf eine Ratio von 4:1 eingestellt, stereo linked.«
Wenn Kinelski einen Song zum Mixen bekommt, lädt er ihn als Erstes in sein Mix-Template. »Finn schickt mir Stems, und wenn ich sie in Pro Tools lade und alle einheitlich hochschiebe, klingt es wie sein Referenzmix. Dann filtere ich alles durch mein Routing, Summing und die Aux-Effekt-Spuren in meinem Template. Wenn ich einen Mix fertig gestellt habe, schmeiße ich alles raus, was nicht benutzt wird. Bei Billie Eilish bedeutete dies in der Regel, dass von meinen Spuren nur die Width-Aux-Spur mit dem SoundToys MicroShift für etwas Raum in der Session bleibt.
Programmatisch war bei diesem Album, keinen Hall auf irgendetwas zu legen, also sind die meisten Sessions supertrocken geblieben. Auf einen früheren Mix für Billie Eilish habe ich mal etwas Reverb gelegt, und sie sagten sofort: ›Mach das wieder weg!‹ Ich war superhappy und fand es inspirierend, dass sie keinen Hall wollten. Das ist mal wirklich cool!
Bevor ich zu den Effekten komme, ist mein Ablauf ziemlich oldschool. Ich beginne mit Kick, Snare und Hi-Hats und sorge dafür, dass sie sich gut anfühlen. Die richtige Balance zwischen diesen dreien zu finden, ist mir das Wichtigste. Dann hole ich die Vocals rein und stelle sicher, dass sie zu den Drums passen − ich schätze, dieser Ansatz kommt vom Hip-Hop. Anschließend nehme ich sie wieder heraus und gebe den Bass dazu. Ich lasse gern das Low-End für sich selbst tanzen, mit Kick und Bass stimmig zusammengefügt. Für mich sind die beiden ein Instrument, sie müssen in Harmonie zusammenarbeiten. Muss der Bass unter der Kick liegen oder umgekehrt? Wenn die Kick zu viel Sub hat, rolle ich unten etwas davon weg. Als Nächstes bringe ich die Keyboards ein und bearbeite sie zusammen mit den Drums. Ich arbeite mit Gruppen und baue so den gesamten Track zusammen.
Wenn ich das Stück dann anhöre, achte ich darauf, was mich noch stört. Ich stoppe dann und stelle vielleicht etwas auf solo, für kleine chirurgische Eingriffe. Lustigerweise nehme ich gerade beim Gesang diese detaillierteren Eingriffe zuletzt vor. Davor befasse ich mich mit allen Levels, versuche, den richtigen Vibe zu bekommen, und schalte meinen Mix-Bus-Kompressor zu, um die Dinge zum Tanzen zu bringen.
Ich mache EQing und Automatisierungen, bevor ich dann am Ende, wenn alles exponiert und klar erkennbar ist, chirurgisch in die Details gehe. Es passiert mit den heutigen Möglichkeiten schnell, dass man es mit der Chirurgie übertreibt. Du mixt visuell anstatt akustisch, passt Dinge aufs Zehntel-dB genau an und bist überzeugt, den Unterschied zu hören. Es ist sehr leicht, sich in diesem Wunderland zu verlieren.
Um das zu vermeiden, lege ich die meisten meiner Vocal-Cleanups ans Ende. Ich stelle die Vocals dann auf Solo, aber auch hier beschäftige ich mich nur mit Dingen, die hervorspringen. Ansonsten ziehe ich es vor, es organisch zu belassen. An Billies Gesang habe ich keine Timing- oder Tuning-Korrektur vorgenommen. Wie schon erwähnt, kommen ihre Vocal-Spuren produziert bei mir an. Nur kleine Pops und Klicks entferne ich am Ende noch, die sich vorher auf der Wellenform nicht zeigen. Ich nehme sie einfach mit dem Pencil-Tool weg. Sie sind recht subtil, aber es gibt einige davon, weil sie so leise singt, und sobald ich die Kompression hinzugebe und den Gesang nach vorne hole, hört man sie auch. Ich entferne sie, aber ich mache mich nicht verrückt damit, nach Zischlauten und sowas zu suchen, denn so lange es sich gut anfühlt, muss ich es nicht exzessiv verarzten.«
Bad Guy
Kinelski veranschaulicht seinen Ansatz mit einer detaillierten Analyse seines Mixes von Bad Guy, der größten Single aus When We Fall Asleep, Where Do We Go?, und lüftet damit auch den Schleier über Finneas O’Connells Produktionsmethode. Die Pro-Tools-Mix-Session von Bad Guy ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Die Anzahl von insgesamt 68 Spuren nimmt sich für eine moderne Session bescheiden aus, wenn auch nicht komplett ungewöhnlich. Allerdings sind darunter nur 49 Audiospuren, davon 21 für Drums und Percussion, weitere 21 für ein aufwendiges Gesangs-Arrangement, vier Bass-Spuren und erstaunlicherweise nur eine Synth-Spur. Die beiden übrigen Audiospuren sind Mix-Prints.
