Wie bereitet sich ein professionelles Tonstudio auf eine neue Aufnahme vor?
von Björn Bojahr, Artikel aus dem Archiv
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Wie bereitet sich ein professionelles Tonstudio auf eine neue Aufnahme vor? Häufig findet man eine Art Standard-Aufbau, der einem etwas älteren Lehrbuch für Tonstudiotechnik entnommen sein könnte. Vom U 87 beim Gesang bis zum SM57 am GitarrenAmp ist häufig alles so aufgebaut, »wie man das eben so kennt«. Nicht unbedingt innovativ, aber zuverlässig professionell. Vielleicht geht das alles auch günstiger oder anders, aber wenn man sicherstellen will, dass eine Aufnahme sofort wie ein Klassiker klingt, dann experimentiert man selten mit irgendwas anderem herum. Und da Studiozeit nun einmal stundenweise berechnet wird, fehlt meist auch die Ruhe, um Alternativen ausgiebig auszuprobieren. Ebenso verhält es sich mit der Raumakustik.
Wenn die nicht passt, vertrödelt man die wertvolle Zeit im Tonstudio, weil man die Fehler alle später doch korrigieren muss und eben nicht in kurzer Zeit zügig arbeiten kann. Wer dagegen alleine in seinem kleinen Kämmerlein seine eigenen Songs aufnimmt, der hat vielleicht gar kein Problem damit, den Mix auf mehreren Lautsprechern zu hören und sich langsam an eine finale Fassung heranzutasten. Zumal es dann beim Aufnehmen oft eher um das Sammeln und Entdecken von Ideen geht als um den finalen Take für ein neues Hit-Album! Vielleicht reicht da auch mal ein günstigeres Mikrofon? Ich möchte im Folgenden einige Tipps vorstellen, die vielleicht allesamt nicht viel Geld kosten, aber die uns auch im kleinen Homestudio helfen können, einen besseren Gesamtsound zu erhalten.
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Optimiere deine Abläufe im Studio
Wir können uns von einer professionellen Vorgehensweise auch für ein kleineres Tonstudio viel abgucken: Egal wie teuer und unzulänglich dein Equipment auf dem Papier auch immer sein mag, probiere doch einfach mal, eine spontane Aufnahme wie im Profistudio richtig schnell durchzuziehen und abzuschließen. Wenn du häufig deine Band aufnimmst, lade mindestens einen weiteren Musiker ein, und probiere, ein paar Overdubs schnell und sauber in den Rechner zu bekommen. Erst in solchen Situationen fällt uns oft auf, wo die wahren Knackpunkte liegen, um die wir uns im kleinen Studio mangels Zeitdruck herumdrücken: Zu wenig funktionierende Anschlüsse am Multicore, ein Mikrofonständer hält das Mikro nicht mehr oben, die Verkabelung hinter den Racks ist nicht einfach zugänglich, ein Stimm gerät unauffindbar, und wieso haben eigentlich zwei der Kopfhörer einen Wackelkontakt?
Diese Dinge im Studio zu beheben kostet vielleicht auch ein bisschen Geld. In vielen Homestudios wird aber lieber in »High-End-Bling-Bling« investiert anstatt in solche Grundlagen, die es wirklich bräuchte. Manchmal kostet so etwas nicht mal Geld − vielleicht ist es einfach nur an der Zeit, für die wichtigsten Kommandos in deinem Audioprogramm einmal Tastaturbefehle anzulegen oder einen MIDI-Controller ordentlich zu beschriften … Vielleicht gehört ein Zauber-Plug-in mit tausend Optionen ausgemistet zugunsten eines kleinen Plug-ins, das dich mit einer einfachen Oberfläche aber blitzschnell zum Ziel bringt?
Um ein eigenes Beispiel zu bringen: Als ich an meinem Klavier immer zuerst Mikros aufbauen musste, Kabel verlegen und dann alles im Audioprogramm routen sollte, war meine logische Konsequenz, dass ich durch diesen umständlichen Prozess häufig einfach kein echtes Klavier aufgenommen habe! Da nützte es auch nichts, dass ich mir theoretisch für den Fall der Fälle sogar ganz hochwertige Mikros hätte leihen können.
Ich benutzte im Alltag also eher mein Multisample im Rechner, weil das eben schneller und einfacher ging. Dadurch, dass ich das Klavier dann aber nicht so häufig aufnahm, lernte ich nicht, wo ich die Mikros hinstellen musste, um einen bestimmten Sound zu erzielen, und verpasste so auch die klanglichen Feinheiten, die ein echtes Klavier im Vergleich zum Multisample eben ausmachen. Ein einfaches, günstiges Paar Kleinmembran-Mikrofone, die dafür ihren festen Platz am Klavier bekamen, war eine ganz simple Lösung. Und die benutze ich seitdem sogar häufiger, weil es eben einfach geht und inzwischen auch professionell klingt.
