Wenn es um Gesang in einem Mix geht, dann ist das Komprimieren mit Abstand der schwierigste Punkt an der ganzen Bearbeitung. EQ-Bearbeitungen kann man auch sehr gut ohne ein geschultes Gehör einordnen, um aber eine zu starke Kompression oder eine zu langsam Release-Zeit zu erkennen, bedarf es schon etwas mehr Übung.
Auf die letzte Folge aufbauend, möchten wir dieses Mal vor allem einen detaillierten Blick auf die Kompression werfen. Wir bleiben bei unserem Beispiel vom letzten Mal, ein Indie-Pop Song mit wenigen Instrumenten und einer Sängerin, die eine interessante und sehr persönliche Geschichte zu erzählen hat. Der Gesang ist bereits mit einem Lo-Cut und dem Antares Autotune versehen, und wir möchten ihn nun auch noch komprimieren, damit er etwas besser im Mix sitzt.
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Hierbei gibt es für mich immer einen »technischen« und einen »kreativen/emotionalen« Blickwinkel. Aus technischer Sicht möchte ich z. B. die Dynamik des Gesangs einschränken. D. h., ich muss die lauten Stellen (Peaks) mit dem Kompressor abfangen, damit die lauten Stellen nicht mehr aus dem Mix »springen«. Zudem gewinne ich so an »Headroom« und kann den ganzen Gesang bzw. den Masterfader lauter machen, ohne dass es zu »Clipping« kommt.
Viel wichtiger ist für mich aber die »emotionale« Auswirkung, die der Kompressor auf den Gesang hat. Wie wirkt der Sänger durch den Kompressor auf den Zuhörer? Habe ich zum Beispiel einen Rocksänger, der »aggressiv« erscheinen soll, so würde ich keine weiche Kompression mit langsamen Regelzeiten benutzen, denn das würde ihn eher sanft und entspannt klingen lassen. Ein Kompressor mit schnellen Attack- und Release-Zeiten passt hier wohl besser, denn so fängt das Signal leicht an zu »pumpen« und es entstehen klangliche Artefakte und ein eher aggressiverer Eindruck.
Auch die Auswahl der Geräte bzw. der Plug-ins ist nicht ganz unwichtig. Für einen aggressiveren Sound wäre z. B. ein 1176 (»blue stripe«) eine gute Wahl. Dieser ist nicht nur von Haus aus mit besonders schnellen Regelzeiten ausgestattet, sondern hat auch generell einen eher mittigeren und somit »rockigeren« Grundsound.
Auch die Stärke der Gesamtkompression sollte man nicht dem Zufall überlassen. Ein gut komprimierter Gesang kann zwar sehr selbstbewusst rüberkommen, muss aber auch im Kontext zu den anderen Instrumenten passen. Ist das Playback also eher »luftig« und »offen«, dann sollte man es bei der Kompression vom Gesang auf keinen Fall übertreiben. Sonst klingt der Sänger total wie aufgepumpt, während die anderen Instrumente ganz entspannt daherkommen. Ganz anders als bei einem härteren Rocksong. Angezerrte Signale wie Gitarren und Bass verstärken das Sustain der Instrumente, und so gibt es deutlich weniger Dynamik. Hier muss der Gesang deutlich stärker komprimiert werden, um sich durchsetzen zu können.
In unserem Beispielsong sollte der Gesang etwas in der Dynamik eingeschränkt werden, um nicht immer wieder aus dem Mix rauszuschauen, und zusätzlich auch etwas selbstbewusster und sicherer werden, denn durch die sehr emotionale Performance gab es leider immer wieder unsicher wirkende Passagen. Als Erstes bearbeite ich immer die Dynamik und komprimiere die lautesten Stellen runter. Dafür benötigt man in der Regel einen Kompressor mit schnelleren Regelzeiten. Nur wenn die Attack-Zeit kurz genug ist, werden die Peaks auch wirklich abgefangen. Ist sie zu langsam, hat man zwar das Gefühl, dass die Kompression weniger hörbar (natürlicher) ist, aber dann werden die lauten Stellen leider auch nicht wirklich abgefangen. Auch die Release-Zeit sollte eher schnell gewählt sein. Ist sie zu lang, macht der Kompressor zu langsam wieder auf und die leisen Stellen werden mitkomprimiert und somit noch leiser.
