Neulich habe ich auf unserem Dachboden mein altes MIDI-Interface, ein Opcode Studio 4, wiedergefunden. Im Karton lagen außerdem Installations-Disketten für MacOS und zwei Logic-Dongles für den ADB-Anschluss. Das alles war mal richtig cooles Zeug … Was wird dann eigentlich aus unseren alten Plug-ins? Darf man die noch benutzen, oder können die weg? Sicher, manche erledigen sich von alleine, weil man sie eh nicht mehr nutzt, aber was ist mit denen, die man vor vielen Jahren in jedem Mix eingesetzt hat?
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Durch die Flut an immer neuen und noch besseren Plug-ins ist zumindest in meinem Kopf bisweilen eine völlig verdrehte Wahrnehmung aus der Werbung entstanden: Kaufe dieses oder jenes neue Plug-in, und eine völlig neue Wirklichkeit öffnet sich! Neueste Modeling-Technologien und sagenhafte neue Simulationen schaffen es, jetzt absolute Authentizität in den Rechner zu bringen!
Und in zwei Jahren kommt dann natürlich das nächste, dann wirklich »richtig« ultrarealistische 1:1-Erlebnis mit noch mehr Authentizität! Beinahe habe ich heute schon Angst, ein älteres Plug-in zu nutzen: »Das muss doch irgendwie schlecht sein, oder? Ich höre den Unterschied nur nicht …«
PLUG-IN-WAHNSINN
Vor einigen Jahren habe ich viele Mischungen mit größtenteils vier Plug-ins gemischt: die 1176LN- und LA-2A-Legacy-Varianten von Universal Audio, URS S-Series EQ und Waves RVerb. Mein Kopf sagt mir nun: »Da gibt’s doch heute sicher Besseres …«, und schon traue ich mich kaum noch, die alten Dinger zu benutzen.
Dabei habe ich meinen Hardware-Urei damals verkauft, einfach weil das damalige Legacy-Plug-in schon so gut war, dass ich den Unterschied oft kaum gehört habe. Und die Zeitersparnis gegenüber dem individuellen Ausspielen der Spuren durch die Hardware sorgte irgendwann dafür, dass der Hardware-Urei beinahe nur noch als Rack-Beleuchtung taugte, während die DSPs der UAD-Karten im Dauereinsatz waren!
DAS OPTIMUM
Aber muss man nicht aus heutiger Sicht objektiv immer die besten Tools benutzen, um auch wirklich keine Soundbestandteile zu verlieren? Immer wieder liest man ja davon, dass der Einsatz von diesem oder jenem Plug-in das Signal nicht so bearbeiten würde, wie es die echte Hardware oder die neueste Version eines anderen Herstellers getan hätte …
Um zu verstehen, warum neues Equipment nicht zwingend einen Mix nach vorne bringen muss, möchte ich im Folgenden aufzeigen, welche Schritte schon vor dem Einsatz unserer ganzen neuen Plug-ins einen Mix wirklich nach vorne bringen können.
LAUTSTÄRKE-NUANCEN
Wie entsteht eigentlich ein guter Mix? Das Wichtigste ist zuerst eine grobe Abstimmung der Lautstärken. Viel zu oft ertappe ich mich bei den heutigen Möglichkeiten dabei, sofort irgendwelche Plug-ins auf den Kanälen zu verteilen und damit bereits Dinge zu korrigieren. Dabei habe ich noch überhaupt keine gemeinsame und detaillierte Abstimmung der Lautstärken gemacht!
Zu leise Overheads können dafür sorgen, dass dem Song einfach der nötige Schub fehlt, egal, was man dann mit einem EQ auf den anderen Kanälen nachregulieren möchte. Sind Bass und Bassdrum zu leise, beginnen wir vielleicht irgendwelche Gitarren mit EQs zu beschneiden, anstatt den Bassbereich wirklich abzustimmen.
Bevor du in deinem Audioprogramm tausende Plug-ins nutzt, experimentiere mit den Lautstärken der einzelnen Kanälen. Versuch erst mal, ähnlich wie ein Live-Mixer mit ein bisschen selbstgesetztem Termindruck in kurzer Zeit einen guten Lautstärkemix hinzubekommen. Das geht übrigens auch per Maus, ein fehlender Hardware-Controller gilt nicht als Ausrede! Zwinge dich, möglichst keine weiteren Plug-ins zu nutzen, konzentriere dich zuerst nur auf die Lautstärke.