Diese eben genannten Kleinigkeiten mögen banal wirken, und manchmal denken wir vielleicht, dass diese Dinge eh keine klangliche Auswirkung haben. Aber wer sich jemals über Einstreuungen durch ein kaputtes Gitarrenkabel geärgert hat und im Anschluss ein emotional bewegendes Solo einspielen wollte, der kennt das Phänomen sicherlich …
Wo sitzt du ?
Auch die Raumakustik oder die Wahl des entsprechenden Kopfhörers hat einen viel größeren Einfluss auf unser klangliches Ergebnis, als wir uns das oft eingestehen. In professionellen Studios ist die Raumakustik nicht nur im Studio, sondern auch im Kontrollraum meist auf einem hohen Niveau optimiert und spart ebenfalls Zeit, weil Fehler im Mix deutlich zu hören sind und deshalb erst gar nicht passieren. Vor Kurzem habe ich meinen Studioplatz von einer Seite des Raumes auf die andere umgebaut und dabei festgestellt, dass ich seitdem häufig viel zu viele Höhen in meine Songs mische. Der Umbau hat im Ergebnis auf meine Mischungen wie ein Exciter gewirkt. Denn an der neuen Stelle klingt offenbar alles etwas dumpfer, und so mische ich seitdem aus Gewohnheit die Höhen zu laut.
Die neue Mixposition hat offenbar trotz Messtechnik und einigen baulichen Anpassungen deutlich mehr Auswirkungen, als ich dem Thema so zugestanden hätte! Auch der Wechsel von einem Kopfhörermodell auf ein anderes kann deine Mischungen extremer verändern als so manches SoftwareWundermittel. Manche Kopfhörer bilden bestimmte Bereiche nicht sauber ab. Vielleicht muss es gar kein teureres Modell sein, sondern es reicht ein Modell, was eben für einen eher linearen Klang optimiert wurde? Mein Standard-Kopfhörer ist seit vielen Jahren ein AKG K141, an den ich mich ziemlich gewöhnt habe. Der funktioniert für mich gut, aber meine Mischungen haben damit bisweilen etwas zu viel Bass und zu wenig Höhen. Neben diesem Modell nutze ich häufig den AKG K271, mit dem ich im Ergebnis den Mittenbereich bisweilen zu leise mische, dafür sind Bässe und Höhen dort sehr einfach abzustimmen. Nutze ich die beiden abwechselnd, klappt ein schneller Kopfhörermix für mich sehr gut. Ein alternativer Kopfhörer oder ein weiteres Paar Lautsprecher passt sicher auch ins kleinste Homestudio.
Wenn es zu gut klingt, ist es falsch !
Alle paar Jahre wieder kommt ja ein neues bahnbrechendes Plug-in für mehr Klarheit, Durchsetzungskraft und Präsenz. Meine Erfahrung mit solchen Dingen ist im Mix eher, dass ich meist Fehler mache, wenn ich glaube, den totalen Durchbruch zu haben. Wenn etwas zu gut klingt im Mix, dann ist es garantiert falsch gemischt! Denn wenn alle Referenz-Tracks schlechter klingen, heißt das nicht, dass wir klanglich besser, sondern auf dem Holzweg sind!
Neulich erst habe ich mich durch die Kombination aus Softube Drawmer S73 und Universal Audio Precision Multiband wieder aufs Glatteis führen lassen. Das war auf Anhieb genau die Kombination, die dem Mix gefehlt hatte. Die beiden Plug-ins hatte ich mehr aus Neugier auf die Summe gepackt, ein wenig eingestellt, und sofort klang alles so, wie ich es wollte. Erst am nächsten Tag offenbarte sich das Dilemma mit etwas Abstand. Im Direktvergleich klang der Song gestern vielleicht besser, aber in Wirklichkeit waren die Höhen zu dominant und der Mittenbereich zu leise.
Das führte im ersten Moment zu einem Wow-Effekt, aber tat dem Gesamtmix nichts Gutes. Im Gegenteil, wenn man jetzt genau hinhörte, fiel auf, dass die Bassdrum einen merkwürdigen Attack erhalten hatte, und es unbearbeitet ohne die beiden Wundermittel eigentlich viel passender klang. Dabei soll das keine Kritik an den Plug-ins sein, denn kein Plugin kann falsche Einstellungen auch noch zu Gold machen! Jeder von uns hat seine drei bis zehn Standard-Mix-Plug-ins, und eigentlich wissen wir genau, wo wir damit landen können. Wenn ein solches Wundermittel gut funktioniert, liegt es oft eher daran, dass wir in den Einstellungen bei unseren Standard-Mixtools irgendwo falsch abgebogen sind …
Fazit
Unsere Ohren sind gar nicht so lineare Messwerkzeuge, wie wir sie manchmal gerne hätten. Aber dennoch die einzigen, für die wir diesen ganzen Quatsch mit der Mix- und Aufnahmetechnik überhaupt machen! Dinge zu optimieren, die man im ersten Moment gar nicht hört, und Dinge zu lassen, die wie ein Wundermittel alles auf einmal reparieren, mögen seltsame Tipps sein. Hoffentlich probiert sie trotzdem jemand aus, denn mir hat dies oft mehr geholfen als der Kauf von angeblich neuem Wunder-Equipment.