In unserem Fall habe ich mich für den Sonnox Kompressor entschieden. Dieser klingt selbst bei höherer Kompression sehr neutral und durchsichtig und hat außerdem viele Einstellungsmöglichkeiten. Damit konnte ich an den lautesten Stellen bis zu 6 dB komprimieren. Die Attack-Zeit war 3,66 ms und die Release-Zeit 0,01 s. Diese Zeiten haben bei diesem Beispiel gut funktioniert, sollten aber auf keinen Fall als Regel angesehen werden!
Leider gibt es keine richtige Regel beim Arbeiten mit Kompressoren, aber ich gehe ganz oft auf die gleiche Weise vor. Zuerst stelle ich die Ratio etwas hoch (8–10:1), die Attack-Zeit relativ kurz und die Release-Zeit eher langsam ein. Mit diesen Einstellungen wird der Kompressor grundsätzlich sehr stark arbeiten. Jetzt ziehe ich den Threshold so weit runter, bis ich die Kompression deutlich hören kann, das sind meist 8–10 dB Kompression. Jetzt verlängere ich die Attack-Zeit und verkürze die Release-Zeit abwechselnd oder gleichzeitig, bis der Kompressor in dem Rhythmus arbeitet, der passend ist. Man wird immer noch eine ordentliche Kompression hören bzw. sehen. Aber es sollte kein unerwünschtes Pumpen oder Artefakte geben. Wenn man das erreicht hat, dann kann die Ratio wieder auf 4:1 oder weniger verringert werden, bis der Kompressor angemessen arbeitet. In den meisten Fällen muss man dann noch nicht einmal den Threshold ändern, sondern ist bereits genau da, wo man hinwollte.
Nach dieser Bearbeitung mit dem ersten Kompressor hatte ich zwar die Spitzen abgefangen, aber die Klangfarbe hatte sich nicht wirklich geändert. Deswegen benutze ich oft noch einen eher langsameren Röhren- und/ oder Optokompressor mit einer schönen Farbe dahinter. Dieser komprimiert jetzt nicht nur die lauten Stellen (diese sind ja bereits deutlich reduziert), sondern den Gesang durchgehend und macht ihn somit dichter, ausgewogener und auf eine gewisse Art und Weise auch selbstbewusster. Hier hatte ich den Softube Summit TLA-100A benutzt und im Durchschnitt mit ca. 4 dB komprimiert. Das hat die Sängerin im Mix ganz gut stabilisiert.
Aber ich hatte immer noch das Gefühl, dass sie etwas wackelig war. Man könnte sie an dieser Stelle einfach noch mehrmals komprimieren, aber irgendwann klingt der Gesang dann leider auch klein und leblos, weil er einfach zu sehr zusammengestaucht wurde und die Transienten fehlen. Daher verwende ich ganz oft eine Parallelkompression, d. h., ich kombiniere den unbearbeiteten oder leicht komprimierten Gesang mit einer sehr starken Bearbeitung. Dafür schicke ich wie in unserem Beispiel den bereits zweifach komprimierten Gesang zusätzlich auf eine neue Spur und komprimiere ihn dort relativ stark. Hier hat der Kompressor eine sehr kurze Attack, sodass er nicht mehr viele Transienten durchlässt und richtig dicht macht. Je nachdem, welches Gerät oder Plug-in ich hier verwende (in diesem Fall der UAD 1176LN und UAD LA2A) und wie die Einstellung ist, kann das Ganze auch pumpen oder zerren und somit richtig aggressiv klingen. Im finalen Mix verwende ich diese Spur zwar nur leise und mische sie unter meinen eigentlichen Gesang, aber so habe ich zwei sehr unterschiedliche Klangfarben zur Auswahl: den offenen und lebendigen Sound sowie den dichten und aggressiveren Sound. So wurde der finale Gesang ausgewogen und selbstbewusst, ohne klein und leblos zu wirken.