Der Rest der Session besteht aus Aux-Spuren, beginnend mit sieben Aux-Gruppenspuren (Kick, Main Snare, Sub Bass, Lead Vocals, Lead Vocal Doubles, Lead Vocal Harmonies, Backing Vocals), der zuvor erwähnten Aux-Effekt-Spur (Width), acht Aux-Spuren, die an den Dangerous 2-Bus senden (plus VCA zur Steuerung des Outputs an den 2-Bus) und zwei Aux-Master-Spuren für den 2-Bus-Return. Die Audiospuren zeigen, wie weitgehend O’Connells und Eilishs Fokus auf Schlagzeug, Bass und Vocals liegt, was sich ebenso in der Mix-Session zu Bury A Friend zeigt, dem anderen größeren Hit des Albums. Der Unterschied ist, dass sich in der Session zum letztgenannten Stück fünf Synth-Spuren und sieben Spuren mit Foley-Soundeffekten finden, die Namen wie »screech«, »scary shit«, »voldemort« tragen.
Von diesen kleinen Unterschieden abgesehen sind die Strukturen der Mix-Sessions zu Bury A Friend und Bad Guy nahezu identisch. Überhaupt war laut Kinelski sein Mix-Ansatz für jeden der Songs auf dem Album sehr ähnlich, mit ähnlichen Plug-ins auf vielen Spuren, identischen Master-Bus-Ketten und insgesamt sehr wenigen Plug-ins.
»Du kannst wahrscheinlich die Plug-ins, die ich benutze, an zwei Händen abzählen«, erklärt Kinelski. »Ich halte es gern einfach. Ich besorge mir neue Plug-ins, wenn Kunden mir Sessions mit Plug-ins geben, die ich noch nicht habe, um zu sehen, was die machen. Auch weil die kompletten Vocals hier von einer Person mit einem Mikrofon stammen, habe ich Billies Vocal-Kette nach dem Aufbau für den ersten Song nicht mehr verändert, sondern nur ihre Einstellungen je nach Bedarf angepasst. Alles, was Finn mir schickte, war superkonsistent, also hielt ich auch meinen Ansatz konsistent, und das bedeutet, dass das gesamte Album einen konsistenten Sound hat.«
»Die drei Kick-Spuren gehen alle auf die darüber liegende Kick-Aux-Spur. Auf einer der einzelnen Kick-Spuren liegt der Waves SSL Channel Strip und schneidet bei etwa 260 Hz ein. Auf der Kick-Aux-Spur habe ich noch eine Instanz des SSL Channel Strip und den FabFilter Pro-Q2. Der SSL Channel übernimmt hier etwas Gating und Kompression mit 4:1-Ratio, schnellem Attack und ziemlich schnellem Release, etwas weniger als 0,2. Ich booste bei 3 kHz um 9 dB und bei 90 Hz um 3 dB. Der Pro-Q2 schneidet bei 500 Hz ein und boostet bei 60, 200 und 800 Hz. Die Kicks klangen etwas zu voll, also wollte ich das loswerden, was ich nicht brauchte, und boostete die anderen Frequenzen.
Die vier Audiospuren unter dem Snare-Aux sind alle für die Snares und werden an diesen Aux gesendet. Ich habe nur den SSL Channel auf dem Aux; ich mache dort kein EQing, aber ich komprimiere und gate. Komprimiert wird im Verhältnis 5:1 mit langsamem Release und langsamem Attack, was zu einer Kompression von etwa 4 dB auf den Transienten führt. Ich benutze Gating nicht auf traditionelle Art, um also Dinge zu säubern, sondern stattdessen, um ihnen Biss mitzugeben. Ich finde Gates großartig, um Drums mehr Punch zu geben − ganz subtil, aber das reicht schon, um sich durchzusetzen.«
Bass & Synth
»Auf den Spuren ›Subbass1‹ und ›Subbass2‹ liegt das Main-Bass-Riff, außerdem gibt es eine verzerrte ›Dirtybass‹-Spur, die in den Hook-Passagen einsetzt. Die beiden Subbass-Spuren sind auf den Subbass-Aux geroutet. Dort habe ich wieder den SSL Channel Strip liegen, der bei 800 Hz ein wenig anhebt, um mehr Ton zu bekommen, und bei 400 Hz ein wenig reduziert. Ich lege auch Kompression drauf, mit schnellem Attack und langsamem Release, Ratio 6:1. Das zweite Plug-in ist der Waves Renaissance Compressor, den ich leicht zur ersten Kick-Spur gesidechaint habe. Der R-Kompressor hat eine Ratio von 20:1, mit schnellem Attack und mittlerem Release. Ich glaube, es ist ein Key-Bass, aber er fühlt sich an und klingt wie ein Live-Bass.