EQ IN MONO
Wenn man sich auf diese Weise an einen Mix herantraut, klingen manche Passagen oft schon erstaunlich gut. Ich schalte den Mix nun auf Mono und versuche, möglichst wenig im Solo-Modus der einzelnen Kanäle zu arbeiten. Aktiviere die ersten EQs für den Bassbereich, und taste dich Spur für Spur langsam im Frequenzspektrum bis in die Höhen vor. Hier meine Top 3 zum ausgewogenen Mix:
Anstatt Spuren komplett zu isolieren und dann irgendwelche Frequenzen einzustellen, versuche immer, das Gesamtbild nicht aus den Ohren zu verlieren, und deaktiviere den Solo-Modus möglichst schnell wieder.
Achte darauf, welche Spuren im Mix vielleicht sogar überflüssig sind und beinahe untergehen. So schön es sein kann, zig Mikros aufgenommen zu haben, manchmal reichen auch am Drumset zwei Overheads, Snare und Bassdrum! Schalte die Spuren stumm, die du im Mono-Mix beinahe nicht mehr wahrnimmst!
Spuren, die du mit einem Kompressor bearbeiten möchtest, sollten nach der Bearbeitung im gemeinsamen Mono-Mix mit allen Instrumenten zusammen deutlich in die Kategorie »vorher schlechter – nachher besser« einzuordnen sein. Ansonsten gehört der Kompressor auf dem Kanal deaktiviert!
BEARBEITE SIGNALE ZUSAMMEN!
Fasse nun mit Bussen deine Signalgruppen zusammen, und bearbeite beispielsweise alle Gesangsspuren für den Background-Chor auf einem gemeinsamen Stereobus. Anstatt jede Spur individuell zu bearbeiten, erstelle eine gemeinsame EQ- und Kompressor-Bearbeitung auf dem Bus und optimiere diese beinahe wieder im Kontext des Gesamt-Mixes.
BEIM ANHEBEN DIE LAUTSTÄRKE REDUZIEREN
Manchmal drehen wir am EQ, nur um den Effekt einer simplen Lautstärkeanhebung von 2−3 dB auf anderem Wege zu erreichen. Da werden beispielsweise genau die Frequenzen angehoben, die sozusagen zum Haupt – frequenzspektrum des Sounds gehören. Das bringt den Sound nach vor – ne − sicher!
Aber wenn man es mal anders formuliert, dann verschlechtern wir gerade eigentlich den tollen Frequenzgang, den unsere teuren StudioVorverstärker vorher so mühevoll eingefangen haben! Wenn du etwas anhebst, senke die Lautstärke der entsprechenden Spur ab und vergleiche, ob du wirklich das Signal korrigieren musst oder ob du nicht vielmehr nur auf der Suche nach ein wenig mehr Lautstärke bist.
EFFEKTE
Erst wenn der Mix so weit ist, schalte das ganze Ding endgültig zurück auf Stereo, und konzentriere dich auf den Raum. Platziere Instrumente, die nach hinten in einen Mix sollen, nicht am äußersten Rand des Stereofeldes, und reduziere dort den Höhenanteil. Instrumente oder
Stimmen die vorne spielen sollen − oder Hall-Effekte für die Haupt – instrumente − können gerne die volle Stereobreite nutzen. Optimiere auch hier zuerst die Lautstärke und die Stereobreite, erst danach probiere ein anderes Plug-in oder neue Effekte.
WARUM DIESE DISZIPLIN?
Heutige DAWs verleiten uns dazu, anders zu mischen. Wir stellen im Groben schon einmal dieses oder jenes ein, aber im schlimmsten Fall starten wir nur einen Wettkampf um Lautstärke und den wichtigsten Platz frontal im Mix
Das war früher anders: Im analogen Studio gab es Equipment nicht in unbegrenztem Ausmaß, und auch im frühen digitalen Studio setzten DSP- oder CPU-Obergrenzen schnell ein Limit. Man schaute also immer, wie man möglichst effektiv zurechtkam, um dann am Ende die wichtigsten Spuren möglichst gut zu bearbeiten und dafür auch noch genügend Rechenleistung übrig zu haben.
PRAKTISCHES BEISPIEL
Manchmal bremsen uns die vielen Möglichkeiten heute sogar eher aus oder lassen uns in die falsche Richtung denken. Vor Kurzem habe ich bei einem Song einen passenden kurzen Hall für eine Snare gesucht. Valhalla VintageVerb mag ich ja sehr, das lädt in meinem Default-Song immer auf den Effektbussen mit. Aber es klang dieses Mal nicht passend.
