Studiotipps: Kniffe, die die Welt verbessern

Vorne und hinten − Tiefe in den Mix bringen!

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Die Entscheidung zwischen rechts oder links fällt uns durch den entsprechenden Knopf am echten oder virtuellen Mischpult relativ leicht. Die einfachste Stereoaufnahme mit je einem Mikro rechts und links lässt uns genau dieses Abbild am Mischpult nachstellen, und mit ein wenig Glück klingt das Ergebnis am Mischpult dann beinahe so wie hinter der Glasscheibe im Aufnahmeraum. Aber wie bekommt man eigentlich Tiefe in einen Mix? Wie schafft man es, dass die Musiker nicht alle an unserer virtuellen Glasscheibe kleben und die ganze Aufnahme nach Proberaum und kleinem Projektstudio klingt?

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Nach vorne: Mit einem einfachen EQ und einem Regler zur Stereobreite sowie dem Freeware-Kompressor DC1A Version 2 von www.klanghelm.com lassen sich Signale auf einfache Weise nach vorne holen. Der PSP StereoController eignet sich für diese Art der Bearbeitung sehr gut, weil es einen integrierten Korrelationsgrad-Messer besitzt, der eine nicht mehr monokompatible Mischung direkt sichtbar macht.

Ein Hall-Effekt ist das, was wir vielleicht intuitiv zur Tiefenstaffelung im Mix wählen würden. Jeder kennt das Experiment: Das Signal ohne Hall klebt vorne an der Box, mit kräftigem Plug-in-Hall im Insert schiebt sich die ganze Aufnahme nach hinten! Ganz so simpel ist das Thema aber nicht: Eine möglichst lange Hallfahne hat hier wenig Auswirkung, es ist vielmehr die virtuelle Position im Hall-Plug-in, die unser Signal nach hinten schiebt. Verzögerungen der Hallfahne und das zeitliche Muster der Erstreflexionen sorgen erst in perfektem Zusammenspiel für den passenden Klangeindruck. Leider simulieren wir das aber nicht, wenn wir einfach nur den virtuellen Hall-Send aufdrehen und glauben, dass sich diese Signale so nach hinten verlagern würden.

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>> Bass-Mikrofonierung in drei Abständen – Tiefenstaffelung schon beim Recording beachten <<

Wir müssten eigentlich simulieren, was in einer großen Konzerthalle so abläuft, wenn Musiker an unterschiedlichen Positionen im Raum stehen. Jede Spur müsste leicht unterschiedliche Erstreflexionen und zeitliche Verzögerungen haben! Im großen Tonstudio mit entsprechender Besetzung war das in grauer Vorzeit beinahe automatisch so: Das Solo sang oder spielte man dicht am Mikro, alleine schon, um das Übersprechen der anderen Sounds zu vermeiden. Die Background-Combo teilte sich ein Mikro und stand dadurch ohnehin etwas weiter vom Mikrofon weg. Und auch durch die unterschiedlichen Positionen im Studio war der Raumeindruck von beiden Spuren bereits anders. Wollte man nun noch eine zweite Stimme dazu singen, reichte ein minimal größerer Abstand zum Mikrofon und schon klebten die ganzen Aufnahmen eben nicht mehr aufeinander. Jetzt im Projektstudio kleben die Musiker aber alle dicht am Mikrofon vor unserer Glasscheibe, und es klingt eben doch nie ganz so wie damals …

Geh mal einen Schritt zurück

Das isolierte Hören von Einzelsignalen in einem digitalen Mix führt obendrein schnell dazu, dass wir uns an den voluminösen Sound des Nahbesprechungseffekts unserer Mikrofone gewöhnen. Möglichst viele Details soll man hören, die wir dann auch noch mit einem schnellen Kompressor, wie etwa dem Urei 1176 nach vorne holen. Das Ganze führt zu einer Aufnahme, die als Solo-Stimme oder Solo-Instrument sicher überzeugt, die sich aber nur schwer in einen Mix einfügt. Sie sticht heraus − und wird meist nicht dadurch besser, dass es noch weitere solcher Takes gibt … Eine ganze einfache Übung ist das Einbeziehen des Mikrofonabstands in die Aussage der Spur. Soll die Spur nach vorne oder hinten? Einfach mal einen halben Meter mehr Abstand zum Mikro kann auch in einem kleinen Aufnahmeraum unserem Ohr schon das Empfinden vermitteln, dass diese Spur eben in den Hintergrund gehört.

Die virtuelle Bühne

Es gibt natürlich auch Signale, die wir vielleicht nie mit einem echten Mikrofon aufnehmen: Synthesizer-Sounds oder per DI-Box aufgenommene Instrumente. Da können wir den Nahbesprechungseffekt in gewisser Weise simulieren, zusätzlich zur simplen Steuerung über die Lautstärke der Signale. Je weiter ein Instrument vom Mikrofon entfernt ist, desto weniger Details kommen beim Mikrofon an. Übertragen auf ein beliebiges Audiomaterial können wir daher beispielsweise die Attacks reduzieren und die Höhen mit einem EQ leicht absenken. Auch einen durch den typischen Nahbesprechungseffekt angehobenen Bassbereich können wir mit dem EQ korrigieren. Zudem wird die Position im Stereobild mit zunehmendem Abstand vom Mikrofon irgendwann durch die Reflexionen im Raum unscharf, was wir durch eine Einengung der Stereobreite simulieren können.

