Heute wollen wir uns dem Timestretching widmen, diesem wunderbaren Werkzeug, mit dem wir die Länge bzw. das Tempo einer Aufnahme ohne Tonhöhenänderung manipulieren können. Meistens steht dabei die Soundqualität im Fokus: Das Ergebnis soll so unverfälscht wie möglich sein. Aber genau das soll uns heute gar nicht interessieren, denn wir wollen Klang artefakte; dieses metallische Ziehen und Zerren sowie das Blubbernde und Körnige, wie man es aus Drum’n’Bass, Dubstep oder Trap kennt. Und wenn man es mit der Zeitdehnung bewusst übertreibt, entstehen selbst aus einem kurzen Impact mystische Klangtexturen. So etwas ist eine Spezialität von Granular-Synthesizern wie etwa Steinbergs Padshop (ein fantastisches SoundDesign-Tool by the way).
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Um das ganze Prozedere anschaulich zu machen, verwenden wir aber − wer hätte es gedacht? − klassisches Timestretching, wie es jeder in seiner DAW vorfinden sollte, in diesem Beispiel den »élastique Pro«-Algorithmus von zplane in Cubase Pro 8.5. Dieser erlaubt extreme Stretch-Raten von bis zu tausendprozentiger Expansion, was uns hier sehr gelegen kommt. Wir nehmen uns also einen kurzen, metallischen Impact-Sound und verlängern ihn. Sollte der Algorithmus deiner Software nur geringere Expansionswerte anbieten, so verwende ihn mehrfach hintereinander − eventuelle Soundverschlechterungen sollen uns nicht stören, denn eigentlich suchen wir gerade genau danach. Als Ergebnis sollten wir dann eine deutlich verlängerte und wahrscheinlich sehr künstlich klingende Version des Sounds erhalten.
Um das Ganze jetzt interessanter und lebendiger zu gestalten, wenden wir das Timestretching nun nicht mehr auf das komplette Event, sondern gezielt auf kurze Ausschnitte an. Wähle dazu in deiner DAW mit dem Auswahlwerkzeug kurze Abschnitte aus und, sofern sie klanglich noch recht lebendig sind, expandiere sie. Hier verwenden wir jetzt allerdings nicht mehr ganz so extreme Werte − 200 bis 300 % Expansion dürften ok sein. Solltest du bei der Suche nach geeigneten Stellen im Material hingegen auf lange, sterile Passagen stoßen, dann selektiere sie und komprimiere sie mit dem Timestretching-Werkzeug. Erlaubt ist hier, was gefällt; spiele mit Material herum. Unser Ziel soll eine Klangtextur von mindestens einer Minute Länge sein, die immer noch eine gewisse Lebendigkeit und ein wenig Bewegung besitzt. Wir walzen also den ursprünglichen Sound so richtig aus und strecken und stauchen ihn in die gewünschte Form.
Ausgangs-Sound
Technische Korrekturen
Wichtig: Bei der ganzen Bearbeitung kann es durchaus zu Knacksern oder Pops an den Übergängen zwischen zwei gestretchten Bereichen kommen. Diese müssen wir für eine schöne, atmosphärische Klangtextur unbedingt vermeiden, daher verwenden wir hier entweder eine Lautstärkenautomation, um diese Stelle abzuschwächen, oder wir malen sie mit dem Stiftwerkzeug am besten direkt in der Wellenform weg. Außerdem empfiehlt sich der Einsatz eines EQs − erstens, um tiefste Subbass-Anteile herauszufiltern, und zweitens, um nervige Frequenzen im nun recht metallisch und körnig klingenden Mitten/Höhen – bereich zu entschärfen.
Filtern
Damit unsere Textur nun düsterer und geheimnisvoller wird, hängen wir als Nächstes ein HiCut-Filter in die Effektkette; in meinem Fall den Waves MetaFilter. Die Cutoff-Frequenz stellen wir ganz nach Geschmack ein; bei mir ist sie bei 1,3 kHz gelandet. Nun modulieren wir die CutoffFrequenz mit einem sehr langsam schwingenden LFO und auch nicht besonders stark, denn hier soll kein hörbarer Filtereffekt entstehen! Wir wollen Bewegung erzeugen − der Sound soll einfach noch ein we – nig mehr »atmen«. Zum Abschluss passen wir noch die Flankensteilheit und die Resonanz nach Geschmack an.
Großes Kino
Um unsere Textur in die richtige Position zu rücken, brauchen wir nun einen Reverb, der große Räume erzeugen kann und auch zusätzlich noch eine eigene Modulation erlaubt. Meine Wahl war der Native Instruments RC 48 mit dem Preset »Parking Deck Rnd«. Alternativ habe ich auch Steinbergs Revelation ausprobiert, welcher ähnlich gut funktioniert hat. Sollte bei eurem Reverb keine Modulation möglich sein, so hilft eventuell auch ein vorgeschalteter, sanft eingestellter Chorus. Der Reverb wird als Insert in die Signalkette geschaltet, denn wir wollen ein zu 100 % effektiertes Signal mit einer langen Hallzeit und einer Modulation, damit wir noch mehr Bewegung erhalten. Normalerweise würde ich jetzt bei einer atmosphärischen Hintergrundtextur die Höhen innerhalb des Reverbs ein wenig abschwächen; weil wir aber im Vorfeld schon beim EQing und Filtern die Höhen stark abgesenkt haben, dürften hier keine Korrekturen mehr nötig sein. Aber natürlich könnt ihr hier gerne mit den Parametern weiter experimentieren.
Atmosphäre durch Pitchshifting
Für die Extra-Prise Atmosphäre benötigen wir jetzt noch einen Echtzeit-Pitchshifter (beispielsweise den SoundShifter von Waves), den wir vor den Reverb schalten. Wenn wir nun den Sound langsam nach oben und unten pitchen, fängt dieser an, so richtig schön zu jammern und zu stöhnen. Wer einen MIDI-Controller besitzt, sollte diesen hier unbedingt zum Einsatz bringen und damit den Pitch-Regler fernsteuern.
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