Feiner Klang aus der Rille
Nach dem Transfer des kostbaren Vinyls in die digitale Domäne folgt die Restaurierung der Aufnahmen. Denn nicht nur Staubpartikel wie hier im Bild zu sehen erzeugen Nebengeräusche. Ganz besonders gilt dies, wenn es sich um ältere Schallplatten handelt, die man digital erhalten möchte. Es gibt für diesen Zweck einige Restaurierungs- und Denoising-Software, die aber keine pauschale Lösung für jedes Audiomaterial sind. Wir haben bei Mastering-Experten nachgefragt, mit welchen Audio-Tools und Tricks sie diese Probleme lösen.
Nach dem Transfer beginnt die Arbeit: Im digitalisierten Material befinden sich neben Rauschen auch Störgeräusche wie Pops und Clicks. Neben dem Einsatz von Software-Werkzeugen kann man Clicks per Hand »wegzeichnen« − das verhindert Artefakte pauschal eingesetzter Restaurierungssoftware, die auch an unnötigen Stellen eingreift und weichgespülte Transienten hinterlässt.
Mastering-Engineer Bob Katz plädiert für individuelle Problemlösung: »Es bedarf einer Abwägung, wie man vorgeht. Zum Beispiel vorsichtiges De-clicken von Hand, dazu automatisiertes De-clicking in manchen Sektionen. Dort, wo Artefakte schlimmer sind als das Ursprungssignal, verzichte ich auf automatisiertes Declicking oder ersetze Teile mit einer weniger stark bearbeiteten Version. Teilweise verwende ich drei bis vier unterschiedlich starke Einstellungen und schalte dazwischen um, um den klanglichen Kompromiss so gering wie möglich zu halten.«
Manuelles Nachzeichnen in der Audiowellenform sieht er skeptisch: »Software-Werkzeuge sind meiner Meinung nach viel besser, als wir Menschen beim Zeichnen je sein könnten! Zeichnen wir die Wellenform nicht sauber genug, kann ein Störgeräusch entstehen, statt dass man es loswird. Und dennoch: Geräuschreduktion ist eine Kunst, und dabei sollte man keine Regeln formulieren. Suche die beste Lösung für das jeweilige Problem. Das können verschiedene Lösungsansätze innerhalb eines Songs sein.«
An Software empfiehlt Katz »Renovator« von Algorithmix, Sonic Solutions »No Noise« oder Izotope RX-3. Sein Kollege Bob Ludwig ist von gezielter automatisierter Bearbeitung überzeugt: »Gute Restaurations-Software analysiert den Problembereich des Clicks, macht eine FFT-Auswertung des Materials vor und nach dem Click und erzeugt eine Interpolation dessen, was vermutlich dagewesen wäre.«
Je nach Problemstellung verwendet er zusätzlich zu den von Katz genannten Produkten die Cedar-Software und Waves-Plug- ins. Was Rauschen betrifft: »Man muss Kompromisse eingehen beim Grad des Entrauschens, da auch die besten Entrausch-Werkzeuge Artefakte verursachen. Bei sparsamen Intros oder ausklingenden Schlussakkorden wende ich manchmal ein paar dB Rausch-Reduktion an, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen.«
Vinyl-Kratzer und andere Störgeräusche beseitigen. Viele Wege führen zum Ziel; vor allem muss man von Fall zu Fall entscheiden, was die richtige und behutsame Bearbeitungsmethode ist. Hier ein paar Tricks …
Spektral-Reinigung
Mastering-Engineer Robin Schmidt nutzt Steinbergs Wavelab für Restauration. Statt auf herkömmliches Herauszeichnen setzt er auf das dortige Spectral-Editing, wo das Signal als Frequenzspektrum statt der üblichen Wellenform dargestellt wird. Je lauter eine Frequenz ist, desto heller wird sie sichtbar: »Mit dem Spektral-Editor kann man Clicks besser ersetzen als mit in der Wellenform per Stift. Der störende Signalanteil lässt sich gezielter identifizieren.«