Im Gesamtmix lösen diese Kniffe oft einen ähnlichen Effekt aus, als würde man einen Schritt vom Mikro zurückweichen. Wendet man die Tricks bei einem Solo-Sound an, der ganz klar in den Vordergrund gehört, zieht man beinahe automatisch die Spur danach lauter, um sie wieder nach vorne zu spielen. Natürlich klappt das auch andersrum: Wenn wir mit einem EQ den Höhenbereich anheben und das Signal mit einem Kompressor auf einen scharfen Attack hin bearbeiten, wird das Signal relativ zügig aus dem Mix herausstechen lassen. Je weiter vorne das Signal steht, desto klarer wird auch seine Position im Stereobild sein. Solch ein Signal darf gerne auch mal die komplette Breite nutzen! Selbst eine extreme Positionierung des Signals ganz rechts oder links außen kann sich durchaus als Stilmittel eignen.

Mit dem kostenlosen Plug-in Proximity (s. Abbildung 1) von www.tokyodawn.net lässt sich zudem die zeitliche Verzögerung gezielt steuern. Unser Ohr reagiert sehr empfindlich auf die ersten Millisekunden eines neuen Sounds, Signale, die vorne in einem Mix stehen sollen, können auch in ihrer zeitlichen Abfolge vorne liegen. Dieser Versatz von wenigen Millisekunden lässt sich mit dem Plugin sehr einfach einstellen, selbstverständlich kannst du hierzu auch ein einfaches Track-Delay in deiner DAW programmieren.

Hintergrund-Bus

Jede aktuelle DAW verfügt über Busse, mit denen du bestimmte Signale zusammenfassen kannst. Eine einfache Möglichkeit, dem Mix eine Tiefenstaffelung zu geben, wäre, direkt im Default-Song einen „Hintergrund-Bus“ zu definieren. Den bestückst du vom Start weg mit einem einfachen EQ und einem Plug-in zur Steuerung der Stereobreite, reduzierst dezent die Höhen und Bässe und engst die Stereobreite ein. Je nachdem, ob du nun Signale in den Vordergrund oder weiter nach hinten stellen möchtest, schickst du sie auf deinen normalen Stereo-Bus, oder du schickst sie auf unseren Hintergrund-Bus.

Das klappt im Alltag zügig, zudem lässt sich die Lautstärke zwischen den Elementen so auf einfache Weise steuern. Der Nachteil an dieser Vorgehensweise ist aber, dass man bei Mehrspuraufnahmen wie etwa einem Drumset im schlimmsten Fall anfängt, gegen den Bus zu mischen und sich obendrein bei weiteren Tricksereien mit zeitlichen Verzögerungen Phasenprobleme einhandelt. Da im Bus bereits ein EQ eingefügt ist, muss man eben aufpassen, nicht in den einzelnen Kanälen mit den EQs die Höhen dort wieder anzuheben. Ein Hintergrund-Bus ist daher eher bei Produktionen im Projektstudio eine Hilfe, weil dort die Signale meist nacheinander aufgenommen werden und somit erst eine künstliche Tiefe erzeugt werden muss.

Effekte

Ist ein Mix in gezeigter Weise trickreich aufbereitet, können Hall- und Delay-Effekte diesen Klangeindruck noch verstärken. Um den Raumeindruck mit einem Hall-Effekt zu unterstützen, kannst du beispielsweise einen kleinen Ambience- oder Room-Reverb benutzen, den du für die Sounds im Vordergrund nimmst. Dieser Effekt sollte die komplette Stereobreite nutzen und einen hohen Anteil an Erstreflexionen simulieren. Meist bieten Hall-Effekte ein Hi-Cut-Filter. Das Filter kann für diesen kurzen Raum ruhig etwas weiter geöffnet sein. Diesen Effekt benutzt du für die Klänge, die in den Vordergrund gemischt werden sollen. Zusätzlich programmierst du einen weiteren Hall-Effekt auf einem zweiten Send, der jedoch eine größere Halle simuliert.

Hier solltest du die Stereobreite leicht reduzieren und auch das Hi-Cut-Filter ruhig etwas niedriger ansetzen. Ein passendes PreDelay sollte programmiert werden, und der Anteil der Erstreflexionen kann gerne relativ niedrig sein. Dieser Hall erzeugt nun die Tiefe in deinem Song und wird ganz dezent sogar den Sounds im Vordergrund zugemischt. Je nachdem, wie du nun die beiden Sends pro Kanal beschickst, unterstützt der Hall die Tiefenwirkung deiner Klänge. Auch mit Delay-Effekten kannst du eine Tiefenwirkung erzielen. Ein kurzes Ping-Pong-Delay, ähnlich den Erstreflexionen eines Hall-Effekts, kann beispielsweise, dezent zu einem Signal hinzugemischt, den klanglichen Eindruck verstärken, dass ein Signal vorne im Mix präsent ist.

Fazit

Wer in einem großen Tonstudio mit entsprechenden Räumen aufnimmt und viel mit akustischen Signalen arbeitet, der wird vielleicht über die eine oder andere der oben aufgeführten Bearbeitungen die Nase rümpfen. Zumal ich recht komplexe Sachverhalte auf einfache Schritte reduziert und diese auch noch stark vereinfacht habe. Ich denke aber, dass der eine oder andere Tipp eben dabei helfen kann, auch im kleinen Studio ein wenig vom Flair einer großen Bühne herbeizuzaubern − die entsprechende Performance einmal vorausgesetzt. Ich wünsche auf jeden Fall viel Spaß beim Experimentieren!

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