Die lila Spur ist die Synth-Melodie, die in den Refrains einsetzt, und das ist schon alles, was es auf der Spur an Musik gibt. Ich liebe es! Sobald ich es höre, bringt es mich zum Lächeln! Auch hier liegt der SSL Channel drauf, der die Spur um 1 dB boostet. Ich benutze nie das Mix-Fenster. Wenn du es dir ansehen würdest, wäre fast alles einheitlich. Manchmal schmeiße ich einen SSL Channel an und benutze ihn als Fader. Auf dem Synth liegt auch der Oxford Inflator, mit 50% Effektstärke, um im Mittenbereich ein paar Obertöne hinzuzufügen. Die Synth-Spur hat auch einen Send an die Width-Aux-Spur mit dem MicroShift, den ich auch für die Vocals verwende.«
Vocals
»Finn hat mir die Gesangsspuren so geschickt, wie sie in der Session sind, und ich habe sie dann in Lead Vocals, LV Doubles, LV Harmonies und Backing Vocals gruppiert. Letztere sind sowas wie seltsame Vocal-Sounds, Nuancen, Ad Libs, so Kram. Der ›Spookylight‹-Sound ist so ein seltsames, stark verfremdetes, hochgepitchtes Lachen. Ich mixe gern gruppenweise, insbesondere, wenn Leute den Mix am nächsten Tag erwarten. Alle vier Vocal-Gruppen haben die gleiche Signalkette; ich variiere dort den EQ ein wenig, um jeder von ihnen einen anderen Platz im Song zu geben. Zum Beispiel könnte ich aus den LV Doubles im Mittenbereich etwas weggeschnitten haben.
Die Signalkette beginnt mit dem Pro-Q2, einem Low-Cut. Das ist ein ziemlicher Standard. Das nächste Plug-in ist der Waves PuigChild 670, ein Kompressor, den ich für alle Vocals verwende, weil ich seinen Sound einfach sehr mag. Er greift nicht sehr stark ein, aber er glättet den Gesang ein wenig und gibt etwas Farbe dazu. Mit einer anderen Sängerin hätte ich vor den 670 noch den Waves RVox als aggressiveren Kompressor gelegt, aber da Finns Sachen schon verarbeitet zu mir kommen, möchte ich hier nicht mehr hinzufügen.
In diesem Fall ist der Waves DeEsser das dritte Plug-in, eingestellt auf 6.557 Hz. Er ist mein Standard-DeEsser, der nach der Kompression ein wenig die typischen, dadurch entstehenden Fiesheiten neutralisiert. Wenn eine Stimme wirklich knifflig zu bearbeiten ist, nehme ich manchmal am Ende den FabFilter Pro-DS [DeEsser] zu Hilfe. Der Waves ist rein chirurgisch und ziemlich transparent. Du kannst hören, wenn es schiefgeht. Das vierte Plug-in in der Vocal-Kette ist eine weitere Instanz des Pro-Q2, um einige Mitten zwischen 200 Hz und 2 kHz herauszunehmen, dann kommt der UAD Neve 1073 EQ, der in dieser Session gerade aktiviert wird. Ich mag die Farbe, die er gibt, also schmeiße ich ihn einfach an. Schließlich kommt noch der Waves Vocal Rider, der auf 1,5 dB eingestellt ist. Wenn Wörter abfallen, holt er sie nach vorne − und umgekehrt. Nach all dem mache ich von Hand meine Vocal-Level-Automatisierung mit dem Avid Artist Mix.«
Gruppen- und Master-Busse
»Ganz unten in der Session sind meine acht Stereo-Sends zum Dangerous 2-Bus. Alle Drums-Spuren gehen zu DBuss 1/2, alle Bässe zu DBuss 3/4, 5/6 ist für Synths, 7/8 wird in dieser Session nicht verwendet, 9/10 ist für Lead-Vocals, 11/12 für Backing-Vocals, 13/14 wird nicht verwendet, und die Width-Aux-Spur geht auf 15/16. Auf dem Drum-Bus boostet der UAD Pultec EQP-1A bei 60 Hz um 2 und dämpft ein wenig. Ich wollte ein bisschen mehr Wumms. Auf allen Gruppen-Bussen liegt das Steven Slate Virtual Mix Rack − quasi mein Versuch, alles so klingen zu lassen, als würde es durch ein SSL laufen! Auf den Drums ist es auf die britische 4k-Konsole eingestellt, wie ein SSL-Modeller, und ich pushe den Input, also clippt es und fügt etwas harmonische Verzerrung hinzu. Im Backing-Vocal-Bus liegt außer dem Virtual Mix Rack auch der Oxford Inflator.