Das Arbeiten im Spektrum-Editor erfolgt per Copy&Paste − das Verfahren erinnert an den »Kopierstempel« in Photoshop, der Teile eines Bilds an eine andere Stelle kopiert, um Fehler zu überdecken. »Man ersetzt den Click nicht mit einer gezeichneten Vermutung, sondern kopiert ein tatsächliches Signal an die Stelle.« Eine Analogie: »Ein Foto mit einer grünen Wiese, auf dem sich ein schwarzer Fleck, ein Bildfehler, befindet. Die herkömmliche Zeichenmethode: Man nimmt einen Stift und füllt den schwarzen Fleck so gut wie möglich mit grün. Beim Spektral-Editing nimmt man ein Stück links von der Wiese und kopiert es auf die schwarze Stelle. In beiden Fällen wissen wir zwar nicht, was ursprünglich dort war, aber solange man mit dem Stift nur mit einer groben Farbe malen kann, wird das Copy&Paste-Ergebnis bessere Resultate erzeugen.«
Im konkreten Beispiel (siehe Bilder) wird statt des Clicks nun ein Click-freier Bereich wiederholt. »Die meisten Clicks sind sehr kurz − ein hoher Frequenzbereich, der nur kurz anhält. Vorher hatten wir ein deutlich hörbares Knacken mit Vollamplitude, jetzt haben wir ein korrigiertes Signal, das sehr schnell vorbeiläuft.«
Die Methode hat allerdings Einschränkungen: »Bei einem länger anhaltenden Click wäre der ›Platzhalter‹ auffällig, und bei einem Störgeräusch mit tieffrequenten Anteil ist das Ersetzen problematisch: Will man hier eine kurze Stelle korrigieren, unterbricht man die lange Wellenlänge, was als waberndes Artefakt hörbar wird.«
Die Unterscheidung zwischen Click und Nutzsignal sei nicht immer eindeutig. »Gerade, wenn der Click auf einen Anschlag kommt, ist es Interpretationssache, wo der Click aufhört und der Anschlag anfängt.« Sein Tipp für den idealen Transfer: »Wenn die Platte in schlechtem Zustand ist − mehrere Exemplare besorgen, um eine Auswahl für eine Stelle zu haben.«
Das kann generell aus klangästhetischer Sicht lohnen, mitunter klingen verschiedene Pressungen unterschiedlich gut. Alternativ lässt sich eine problematische Stelle durch einen anderen Part im Song kopieren − etwa vom zweiten Refrain in den ersten. Und wenn alles glatt läuft?
Trotz aller Einschränkungen sei Vinyl ein exzellent klingendes Medium, erzählt Bob Katz. »In verschiedenen Fällen konnte ich so legendäre Alben wiederherstellen, deren Masterbänder entweder verloren gingen oder in schlechtem Zustand waren. Dazu habe ich eine gute Pressung verwendet, die von einem guten Engineer ›konservativ‹ geschnitten wurde. Die Ergebnisse sind sehr nah am ursprünglichen Masterband. Viele Hörer haben keine Ahnung, dass die CDs ursprünglich von Vinyl stammen, weil es mir gelungen ist, die Beweisspuren zu verbergen«, lacht er.
Spektrales Editing mit Steinberg Wavelab ermöglicht geradezu chirurgische Eingriffe ins Audiomaterial. Ähnlich wie mit der Stempel-Funktion in Photoshop lassen sich kurze Störgeräusche aus bestimmten Frequenzbereichen effizient beseitigen.
Vinyl-Klangveränderung als Plug-in
Zurück zur Klangästhetik der Schallplatte. Björn Bieber sieht das Medium Vinyl eher pragmatisch: »Vinyl kann nie so gut klingen wie die CD, weil man so viele physikalischen Grenzen hat.« Umgekehrt mag man sich fragen, ob die gewünschte Ästhetik der eigenen Produktion erreicht wurde, wenn die Veränderung durch die Schallplatte besser gefällt. Aber auch für den Fall ist virtuelle Abhilfe in Sicht: Cranesong verspricht mit dem Plugin »Peacock« die Vorteile der Vinyl-Ästhetik, etwa die typische harmonische Verzerrung und »geschliffene« Transienten. Der Effekt eignet sich überall dort, wo Quellmaterial hart klingt oder im harmonischen Spektrum angereichert werden soll, ohne dabei gleich auffällige Sättigung wie bei einer Bandmaschine zu ernten. Die Bearbeitung klingt meist subtil, aber hochwertig und vermittelt die viel zitierte »Laufruhe« von Vinyl. Neben der Summenbearbeitung eignet sich der Effekt auch für Einzelspuren im Mix − etwa Gesang, Bass, E-Gitarren oder Schlagzeug.
Die Audiobeispiele beim Hersteller vermitteln einen Eindruck und zeigen im Direktvergleich mit digitaler Quelle und abgetastetem Vinyl, wie nah ein guter Transfer am Original liegen kann. Das Plugin ist nur für Pro Tools (ab Version 10) im AAX-Format verfügbar. Eine 30-tägige Demo-Version ist bei Akzent Audio erhältlich. (www.akzent-audio.de)