Sättigung

Sound-Design durch Übersteuerung von Audiosignalen Vol.1

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Kompression, Entzerrung und … Sättigung. Der dritte Punkt der heiligen Dreifaltigkeit analoger Signalverarbeitung wird heute oft übersehen. Klangfärbungen durch Sättigungseffekte sind aber das Salz in der tontechnischen Suppe. Die richtige Dosis Verzerrung kann nicht nur technische Klangprobleme lösen, sie bringt auch Emotionen im Sound ganz nach vorne.

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In den Jahrzehnten, in denen die analoge Signalverarbeitung im Tonstudio dominierte, waren Sättigungseffekte ein praktisch unvermeidlicher Bestandteil einer jeden Produktion. Übersteuerte Stufen im Signalweg (meist Röhren,Transistoren, Audio-Übertrager oder Analog-Tape) gaben dem Audiomaterial, das eben diese passierte, ihre Klangsignatur mit auf den Weg.

Nicht immer wurde dieser Nebeneffekt der Signalbearbeitung gern gesehen – ein Zuviel sorgt für einen undefinierten, harschen oder stumpfen Klang. Und so ist analoge Studioarbeit immer auch ein Kampf um Headroom, Rauschabstand und Klirrfaktor gewesen.


Sättigung ist fester Bestandteil der analogen Signalverarbeitung und kennt unterschiedliche Klangcharakteristiken. Hier vier Beispiele aus der analogen Studiowelt:

Randvoll mit legendären diskreten OpAmps: Custom-API-Konsole im Sunset Sound, Hollywood
Sättigung durch Röhren und Übertrager: Pultec-EQs im Record Plant, Hollywood
Satte 24 Kanäle: Studer A800 im Avatar, New York
1/4"-Mastermaschine: Revox PR99 im Criteria, Miami

Dass Sättigungseffekte aber auch ihr Gutes haben, wird gerade durch den Siegeszug der Digitaltechnik deutlich – für ein analoges System typische Verzerrungen fehlen hier erst einmal völlig, und damit auch die Möglichkeit, Signale durch simples Drehen eines Knopfes „in die Sättigung zu fahren”, heißer zu machen. In vielen Stilistiken von Rock bis zur Clubmusik der härteren Gangart gehört anständige Verzerrung jedoch immer noch zum guten Ton – und was sich früher automatisch und unvermeidlich einstellte, muss nun einfach von Hand hinzugefügt werden.

Sättigung (Soft Clipping) ist die Vorstufe von harten Verzerrungen (Hard Clipping). Wird ein Signal übersteuert, gewinnt es an Lautheit und an zusätzlichen Obertönen – Eigenschaften, welche die Durchsetzungsfähigkeit eines Klangs erheblich befördern können. Dabei hat Sättigung Auswirkungen sowohl auf die Dynamik (Time Domain) als auch auf den Frequenzgang (Frequency Domain) – sie „wildert” also gewissermaßen in Territorien, die gewöhnlich von EQs und Kompressoren besetzt werden.

bob humid mastering workshop

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Man sollte Sättigung als ein eigenständiges Feld betrachten, das sich mit Entzerrung und Kompression in Teilbereichen überschneidet. Oftmals macht ein Sättigungseffekt den Einsatz von EQ/Kompressor auf einer Spur gar obsolet.

Die technischen Grundlagen wurden in SOUND&RECORDING 07/2008 und 08/2008 ausführlich behandelt. Mit diesem Praxis-Special findet dieser Themenschwerpunkt nun einen Abschluss: Vorgestellt werden aktuelle Hardwaregeräte und Plug-ins, mit denen sich Sättigungseffekte auch im zeitgemäßen Projektstudio – ohne „große” Analogkonsole und Multitrack-Bandmaschine – realisieren lassen.


Praxistipp: Drumsounds in die Sättigung fahren

Snare-Schlag ohne ....
...und mit Sättigungseffekt

Bei vielen aktuellen Stilistiken spielen die Drums eine tragende Rolle, und das äußert sich auch im Pegel der entsprechenden Spuren. Drums bestehen in der Regel aus kurzen, sehr lauten Audioevents. Um einen hohen RMS-Pegel zu erzielen, werden Schlagzeugspuren gerne heftig komprimiert, wobei dann mit sehr kurzen Attack-Zeiten gearbeitet werden muss; dies greift heftig in den Sound und das „Feeling“ der Spur ein. Werden Drums in die Sättigung gefahren, clippen zunächst die Signalspitzen von Snare und Bassdrum – man gewinnt kostbaren Headroom, ohne dass ein Kompressor mit extremen Zeitkonstanten den Klang der Drums verändert.


Praxistipp: Parallele Verzerrung

Routing-Beispiel für parallele Verzerrung

Sättigung kann auch helfen, ein Subgruppen- oder Summensignal zusammenzubringen. Allerdings treten hier schnell Nebeneffekte auf, die in der Regel unerwünscht sind: Details und damit Räumlichkeit gehen verloren, die pegelstarken Bässe zerren zu stark oder die Präsenzen werden zu harsch. Hier kann man eine Parallelbearbeitung helfen: Das Sättigungstool wird über einen Aux-Weg angesteuert und dem unbearbeiteten Direktsignal hinzugemischt. Ähnlich wie bei der Parallel-Kompression lassen sich hier die Eigenschaften beider Signale anteilig mischen. Der Gesamtsound bleibt klar, wirkt aber intensiver und bekommt mehr Punch. Es empfiehlt sich, das Aux-Signal vor der Sättigungsstufe mit einem EQ zu bearbeiten. Bässe können abgesenkt werden und ggf. ebenso die Höhen – durch die zusätzlichen Obertöne gewinnt das verzerrte Signal ohnehin wieder an Schärfe und Frische. Arbeitet man mit Software, muss man auf einen funktionierenden Latenzausgleich achten.


Praxistipp: Sättigung auf Vocals

Bandsättigung ist ein Wundermittel, um problematische Gesangsspuren mixtechnisch in den Griff zu bekommen. (Bild: Hannes Bieger)

Die Dynamik von Vocal-Spuren zu bändigen gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben beim Mixdown. Hier gilt Ähnliches wie bei den Drums: Ein Kompressor, der so eingestellt ist, dass er zuverlässig Peaks abfängt, greift möglicherweise zu sehr in den Klang ein. Auch hier kann Sättigung helfen, ohne dass die Zeitkonstanten des Kompressors dem Klang ins Gehege kommen. Gerade Bandsättigung wirkt sich auch sehr positiv auf die Hochmitten aus: Nimmt man Vocals auf Tape auf (oder bearbeitet sie mit einem entsprechenden Effekt), kann man sich häufig sogar den De-Esser sparen. Gerade bei „Problem-Vocals“ bietet sich also ein Sättigungseffekt an, noch bevor man zu EQ und Kompressor greift.


 

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