Die Signale werden im Dangerous-2-Bus summiert, gehen dann durch den Dangerous Kompressor und kommen über die beiden Print-Aux-Spuren, auf denen ich meine Stereo-Mixkette habe, wieder zurück in Pro Tools, und ich printe sie darunter. Ich habe das Gefühl, die Hälfte meiner Zeit damit zu verbringen, zu versuchen, jeden Mix so klingen zu lassen, als wäre er nicht in einem Computer entstanden. Deshalb ist − zusätzlich zu den Virtual Mix Rack Plugins und der Dangerous-Hardware − das Erste, was ich in die Master-Kette schalte, das UAD Ampex ATR-102 Bandmaschinen-Plug-in und dann der UAD Thermionic Culture Vulture.
Das Bandmaschinen-Plug-in ist eingestellt auf 30 ips, 1/2 Zoll, aber die Sache mit Billie und Finn ist, dass sie kein Bandrauschen mögen. Beim allerersten Mix, den ich für sie gemacht habe, hatte das Plug-in etwas Hiss verursacht, und sie baten mich, es auszuschalten. In ihrer Musik ist so viel Space und Stille, dass Bandrauschen das zerstören würde. Der Culture Vulture gibt dann nur einen Hauch Drive dazu, und schließlich kommt noch der FabFilter Pro-L2, eingestellt auf das Preset ›EDM-Aggressive and Tight‹. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Print-Spuren ist das Level des L2. Dann gibt es da noch das TC Electronics Clarity M Meter. Alle Stücke des Albums gehen durch diese Master-Bus-Kette.«
Auch wenn Kinelskis Bad-Guy-Session zunächst ziemlich unkompliziert aussieht, passiert unter der Haube doch recht viel. Im Vergleich zu vielen modernen Mix-Sessions jedoch, die mit Hunderten von Plug-ins geschmückt sind (manchmal bis zu zwei Dutzend pro Audiospur inklusive Sends und Bus-Routing), ist Kinelskis Session eine Studie in Minimalismus. Dies passt wie angegossen zum ebenso minimalistischen Ansatz von Eilish und O’Connell und ist zugleich Resultat einiger Lektionen, die Kinelski gelernt hat, etwa des hippokratischen Eids des Mixens: »Vor allem anderen − richte keinen Schaden an!«
»Ja, wenn man jung ist, mixt man mit mehr Ego«, meint Kinelski. »Du willst dieses oder jenes hinzufügen, um dein Zeichen zu setzen. Wenn man mehr Erfahrung hat, merkt man, dass man nicht so viel tun muss. Manchmal bedeutet Mixen buchstäblich, nichts zu tun. In diesem Fall habe ich es geschafft, gerade genug zu tun, und das spiegelt die großartige Zusammenarbeit wider, die ich mit Billie und Finn habe, wo einfach nicht viel besprochen werden muss.«
Mir gefällt das Album, aber an manchen Stellen ist der Bass – es wird sich dabei wohl um diesen “Dirty Bass” handeln, von dem Kineski spricht – so extrem, dass er Billies Stimme und alles andere mitverzerrt. Es klingt nach kaputtem Lautsprecher. Tatsächlich habe ich schon von mehreren Leuten gehört, dass sie beim Anhören dasselbe dachten: “Was stimmt mit meiner Anlage nicht?”
Und das Problem ist, dass man sich an diese Sounds auch nicht gewöhnt – sie klingen einfach störend und nerven.
Mir gefällt das Album, aber an manchen Stellen ist der Bass – es wird sich dabei wohl um diesen “Dirty Bass” handeln, von dem Kineski spricht – so extrem, dass er Billies Stimme und alles andere mitverzerrt. Es klingt nach kaputtem Lautsprecher. Tatsächlich habe ich schon von mehreren Leuten gehört, dass sie beim Anhören dasselbe dachten: “Was stimmt mit meiner Anlage nicht?”
Und das Problem ist, dass man sich an diese Sounds auch nicht gewöhnt – sie klingen einfach störend und nerven.