Also die einfachste, moderne Lösung: anderes Plug-in! Also neues Plug-in geladen und den Sound damit eingestellt. Passte wieder nicht. Dann das nächste Plug-in und so weiter … Am Ende dachte ich gar: »Hättest du mal ein echtes Lexicon 480L, dann wäre das bestimmt anders und du hättest schon eine passende Einstellung gefunden.«
Sobald mir so ein Satz in den Kopf kommt, greife ich auf die vorhin beschriebene altbackene Vorgehensweise zurück. Ich habe also zuerst die Lautstärken erneut angepasst und dabei festgestellt, dass ich den Raum, den ich auf der Snare haben wollte, prima durch eine leichte Anhebung eines Clap-Sounds ergänzen kann. Die Clap-Spur war schlicht zu leise gemischt. Das klang so schon beinahe perfekt.
Dann kam der Mono-Trick mit EQ, also zurück zu Valhalla VintageVerb in Mono. Und genau so sollte die Snare doch klingen! Zurück zu Stereo − der Hall in Valhallas VintageVerb war klasse, allerdings muss – te ich die Stereobreite reduzieren. Und schon war der Sound perfekt. Brauchte ich wirklich ein neues Plug-in oder gar legendäre Hardware? In diesem Fall wohl eher nicht
Und ja, bestimmt wäre ein legendäres Lexicon 480L in gepflegtem Zustand die tollste Lösung, aber mein Mixproblem hatte sich auch so erledigt.
FAZIT
Bestimmt kommt in den nächsten Wochen ein neues bahnbrechendes Plug-in auf den Markt. Natürlich bin ich dann sicher auch neugierig, werde mir die Demoversion anschauen und den Testzeitraum auf einem Dongle oder der UAD-Karte aktivieren. Manchmal bringen einen neue Plug-ins auch auf ganz andere Ideen, und man wird kreativ. Dagegen ist nichts einzuwenden!
Mit der vorhin beschriebenen Vorgehensweise möchte ich jedoch daran erinnern, dass guter Sound oft durch eher einfache Dinge erzeugt wird, ganz unabhängig vom letzten High-End-Plug-in, und dass nicht alles schlecht sein muss, nur weil es etwas älter ist − selbst wenn wir über digitale Plug-ins reden!
Eine solide Lautstärkeabstimmung, eine gute Organisation, Auswahl und das Gruppieren einzelner Spuren sowie ein Betrachten unserer Spuren im Gesamtkontext beim Einstellen von EQs und Kompression bewirken ja eigentlich automatisch einen soliden Sound. Und wenn deine Plug-ins genau dafür funktionieren, dann ist doch alles okay, oder?
Probiere doch einmal, den nächsten Mix ganz altmodisch anzugehen − ohne schon gleich zu Beginn jede Menge Plug-ins im virtuellen Mixer zu verteilen. Ich wünsche viel Spaß dabei!
Ich komm aus der Analogen Zeit. Wenig Geld und Equipment, viel Improvistionskunst. Eigentlich mehr Versuchslabor mit oftmals hervorragenden Ergebnissen die hart erarbeitet werden mussten. Heute nutze ich lediglich die in den DAWs vorhandenen Plugins und sonst nichts. Und auch hier gilt probieren bis es klappt. Und das tut es in der Regel dann auch.
Ja, und letztlich gibt es ja auch noch eine gewisse Musikalität beim Mischen, um zu spüren, wann es auch mal mit dem Laden von zusätzlichen Plugins reicht.
Danke für diesen Beitrag. Mehr davon.
Ich komm aus der Analogen Zeit. Wenig Geld und Equipment, viel Improvistionskunst. Eigentlich mehr Versuchslabor mit oftmals hervorragenden Ergebnissen die hart erarbeitet werden mussten. Heute nutze ich lediglich die in den DAWs vorhandenen Plugins und sonst nichts. Und auch hier gilt probieren bis es klappt. Und das tut es in der Regel dann auch.
Ja, und letztlich gibt es ja auch noch eine gewisse Musikalität beim Mischen, um zu spüren, wann es auch mal mit dem Laden von zusätzlichen Plugins reicht.
Super Artikel
hallo Björn Bojahr
hätte mal eine frage wie bekommt man, beim Ichiro Toda ( Synth1 ) diese harshness Frequenzen weg.
Ich wäre ihnen dankbar für Ihre Antwort